"Eine Kultur der Hospitation entwickeln" : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Der Nutzen von Hospitationen stand im Mittelpunkt der Netzwerk-Jahrestagung in Güstrow am 24. Januar 2012. Oliver Lück von der Serviceagentur "Ganztägig lernen" in Mecklenburg-Vorpommern erläutert im Gespräch mit www.ganztagsschulen.org, wie Hospitationen gelingen können.

Online-Redaktion: Welchen Nutzen können Hospitationen haben?

Oliver Lück: Sie können dazu beitragen, Problemlösungen zu erarbeiten, ohne jedes Mal das Rad neu erfinden zu müssen. Sie können sehr nachhaltig wirken, wenn es gelingt, die Erfahrungen und Erkenntnisse des Besuchs ins Kollegium zu transferieren. Ich würde ohnehin dazu raten, eine größere Delegation für die Hospitation zu wählen. Das stellt alles auf breitere Beine und kann das Verständnis und damit auch die Bereitschaft für eventuell gewünschte oder erforderliche Veränderungen an der eigenen Schule vergrößern. Hospitationen können Mut machen, sich zu öffnen. Sich öffnen für andere Menschen, für ihre Gedanken und Ideen und damit auch für Innovationen.

Online-Redaktion: Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit Hospitationen positive Auswirkungen haben können?

Lück: Eine Grundvoraussetzung ist der eben schon einmal erwähnte Mut. Weder der Besucher noch die Schule, die sich besuchen lässt, darf Vorbehalte gegenüber dem anderen haben. Natürlich gibt es immer wieder einmal Bedenken, was mit den Informationen, die ich preisgebe, anschließend geschieht. Werden sie gegen mich verwandt? Oder "kupfert" etwa die andere Schule erfolgreiche Projekte von mir ab und profiliert sich damit? Solche Sorgen existieren, aber sie sollten über Bord geworfen werden.

Online-Redaktion: Es geht im Klartext also auch um den Abbau von Konkurrenzdenken unter den Schulen?

Lück: So, wie die Beziehungen zwischen den Schulen nicht eine Art von "Geschäftsbeziehung" sind, so lassen sich Schulen auch nicht als im Konkurrenzkampf stehende Unternehmen betrachten. Dazu ist das "Gut", das sie formen sollen, auch viel zu wertvoll. Im Mittelpunkt des Handelns und damit auch der Hospitationen sollte das Bemühen stehen, herauszufinden, wie wir die Qualität von Schule und Unterricht optimieren können. Um Vertrauen zu einander zu gewinnen, ist es ratsam, vor der Hospitation einen klaren Rahmen abzustecken, in dem man sich öffnen möchte. Im Laufe der Zeit werden dann mit Sicherheit alle Beteiligten lockerer. Daraus können dann sogar solche Netzwerke wie hier bei uns in Mecklenburg-Vorpommern entstehen.

Menschen lernen gemeinsam in einem Seminarraum.
Netzwerk-Jahrestagung in Güstrow © Serviceagentur Ganztägig lernen Mecklenburg-Vorpommern

Online-Redaktion: Was sollten Schulen bei der Vorbereitung von Hospitationen beachten, welche Fehler vermeiden?

Lück: Man sollte sich im Vorfeld stets bewusst sein, dass der Besuch einer anderen Schule immer etwas bringt. Manchmal entdecke ich neue Chancen der Problemlösung, manchmal sehe ich mich in meinem Handeln bestätigt und manchmal sehe ich auch Wege, die ich für die Lösung meiner Aufgaben nicht für geeignet erachte. Aber auch das bringt mich ja weiter. Wichtig ist, sich im Vorfeld genau zu überlegen, mit welcher Absicht ich die andere Schule besuche, nach welchen Kriterien ich die Schule auswähle und abzuschätzen, was ich von dem Besuch erwarte. Also: Möchte ich ein intensives Gespräch mit dem Schulleiter oder der Schulleiterin? Möchte ich möglichst viel Unterricht sehen? Möchte ich viele Ganztagsangebote erleben und Gespräche mit den Kooperationspartnern führen? Mit welchen Arbeitsgruppen der Schule möchte ich sprechen? Wie wichtig sind mir die Erfahrungen, die Schülerinnen und Schüler an dieser Schule gesammelt haben?

Online-Redaktion: Was können Hospitationen auslösen?

Lück: Schon die Diskussion im Kollegium, ob man eine Hospitation anstreben soll, löst viel Kommunikation in und über die eigene Schule, die eigene Arbeit, die eigenen Sorgen und Ängste aus. Das ist allein schon ein Fortschritt. Beim Besuch und im Austausch mit bislang vielleicht fremden Kolleginnen und Kollegen spüre ich, dass ich mit manchen Problemen eben nicht alleine dastehe - das gibt Kraft und Optimismus. Gut vor- und gut nachbereitete Hospitationen können der Auftakt zu ganz wertvoller Netzwerkarbeit sein. Eine Arbeit, die am Ende jenen zugute kommt, um die es geht: die Schülerinnen und Schüler. Deswegen wünsche ich mir, dass sich dauerhaft und bundesweit eine weit ausprägte Kultur der Hospitation entwickelt.

Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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