Ganztagspädagogik an katholischen Schulen : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Das Gelingen einer Ganztagsschule hängt maßgeblich vom pädagogischen Konzept ab. In der praktischen Umsetzung stellen sich Fragen nach der Schulqualität, nach Kooperationen, nach Raum- und Zeitkonzepten. Auf der Tagung „Ganztagspädagogik an katholischen Schulen“ stellten sich erfolgreich arbeitende Schulen vor.

Es gibt sie bereits, die erfolgreich arbeitenden Ganztagsschulen in Trägerschaft der katholischen Kirche. Aber es gibt auch Schulen, die den Schritt zur Ganztagsschule noch vor sich haben. An diese wandte sich die Tagung „Ganztagspädagogik an katholischen Schulen“ des Katholischen Schulwerks in Bayern. Zu der zweitägigen Veranstaltung am 2. und 3. Februar 2015 im Schloss Fürstenried im Südwesten Münchens waren Tandems aus Schulleitung und Ganztagsverantwortlichen eingeladen, um sich auszutauschen und im Vortrag und in den Workshops gute Beispiele kennenzulernen. Rund 50 engagierte und wissbegierige Teilnehmerinnen und Teilnehmer trafen sich.

Prof. Dorit Bosse, Professorin für Schulpädagogik an der Universität Kassel, konnte im Eröffnungsvortrag „Ganztagsschule und christliches Schulprofil“ zunächst einmal denjenigen im Plenum, die vielleicht noch die „Sinnfrage“ – Ganztag oder kein Ganztag? – stellten, ermutigen. Abgesehen von der Einschätzung im nationalen Bildungsbericht 2014, dass „der Ganztagsschulausbau auch nach zehn Jahren in allen Schulformen anhält“, zeigten Ergebnisse der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG)“, dass die Befürchtungen vieler Eltern – die auch auf der Tagung wieder thematisiert werden sollten –, die Beziehungen zu ihren Kindern könnten sich durch den Besuch einer Ganztagsschule verschlechtern, unbegründet sind.

Stimmen aus dem Ganztagsschulalltag, die Dorit Bosse im Rahmen einer Forschungsarbeit an der Universität Kassel hatte sammeln können, zeigten ebenfalls positive Tendenzen. So zitierte sie eine Mutter: „Hier sind die Kinder Personen, keine Nummer.“ Ein Sozialpädagoge: „Die Kinder spüren mehr Sicherheit und Vertrauen.“ Und schließlich ein Lehrer: „Die Elternarbeit ist intensiver geworden. Das ist gut so. Aber einige Eltern glauben jetzt auch, die Erziehung komplett an die Schule abgeben zu können.“

Ort der Muße, der Kontemplation und der Konzentration

Die Erziehungswissenschaftlerin stellte die Rhythmisierung als das große Plus des Ganztagsschultags heraus. „Zwar können wir nicht auf den Biorhythmus der Schülerinnen und Schüler reagieren, denn der ist vollkommen individuell, und es ist eine Illusion, das verallgemeinern zu können. Aber die Ganztagsschule bietet die Möglichkeit zu größeren Zeiteinheiten und mehr Ruhe. Über die eigene Zeit bestimmen zu können, erhöht das Selbstwertgefühl, erfordert aber auch Selbstkontrolle.“

Bezogen auf das christliche Profil einer Ganztagsschule könne die zusätzliche Zeit für soziale Projekte und zusätzliche Erziehungsarbeit genutzt werden. Es bleibe mehr Zeit für Wertevermittlung, ein förderndes Schulleben und bessere Elternarbeit. Und auch die Intensivierung des religiös-kulturellen Schullebens sei eher möglich.

Marion Tuschl-Kriegel, Referentin für Ganztagspädagogik beim Schulwerk der Diözese Augsburg, stellte in ihrem Vortrag „Christliche Ganztagspädagogik – wenn Lernen und Leben in der Schule verschmelzen“ die Schulkultur in den Mittelpunkt. Die Ganztagsschule werde in zahlreichen Stellungnahmen der katholischen Kirche erwähnt und als Chance dargestellt, Forschen, Erziehen und Leben miteinander zu verschmelzen.

„Die Ganztagsschule kann das Selbstwertgefühl der Schülerinnen und Schüler durch vielfältige Erfahrungsmöglichkeiten stärken“, führte Marion Tuschl-Kriegel aus. „Sie ist auch eine Möglichkeit, die Schülerinnen und Schüler stärker mitbestimmen zu lassen. Darüber hinaus erleichtert sie es der Schule, präventiv tätig zu werden. Es gibt die Chance, im Alltag zu lernen, den Umgang mit Zeit zu lernen und sich mit selbst gewählten Inhalten zu beschäftigen.“ Schule könne so auch zu einem Ort der Muße – so die wörtliche Übersetzung des Wortes „Schule“ aus dem Griechischen –, der Kontemplation und der Konzentration sein.

Gebundener Ganztag am St.-Gotthard-Gymnasium

Das St.-Gotthard-Gymnasium der Benediktiner in Niederalteich (Landkreis Deggendorf) verfügt seit 1968 über Erfahrungen mit dem Ganztag. Damals war ein Tagesheim mit den Jahrgangsstufen 5 bis 8 in einer Kombination von Unterrichtsstunden und Phasen der Hausaufgabenanfertigung gegründet worden. Mitte der 1990er Jahre wurde vor dem Hintergrund stagnierender Schülerzahlen ein Arbeitskreis „Schulentwicklung / Ganztagsschule“ gegründet. In Zusammenarbeit mit Prof. Heinz-Jürgen Ipfling von der Universität Regensburg – der übrigens Ende der 1970er Jahre die ersten empirischen Begleitforschungen zu Ganztagsschulen durchgeführt hatte – strukturierte und organisierte das St.-Gotthard-Gymnasium den Tag neu. Verstärkt wurden moderne Unterrichtsformen, 90-Minuten-Blöcke und mehr Freiarbeit eingeführt. Durch G8 weitete sich in den letzten Jahren der Ganztagsbereich dann weiter aus: 2007 wurde der Ganztag auch für die 9. und 10. Jahrgangsstufen obligatorisch. Freiarbeit in Fachräumen, im Silentium- und im Methodenraum sowie Wahlunterricht kamen hinzu.

Schulleiter Johann Lummer, der auf der Tagung die Geschichte und das Konzept des St. Gotthard-Gymnasiums vorstellte, bezeichnete das Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ als einen „entscheidenden Impuls für die Erweiterung der Ganztagsschule“. Die Nachfrage stieg. Derzeit besuchen 740 Schülerinnen und Schüler das gebundene Ganztagsgymnasium. Als entscheidend für den Erfolg der Schule sieht Lummer das „Beziehungssystem zwischen Schülern und Lehrern“. Der längere gemeinsame Schultag erleichtere es, manches Problem schon im Ansatz zu erkennen und dann präventiv handeln zu können. Ein wichtiger Bestandteil des Tages ist das Mittagessen, an dem Kolleginnen und Kollegen wie auch der Schulleiter selbst teilnehmen. „Das Essen wird zum Treffpunkt“, betonte der Johann Lummer.

Vom Schulfach „Glück“ bis zum EDV-Führerschein

Ein Misslingensfaktor besteht laut Lummer darin, einfach nur mehr Fachunterricht aufzuhäufen. Stattdessen sind in Niederalteich von 7.45 bis 16 Uhr Unterricht und Freizeit über den ganzen Tag verteilt, und der Unterricht ist wiederum in sich rhythmisiert: Lern- und Übungsphasen wechseln mit Entspannung ab. Hausaufgaben gibt es nicht mehr, sie sind als schriftliche Aufgaben in den Schultag integriert. In Intensivierungsstunden gebe es Zeit, vertieft zu üben. Dort werden die Gruppen flexibel zusammengesetzt und nach Absprache der Lehrerteams gezielt gefördert.
In Neigungsgruppen können die Fünft- und Sechstklässler verschiedene sportliche, kreative und musische Angebote wahrnehmen. Die Siebt- und Achtklässler erhalten ebenfalls ganz unterschiedliche Angebote in den sogenannten Aktivphasen. Von „Let's Speak English“ über das Schulfach „Glück“ bis zum „Dirndl nähen“ reichen die Möglichkeiten. In den 9. und 10. Klassen ist wiederum Wahlunterricht angesagt: Hier gibt es zum Beispiel Spanisch, Big Band oder den EDV-Führerschein. Zudem besteht für besonders leistungsbereite und interessierte Jugendliche die Möglichkeit eines Frühstudiums an der Technischen Hochschule Deggendorf.

Und wenn mal etwas nicht so klappt? Sollte eine Schülerin oder ein Schüler Probleme haben, dann gibt es Absprachen im Lehrerteam. Ein „Frühwarnsystem“ im Herbst und im Frühling mittels Notenstand und Einschätzungen der Fachlehrer helfen dabei. Dann kann eine Empfehlung für die fachgebundene Freiarbeit oder auch Förderkurse erfolgen. Die Pädagoginnen und Pädagogen vereinbaren mit dem Jugendlichen Zielvereinbarungen zur Verbesserung der Leistungen.

Maria-Ward-Realschule: intensive Elternarbeit und Förderung sozialer Kompetenzen

An der Maria-Ward-Realschule in Neuhaus am Inn (Landkreis Passau) besteht seit dem Schuljahr 2009/2010 eine gebundene Ganztagsklasse. Die Lehrerinnen Michaela Pallor und Kathrin Lieb-Brilka stellten das Konzept in einem Workshop vor. Neben den in Niederalteich bereits genannten Einrichtungen gehören zum Ganztag eine intensive Elternarbeit, Angebote zur Förderung sozialer Kompetenzen und die so genannten HIF-Stunden (Hausaufgabe, Intensivierung und Förderung). Außerdem gibt es zusätzliche Unterrichtstunden in den Hauptfächern Deutsch, Englisch und Mathematik..

„Für die Lehrer bedeutet dies intensiven Austausch und Teamarbeit, Flexibilität und enge Zusammenarbeit mit den Eltern, um den Anforderungen gerecht zu werden“, so die beiden Pädagoginnen. „Vier bis fünf Telefongespräche in der Woche sind normal“, so Lieb-Brilka. „Auch wenn vieles Kraft und Nerven kostet, so kämpfen wir um jeden Schüler.“

Egbert-Gymnasium Münsterschwarzach: Studierzeiten und Projektarbeit

Das Egbert-Gymnasium Münsterschwarzach in Schwarzach am Main (Landkreis Kitzingen) hat eine Ganztagsklasse eingerichtet. Man reagierte hier auch auf den „zunehmend hektischer und kleinschrittigeren Unterrichtsalltag durch das G8“, so Studienrat Dr. Herbert Müller aus dem Direktorium der Schule und setzte dem ein „eigenes pädagogisches Konzept für das Leben und Zusammenleben“ entgegen. Auch hier ist der Tag durch einen Wechsel von Fachunterricht, Arbeitsstunden, Bewegungsphasen und Freizeitangebote neu rhythmisiert. Die Arbeit im Unterricht stützt sich dabei auf Projekt- und Teamarbeit sowie Methodentraining.

Jeder Schultag dauert in der Ganztagsklasse bis 16.20 Uhr. Unterricht wird vermehrt in Doppelstunden erteilt, wobei zwischen den beiden Stundenblöcken am Vormittag eine Bewegungseinheit sowie eine betreute Arbeitsstunde liegen. Es folgt eine Mittagspause mit dem Mittagessen und betreuten Freizeitangeboten sowie meditativen und religiösen Angeboten. Über den ganzen Tag verteilt finden Studierzeiten statt, für die Lernmaterialien zum individuellen Üben bereit liegen und in denen das im Unterricht Gelernte vertieft wird. Hier steht den Schülerinnen und Schülern ein Betreuer bei Fragen zur Verfügung. Hier werden auch alle schriftlichen Hausaufgaben für den nächsten Tag erledigt.

Freitagsnachmittags liegt die doppelstündige Projektarbeit. Im ersten Schulhalbjahr findet hier ein Projekt im Fach „Ausdruck und Gestalten“ statt; im zweiten Halbjahr MINT-Projekte. Alle vier Wochen findet eine Vollversammlung der ganzen Schule mit einem religiösen Impuls statt. Die Lehrkräfte und Betreuer halten regelmäßige Teamsitzungen ab, und es findet ein halbjährliches Schüler-Lehrer-Eltern-Gespräch statt.

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