Beratungsforum "Auf dem Weg zur guten Ganztagsschule" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Instrumente der Qualitätsentwicklung standen im Mittelpunkt des diesjährigen Beratungsforums "Auf dem Weg zur guten Ganztagsschule".

Prof. Uwe Schmidt, Prof. Ursula Bertram, Maren Wichmann und Wolf Schwarz beim Beratungsforums „Auf dem Weg zur guten Ganztagsschule“
(v.l.) Prof. Uwe Schmidt, Prof. Ursula Bertram, Maren Wichmann und Wolf Schwarz © Andi Weiland | DKJS

Kreativität. Non-lineares Denken. Diese Wörter zogen sich am 18. Mai 2017 wie ein roter Faden durch das zweite Beratungsforum „Auf dem Weg zur guten Ganztagsschule“, das die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) im Rahmen des Programms „Ganztägig bilden“ veranstaltete. 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer versammelten sich in der Neuen Mälzerei in Berlin, um sich über Qualitätsentwicklung und Qualitätsmerkmale einer Ganztagsschule auszutauschen – und das Spannungsfeld von Wissenschaft und Kunst.

„Es gibt Themen, über die wir nach über zehn Jahren Ganztagsschulentwicklung nicht mehr diskutieren müssen, weil sie inzwischen unstrittig sind“, erklärte Maren Wichmann, Leiterin des Programms „Ganztägig bilden“, zum Auftakt. „Dass die Kinder im Mittelpunkt stehen müssen zum Beispiel. Oder die Frage der Öffnung von Schule für Kooperationen.“ Was dagegen weiterhin geklärt werden müsse, seien die Umsetzung individualisierten Lernens und Multiprofessionalität unter dem Dach der Schule.

Erfinderwerkstatt in der Schule

Für Prof. Ursula Bertram vom Seminar für Kunst und Kunstwissenschaft an der TU Dortmund stellte sich die Frage nach dem Querdenken oder, wie sie es in ihrem Impulsreferat formulierte, „Wegdenken“ und Experimentieren, die das Denken und Umsetzen in der Schule ergänzen müssten. „Ich fordere nicht, dass die Schule auf den Kopf gestellt wird. Es würde schon reichen, wenn es einmal in der Woche eine 'Erfinderwerkstatt' in der Schule gäbe, in der es nicht um 'richtig oder falsch' geht, sondern die Kinder ihrem Einfallsreichtum freien Lauf lassen könnten und zu non-linearem Denken ermutigt würden.“ Hier könne die Kunst Impulse geben.

Wie eine Erfinderwerkstatt aussehen kann, wie „Ideen und Innovationen in geschlossenen Systemen entfacht werden könnten“, sollte Ursula Bertram dann im nachmittäglichen Workshop „Interdisziplinäre Experimente“ mit Teilnehmenden an praktischen Beispielen erarbeiten.

Angelika Wunsch  und Sabine Hüsemann moderieren einen Workshop
Workshop mit Angelika Wunsch (Serviceagentur Bremen) und Sabine Hüseman (Serviceagentur Berlin) © Andi Weiland | DKJS

Prof. Uwe Schmidt, Leiter des Zentrums für Qualitätssicherung und -entwicklung an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, wollte in seinem Impulsreferat und der anschließenden Diskussion mit Ursula Bertram dann allerdings Wissenschaft und Kreativität „gar nicht so im Gegensatz sehen“. Es gebe keine Wissenschaft ohne Kreativität und lineares Denken sei auch Voraussetzung für Kreativität, zum Beispiel in der Musik. Die richtige Balance zu finden, sei möglich und notwendig. „Qualitätsentwicklung lebt von Irritationen, von der Vernetzung mit anderen Akteuren“, so der Wissenschaftler.

Potenziale der Partizipation ausschöpfen

Welche hemmenden Faktoren auf dem Weg zur guten Ganztagsschule bestehen, diskutierten im Anschluss Birgit Schröder, Leiterin der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Nordrhein-Westfalen, Maike Schubert, Schulleiterin der Freiherr-vom-Stein-Schule Neumünster, Maren Wichmann und Wolf Schwarz vom Hessischen Kultusministerium. „Bei Veränderungen kann man nicht alle gleichzeitig abholen. Das ist schlicht der menschliche Faktor“, so Maike Schubert. „Man braucht eine Vision, die stimmig mit den handelnden Personen und aus der Unterschiedlichkeit der Perspektiven entwickelt wird. Es gibt keine zwei Schulen, die das Gleiche wollen.“

Für Birgit Schröder „funktioniert die multiprofessionelle Zusammenarbeit noch nicht so gut“. Partizipation müsse als Schlüssel für eine gute Ganztagsschule „in die Hand genommen werden“: „Da hinken wir hinterher und müssen die Gestaltungsspielräume besser nutzen.“ Auch Wolf Schwarz sah die Partizipation als wichtig an: „Die muss Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehrkräfte und Eltern einschließen. Das wird auch Irritationen und Kreativität auslösen, da gibt es ein großes Potenzial zu wecken.“ In Hessen sei aktuell die Frage nach Verbindlichkeit und zuverlässiger Organisation der Ganztagsschule einerseits sowie Flexibilität und Elternbedürfnissen andererseits die große Herausforderung. Eine weitere Frage sei: „Wie viel Digitalisierung wollen wir in der Schule zulassen?“

Am Nachmittag stiegen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in vier Salons und zwei Workshops vertieft in Themen wie „Qualitätskriterien und Qualitätsrahmen“, „Vielfalt und Bildungsgerechtigkeit“, „Verzahnung von Vor- und Nachmittag und die Zusammenarbeit mit Partnern“ sowie „Partizipation von Schülerinnen und Schülern“ ein.

Qualitätsentwicklung mittels Schulinspektion in Berlin

In den meisten Bundesländern gehören Schulinspektion, Schulfeedback und Selbstevaluation mit spezifischen Fragestellungen schon länger zu den Instrumenten schulischer Qualitätssicherung. Welchen Beitrag diese Evaluationen zur Qualitätsentwicklung der Ganztagsschulen leisten und welche Erfahrungen mit den verschiedenen Herangehensweisen gemacht werden, thematisierte der Salon „Evaluation im Ganztag“ mit drei Beispielen aus Berlin, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein.

Für Berlin stellte Margit Boekhoff die 2006 eingeführte Schulinspektion vor, als Baustein der Qualitätssicherung und Impulse für die Schulentwicklung. Online-Befragungen aller Personengruppen und Interviews mit allen Beteiligten auf der Basis des Berliner „Handlungsrahmens Schulqualität“ sind die Grundlage der Evaluation durch die Schulinspektion. Diese besteht aus 28 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sämtliche 700 Berliner Schulen im Turnus besuchen.

Inzwischen wurde auch das Qualitätsmerkmal „Ganztagsangebote“ ergänzend in den „Handlungsrahmen Schulqualität“ aufgenommen. „Ohne die Schulinspektion wären wir noch nicht so weit“, erklärte die Leiterin der Schulinspektion. „Durch die Berichte an die Schulen haben sich Dinge verändert. So gibt es jetzt beispielsweise neue Qualifizierungen für Schulleitungen und für Selbstevaluationen.“ Man könne feststellen, dass sich die Ergebnisse im Bereich des ganztägigen Lernens in den letzten sechs Jahren konstant verbessert hätten.

Uwe Schulz während eines Workshops
Austausch im Workshop mit Uwe Schulz vom Jugendministerium Nordrhein-Westfalen © Andi Weiland | DKJS

Qualitätsentwicklung ist in den Augen von Margit Boekhoff mehr eine Haltungs- denn eine Ressourcenfrage. „Die Akzeptanz unterschiedlicher Professionen gibt es noch nicht überall, es finden noch Grabenkämpfe statt. Und wenn Ganztagsschulen zunächst mit Projekten, Kooperationspartnern und Evaluationen beschäftigt sind, fassen sie den Unterricht ganz zuletzt an.“ Die Einsicht, am Unterricht etwas zu verändern, sei mitunter gering. Gegenseitige Hospitationen seien noch unterentwickelt. „Es macht Arbeit, das Bewusstsein in die Kollegien zu tragen, dass es noch unausgeschöpfte Potenziale und Aufgaben gibt. Die Frage der multiprofessionellen Zusammenarbeit ist wichtig. Wenn es da knirscht, merkt man das nach fünf Minuten“, hat Margit Boekhoff festgestellt.

QUIGS im Westen und Schulfeedback im Norden

Nordrhein-Westfalen arbeitet seit 2005 mit „QUIGS – Qualitätsentwicklung an Ganztagsschulen“, einem Instrument zur Selbstevaluation. Uwe Schulz, Referatsleiter „Ganztagsbildung“ im Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, erläuterte: „QUIGS formuliert keine Standards, sondern Aussagen zur Qualität und kann helfen, zu einer professionellen Schulentwicklung und zur Zusammenarbeit der Professionen beizutragen.“ QUIGS besteht aus Checklisten, die von Lehrkräften und außerschulischen Fachkräften gemeinsam ausgefüllt.

Helge Daugs, Schulrat in Lübeck, erläuterte das im Schuljahr 2015/2016 vom Ministerium für Schule und Berufsbildung Schleswig-Holstein eingeführte „Schulfeedback“. Dem für die Schulen freiwilligen dialogischen Verfahren liegt der „Orientierungsrahmen Schulqualität“ zu Grunde. Für ein bis zwei Tage kommen ausgebildete Evaluationsteams in die Schule und besuchen auch den Unterricht. Zum Abschluss des Verfahrens legt das Evaluationsteam einen Bericht vor. Diesem folgen eine umfangreiche Beratung und die Festlegung von Entwicklungszielen. „Das Schulfeedback und die Besuche werden als hilfreich wahrgenommen, denn die Schulentwicklung auf Basis freiwilliger Beratungen bringt eine umfassende schulische Kommunikation mit sich“, so Daugs.

Am Ende der austauschreichen Veranstaltung kündete Maren Wichmann noch einen Höhepunkt für das Jahr 2017 an: Am 26. und 27. September wird es im Rahmen des Programms „Ganztägig bilden“ einen bundesweiten Ganztagsschulkongress in Berlin geben.

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