Berlin: A – Z der inklusiven Ganztagsschule : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Der Fachtag „Gemeinsam auf dem Weg zur inklusiven Ganztagsschule“ der Berliner Serviceagentur „Ganztägig lernen“ mit den Schulnetzwerken GINKGO! und LiGa schritt das gesamte A – Z inklusiver Bildung aus.

Die Alte Börse in Berlin-Marzahn war gleich zwei Tage hintereinander Schauplatz regen Austausches und anregender Diskussionsbeiträge. Am 28. und 29. März luden die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Berlin und das Programm "LiGa – Lernen im Ganztag" zum Fachtag „Gemeinsam auf dem Weg zur inklusiven Ganztagsschule“ ein. Dabei handelte es sich eigentlich um zwei Fachtage unter einem thematischen Dach.

Alte Börse in Berlin-Marzahn
Alte Börse in Berlin-Marzahn © Redaktion www.ganztagsschulen.org

Am ersten Tag waren Grundschulen und Gemeinschaftsschulen aus dem GINKGO!-Netzwerk eingeladen. GINKGO! steht für „Ganztagsschule inklusiv gestalten & organisieren“. Die Serviceagentur arbeitet seit 2010 mit Schulen im Netzwerk zusammen. Das GINKGO!-Netzwerk besteht seit 2015 und umfasst 31 Schulen aller Schulformen aus ganz Berlin. In drei regionalen Verbünde arbeiten sie am Thema Inklusion. Darüber hinaus gibt es themen- wie schulformbezogene Treffen auf Landesebene wie in der Alten Börse.

Am zweiten Tag kamen Integrierte Sekundarschulen, Gemeinschaftsschulen und Ganztagsgymnasien des GINKGO!-Netzwerks und des Netzwerks „LiGa – Lernen im Ganztag“ zusammen. „Wir möchten die Synergien aus beiden Netzwerken nutzen“, beschrieb Daniela Wellner-Petsch von der Serviceagentur die Öffnung der Veranstaltung für die LiGa-Schulen. LiGa ist in diesem Schuljahr gestartet. In diesem Programm arbeiten Schulleitungen und Schulaufsicht eng zusammen, um Konzepte für individualisiertes Lernen im Ganztag passgenau für ihre jeweiligen Schulen zu unterstützen und umzusetzen.

„Inklusion betrifft alle Schülerinnen und Schüler“

Der Ablauf der beiden Veranstaltungstage variierte in der Organisation der Austauschgelegenheiten der Schulen. An beiden Tagen könnten die Teilnehmenden einen Vortrag „Gemeinsam auf dem Weg zur inklusiven Schule“ von Prof. Rolf Werning von der Universität Hannover hören. Der Professor für Sonderpädagogik, der 2015 das Buch „Herausforderung Inklusion in Schule und Unterricht“ veröffentlicht hat, erläuterte zu Beginn, dass Inklusion die Frage beinhalte, wie „sich eine Institution aufstellt, um Diskriminierung zu minimieren und soziale Teilhabe zu maximieren“.

Nach Ergebnissen des IQB-Ländervergleichs 2011 – IQB ist das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen der Länder, das regelmäßig die Schulleistungen in der Primarstufe anhand der Bildungsstandards testet – haben in Mathematik und Lesen die Viertklässler an inklusiven Grundschulen einen Lernvorsprung von einem halben Schuljahr gegenüber Schülerinnen und Schülern in Förderschulen erreicht. Eine andere Studie zur schulischen Integration von Kindern mit einer geistigen Behinderung aus der Schweiz zeige für die integrierten Kinder besonders Vorteile im Bereich der Sprache, was Werning mit der stimulierenden Lernumgebung erklärt.

Prof. Rolf Werning
Prof. Rolf Werning © Serviceagentur "Ganztägig lernen" Berlin

Viele Befunde aus nationalen und internationalen Studien dokumentierten auch, dass sich Kinder und Jugendliche mit Körperbehinderung im gemeinsamen Unterricht gleich oder besser entwickelten als jene, die eine Förderschule besuchten. Inklusive Pädagogik umfasse, so Werning, die Veränderung der Schulkultur durch die Entwicklungs- und Leistungsförderung sämtlicher Schülerinnen und Schüler: „Die mit dem Jakob-Muth-Preis ausgezeichneten inklusiven Schulen verfügen alle über ein Lernkonzept auch für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler“, so Werning.

„Kompositionseffekte“: Die richtige Mischung

Doch der erfolgreiche Umgang mit Heterogenität setzt Werning zufolge spezifische Bedingungen voraus. Insbesondere spielen sogenannte Kompositionseffekte eine Rolle, das heißt, die Zusammensetzung einer Klasse beeinflusst den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler. Die soziale Durchmischung erhöht die Bildungschancen für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf.

Als weitere Bedingung inklusiver Schulentwicklung nannte der Bildungsforscher den Aufbau kollegialer Kooperation von Lehrkräften untereinander und mit Erzieherinnen und Erziehern sowie Sozialpädagoginnen und -pädagogen. „Die Kooperation ist dann effektiv, wenn sie strukturell verankert ist, zum professionellen Selbstverständnis gehört, längerfristig angelegt ist und selbstkritisch reflektiert wird. Und vor allem muss der Unterricht gemeinsam geplant werden.“ Im inklusiven Unterricht müsse die Lehrkraft viel beobachten, ob eine Schülerin oder ein Schüler etwas verstanden hat oder nicht und dann darauf eingehen. „Adaptiv unterrichten“ heißt das in der Fachsprache und gilt für alle Schülerinnen und Schüler.

Schülerinnen und Schüler in der Maria-Montessori-Schule Halle (Saale)
© Britta Hüning

Am ersten Tag diskutierten im Anschluss an den Vortrag die rund 40 Teilnehmenden und bezogen das Gehörte auf ihren Arbeitsalltag. Der Sozialarbeiter der Heinrich-Seidel-Schule, einer sportbetonten Ganztagsgrundschule in Berlin-Mitte, Ortsteil Wedding, hatte Wernings Ausführungen zum „Kompositionseffekt“ mit besonderem Interesse gehört, denn darin sieht er an seiner Schule den ersten Stolperstein. Eine Sonderpädagogin von der Reinhardtswaldschule in Berlin-Kreuzberg konnte dies andersherum bestätigen: „Die Mischung in unseren Klassen stimmt, und die Sprache und das Lesevermögen der Schülerinnen und Schüler ist gut.“ Die Fachberaterin für den Ganztag der Siegerland-Grundschule in Berlin-Spandau griff die „interessante Idee“ von Rolf Werning auf, mit der Zusammensetzung der 1. Klassen zu Schuljahresbeginn zu warten und erst eine Kennenlern- und Beobachtungsphase vorzuschalten.

Die Aufgaben sind der Dreh- und Angelpunkt

Ein stellvertretender Schulleiter berichtete: „Es gibt auch Kolleginnen und Kollegen, die nur Interventionen durch Sonderpädagogen, aber keine Inklusion wollen. Ich bin aber davon abgegangen, die zu kritisieren, die nicht wollen, sondern unterstütze die, die wollen.“ Die Gemeinschaftsschule Campus Efeuweg in Berlin-Neukölln hat durch kreative Zeiteinteilung Teamstunden von Lehrkräften und Erzieherinnen verankert. Konflikte zwischen den Professionen hätten dadurch abgenommen. An der Fichtelgebirge-Grundschule in Berlin-Kreuzberg nehmen beide Professionen an gemeinsamen Fortbildungen teil.

Am Nachmittag des ersten Tages konnte einer von drei Workshops zu den Themen „Kooperative Förderplanung“, „Multiprofessionelle Zusammenarbeit“ und „Differenzierter Unterricht“ besucht werden. Zu letzterem Thema gab Ute Kühn, Lehrerin der Schule auf dem lichten Berg in Berlin-Lichtenberg, Auskunft: „Für inklusiven Unterricht sind differenzierte Aufgaben und Lernarrangements notwendig, die unterschiedliche Lernwege ermöglichen. Die Aufgaben sind der Dreh- und Angelpunkt!“

Fünf Buchstaben mit Lebensbezug

Als Methode, mit der sie die Schülerinnen und Schüler erreicht, stellte Ute Kühn die AEIOU-Methode (A=Argumentieren, E=Erkunden, I=Imaginieren, O=Ordnen, U=Urteilen) vor. Die Schülerinnen und Schüler nähern sich einem Gegenstand wie „Schulhofgestaltung“ mit unterschiedlichen Zugängen. Zu „A“ können sie beispielsweise Interviews in den Klassen führen, diskutieren und abstimmen. Zu „E“ können sie im Internet recherchieren, mit Fachpersonal wie Handwerkern sprechen und eine „Machbarkeitsstudie“ durchführen. Zu „I“ können sie ein Modell des Schulhofs bauen und eine Phantasie-Schulhof-Reise unternehmen nach dem Motto „Wenn Geld keine Rolle spielen würde…“.

Zu „O“ können sie schließlich in einem Ideenordner die Aufgaben zur Umsetzung sammeln und zu „U“ die Nutzung des Schulhofs beobachten und Vorher-Nachher-Vergleiche anstellen. „Hier ergibt sich oft ein Lebensbezug für die Kinder und soziales Lernen“, berichtete Ute Kühn. „Die Schülerinnen und Schüler sollten einmal an allen fünf Buchstaben mitgewirkt haben. Wenn man drei solche AEIOU-Projekte im Schuljahr schafft, ist das schon viel. Ich arbeite mit meinen Schülerinnen und Schüler zum Beispiel vertieft an einem Thema für drei Monate.“

„Yes, we can!“

Ginko AZ
© Redaktion www.ganztagsschulen.org

Den Abschluss des ersten Tags bildete das „A – Z der inklusiven Ganztagsschule“: Die Teilnehmenden gestalteten Plakate und ordneten den Buchstaben ihre Inhalte zu. Dort fanden sich dann etwa: C wie „Chaos“, D wie Demokratie, F wie „Förderplan“, Q wie „Qualitätsentwicklung“ oder W wie Wertschätzung. Unter dem Buchstaben Y stand schon ein selbstbewusstes und die Fachtage widerspiegelndes „Yes, we can!“

Am zweiten Tag fanden sich die rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der weiterführenden Schulen an Thementischen zusammen. Jeweils eine Ganztagsschule gab einen kurzen Impuls, beispielsweise zu Themen wie Zeitgestaltung, Gestaltung von Sprach-, Sprech- und Lernräumen. Am Nachmittag konnten dann Workshops zu den Bereichen „Pädagogische Diagnostik“ und „Beteiligungsstrukturen“ besucht werden.

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