Das "Zwischenzuhause" in der Gemeinschaftsgrundschule Hardt : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Das Netzwerk "Schulentwicklung" im Begleitprogramm "Ideen für mehr! Ganztägig lernen" besuchte die Gemeinschaftsgrundschule Hardt in Mönchengladbach.

Vor zwei Jahren schlossen sich die Serviceagenturen "Ganztägig lernen" Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Thüringen zum Thematischen Netzwerk "Schulentwicklung" zusammen. Mit länderübergreifenden Hospitationen in insgesamt acht Ganztagsschulen bekamen zahlreiche Schulen aus diesen vier Ländern die Möglichkeit, hinter die Türen ganz unterschiedlicher Ganztagsschulen zu schauen und sich Informationen und Anregungen für die eigene Arbeit zu holen, diese aber auch als Multiplikatoren für andere Schulen in ihren jeweiligen Ländern weiter zu verbreiten.

Dieses Konzept kam so gut an, dass die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung im Rahmen des Begleitprogramms "Ideen für mehr! Ganztägig lernen" nun eine zweite Staffel aufgelegt hat. Der Teilnehmerkreis hat sich erweitert: Die Serviceagenturen aus Sachsen und Schleswig-Holstein haben sich mit jeweils zwei Ganztagsschulen angeschlossen, um in den wiederum vier Ländern Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Thüringen in einem Zeitraum von eineinhalb Jahren in Schulen zu hospitieren.

"Je mehr Unterschiede es gibt, desto mehr kann man voneinander profitieren", begrüßte Supervisorin Ines Stade, die erneut zusammen mit Susanne Hoffmann-Michel die Moderation des Netzwerks übernommen hat, am 16. April 2008 die rund 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Tagungsraum eines Düsseldorfer Hotels. Tatsächlich ist das Teilnehmerfeld bunt gemischt: Von Grundschulen und Hauptschulen über Regionale Schulen, Mittelschulen und Regelschulen bis zu einem Gymnasium sind fast alle Schulformen vertreten. Ihnen allen gemein ist das Bestreben, sich weiterentwickeln oder - wie im Falle der Integrierten Grundschule Quellmoor aus Hamburg - sich überhaupt erst auf den Weg zur Ganztagsschule zu machen. In jedem Fall konnten die Anwesenden die Einladung in das Netzwerk bereits "als Wertschätzung für Ihre Arbeit" begreifen, wie es Rosa Maria Haschke, Leiterin der Serviceagentur "Ganztägig lernen" Thüringen, zu Beginn der dreitägigen Veranstaltung betonte.

Schule öffnen, Eltern einbinden

Neben dem gegenseitigen Vorstellen, Kennen lernen und Gedankenaustausch bildete die Hospitation in einer Ganztagsschule wieder den Kern des Treffens. Am zweiten Tag verbrachte die Gruppe rund zehn Stunden in der Gemeinschaftsgrundschule Hardt im Nordwesten von Mönchengladbach - genügend Zeit, um sowohl im Unterricht zu gastieren, sich das Konzept durch die Schulleitung schildern zu lassen, eine Schulführung zu unternehmen, verschiedene Themen mit dem Träger des Ganztagsbetriebs - der Arbeiterwohlfahrt -, den Lehrerinnen, den Erzieherinnen, den Hausaufgabenkräften, den Kooperationspartnern und den Eltern zu besprechen.

Vor sieben Jahren übernahm Schulleiterin Doris Reuter die Gemeinschaftsgrundschule, die in einem ländlichen Umfeld liegt. Als 2003 von der Landesregierung Nordrhein-Westfalens die Möglichkeit zur Umwandlung in eine offene Ganztagsschule geboten wurde, meldete die Schulleiterin sofort den Bedarf an und ging als Pilotprojekt und erste offene Ganztagsschule von 48 Grundschulen in Mönchengladbach an den Start: "Ich sah die Ganztagsschule als gute Möglichkeit, zu verwirklichen, was mir schon immer vorschwebte: Schule zu öffnen, indem man Eltern und Kooperationspartner einbindet. Ich wollte nicht nur Betreuung, sondern aus der Offenen Ganztagsschule das nutzen, was zu unserer Schule passt."

Zurzeit besuchen rund 240 Schülerinnen und Schüler die Grundschule, die wie viele Schulen einst für wesentlich mehr Kinder ausgelegt war und nun den Vorzug von ausreichend vorhandenen Fachräumen besitzt, die als Werkraum, Turnraum, Theaterraum, Bibliothek, Computerraum und Hausaufgabenraum für die Ganztagsschule genutzt werden können. Die offene Ganztagsschule besuchen 52 Schülerinnen und Schüler in zwei Gruppen.

Lerntempo richtet sich nach dem einzelnen Kind

Die Klassen eins und zwei arbeiten jahrgangsgemischt. Die Rektorin erklärte dazu: "Das Kollegium hat zwei Jahre diskutiert, ob wir so oder mit einem Förderband arbeiten wollen, und sich schließlich gegen das Förderband entschieden. Es erschien uns zu unruhig, die Kinder immer wieder aus ihren Klassen zu reißen." Nun werden nur für Mathematik Jahrgangsklassen gebildet, weil dort keine für den jahrgangsgemischten Unterricht geeigneten Materialien vorhanden gewesen seien und man sich nicht habe überfordern wollen. Das große Plus der Jahrgangsmischung sei, dass das "Sitzenbleiben" von den Kindern nicht als Drama empfunden werde.

"Jede Schülerin und jeder Schüler bekommt so viel Zeit zum Lernen, wie sie oder er benötigen. So bleiben manche Kinder drei Jahre in der Jahrgangsmischung und gewinnen sogar noch an Selbstbewusstsein durch den Erfahrungsvorsprung gegenüber den nachrückenden Schülerinnen und Schülern", erklärte die Rektorin. Umgekehrt könnten leistungsstarke Kinder auch Klassen überspringen und mit den Älteren zusammen lernen. Das selbst gesteuerte und das angeleitete Lernen stünden dabei in einem guten Verhältnis zueinander. Die Lehrkräfte greifen Doris Reuter zufolge ein, "wenn selbst gesteuertes Lernen und voneinander Lernen nicht reichen". Es gebe kein Lernen im Gleichschritt mehr, sondern das Lerntempo richte sich nach dem einzelnen Kind. Auch deshalb hat man die 45-Minuten-Blöcke abgeschafft und durch 90-Minuten-Blöcke ersetzt - Zeitdruck soll aus dem Tag genommen werden.

Eine der fünf jahrgangsgemischten Klassen ist als Ganztagsklasse organisiert, hier lernen alle Kinder gemeinsam von 8.00 bis 16.00 Uhr, was eine andere Rhythmisierung des Tages zulässt. So beginnt der Tag mit einer ersten Unterrichtseinheit oder aber auch mit einer Arbeits- und Übungsstunde mit individueller Lernzeit, Wochenplan oder Freiarbeit, die durch Lehrer und Kooperationspartner begleitet wird. Nach einer weiteren durch Lehrkräfte gestalteten Unterrichtseinheit finden um 9.45 Uhr Frühstück, Bewegung, Freies Spiel oder Ruhephasen statt. Hier sind Mütter und Lehrer involviert. Mit Beginn dieses Schuljahres bieten Eltern zum Beispiel einen Pausenkiosk an, in dem sie gesunde Snacks verkaufen.

Ganztag als Einheit von Lehrkräften und Erzieherinnen

Teinehmer des Hospitationstages in der Mensa.
Den Abschluss des Hospiationstages bildete der Austausch im World Café, das in der Mensa stattfand.

Nach zwei weiteren Unterrichtseinheiten folgt von 11.50 Uhr an die Mittagspause. Schülerinnen und Schüler, die nicht das Essen in der -gemeinsam mit der benachbarten Gesamtschule genutzten - Mensa einnehmen wollen, essen Mitgebrachtes im Aufenthaltsraum der Offenen Ganztagsschule gemeinsam mit den Erzieherinnen. Anschließend können die Kinder sich frei auf dem Gelände bewegen, spielen, Lern- und Freizeitangebote wahrnehmen oder aber auch schon in die Hausaufgabenbetreuung einsteigen. Jedes Kind muss an einem "Meldebrett" sein Konterfei auf die den Räumlichkeiten entsprechenden Felder kleben, damit Erzieherinnen und Eltern jederzeit orientiert sind, wo sich welche Schülerin beziehungsweise welcher Schüler gerade aufhält. Von 14.00 bis 14.45 Uhr findet zweimal in der Woche eine fünfte Unterrichtseinheit statt. Ansonsten gibt es neben der Hausaufgabenbetreuung noch individuelle Lernzeit und Lehrerförderstunden statt. Bis 16 Uhr setzen sich Individuelle Lernzeit und Förderung neben AG-Angeboten fort, dann allerdings ohne Lehrer, sondern nur noch durch Erzieher und Kooperationspartner begleitet.

Konrektor Torsten Liebert, der Klassenlehrer der Ganztagsklasse, schilderte die personellen Veränderungen, welche die Halbtagsklasse mit sich bringt: "Die Halbtagslehrer-Mentalität ist passé, und man ist in ein multiprofessionelles Team eingebettet. Ein Lehrer ist als Ganztagskoordinator zur besseren Verzahnung der Zusammenarbeit des Kollegiums und des Erzieherteams eingesetzt. Wir denken den Ganztag anders: Es gibt Teambesprechungen, gemeinsam geführte Elterngespräche und Mitarbeiterkonferenzen."

Die Erzieher besitzen Stimmrecht in der Schulkonferenz. Die Elternabende finden ebenfalls immer gemeinsam mit den Erzieherinnen statt, um zu demonstrieren, dass man eine Einheit bildet. Und wenn am Nachmittag eine Konferenz stattfindet, die für eine der Erzieherinnen relevant ist, vertritt sie zum Beispiel auch der Konrektor, um ihr die Teilnahme zu ermöglichen. "Ich muss mir Zeit nehmen wollen", erklärte Torsten Liebert dazu. "Das macht den Unterschied zwischen Job und Berufung aus."

Diskussionen um Abholzeiten und Hausaufgaben

Sämtliche Schülerinnen und Schüler - ob in der Ganztagsklasse oder im offenen Ganztag - müssen an jedem Tag bis 16 Uhr bleiben. "Es gab heiße Diskussionen mit den Eltern um diesen Punkt", erinnert sich Doris Reuter, "und es war ein Riesenproblem klarzumachen, dass man nicht abholen kann, wann man will." Das "Ganztagsbewusstsein" sei bei vielen Eltern noch nicht besonders ausgeprägt, ergänzte Marie Luise Bretschneider von der Serviceagentur "Ganztätig lernen" Nordrhein-Westfalen. Insgesamt aber freut sich die Schule über eine sehr engagierte Elternschaft, die großes Interesse an der schulischen Entwicklung der Kinder nimmt.

Ein ebenso heißes Eisen sind - wie beinahe an jeder Schule - die Hausaufgaben, ein Thema, das "gut mit den Eltern abgesprochen werden muss", so die Rektorin. Am liebsten würde sie die Hausaufgaben zu Gunsten von zusätzlicher Lernzeit ganz abschaffen, aber so weit ist die Diskussion an der Gemeinschaftsgrundschule noch nicht gediehen. Immerhin führt der enge Austausch zwischen der Hausaufgabenbetreuung am Nachmittag, den Lehrerinnen und Lehrern und den Eltern mit Hilfe von zwei Hausaufgabenheften, die zwischen den Beteiligten hin- und herwandern, zu einer Reflexion über die Art und den Umfang der Hausaufgaben. Das ermöglicht auch eine genaue Kontrolle, was die Schülerinnen und Schüler verstanden haben. Das Hausaufgabenbegleitheft dokumentiert intern den Fortgang jedes Kindes. Die Aufgaben erledigen die Schülerinnen und Schüler im Hausaufgabenraum an 15 Einzeltischen, an denen sie ohne die Möglichkeit, von anderen abzuschreiben, zeigen, was sie können und was sie noch nicht beherrschen. "Es läuft hier rund, der Austausch mit den Lehrerinnen und Lehrern funktioniert bestens", lobte die für die Hausaufgabenbetreuung zuständige pädagogische Fachkraft.

Langer, holpriger Prozess auf dem Weg zur gleichen Augenhöhe

Die Hospitationsgruppe bemerkte die positive Ausstrahlung, die von allen Beteiligten - Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler, Erzieherinnen, Eltern, Kooperationspartnern - in der Gemeinschaftsgrundschule Hardt ausging. All dies sei mit den Jahren gewachsen und teilweise laut der Schulleiterin auch ein "langer, holpriger Prozess" gewesen, der noch immer nicht beendet sei, wie beispielsweise das Erreichen der sprichwörtlichen "gleichen Augenhöhe" zwischen Lehr- und außerschulischem Personal. Gerade die Erweiterung des Personals und die damit verbundene Bereicherung durch andere Formen der Teamarbeit zählen für Doris Reuter zu den wichtigen Errungenschaften der Offenen Ganztagsschule. "Dadurch ist Schule als Lern- und Lebensort Realität geworden."

Das Motto, unter das die Gemeinschaftsschule die Ganztagsschule gestellt hat, lautet: "Mehr Zeit für Bildung, Erziehung, Betreuung und individuelle Förderung". Konkret zeigt sich dies in fachbezogenen Übungen, zum Beispiel in Deutsch durch entsprechende Arbeitsgemeinschaften, vertiefendes Lernen mit Angeboten der Leseförderung durch Kooperationspartner und sechs Lehrerförderstunden, mit denen Angebote für starke und schwache Schülerinnen und Schüler in Deutsch und Mathematik gemacht werden.
Die World Café-Methode: Das an den Tischen Diskutierte wird auf den Papiertischdecken festgehalten

Neben dem fachlichen Lernen unterbreitet die Gemeinschaftsgrundschule auch sozialpädagogische Angebote zur Stärkung von Handlungskompetenzen, sozialen Kompetenzen und Medienkompetenzen, unter anderem durch Gesellschafts- und Lernspiele, Kreativangebote, Rollenspiele und Konstruktionsmaterialien. Für die Materialien ist das Erzieherteam verantwortlich, "deren Erfahrungen und Wissen uns immens bereichert haben", wie die Schulleiterin lobte. Besondere Begeisterung bei den Schülerinnen und Schülern wie auch bei der Hospitationsgruppe löste ein selbst konstruierter Tisch mit Sand, den man ohne Wasser zu allen möglichen Formen verarbeiten kann, aus.

Ganztagsschule als "Zwischenzuhause"

Zwei Erzieherinnen sind mit 30 Wochenstunden und zwei Hausaufgabenkräfte mit je zehn Wochenstunden im offenen Ganztag tätig, hinzu kommen eine Teilzeitkraft, Praktikanten, Studenten und Auszubildende. Sieben Kooperationspartner bieten zehn Arbeitsgemeinschaften an, darunter Schwimmen im schuleigenen Schwimmbad, Werken, Ballsport, Lesen, Computer und Fußball. "Am Anfang gab es zu viele Angebote, mit denen wir die Kinder zu sehr verplant haben", erzählte Liebert. Man müsse den Kindern auch Freiräume gestatten.

"Kein Tag verläuft hier wie der andere, das macht die Arbeit so spannend", berichtete Gaby Schmitz, Erzieherin und Leiterin des Ganztagsbetriebes. Für viele Schülerinnen und Schüler sei die Ganztagsschule eine Art "Zwischenzuhause", wie es ein Junge mal ausgedrückt habe. In vier Jahren erreiche man auch eine Menge mit den Schülerinnen und Schülern: "Einige schwierige Kinder haben sich bei uns gut entwickelt." Eine Beobachtung der pädagogischen Fachkraft in der Hausaufgabenbetreuung ergänzt diese Einschätzung: "Die Kinder sind wahnsinnig gerne Ganztagsschulkinder. Es gibt hier eine gute Gemeinschaft untereinander."

Eine gute Gemeinschaft bildete sich auch bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Thematischen Netzwerks bereits mit dieser ersten Hospitationsreise aus: Man diskutierte miteinander, tauschte sich rege aus und plant schon jetzt, Anregungen aus anderen Ganztagsschulen umzusetzen.

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