Fachtagung „Ganztagsschule gestalten“ in Stuttgart: Wie Förderung gelingen kann : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Regelmäßige Rückmeldungen sind ein Kern individueller Förderung. Das betonte der Bildungsforscher Prof. Dr. Eckhard Klieme beim 2. Fachkongress für neue Ganztagsschulen in Baden-Württemberg am 24. Oktober 2012 in Stuttgart.

Mit seinem Vortrag über die Möglichkeiten individueller Förderung an der Ganztagsschule gab Prof. Dr. Eckhard Klieme einen wertvollen Impuls für die knapp 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung „Ganztagsschule gestalten – Individualität und Vielfalt leben“ am 24. Oktober in Stuttgart. Der Sprecher des Konsortiums der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen – StEG“ und Leiter der Arbeitseinheit Bildungsqualität und Evaluation am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) gab den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der von der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Baden-Württemberg organisierten Tagung anschauliche und konkrete Beispiele. „Individuelle Förderung heißt auch, dass Lehrkräfte die Schülerinnen und Schüler so begleiten, dass diese Lernstrategien zunehmend anwenden und ihr Denken selbst steuern können“, erläuterte er. „Ein guter Förderkreislauf bedeutet nicht, ständig Tests zu schreiben, sondern dem einzelnen Schüler zu sagen, wo er im Lernprozess steht, wo seine Stärken und Schwächen sind und mit ihm gemeinsam künftige Lernstrategien zu entwickeln.“ Seine Schlussfolgerung: „Regelmäßige Rückmeldungen an die Schüler sind der Kern der individuellen Förderung.“

Strategien der Förderung

Mit Blick auf die Ganztagsschulen in Deutschland bilanzierte der Bildungsforscher: „Alle haben die Hoffnung, dass der Ganztag mehr Raum für individuelle Förderung bietet. Ich würde das vorsichtiger formulieren: Der Ganztag allein und eine Vielfalt der Angebote führen nicht automatisch zu besserer Förderung. Aber mit entsprechenden pädagogischen Initiativen können Ganztagsschulen die erweiterte Lernzeit für individuelle Förderung nutzen.“

Seine Worte verstanden viele der Anwesenden als Auftrag, die Qualität der Angebote an ihrer Schule noch einmal genau „unter die Lupe zu nehmen“. So formulierte es eine junge Pädagogin im Saal. Die Aussage von Prof. Klieme, dass eine hohe Qualität der Angebote auch Wirkungen auf die Leistungsmotivation und die Leistungen habe, betrachtete sie als besonderen Ansporn für die eigene Tätigkeit. „Schließlich kann es bei unserer Arbeit als Lehrer doch in erster Linie nur darum gehen, Strategien zu entwickeln, die Freude der Schülerinnen und Schüler am Forschen und Lernen aufrecht zu erhalten“.

Auf breite Zustimmung stieß auch die Auffassung von Prof. Eckhard Klieme, dass für die Hausaufgabenbetreuung fachdidaktisch ausgebildete Lehrkräfte erforderlich seien. „Hausaufgabenbetreuung muss mehr sein als die Anwesenheit eines Erwachsenen “, so der Wissenschaftler.

Dr. Ilse Kamski vom Institut für Schulentwicklungsforschung der Universität Dortmund ging da sogar noch einen Schritt weiter. In ihrem Workshop „Hausaufgaben – Stolpersteine“ erneuerte sie im Stuttgarter Haus der Wirtschaft ihre Forderung, dass Hausaufgaben eben keine Aufgaben für zuhause seien, sondern, dass sie als Lernzeiten Bestandteil des Schulunterrichts sein sollten.

Lernzeiten und selbstgesteuertes Lernen

Am Freihof-Gymnasium in Göppingen ist dies seit mehreren Jahren der Fall. An zwei Vormittagen sind Lernzeiten für alle Schülerinnen und Schüler dieser Offenen Ganztagsschule fest im Stundenplan verankert. In den Klassenstufen fünf und sechs werden diese von den Klassenlehrerinnen und -lehrern begleitet. Ab Jahrgangsstufe sieben stehen die Fachlehrer jeweils in einem speziellen Klassenraum zur Verfügung. Sie beantworten Fragen, geben Anregungen und Tipps. Vor allem aber ermutigen sie die Schüler, eigene Lösungsstrategien zu entwickeln. Während der jeweiligen Lernzeit ist ein Wechsel etwa vom „Mathematikzimmer“ zum „Englischraum“ möglich.

Schulleiter Günter Roos auf der Fachtagung
Schulleiter Günter Roos © Serviceagentur "Ganztägig lernen" Baden-Württemberg

Als weitere Lernzeiten kommen in den Mittagsstunden an drei Tagen Blöcke für „selbstgesteuertes Lernen“ hinzu. Sie werden zunehmend auch von Schülern genutzt, die ansonsten nicht als Ganztagsschüler angemeldet sind. Damit überbrücken viele Schüler sinnvoll ihre mehrstündige Pause, die zwischen dem Fachunterricht am späten Vormittag und jenem ab 14 Uhr liegt. Anders als in den Lernzeiten am Vormittag, die von Lehrkräften begleitet werden, unterstützen am Nachmittag speziell auf ihre Aufgabe vorbereitete ältere Schülerinnen und Schüler ihre Kameraden. Jenen Schulen, die sich auf den Weg machen wollen, ebenfalls Lernzeiten einzuführen, empfahlen Schulleiter Günter Roos und seine Kollegin Judith Sandner-Nicklich in ihrem Workshop „Umsetzung der Ganztagsschule in Gymnasien“ mit Stolpersteinen zu rechnen. Und zwar auch im Kollegium. Gerade dort müsse man ihren Sinn immer wieder kommunizieren. Insbesondere neu hinzu gekommene Lehrerinnen und Lehrer müssten für das Prinzip, langfristige Arbeitsaufträge zu vergeben und Abschied von der gewohnten Hausaufgabentradition zu nehmen, begeistert werden.

Fachunterricht zum Abschluss der Woche

Dass die um 15.40 Uhr endende Fachunterrichts-Doppelstunde am Freitagnachmittag bei ihrer Einführung nicht überall Zustimmung fand, verschwieg das Referententeam nicht. „Es gab erst einmal einen großen Aufschrei nach dem Motto: „Freitagmittag stoppt doch das Leben“, berichtete Roos. Manche Eltern hätten protestiert, weil sie doch schon immer am Freitagmittag weggefahren seien. Und auch im Kollegium sei diese Idee nicht bei jedem auf Begeisterung gestoßen. Aber es habe auch positive Reaktionen gegeben. Inzwischen bewerteten die meisten diese Stundenverteilung als wertvoll, weil sie entschleunigend wirke. „Warum haben Sie für diese zwei Stunden Fachunterricht den Freitag und nicht den Donnerstag gewählt“, wollte eine Workshop-Teilnehmerin wissen. „Wenn wir die ersten vier Tage der Woche zu voll packen, hängen die Schüler am Freitag durch“, lautete die Erklärung von Günter Roos und Judith Sandner-Nicklich.

Individualbetreuung in kleinen Arbeitsgruppen

Als wichtiges und unverzichtbares Element der individuellen Förderung gilt am Freihof-Gymnasium der zweistündige nachmittägliche Block „Individualbetreuung durch den Lehrer“. In kleinen Arbeitsgruppen können hier Schülerinnen und Schüler an eigenen Schwächen feilen. „Und zwar nicht nur, wenn durch eine solche die Versetzung gefährdet ist“, berichtete Roos. In regelmäßigen Konferenzen werde die Entwicklung jedes einzelnen Schülers thematisiert. „Und wenn wir feststellen, dass ein Abwärtstrend einsetzt, bieten wir den Schülern durch einen Brief an ihre Eltern die Teilnahme an dieser Fördereinheit an“, sagte der Schulleiter. Er machte deutlich, dass man im Bedarfsfall schon recht deutlich mache, wie wichtig eine spezielle Förderung sei. Wörtlich meinte er: „Gezwungen aber wird niemand. Doch jeder Schüler, den wir durch diese Maßnahme motivieren und stabilisieren können, ist für uns ein wichtiger und großer Erfolg.“

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