Fritz-Köhne-Schule Hamburg: Zeit für Förderung : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die Fritz-Köhne-Schule steht in einem schwierigen Hamburger Stadtteil und leistet seit 2007 auch als Ganztagsschule exzellente Arbeit.

Ingo Wulf am Schreibtisch mit Telefon
Schulleiter Ingo Wulf

Seit 32 Jahren ist Ingo Wulf an der Fritz-Köhne-Schule in Hamburg-Rothenburgsort beschäftigt, davon seit 15 Jahren als Schulleiter. Damals war die heutige Grundschule noch eine Grund, Haupt- und Realschule und Wulf - von Hause aus Hauptschullehrer - mit Leib und Seele dabei. "Ich bin immer an Schulen in schwierigen Stadtteilen gewesen und habe mit schwierigsten Schülern gearbeitet - ich fand das super, mit diesen Kindern und Jugendlichen etwas zu erreichen."

Als passionierter Hauptschullehrer musste sich Wulf vor fünf Jahren, als die Hamburger Bildungsbehörde verkündete, den Hauptschulteil der Fritz-Köhne-Schule auslaufen zu lassen und die Schule nur noch als Grundschule weiterzuführen, fragen: "Ist das noch dein Job?" Die Antwort war: "Ja, aber..." Und dieses "aber" war die Ganztagsschule:

"Wenn ich die Grundschule leiten sollte, dann nur als Ganztagsschule. Schon als ich vor 15 Jahren die Schule übernommen hatte, hätte ich gerne die Ganztagsschule eingeführt, versuchte dies aber gar nicht erst, dem Kollegium dieses Konzept vorzustellen, denn es hätte keine Chance gehabt. Damals waren noch zu viele Kollegen an der Schule, die ab 14 Uhr gerne auf dem Tennisplatz stehen wollten."

Zeit gewinnen mit der Ganztagsschule

2006 sah das anders aus: "Das Kollegium hat dem Vorschlag, teilgebundene Ganztagsschule zu werden, fast einstimmig zugestimmt", erinnert sich der Rektor. Es sei die Einsicht in die Notwendigkeit gewesen, die zum Start der Ganztagsschule "von null auf hundert" im Schuljahr 2007/2008 führte. "Von der Umwandlung in eine Ganztagsschule erhoffen wir uns einen Gewinn an Zeit - endlich Zeit für die individuelle Förderung, mehr Zeit für soziale Lernprozesse und mehr Zeit für Erziehung", berichtet Wulf. Denn wer an der Fritz-Köhne-Schule unterrichten wolle, der müsse auch erziehen. Und für die meisten Schülerinnen und Schüler ist es ein Segen, wenn sie montags bis donnerstags auch die Nachmittage bis 16 Uhr in der Schule verbringen, wo man für sie da ist, ihnen zuhört, wo sie sich sinnvoll beschäftigen können und Anregungen auch durch außerschulische Einrichtungen und nichtpädagogisches Personal erhalten.

Die Fritz-Köhne-Schule liegt im Süd-Osten Hamburgs in einem schwierigen Umfeld. Der Stadtteil Rothenburgsort ist durch den Hafen, Verkehrsadern und Industriegebiete eingeschlossen. Aufgrund jahrelanger Vernachlässigung seitens der Stadt hinsichtlich notwendiger baulicher, infrastruktureller und sozialer Investitionen hat sich im Stadtteil das Gefühl der Benachteiligung nachhaltig verfestigt. Viele Familien unter den rund 8.000 Einwohnern des Stadtteils haben geringe Einkommen. Das Verhalten und die Lernprobleme vieler Kinder sind auffälliger geworden. Die Fritz-Köhne-Schule muss über ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag hinaus daher häufig Sozialarbeit anderer staatlicher Stellen einbeziehen, nachhaltig begleiten und auch selbst übernehmen.

Ingo Wulf fühlt sich vom Bildungssenat ausreichend unterstützt: "Es hat vor Jahren ein Umdenken in der Landesregierung stattgefunden, mehr finanzielle Mittel punktuell in Schulen in so genannten sozialen Brennpunkten zu leiten. Ich bin mit der Personalausstattung und der sachlichen Ausstattung zufrieden. Besonders vorteilhaft für unsere Arbeit ist das Absenken der Klassenteilerzahl auf 19 Schülerinnen und Schüler gewesen."

Außerschulische Partner an einen Tisch geholt

Vor Beginn der Ganztagsschule hospitierte der Schulleiter für mehrere volle Tage an anderen Ganztagsschulen. "Ich kann jedem nur empfehlen, sich diese Freiheit zu nehmen, tageweise in den Alltag einer anderen Schule einzutauchen. Auch unsere Schule steht Besuchern offen, um Erfahrungen und Konzepte auszutauschen."

Im Schuljahr 2007/2008 startete die Fritz-Köhne-Schule mit einem gebundenen Ganztagsangebot in den 3. und 4. Jahrgängen. Die Anmeldungen für die offene Ganztagsschule im 2. Schuljahr lagen allerdings so hoch, dass auch dort schnell die gebundene Form Einzug hielt. Der 1. Jahrgang verfügt heute über kein Ganztagsangebot mehr, nachdem "wir feststellten, dass die Kinder in diesem Alter von der Tageslänge überfordert waren", meint Ingo Wulf.

Nicht nur für die Schule, auch für das Umfeld änderte sich durch die Einführung der Ganztagsschule etwas. "Es war wichtig, das zu kommunizieren", betont der Schulleiter, der keine Zeit verlor, alle Institutionen des Stadtteils, die bis dahin am Nachmittag Angebote für Kinder gemacht hatten, an einen Tisch zu holen. "Es gilt für uns wie auch für die anderen Einrichtungen bei uns in Rothenburgsort: Man muss wach sein und bereit sein zu kooperieren." Wulf  sendete eine unmissverständliche Botschaft aus: "Ihr müsst euch umorientieren, die Kinder sind nachmittags jetzt bei uns." Diese wurde verstanden: Heute werden 64 Kurse von außerschulischen Trägern angeboten, die davon profitieren, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Angebote kennen lernen und auch Werbung für sie machen.

Kooperation nach außen, Teamarbeit nach innen

Oft kümmern sich verschiedene Träger um dieselben Kinder. In einer alle vier Wochen stattfindenden Beraterrunde setzen sich Wulf und die Vertreterinnen und Vertreter anderer Institutionen daher zusammen, um über Kinder zu sprechen, die gerade in bestimmten Maßnahmen sind oder der erhöhten Aufmerksamkeit bedürfen. Ein abgestimmtes Vorgehen ist das Ziel, ein Rädchen soll ins andere greifen, statt dass das Rad immer wieder neu erfunden werden muss.

Auch in der Fritz-Köhne-Schule selbst ist Teamarbeit angesagt. Im Laufe der Jahre hat sie sich die Einsicht entwickelt, dass gerade bei Kindern mit schwierigem sozialen Hintergrund und Lernauffälligkeiten ein gemeinsames Vorgehen der Lehrerinnen und Lehrer Kräfte sparender und erfolgreicher ist als das Einzelkämpfertum. So sprechen sich Jahrgangsteams in wöchentlichen Sitzungen auch darüber ab, wie sie im Unterricht methodisch vorgehen wollen. Alle zwei Wochen tagen die Fachlehrerinnen und -lehrer.

Lernrhythmus der Kinder bestimmt die Zeit

Ingo Wulf lässt dabei laut eigener Aussage "viel laufen". Er habe Vertrauen in die Kolleginnen und Kollegen und müsse nicht alles kontrollieren und anweisen. "Meine Aufgabe ist es, Räume zu schaffen, in denen die Kolleginnen und Kollegen auch mal Fehler machen können", so der Rektor. Unabdingbar müsse eine Lehrkraft an seiner Schule über Sozialkompetenz verfügen: "Unsere Kinder müssen erzogen werden, und wer diesen Aspekt der Arbeit nicht annimmt, wird hier nicht klar kommen." Da er offene Stellen schulscharf ausschreiben und Bewerbungsgespräche führen kann, wissen die Bewerberinnen und Bewerber, worauf sie sich einlassen - und viele suchen ja auch genau eine solche Herausforderung.

"Es muss passen", erklärt Ingo Wulf, "und wenn es das tut, dann bleiben diejenigen, die hier arbeiten, auch hier. Ich verspreche den Lehrkräften, dass sie an dieser Schule etwas erleben, was sie an manch anderen Schulen nicht mehr kennen lernen werden: Dankbare Kinderaugen. Und wenn diese Schülerinnen und Schülern Erfolg haben, ist das auch für mich als Lehrer ein tolles Gefühl."

20 Lehrerinnen und Lehrer, drei Erzieherinnen und rund 20 Honorarkräfte sind für etwa 250 Schülerinnen und Schüler da, die Orientierung und Verlässlichkeit, ebenso aber flexible Möglichkeiten benötigen, um eigenes Lerntempo, eigene Lernwege und Lernmethoden zu finden. Der Schultag ist daher um des Lernens und des Lernerfolgs willen vom Lernrhythmus der Schülerinnen und Schüler und der didaktischen und methodischen Differenzierung bestimmt, nicht aber von einer formal gesetzten Zeitordnung. Phasen des intensiven Lernens wechseln sich mit Entspannungszeiten ab, und es findet eine Verzahnung von Fachunterricht, Bearbeitung individueller Lernaufgaben, Arbeitsgemeinschaften, Projekten, Förderung und Freizeitangeboten statt.

Schlüsselqualifikationen fördern

Neben der Selbstverständlichkeit, die Sicherung und Vertiefung der Kulturtechniken zu gewährleisten, vermitteln die Pädagoginnen und Pädagogen im Unterricht der Fritz-Köhne-Schule Kenntnisse und Fertigkeiten. Die Kinder sollen selbstständig sachliche Zusammenhänge entdecken, soziale Verantwortung übernehmen, sie sollen mitplanen, mitdenken, mitgestalten und mitverantworten. Um die angestrebten Schlüsselqualifikationen fördern zu können, bedient sich die Fritz-Köhne-Schule neben dem traditionellen Frontalunterricht auch offener Arbeits- und Lernphasen wie Stationsarbeit, Wochenplanarbeit, Projektunterricht und Werkstattarbeit.

Der Schulalltag in Rothenburgsort zeigt immer auch die Notwendigkeit eines stark lehrergesteuerten Unterrichts. Gleichzeitig möchte die Schule aber auch das einzelne Kind durch differenzierte Lernangebote zu einer größtmöglichen Selbststeuerung seines Lernprozesses befähigen und es mit seinem Interesse, seinen Bedürfnissen und seinen Lernmöglichkeiten nicht aus dem Auge verlieren.

Die Stationsarbeit ist dabei gängige Praxis. Hier lernen die Kinder gemeinsam, müssen sich absprechen und gegenseitig bei der Arbeit unterstützen. Außerdem lernen sie, Inhalte selbstständig anzueignen, über diese Inhalte verbal auseinanderzusetzen und ihre Ergebnisse möglichst selbstständig zu präsentieren.

Kinder sollen eigenverantwortlich lernen

Im Werkstattunterricht gibt es obligatorische und freiwillige Lernangebote, die meistens fächerübergreifend sind. Das Kind entscheidet, wann es welches Lernangebot bearbeitet. Die Lehrerinnen und Lehrer übernehmen eine Moderatorenrolle, durch die sie Lernprozesse anregen, indem sie Lernangebote bereitstellen und den Kindern beratend und klärend zur Seite stehen. Einzelarbeit, Gruppenarbeit sowie die Vorbereitung und das Vortragen von Referaten werden in die Stationsarbeit und die Werkstattarbeit einbezogen. All diese Arbeitsformen sind fester Bestandteil des Unterrichts.

Die Wochenplanarbeit wird im Laufe des zweiten Schuljahres eingeführt und verändert sich im Laufe der folgenden drei Grundschuljahre von einer eher gelenkten zu einer offeneren Form. Bei der Wochenplan-Arbeit lernen die Schülerinnen und Schüler, sich selbst zu organisieren und in Selbstkontrolle zu üben. Um den Kindern einen möglichst problemlosen Umgang mit dem Wochenplan zu ermöglichen, wird mit einem Tagesplan begonnen, dessen Teilziele und Unterrichtsmittel verständlich und überschaubar sind. Lern- und Übungskisten mit Material für Deutsch, Mathematik und Sachunterricht stehen in allen Grundschulkassen zur Unterstützung der Unterrichtsarbeit zur Verfügung. Am Ende ihrer Grundschulzeit sollen die Schülerinnen und Schüler selbstständig und eigenverantwortlich mit dem Wochenplan arbeiten können.

An der Schule lernen viele Kinder mit Migrationshintergrund. Die Schülerinnen und Schüler beherrschen zu einem nicht unerheblichen Teil die deutsche Sprache ebenso mangelhaft wie die Muttersprache. Vielen Elternhäusern ist die Bedeutsamkeit des Lesens oder Schreibens nicht klar genug. Die Lehrkräfte erteilen deshalb eine additive Sprachförderung für alle Kinder, bei denen durch Sprachstandsdiagnose ein besonderer Sprachförderbedarf festgestellt wurde. An der Fritz-Köhne-Schule findet auch zweimal in der Woche ein kostenloser Deutschkurs der Elternschule für die Mütter der Schülerinnen und Schüler statt.

Gesündeste Grundschule Deutschlands

Um den Kindern einen bestmöglichen Schulbeginn zu ermöglichen, kooperieren die umliegenden beiden Kindergärten mit der Ganztagsschule. Die Einrichtungen stehen im ständigen Austausch miteinander, und Lehrkräfte und Erzieherinnen besuchen sich gegenseitig.

Für den Freizeitbereich stehen eine Freifläche mit verschiedenen Spiel- und Bewegungsräumen, ein Schulgarten, ein Schulteich und ein Freiluftklassenraum zur Verfügung. Ergänzt wird das Ausstattungsangebot durch Räume, die zum Teil noch aus der Zeit stammen, als die Fritz-Köhne-Schule eine vollausgebaute Grund-, Haupt- und Realschule gewesen ist. Hierzu gehören ein Fotolabor, ein Computerraum mit 24 Einzelarbeitsplätzen mit für Grundschulkinder ausgerichtetem Mobiliar, Internetzugang sowie einem Smart Board und einem Beamer. Außerdem gibt es einen Musik- und Filmraum, eine Aula, die Sporthalle, eine Lehrküche, eine Schülerbibliothek, eine Holz- und Pappwerkstatt und einen Physik- und einen Chemiefachraum.

Die Arbeit und das Engagement der Grundschule haben inzwischen eine öffentliche Anerkennung gefunden, die über die Stadtgrenzen der Hansestadt hinaus geht: In diesem Jahr gewann die Fritz-Köhne-Schule den Preis "pulsus 2010" der Techniker Krankenkasse als "gesündeste Grundschule Deutschlands". Für Schulleiter Ingo Wulf und seine neun mitgereisten Schülerinnen und Schüler war die Preisverleihung im Mai in Berlin ein Höhepunkt: "Das war eine super Veranstaltung", lobt der Rektor. "Ich bin immer wieder auf meine Kinder angesprochen worden, die richtig aufgeblüht sind."

Die TK-Jury stellte unter anderem die jüngst eingerichtete Ruhe-Oase für die Lehrerinnen und Lehrer, die Projekte zur Gewalt-Prävention für die Kinder, der kostenlose Musikunterricht an Instrumenten, der Toberaum und die jederzeit verfügbaren Trinkwasserflaschen für jeden Schüler als vorbildlich heraus. Besondere Erwähnung fanden auch die Kochkurse, nach denen die Kinder ein tolles Menü zubereiten und ihre Eltern zum Essen einladen. Ist alles angerichtet, speisen sie gemeinsam mit den Eltern im feinen Restaurant "Le Canard" - mit Blick auf die Elbe.

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