Deutscher Schulpreis: Anne-Frank-Schule Bargteheide : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die Anne-Frank-Schule im schleswig-holsteinischen Bargteheide ist Schule des Jahres 2013.

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel den Umschlag öffnet, der den Namen der Schule des Jahres 2013 birgt, und die Anne-Frank-Schule aus dem schleswig-holsteinischen Bargteheide als Siegerin des Hauptpreises verkündet, kennt der Jubel auf der Zuschauertribüne, auf der die Delegation der Gemeinschaftsschule sitzt, keine Grenzen mehr. Strahlende Gesichter, Erwachsene klatschen sich ab – und unter dem Beifall des gesamten Auditoriums in der Parochialkirche in Berlin-Mitte bahnen sich Schulleiterin Angelika Knies und einige Schülerinnen („An der Schule soll es aber auch Schüler geben, wurde mir versichert“, kommentierte die Kanzlerin trocken) den Weg zur Bühne. Dort nimmt die Rektorin aus den Händen von Angela Merkel die silberne Kugel mit dem Logo des Deutschen Schulpreises entgegen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Vertreterinnen der Siegerschule Anne-Frank-Schule aus Bargteheide, darunter Schulleiterin Angelika Knies (3.v.r.)
Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Vertreterinnen der Siegerschule Anne-Frank-Schule aus Bargteheide, darunter Schulleiterin Angelika Knies (3.v.r.) © Max Lautenschläger (Robert Bosch Stiftung)

Mit dem Gang zum Podium und vor die Fernsehkameras, die an diesem 3. Juni 2013 die Preisverleihung des Deutschen Schulpreises für PHOENIX übertragen, setzt sich ein Weg fort, der vor 23 Jahren bescheiden begonnen hatte. Angelika Knies war bereits dabei, als die Anne-Frank-Schule mit sieben Lehrerinnen und Lehrern in einem Einfamilienhaus startete. Noch auf Jahre hinaus mussten Schülerinnen und Schüler in benachbarten Schulen unterkommen, weil es der Integrierten Gesamtschule selbst an Platz mangelte.

Nicht zuletzt diese Erinnerungen sind es, die auch alte Weggefährten wie Renate Buschmann und Jochen Arlt im Publikum jubeln lassen, als seien sie selbst gerade ausgezeichnet worden. „Es freut mich unglaublich für Angelika, weil ich weiß, wie sie fast ein Vierteljahrhundert unermüdlich für ihre Schule gekämpft hat. Sie ist sozusagen die Gründungsmama dieser Schule“, erklärt Arlt. Er hatte 1992 fast zeitgleich die Integrierte Gesamtschule Flensburg gegründet. Heute ist er Referent für die Pädagogischen Werkstätten „Individualisierung/Heterogenität“ der Robert Bosch Stiftung, die den Deutschen Schulpreis ausrichtet. Arlt sieht die Auszeichnung mit großer Genugtuung, denn sie dokumentiert eine Wertschätzung, die es bei der Gründung der Anne-Frank-Schule – gelinde gesagt – nicht gegeben hat. Und der ehemalige Schulleiter sieht den Preis natürlich auch als ein Pfund, mit dem sich in Zukunft wuchern lässt. „Allein schon aufgrund der demografischen Entwicklung muss jede Schule sehen, wo sie bleibt. Mit einer solchen Auszeichnung im Rücken hat man natürlich mehr Argumente.“

Seit neun Jahren keine Schülerinnen und Schüler mehr ohne Abschluss

Angelika Knies sieht das genauso. „Natürlich ist das Geld toll“, freut sie sich über das Preisgeld von 100.000 Euro. „Aber noch wichtiger ist die Anerkennung, die sich mit diesem Preis ausdrückt. Und mich freut auch, dass unsere Schule die Auszeichnung erstmals nach Schleswig-Holstein hat holen können.“ Die Gründe, die zur Entscheidung der Jury der Robert Bosch Stiftung beigetragen haben, nennt die Schulleiterin selbst: „Wir nehmen alle Kinder mit – ob es ein hochbegabtes ist oder eines mit Lernschwierigkeiten. Seit neun Jahren haben keine Schülerin und kein Schüler unsere Schule ohne Abschluss verlassen. Bei uns gibt es kein Sitzenbleiben oder andere Aussortierungen. Das ist für mich das Schulsystem der Zukunft, und das hat heute Auftrieb erhalten.“

Die Heterogenität ist die Grundlage der pädagogischen Arbeit an der Anne-Frank-Schule, und allen Jugendlichen wird von den in Jahrgangsteams organisierten Lehrkräften mehr abverlangt, als potenziell prognostiziert wird – mit der Folge eines überdurchschnittlichen Leistungsniveaus. Die Schülerinnen und Schüler könnten halt sehr viel, „wenn man sie denn lässt“, so die Pädagogin über das selbstbestimmte Lernen, das an ihrer Schule gepflegt wird. „Wenn wir allerdings merken, dass jemand schwächelt, greifen wir mit zusätzlicher individueller Förderung ein.“ Hier geht es nicht nur um fachliche Unterstützung, die Kinder und Jugendlichen werden an der Anne-Frank-Schule als „Ganze“ betrachtet, was sich unter anderem in der seit über einem Jahrzehnt fest institutionalisierten Verzahnung von Schulsozialarbeit und kommunaler Jugendhilfe im Ganztagszentrum und im Schulforum im Sinne einer "Community education" manifestiert.

Stichwort Ganztag: Die Gemeinschaftsschule ist als gebundene Ganztagsschule organisiert. An so genannten Langtagen gibt es verbindliche Unterrichtsangebote am Vor- und Nachmittag, Freizeitlernen in der Mittagspause; an den anderen Nachmittagen zusätzliche freiwillige Angebote in Kooperation mit dem Jugendarbeitsteam. Die Anzahl der Langtage steigt von den Klassenstufen 5 bis 10 stufenweise von einem auf drei. An den Langtagen gibt es ein Arbeitsgemeinschaftsangebot im Rahmen der Mittagsfreizeit. Für Schülerinnen und Schüler des 5. und 6. Jahrgangs besteht die Pflicht zur Teilnahme an diesen Arbeitsgemeinschaften. Für ältere Schülerinnen und Schüler bietet die Schule in dieser Zeit auch ein Angebot an Werkstätten in wichtigen Fächern.

Nachfrage doppelt so hoch wie das Angebot

Im Ganztagszentrum und im Schulforum, in dem es neben Beratungs-, Seminar und Entspannungsangeboten einen schulübergreifenden und „offenen“ Treffpunkt gibt, finden von Montag bis Donnerstag Neigungsgruppenangebote statt. Notwendig ist auch ein umfangreiches Beratungsangebot, zu dem zwei Schulsozialarbeiter, die sich eine Stelle teilen, beitragen. „Zwischenzeitlich war das auf eine halbe Stelle gekürzt worden“, ist Angelika Knies froh, dass nun wieder eine volle Stelle zur Verfügung steht.

Das alte Einfamilienhaus, in dem einst alles begann, gibt es immer noch. Hier sind die 5. Klassen untergebracht. Ansonsten verfügt die Gemeinschaftsschule darüber hinaus natürlich über einen Schulerweiterungsbau, der allerdings – Fluch des Erfolgs – auch schon wieder zu beengt ist. Denn inzwischen lernen 862 Schülerinnen und Schüler mit 67 Lehrerinnen und Lehrern an der Schule des Jahres 2013. Die Nachfrage nach Plätzen in der 5. Jahrgangsstufe ist jedes Jahr doppelt so hoch wie das Angebot; teilweise sind Jahrgänge fünfzügig. „Es fehlt nach wie vor an den in einer Ganztagsschule notwendigen Lehrerarbeitsplätzen. Die Zahl der Gruppenräume ist weiterhin stark eingeschränkt, und diese sind zudem ungünstig über das Gebäude verteilt – die Raumsituation wird uns weiter beschäftigen.“

Ebenso wie die pädagogischen Zukunftsplanungen. Die Logbücher sollen überarbeitet werden, und Lehrer Jürgen Nowottny, der ebenfalls seit 1989 die Geschicke der Schule mitbestimmt, meint, dass man „in der Tischgruppenarbeit noch besser werden kann“. Beim nächsten „Schet“, dem Schulentwicklungstag, will die Anne-Frank-Schule darüber entscheiden, ob Zeugnisse in Zukunft komplett durch Entwicklungs-Portfolios ersetzt werden sollen. „Wir hatten Besuch von Kolleginnen und Kollegen der Helene-Lange-Schule aus Wiesbaden, die dies bereits vor sechs Jahren eingeführt haben“, berichtet Rektorin Knies, „und uns sehr in unseren Plänen ermutigten. In der Jahrgangsstufe 5 wollen wir damit anfangen und es dann aufwachsen lassen.“ Ob Schule des Jahres oder nicht – die Arbeit hört natürlich nie auf. „Eine Schule, die sich nicht selbst als lernendes System versteht, die meint, fertig zu sein und nur Bewährtes weitertragen zu müssen, ist tot“, hieß es dementsprechend schon in den Bewerbungsunterlagen der Anne-Frank-Schule.

Von 15 nominierten Schulen sind 14 Ganztagsschulen

Über 100 Schulen hatten sich im vergangenen Jahr für den Deutschen Schulpreis 2013 beworben, 20 hatten es in die zweite Runde geschafft. Diese Schulen wurden dann von den Mitgliedern der Jury, die sich aus aktiven wie emeritierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Pädagoginnen und Pädagogen zusammensetzte, an jeweils zwei Tagen zu Jahresbeginn besucht. Man besah sich die Räumlichkeiten, schnupperte das Schulklima, sprach mit Schülerinnen und Schülern, Eltern, Kooperationspartnern, Lehrkräften und hospitierte im Unterricht. Danach reduzierte man die Zahl der Schulen für die Endrunde auf 15 und diskutierte in der Stuttgarter Robert Bosch Stiftung sechs Stunden lang über die Preisträger. Dabei legte man sechs Qualitätskategorien zugrunde: Leistung, Umgang mit Vielfalt, Unterrichtsqualität, Verantwortung, Schulklima und Schule als lernende Institution.

„Wir messen keine Schülerleistungen wie die PISA-Studie und vergleichen auch keine Schulen miteinander“, stellte Prof. Michael Schratz von der Universität Innsbruck als Sprecher der Jury klar. „Wir würdigen Schulen, die aus ihren Bedingungen vor Ort die besten Leistungen entfalten und es vor allem schaffen, alle Schülerinnen und Schüler mitzunehmen und auf eine unbekannte Zukunft vorzubereiten.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern
Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern © Max Lautenschläger (Robert Bosch Stiftung)

Der Jubel brach unter dem Kirchenschiff an diesem Tag indes noch fünf weitere Male aus, denn neben dem Hauptpreis hatte die Robert Bosch Stiftung noch vier weitere Preisträger, die mit je 25.000 Euro nach Hause fahren durften, und einen ebenfalls mit 25.000 Euro dotierten „Preis der Jury“ ausgelobt, die vor dem großen Finale der von Sandra Maischberger und Dennis Wilms moderierten Veranstaltung bekannt gegeben wurden.

Von den nach Berlin-Mitte eingeladenen 15 Schulen – davon 14 Ganztagsschulen – aus ganz Deutschland konnten sich neben der Anne-Frank-Schule noch die Grund- und Werkrealschule in der Taus im baden-württembergischen Backnang, die Grundschule Comeniusstraße aus dem niedersächsischen Braunschweig, die Grundschule Gau-Odernheim aus Rheinland-Pfalz, das Gymnasium Alsdorf aus Nordrhein-Westfalen und die Private Fachschule für Wirtschaft und Soziales aus der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt freuen.

Während Schulleiter Jochen Nossek von der Grund- und Werkrealschule in der Taus die Preisübergabe genüsslich zelebrierte und die kleine goldene Kugel küsste, als wäre es der FIFA-Weltmeisterpokal, herrschte bei anderen ein wenig Enttäuschung – jedoch nur einen Moment lang. „Ich denke, dass wir Berlin würdig vertreten haben“, meinte beispielsweise Ilona Bernstorf, Schulleiterin der Hermann-Nohl-Schule in Neukölln. „Dann machen wir halt in vier Jahren noch mal mit.“

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