Ganztagsgymnasien sind "Ganz In" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Im Projekt „Ganz In – Mit Ganztag mehr Zukunft“ werden Gymnasien auf dem Weg zur gebundenen Ganztagsschule unterstützt. Dr. Petra Strähle von der Stiftung Mercator bilanziert im Gespräch das Erreichte und gibt einen Ausblick.

Das Projekt „Ganz In“, welches von der Stiftung Mercator in Essen gefördert wird, unterstützt seit 2009 31 und in der zweiten Projektphase 29 Gymnasien in Nordrhein-Westfalen, den gebundenen Ganztag einzuführen. Ein besonderer Fokus liegt auf der individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler durch eine neue Unterrichts- und Lernkultur.

Die Hochschulen der Universitätsallianz Metropole Ruhr unterstützen die Schulen im gesamten Projektverlauf durch fachdidaktische Begleitung, Entwicklungsberatung und Evaluation. Geleitet wird das Projekt von Prof. Wilfried Bos vom Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) der Technischen Universität Dortmund. In vier Netzwerken tauschen sich die teilnehmenden Schulen regelmäßig mit Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktikern aus. Dr. Petra Strähle von der Stiftung Mercator begleitet das Projekt seitens des Förderers.

Online-Redaktion: Frau Dr. Strähle, was ist die Motivation der Stiftung Mercator, sich mit „Ganz In“ für Ganztagsschulen zu engagieren?

Petra Strähle: Der Hauptgrund ist unser Bestreben, dabei zu helfen, dass benachteiligte Kinder und Jugendliche in Ganztagsschulen besser unterstützt werden, um mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit zu erreichen. Für uns ist die Individualisierung des Lernens ein Schlüssel, um mit Vielfalt umzugehen. Die Gymnasien stellen sich der Realität, dass sie es heute mit heterogenen Klassen zu tun haben.

Stiftung Mercator
© Stiftung Mercator

Wir haben gerade am 31. Oktober 2015 die erste Förderphase beendet. Es geht aber für drei Jahre nun mit der zweiten Phase weiter. Das hatten wir schon frühzeitig im November letzten Jahres so entschieden und bewilligt, nachdem wir die sehr umfassende wissenschaftliche Begleitforschung zu unserem Projekt bilanziert und auch geschaut hatten, wo die beteiligten Ganztagsgymnasien in ihrem Transformationsprozess stehen.

Online-Redaktion: Was passiert in „Ganz In“ konkret vor Ort?

Strähle: Zu sechs Fächern – Deutsch, Englisch und Mathematik als Kernfächer, außerdem Biologie, Chemie und Physik – haben sich Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker der Ruhr-Universitäten Duisburg-Essen, Bochum und Dortmund mit den Schulen gemeinsam ausgetauscht und weitergebildet. Es ging um die Frage, wie sich individualisiertes Lernen am besten umsetzen lässt und besser fördern lässt. Dabei spielte auch eine Rolle, wie sich der Unterricht in einer Ganztagsschule anders strukturieren lässt. Hier ist schon viel inhaltliche Arbeit geleistet worden, wobei es kein einheitliches Schema des Austausches gab. Die Fachdidaktiker konnten da mit den Schulen in ihrem Netzwerk entscheiden, in welcher Frequenz sie sich treffen und wie sie die Treffen gestalten.

Daneben fanden Netzwerktreffen zu allgemeinen Fragen des Transformationsprozesses statt. Die Lehrkräfte haben dort mit den Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktikern Konzepte und Materialien erarbeitet, die in den vergangenen Wochen in so genannten Praxisbänden erschienen sind. Diese wenden sich mit konkreten Umsetzungsbeispielen zur Unterrichtsgestaltung an die Praxis. Daneben ist auch ein wissenschaftlicher Band „Ganz In. Auf dem Weg zum Ganztagsgymnasium“ mit allen Forschungsergebnissen zu Veränderungen an der Schule, Netzwerkarbeit und fachdidaktischer Arbeit veröffentlicht worden.

Online-Redaktion: Wie wird es jetzt in der zweiten Phase weitergehen?

Strähle: Die Grundarchitektur ist geblieben. Nachdem sich die nun teilnehmenden 29 Gymnasien erstmal mit den neuen Rahmenbedingungen beschäftigen mussten, soll es jetzt aber noch stärker ins inhaltliche Arbeiten und in die pädagogische Umsetzung gehen. Hier liegt der Fokus auf dem individualisierten Lernen. Die Fachdidaktiken werden versuchen, mit ihren gewonnenen Erkenntnissen deutlich mehr Schulen zu erreichen. Dazu werden sie nicht nur an den Netzwerktreffen teilnehmen, sondern auch in den Gymnasien vor Ort mit den Fachkollegien arbeiten, um spezifische Fragen zu lösen. Was bereits an Unterrichtsentwicklung passiert ist, soll weiter entwickelt, aber auch noch besser und breiter verankert werden.

Online-Redaktion: Für die zweite Projektphase sind „themenspezifische Vertiefungsangebote“ angekündigt. Was kann man sich darunter vorstellen?

Strähle: Die Idee der themenspezifischen Vertiefungsangebote ist es, dass sich jede Schule einen inhaltlichen Schwerpunkt für ihre Entwicklung auswählt und damit das Ziel der Veränderung und Verbesserung konkretisiert. Ein themenspezifisches Vertiefungsangebot hat es von Anfang an gegeben: „Selbstreguliertes Lernen“. Es wurde vom Fachbereich Lehr-Lernpsychologie der Universitäten Duisburg-Essen und Bochum angeboten. Dann kam das Thema „Individualisiertes Lernen“ dazu, das Prof. Silvia-Iris Beutel an der TU Dortmund betreut. Die beiden Teilprojekte kooperieren inzwischen sehr eng miteinander und zunehmend mit den Fachdidaktiken. Das ist ein unheimlich spannendes Feld.

Stiftung Mercator
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Ein neues Vertiefungsangebot ist das der „Sprachbildung im Fachunterricht“, das bislang das Ministerium für Schule und Weiterbildung gefördert hatte, in der zweiten Phase aber als fester Bestandteil von „Ganz In“ von der Stiftung Mercator gefördert wird. Sprachberater kommen in den Schulen zum Einsatz, auch für Deutsch als Zweitsprache. Das Angebot wird gerade an den Ganztagsgymnasien implementiert. Es wird mit den anderen Projekten der Mercator Stiftung im Sprachbildungsbereich vernetzt. Und dann gibt es noch Projekte „Übergang zwischen Grundschule und weiterführender Schule“ und „Elternarbeit“. Diese neuen Teilprojekte sind alle aus dem Bedarf heraus entstanden.

Online-Redaktion: Welche Ergebnisse aus „Ganz In“ sind Ihnen besonders wichtig?

Strähle: Die jährlichen Entwicklungsberichte der teilnehmenden Schulen geben wichtige Hinweise, wie der Transformationsprozess von der Halbtags- zur Ganztagsschule konkret umgesetzt werden kann: Woran haben wir gearbeitet? Was waren unsere Schwerpunkte? Was hat wie funktioniert? Auf welche Rahmenbedingungen ist man gestoßen, und mit welchen Strukturanpassungen kann man darauf reagieren?

Wir haben bereits einige Ergebnisse für die Organisations- und Leitungsstrukturen vorliegen. Viele Gymnasien haben zum Beispiel eine Ganztagskoordinatorin oder einen Ganztagskoordinator. Dann gibt es Erkenntnisse über die unterschiedlichen Zeitstrukturmodelle. Die meisten Gymnasien haben den Tag zeitlich neu rhythmisiert, um Phasen von Unterricht, selbstständigem Lernen und neigungsorientierten Angeboten sinnvoll über den Tag zu verteilen. Im Bereich der Unterrichtsqualität haben wir sehr viele unterschiedliche Erkenntnisse gewonnen. Man kann dort sehen, wie sich pädagogische Konzepte in den einzelnen Unterrichtsfächern verändern.

Online-Redaktion: Wird die Mercator Stiftung auch künftig im Bereich Ganztagsschule tätig bleiben?

Strähle: Bereits seit längerem läuft unser Projekt „Lernpotenziale individuell fördern im Gymnasium“. Das hat keinen speziellen Fokus auf der Ganztagsschule, aber wir haben in der zweiten Förderphase bewusst Ganztagsschulen aufgenommen, um auch hier wertvolles Wissen über individualisiertes Lernen im Ganztag zu erlangen. Des weiteren befindet sich ein Projekt zur Qualitätsentwicklung im Ganztag, mit dem wir erstmals auch in andere Bundesländer gehen werden, in der Entwicklungsphase. Hierzu werden wir Mitte 2016 mehr sagen können.

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