Eine Ganztagsschule in Hamburg: Choreographie der Nachbarschaft : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Tanz und Theater, aber auch Lernwerkstätten und –ateliers gehören zum Stundenplan der Winterhuder Reformschule. Im K3-Zentrum für Choreographie besitzt die gebundene Ganztagsschule einen festen Kooperationspartner.

Seit 2009 arbeitet die Stadtteilschule Winterhude in Hamburg als gebundene Ganztagsschule für die Klassen 1 bis 13. Von 8 bis 16 Uhr, in der Primarstufe bis 14 Uhr, dauert seitdem an vier Tagen der Woche der Unterricht für rund 1.300 Schülerinnen und Schüler. Der Schulhort öffnet bereits ab 7 Uhr die Türen. Die Schule liegt in einem dicht bebauten Stadtteil. Sie hat laut Ganztagsschulkoordinator Andreas Benkhofer eine „sehr heterogene Schülerschaft“.

Hollywood in Winterhude. Das Budget von 3000 Euro für ihren Spielfilm "Das Millionengrab" hatten sich die Schüler durch Spendensammeln und Kuchenverkauf auf Stadtteilfesten erarbeitet. © Kulturagenten für kreative Schulen Hamburg / Matthias Vogel

130 Lehrerinnen und Lehrer sowie acht sozialpädagogische Fachkräfte bemühen sich mit einer pädagogisch abwechslungsreichen Gestaltung des Schultags und der Schulwoche, dieser Heterogenität gerecht zu werden. Der Tag beginnt mit dem halbstündigen Morgenkreis, in welchem die Schülerinnen und Schüler unter anderem besprechen, welche Lernaktivitäten am Tag anstehen. Die Schultage sind in 80 Minuten-Blöcke aufgeteilt. Hier liegt die „EVA“, die „Eigenverantwortliche Arbeitszeit“, in der die Schülerinnen und Schüler mit verschiedenen Lernmaterialien an individualisierten Aufgaben arbeiten.

Zweimal wöchentlich finden die Werkstätten statt, in denen laut Benkhofer auch „die Reste des Fachunterrichts“ untergebracht sind. Die Werkstätten sind Wahlpflichtkurse von jeweils vier Wochenstunden, unter anderem für die zweite Fremdsprache (Spanisch oder Französisch). Die Jugendlichen können „Musisches“, „Bewegendes“, „Darstellendes / Künstlerisches“, „Technisches“ und anderes wählen. Jeder Bereich muss mindestens einmal angewählt werden.

„Radio WiR“: Leon und Felix interviewen Schüler und Schulleiter zur Ganztagsschule.

Im Bereich „Technisches“ beispielsweise reparieren die „Sattelnasen“, Schülerinnen und Schüler aus den Klassen 5 bis 7, ihre eigenen Fahrräder, aber auch die von außerschulischen Kunden. Wie in einem richtigen Betrieb erstellen die Jugendlichen einen Arbeitsauftrag, gegebenenfalls mit Kostenvoranschlag, und nach Beendigung der Reparatur den Sicherheitscheck und die Rechnung. Auf der Internet-Seite der Schule können die Kunden den Status der Bearbeitung („Fertig – bitte abholen“ oder „In Reparatur“) einsehen.

In der Werkstatt „Gesellschaftliches / Kulturelles“ entwickeln die Schülerinnen und Schüler im „Radio WiR – Podcasting“ eigene Video- und Audioclips: Sie interviewen sich zum Thema Ganztagsschule, stellen Sportarten, Bücher oder den Schulchor "StimmenWIRbel" vor.

Ein weiterer Unterrichtsbaustein sind zweimal pro Woche die Ateliers, die Benkhofer zufolge „zu 100 Prozent von außerschulischen Partnern durchgeführt werden“, bei etwa 60 Kooperationspartnern. Alle Schülerinnen und Schüler besuchen verpflichtend für ein halbes Jahr ein Atelier, je nach Interessen und Neigungen. Die Angebote umfassen „Skateboardfahren“, „Begegnung und Arbeit mit Senioren“, „Französische Revolution“, „Segeln“ und„Rudern“, „Fechten“, „Veranstaltungstechnik“, „Theater“, „Rap“, „Nähen“  und vieles mehr. Die hier gezeigten Leistungen werden in Zertifikaten dokumentiert.

Viermal pro Schuljahr gibt es fächerübergreifenden Projektunterricht, der jeweils acht Wochen umfasst. Die Schülerinnen und Schüler entscheiden selbst, welches Projekt sie bearbeiten wollen. Die Themen reichen zum Beispiel von „Die Weltmeere“ bis zu „Liebe, Freundschaft und Sexualität“, in der Primarstufe von „Weihnachten“ bis „Wasser“ und können an unterschiedlichen Lernorten bearbeitet werden.

EVA, KuBa und Kulturelle Bildung

„Die Projektarbeit ist das wichtigste Standbein der Arbeit in unserer Schule“, so Ganztagskoordinator Benkhofer. „Für sie existiert kein Rahmen- oder Bildungsplan, daher ist es notwendig, dass sich die Schule auf Standards einigt. Mit Hilfe der Standards legen wir Kompetenzen, Methoden und Rahmenbedingungen fest. . Sie geben aber auch Freiraum. Die Lehrerteams tauschen sich jeden Mittwoch auch über ihre Projektarbeit aus. Sie haben die Aufgabe, die Projekte sinnvoll zu verankern und umzusetzen. Dafür nutzen sie flexibel die für Projektzeiten, EVA und KuBa ausgewiesenen Unterrichtszeiten.“

Christian Roosen, der einzige Bildersänger der Welt, sang 2013 für 100 Schüler. Die Schüler hatten im Anschluss zwei Stunden Zeit zu malen, was sie hörten. © Kulturagenten für kreative Schulen Hamburg / Matthias Vogel

KuBa steht für „Kulturelle Basisfähigkeiten“, ein Bestandteil des täglichen Unterrichts, der sich durch alle Jahrgänge zieht. Die Schülerinnen und Schüler wählen zu Anfang einer Stunde einen „KuBa-Raum“ aus. Hier haben sie die Wahl zwischen Deutsch, Mathe, Englisch und Gesellschaftslehre. In den Räumen arbeiten die Kinder und Jugendlichen dann individuell an vorgefertigten, themenbezogenen Bausteinen in ihrem eigenen Tempo.

Ebenfalls durch die ganze Schulstruktur zieht sich die Kulturelle Bildung. „Wir halten in jedem Halbjahr eine Konferenz nur zu diesem Thema ab“, berichtet Benkhofer. „Auch in unseren Zeugnissen legen wir Wert darauf, dass die kulturelle Bildung dort gewürdigt wird.“ Die Ganztagsschule verankere die kulturelle Bildung im Unterricht, indem jedes Fach zum Beispiel etwas zum Projekt „Musikalische Weltreise“ beitragen sollte. „Manche Kollegen waren da schwer zu überzeugen“, erinnert sich der Ganztagskoordinator. „'Ich bin doch kein Musiklehrer!' hieß es dann.“ Die Schule besitzt mit zwei Chören und sechs Bands ein reiches musikalisches Leben.

„So etwas wünsche ich jeder Schule“

Mit dem K3 – Zentrum für Choreographie verfügt die Stadtteilschule über einen Kooperationspartner, mit dem sie seit drei Jahren zusammenarbeitet. Für die Koordination hat die Schule ein Kulturteam gebildet, in dem neben Lehrkräften die „Kulturagenten“ eingebunden sind. Letztere stammen aus dem Modellprogramm „Kulturagenten für kreative Schulen“, an dem sich Hamburg neben Baden-Württemberg, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Thüringen beteiligt. Die teilnehmenden Schulen wollen nachhaltige Strukturen für ein vielfältiges Angebot der kulturellen Bildung und künstlerische Projekte entwickeln und langfristige Kooperationen aufbauen. Die Kulturagenten betreuen jeweils ein lokales Netzwerk von drei Schulen.

„Solch ein Kulturteam wünsche ich jeder Schule“, lobt Steffi Zimmermann vom K3. „Das Kulturteam der Winterhuder Stadtteilschule hospitiert bei uns, wir kommunizieren, treffen uns alle zwei Wochen und haben uns vorgenommen, demnächst noch mehr zusammenzuarbeiten.“ Mit den Schülerinnen und Schüler arbeiteten die Künstler in den Werkstätten, Projekten und Ateliers. Schülerinnen und Schüler gehen auch ins K3. Schwierig sei die Finanzierung, die immer wieder auf's Neue gestemmt werden müsse, so Steffi Zimmermann. „Das Projekt 'Theater und Schule – TuSch' finanziert uns, es gibt auch Gelder aus dem Ganztagsschultopf der Schule, aber wir müssen immer wieder für Einzelprojekte Gelder akquirieren.“ Andreas Benkhofer bestätigt, dass die Finanzierung der Kooperationsprojekte stets prekär ist.

Choreographie der Nachbarschaft

Ein Projekt, das in diesem Schuljahr zum zweiten Mal stattfindet, ist die „Choreographie der Nachbarschaft“. Im Schuljahr 2013/14 beschäftigten sich die Schülerinnen und Schüler im Atelier „Nachbarschaftshelden“ mit ihrem Stadtteil Winterhude und dessen Bewohnern. In diesem Schuljahr gründen sie eine eigene „Heldenagentur“.

„Dazu gehört es, sich Gedanken zu machen, wie eine Nachbarschaftsheldenausbildung aussieht, aber auch Anlaufstelle für Nachbarn, Freunde und Lehrer zu sein, die etwas in der Nachbarschaft verändern wollen und dafür eure Unterstützung brauchen“, heißt es in der Projektbeschreibung. Dabei werden Tanz und Choreographie einstudiert. Ein Film des Kooperationspartners TANZFONDS Hamburg dokumentiert das Projekt. „Vor der Präsentation im April 2015 wird es eine intensive Probenphase geben“, schreiben die Schülerinnen und Schüler.

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