Blick "über den Tellerrand" dank Ganztagsschulnetzwerken : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
56 Ganztagsschulen gehören dem zweiten bundesweiten Netzwerk im Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ an. Über den Sinn der Netzwerkarbeit sprach www.ganztagsschulen.org mit Programmleiterin Maren Wichmann.
Online-Redaktion: Im Sommer 2012 haben Sie das erste bundesweite Netzwerk Ganztagsschule abgeschlossen, soeben sind Sie mit einem neuen gestartet. Worum geht es da konkret?
Maren Wichmann: Das Besondere des alten und des neuen Netzwerks ist, dass die beteiligten Schulen jeweils ein konkretes Entwicklungsvorhaben benennen und an ihrer Ganztagsschule umsetzen. Die Schulen des abgeschlossenen, aber auch die des neuen Netzwerks sind jeweils in einem der sechs unterschiedlichen Unter-Netzwerke aktiv. Dort arbeiten sie mit Schulen aus anderen Bundesländern zusammen. Bei den Netzwerktreffen, die zweimal jährlich in verschiedenen Bundesländern stattfinden, reflektiert jede Schule den Entwicklungsstand ihres Vorhabens und erhält dazu kollegiales Feedback. Das wird ergänzt durch selbst gewählte fachliche Vorträge und einen Schulbesuch an einer der Netzwerkschulen. Wir haben erfahren, dass die Mitarbeit in schulischen Entwicklungsnetzwerken eine sehr erfolgversprechende Unterstützung für Veränderungsprozesse ist. Das begründet den hohen Stellenwert, den diese Art von Netzwerken im Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen.“ besitzen.
Online-Redaktion: Kann das überhaupt funktionieren, wenn so unterschiedliche Schulen und dann auch noch aus verschiedenen Bundesländern voneinander lernen sollen?
Wichmann: Das hat bei den Schulen in der Tat zunächst Skepsis ausgelöst: Die Rahmenbedingungen und auch die Bezeichnungen ganztägiger Angebote in den einzelnen Bundesländern sind so unterschiedlich. Manch einer fragte sich, ob man in dieser Konstellation voneinander lernen kann. Was können wir als Gymnasium von einer Grundschule lernen? Oder: Wie kann man z.B. die Erfahrungen von gebundenen Ganztagsschulen mit individuellem Lernen auf eine offene Ganztagsschule übertragen? Doch es zeigt sich schnell: Neugier, Offenheit und Zugewandtheit ermöglichen ein sehr kreatives Arbeiten. Es entwickelt sich eine Fokussierung auf Fragen, die sich an allen Ganztagsschulen stellen: Wie wird das Mehr an Zeit für eine nachhaltige Veränderung der Lernkultur mit individuellen Lernzeiten genutzt? Wie entwickeln sich Kooperationen auf den unterschiedlichen Ebenen, in den Kollegien, mit anderen Professionen oder auch pädagogischen Mitarbeitern? Was bedeutet Öffnung der Schule ganz konkret, und wie finden wir die richtigen Partner und lassen sie das Schulleben mitgestalten?
Online-Redaktion: Was machte Sie sicher, dass Netzwerke besonders effektiv sind?
Wichmann: Es war natürlich auch für uns ein spannendes Experiment. Entwickelt das Peer-to-Peer-Lernen der Schulteams in den Netzwerken eine ausreichende Dynamik für die Einzelschule? Ist das, was wir über das Lernen in heterogenen Lerngruppen von Schülern wissen, auch auf das Peer-to-Peer Lernen in Netzwerken übertragbar? Wir haben die Netzwerkarbeit daher wissenschaftlich begleiten lassen. Die Auswertung der Interviews und Fragebögen bestätigen: Der Blick „über den Tellerrand“, der fremde Blick auf das eigene Tun und die Abwesenheit von Konkurrenz unter den Teilnehmern ermöglichen neue Impulse und ermutigen die Teilnehmer, die nächsten Schritte an der Schule gestärkt voranzugehen.
Natürlich sind Konzepte einer Schule nicht komplett auf eine andere übertragbar und auch die Entwicklungen verlaufen an der einen Schule vielleicht langsamer oder widersprüchlicher als anderswo. Das verlangt von den Schulen schon, dass sie die Übertragungsleistung auf die eigenen Bedingungen vor Ort vornehmen.
Online-Redaktion: Die Schulen des abgeschlossenen Netzwerkes haben den neu aufgenommenen bei ihrer Auftaktveranstaltung mit großer Begeisterung von den Wirkungen dieses Austausches und den Veränderungen an ihren Schulen erzählt. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Wichmann: Das sind im Wesentlichen drei Momente: Auf die Bedeutung der bundesweiten Netzwerktreffen bin ich schon eingegangen. Wichtig ist, dass diese gut strukturiert an den jeweiligen Entwicklungsstand der Schulprojekte anknüpfen und die Schulen dort Raum erhalten, auch innerhalb ihres Schulteams zu reflektieren, ein kollegiales Feedback erhalten und gemeinsam nächste Schritte planen. Dafür ist es unabdingbar, dass mehrere, und in der Regel die gleichen Personen, teilnehmen. So entsteht Kontinuität, Vertrauen und große Verbindlichkeit. Ganz besonders hoch im Kurs stehen zweitens die gegenseitigen Hospitationen. Jede Schule wählt dafür eine sogenannte Tandemschule aus, die sie besucht. Diese Tandems entwickelten oft ein besonderes Vertrauens- und Lernverhältnis. Und drittens stehen die regionalen Serviceagenturen „Ganztägig lernen“ den Schulen zur Seite. Sie helfen, wenn es um die konkrete Begleitung vor Ort, um eine Fortbildung oder die Hospitationen geht.
Online-Redaktion: Wie werden die Erkenntnisse des ersten Netzwerks genutzt? Welche Bedeutung hat das Thema Transfer?
Wichmann: Das besitzt einen hohen Stellenwert. Die Porträts dieser Schulen sind auf der Programmseite www.ganztaegig-lernen.de nachzulesen und sind alle hervorragende Good-Practice-Beispiele. Diese Schulen haben etwas zu erzählen und sind mittlerweile gefragte Experten. Wenn Sie einmal einen Blick in die Referentenlisten von Fachtagungen, Fortbildungen oder Hospitationen in den Ländern oder auch bundesweit werfen, werden Sie immer wieder auf diese Netzwerkschulen treffen. Den Pool an guten Beispielen zu vergrößern, ist auch ein Ziel der Netzwerkarbeit. Die Vernetzung dieser Schulen vor Ort und die Zusammenarbeit mit den Serviceagenturen vor Ort ermöglichen einen nachhaltigen Transfer außerhalb des Netzwerkes. Dazu gehört auch der weitere Aufbau von Schulentwicklungsnetzwerken in den Ländern. Derzeit haben wir im Programm knapp 60. Unsere Erfahrungen aus diesen länderübergreifenden Netzwerken fließen in den Aufbau weiterer Netzwerke in den Ländern wie Referenzschulen, Hospitationsstandorte oder Modellschulen ein.
Online-Redaktion: Nun sind Sie erneut mit 56 Ganztagsschulen aus allen Bundesländern gestartet. Was mussten die Schulen tun, um dabei zu sein?
Wichmann: Sie haben sich bei ihren Serviceagenturen „Ganztägig lernen“ mit einer konkreten Projektidee beworben. Die Serviceagenturen haben aus der zum Teil großen Zahl von Bewerbungen jeweils bis zu vier Schulen ausgewählt. Es wurden sechs Netzwerke mit Schulen mit ähnlichen Vorhaben gebildet. Die Heterogenität in Bezug auf Schularbeit, Ganztagsform und Bundesland ist erneut bewusst gesetzt. Diese Schulen haben sich jetzt im Februar beim Auftaktnetzwerktreffen kennengelernt, die weiteren vier großen Netzwerktreffen vereinbart und erste Instrumente des Projektmanagements erprobt. Nun entwickeln sie mit Unterstützung der Serviceagentur bis zum Frühsommer die konkreten Ziele und Maßnahmen für ihr Vorhaben. Diese Anfangsphase ist besonders spannend, für uns, aber auch für die Schulen. Was nehmen die Schulen sich vor? Wie sind sie dafür gerüstet? Welche guten Erfahrungen haben sie schon gemacht und was wollen sie von anderen lernen? Es ist immer wieder begeisternd zu erleben, wie die Schulen sich öffnen, sich aufeinander zubewegen und sich gegenseitig inspirieren. Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung plant und moderiert die gesamte Netzwerkarbeit. Wir sammeln die Ideen, suchen externe Referentinnen und Referenten, organisieren die Netzwerktreffen sowie die Auftakt- und Abschlussveranstaltung.
Online-Redaktion: Zu welchen Themenschwerpunkten haben sich die neuen sechs Netzwerke zusammengefunden und wie wird es weitergehen?
Wichmann: Es geht natürlich um ganztagsspezifische Themen, um Formen des individualisierten Lernens, um die Arbeit in multiprofessionellen Teams. Ein Netzwerk wird besonders unter dem Gesichtspunkt Inklusion arbeiten, ein anderes sieht auf die Übergänge und in einem weiteren geht es um die Konzepte der Ganztagsschule.
Online-Redaktion: Welche Erwartungen verbinden Sie im Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ mit dieser neuen bundesweiten Netzwerkrunde?
Wichmann: Zunächst einmal möchten wir erfolgreiche Entwicklungsprozesse bei den beteiligten Schulen anstoßen. Dann wollen wir die Entwicklung guter Beispiele, guter Lösungen und Wege für gute Ganztagsschulen bekanntmachen. Als Inspiration für all jene in den Ländern und vor Ort, die nicht dabei sein können. Für diesen Transfer ist es wichtig, dass die Serviceagenturen von Beginn an stellenweise mit dabei sind. Und damit zeigt sich erneut, wie fruchtbar länderübergreifende Zusammenarbeit trotz Föderalismus und heterogener Rahmenbedingungen ist. Das Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ belegt, wie groß der Nutzen aus dieser Zusammenarbeit von Bund und Ländern sein kann.
Kategorien: Ganztag vor Ort - Lernkultur und Unterrichtsentwicklung
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