Ganztag evaluieren – aber wie? : Datum: Autor: Autor/in: Claudia Pittelkow

Wie zufrieden sind Kollegium, Schüler und Eltern mit dem Ganztagsangebot? Um das zu erfahren, müssen die Ganztagsbeteiligten die richtigen Fragen stellen. Die Hamburger Evaluationsbeauftrage erklärt, wie das geht.

Ganztagsschulen kommen bei kleinen und großen Hamburgern gut an: Fast 90 Prozent aller Grundschüler bleiben am Nachmittag freiwillig in der Schule. Nach dem flächendeckenden Ausbau im Grundschulbereich haben inzwischen auch alle anderen staatlichen allgemeinbildenden Schulen Ganztagsangebote. Der quantitative Ausbau ist also abgeschlossen – aber wie steht es um die Qualität?

„Durch eine schulinterne Evaluation kann jede Schule selbst herausfinden, wo sie in punkto Ganztag steht“, sagt Dr. Monika Renz, Evaluationsbeauftrage im Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung. Das funktioniert über systematisches Sammeln, Analysieren und Auswerten von Daten. Wie gut oder schlecht die ganztägige Betreuung an einzelnen Schulen funktioniert, lässt sich messen – oder evaluieren, so der Fachbegriff. Mit Hilfe unterschiedlicher Verfahren und Instrumente kann gemessen werden, ob bestimmte Qualitätskriterien erfüllt sind und wie zufrieden Eltern oder Schüler mit einzelnen Angeboten an ihrer Schule sind.

Monika Renz, im Landesinstitut zuständig für Feedback- und Evaluationskultur, gibt regelmäßig Seminare zum Thema, diesmal am Beispiel Ganztag. In ihrer Evaluationswerkstatt „Ganztag evaluieren – aber wie?“ bekommen Schulleitungen, Ganztagskoordinatoren und andere Leitungskräfte das handwerkliche Rüstzeug einer schulinternen Evaluation in die Hand und lernen gleichzeitig den theoretischen Background kennen. „Es müssen die richtigen Fragen gestellt werden, sonst kann man mit den gewonnenen Daten nichts anfangen“, erklärt Renz.

Unterschiedliche Beweggründe – ein Ziel

Zwei halbe Tage dauert die Evaluationswerkstatt, in der die Teilnehmenden zunächst einen theoretischen Input bekommen, während im zweiten Teil Einzelfragen und -vorhaben besprochen werden können. Die Gruppe an diesem ersten Vormittag ist sehr heterogen zusammengesetzt: Grundschulleitungen sind darunter, ein Abteilungsleiter eines Gymnasiums, Lehrerinnen und Lehrer, Ganztagskoordinatoren, Mitarbeiter eines schulischen Kooperationspartners und die neue Landesvorsitzende des Ganztagsschulverbands. Alle haben das gleiche Ziel: Sie erhoffen sich Tipps und Handlungsanweisungen für eine Evaluation an der eigenen Schule. Das allerdings aus ganz unterschiedlichen Beweggründen.

Eine Lehrerin und Ganztagskoordinatorin berichtet etwa von ihrer erfolgreichen Zusammenarbeit mit dem Kooperationspartner der Schule, einer Stiftung. „Wir haben in drei Jahren sehr viel verändert, etwa an der Raumsituation und an den Essenszeiten“, sagt sie. Aber kommen diese Veränderungen auch gut an? Die Schule will wissen, ob die Eltern die veränderte Raumsituation und die neuen Essenszeiten genau so positiv sehen wie die Lehrkräfte. „Bisher haben wir nur mal vereinzelt nachgefragt, doch jetzt ist eine systematische Evaluation geplant.“

Der Leiter einer kleinen Grundschule berichtet, bisher noch nicht systematisch evaluiert zu haben. Im kleinen Stil aber schon: „Nachdem sich Eltern immer wieder über das Kantinenessen beschwert haben, haben wir mit einem Online-Fragebogen bei den Kindern nachgehakt.“ Es habe sich herausgestellt, dass die Mehrheit der Kinder zufrieden ist. „Das Gemecker kam wohl nur von einzelnen Vätern und Müttern, die aber viel Wind gemacht haben“, so der Schulleiter.

Evaluation: Von kleiner Umfrage bis zum Großprojekt

Andere aus der Runde berichten ebenfalls, dass bisher überwiegend in Teilbereichen evaluiert wurde. Wie klappt es mit den Hausaufgaben? Gibt es genügend Ruhephasen für die Kinder? Wie gut funktioniert der Austausch zwischen den Mitarbeitern am Vor- und Nachmittag? Ist die Mittagspause lang genug? „Vollständig haben wir den Ganztag noch nie evaluiert, immer nur in Teilen“, sagt eine Teilnehmerin.

Unterlagen
© Claudia Pittelkow

Seminarleiterin Monika Renz erklärt: „Es gibt ganz unterschiedliche Formen der Evaluation, vom einfachen Daumenhochhalten bis zum Forschungsprojekt.“ Das Wichtigste für eine Messung, egal ob kleine Umfrage oder Großprojekt: „Eine Evaluation sollte stets zu Erkenntnisgewinn und Nutzen führen“, betont Renz. Die Gesellschaft für Evaluation helfe dabei, Standards – zum Beispiel Nützlichkeitsstandards – festzulegen. Eine Teilnehmerin ist skeptisch: „Ich frage mich manchmal schon, welchen Nutzen eine Evaluation von diesem oder jenem hat.“ Oft habe sie das Gefühl, der Zeitpunkt sei falsch, und die ganze Evaluation bringe nichts.

Ein Kollege weiß aus eigener Erfahrung: „Wichtig ist, dass die Ergebnisse bei Eltern, Schülern und Lehrkräften kommuniziert werden.“ Eine Evaluation im stillen Kämmerlein sei nicht zielführend, bestätigt Renz. Und auch der richtige Zeitpunkt sei enorm wichtig. Wenn eine Schule etwa im Herbst in den Ganztag starte, solle sie nicht schon im Frühjahr darauf evaluieren, das sei viel zu früh. Renz: „Eine Evaluation muss immer dazu führen, dass einem ein Licht aufgeht!“

Auf die richtigen Fragen kommt es an

Am praktischen Beispiel einer Hamburger Grundschule erklärt Monika Renz den idealtypischen Ablauf und die Instrumente einer schulinternen Evaluation. Ziel einer jeden Datenerhebung sei, eine Bewertung zu ermöglichen. Dafür sind Kriterien erforderlich, die entweder vorhanden sein oder ausgehandelt werden müssen. Renz: „Jede Evaluation beginnt immer mit der Planungsphase, das ist übrigens eine klare Leitungsaufgabe.“

Seminarraum
Die Evaluationswerkstatt im Landesinstitut © Claudia Pittelkow

An dieser Stelle kommen die Fragen ins Spiel: Was will man eigentlich wissen? „Es müssen die richtigen Fragen gefunden werden, und das sind an jeder Schule andere“, so die Seminarleiterin. Deshalb rät sie davon ab, sich einfach Fragebögen aus dem Internet zu kopieren. Besser sei es, gemeinsam mit Schulleitung, Lehrkräften und Kooperationspartnern herauszufinden, welche Themen an der jeweiligen Schule wichtig sind. Anschließend erhalten die verschiedenen Akteure Gelegenheit zur Stellungnahme, danach erfolgt der Auftrag zur Evaluation.

Die Instrumente: Interview, Workshop, Hospitation und Fragenbogen

Nach der Planungsphase folgt die Konkretisierung: Welche Instrumente sollen zur Datenerhebung genutzt werden? Die Teilnehmer lernen die vielfältigen Möglichkeiten kennen: Es gibt dialogbasierte Verfahren wie Interviews oder Workshops, Beobachtungsverfahren wie Hospitationen und Videodokumentationen, Befragungen in Form von standardisierten Fragebögen auf Papier oder online.

Renz: „Die Instrumente müssen zu den Fragestellungen und zu den Rahmenbedingungen der Schule passen.“ Mit Hilfe unterschiedlicher Instrumente kann der interessierende Bereich aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Will man etwa die Qualität eines Kurses bewerten, bringt eine Hospitation andere Ergebnisse als ein Schülerfragebogen.

Auf die Datenerhebung folgt die Auswertung und ganz wichtig: die Diskussion über Konsequenzen. Renz rät den Teilnehmern, das Ergebnis einer Evaluation im Unterricht zu besprechen. „Eine Statistik kann man durchaus auch mit Schülern betrachten. Das sind Texte, die uns im Alltag überall begegnen.“

Qualitätsmerkmale: Was ist eigentlich guter Ganztag?

Nachdem die Teilnehmer die wichtigsten Arbeitsschritte kennengelernt haben, ändert sich der thematische Fokus des Seminars – weg vom Evaluieren hin zu ganz grundsätzlichen Fragen: Was ist eigentlich guter Ganztag? Welche Qualitätsmerkmale zeichnen eine gute Ganztagsschule aus? An dieser Stelle kommt Ko-Dozentin und Expertin Dörte Feiß ins Spiel. Die Mitarbeiterin des Ganztagsreferats der Hamburger Schulbehörde ist zuständig für die pädagogische Umsetzung des Ganztags in seinen unterschiedlichen Formen. Als Mitglied einer behörden- und fachübergreifenden Expertengruppe, die sich im Rahmen von Standortbegehungen einen Eindruck von allen Hamburger Ganztagsschulen verschafft, kennt sie die Situation vor Ort gut.

Hüning
© Britta Hüning

„Es gibt keinen Masterplan für eine Form des qualitativen Ganztags“, betont Feiß. Jede Schule müsse ihr Umfeld gut kennen, habe ein Schulprogramm und Leitziele erarbeitet. „Je nach bestehenden Verbindungen mit Einrichtungen im Einzugsgebiet der Schule wird der Ganztag organisiert – optimal gemeinsam mit dem Kollegium, Eltern, Schülerinnen und Schülern und Partnern aus der Jugendhilfe.“

Klassenraum der Zukunft: Ausmisten ist angesagt

Es gibt allerdings Gelingensbedingungen, die zu einem guten Ganztag führen, und es gibt normative Setzungen, an denen Schulen sich orientieren sollten. Dazu gehören in Hamburg Senatsdrucksachen, der Landesrahmenvertrag für Ganztägige Bildung und Betreuung (GBS), Rahmenvereinbarungen mit Jugendhilfe und Sportbund sowie Kooperationsverträge für GBS, der Orientierungsrahmen Schulqualität mit Leitfaden, der Bildungsplan Grundschule und – natürlich – das Schulgesetz.

Dörte Feiß merkt an: „Aber jede Schule ist anders und muss individuelle Lösungen finden.“ Ein gutes Beispiel sei die Raumaufteilung, „ein Thema, an das ich immer heran muss, wenn es um Qualität im Ganztag geht“, erklärt sie. An der Tafel entwirft sie mit ein paar Strichen ein Schaubild, das „Modell der Zukunft“, wie sie es nennt. Zu sehen sind variable Klassenräume – ohne verschlossene Türen, ohne Lehrerpult, dafür mit viel Glas und offenem Zugang zu den Lernräumen. „Im Ganztag sollten aus den alten Klassenräumen neue Lernräume geschaffen werden. Ausmisten ist angesagt, alles muss raus, auch wenn es schon seit zig Jahren im Raum ist“, so Feiß. „Das ist für einen Klassenlehrer, bei dem seit 30 Jahren alles an seinem angestammten Platz steht, sicher nicht leicht.“

Ganztag erfordert Umdenken: Teamarbeit statt Einzelkämpfertum

Die Ganztagsschule verlange ein Umdenken bei allen Beteiligten. Teamarbeit sei angesagt, mit Verbindlichkeiten und Verantwortung. Das Kollegenteam müsse gemeinsam entscheiden, was beispielsweise an Mobiliar noch gebraucht werde und was nicht. Noch entscheidender sei aber, dass das Team gemeinsam die Verantwortung für den ganzen Tag übernimmt. Feiß: „Viele powern sich heute noch als Einzelkämpfer hinter verschlossenen Türen aus. Dabei ist es viel besser, im Team zu arbeiten, bei offenen Türen.“

Eine Schulleiterin aus der Runde stöhnt: „Oje, das ist aber ein großes Fass, dass hier aufgemacht wird. Das ist ja ein ganz anderes Arbeiten!“ Dörte Feiß empfiehlt Gelassenheit und ein schrittweises Vorgehen. In Hamburg gebe die selbstverantwortete Schule die Richtung vor. „Wir als Ganztagsreferat machen nur Vorschläge, die Entscheidung trifft immer die Schule.“

Hinweise zur „schulinternen Evaluation“ oder schulischen „Selbstevaluation“ sowie zu den Qualitätsrahmen bieten jeweils die Bildungsserver der Länder und/oder die Internetseiten der Landesinstitute und Qualitätsagenturen!

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