„UmsetzBAR“ – Gebundener Ganztag im Saarland : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Schon der Titel zeigte an, was geboten wurde: Saarländische Ganztagsschulen stellten umsetzbare Ideen der Schulentwicklung vor und gaben einander neue Impulse. Ein Fachtag der besonderen Art in Saarbrücken.

Gebundener Ganztag im Saarland 2024
Gebundener Ganztag im Saarland 2024 © Stephan Lüke

„Der Bildungscampus Saarland ermöglicht eine intensive inhaltliche Vernetzung unterschiedlicher Aufgabenfelder und Themenbereiche und schafft wichtige Synergieeffekte“, verspricht die Homepage. Dass dies weit mehr als ein schönes Versprechen darstellt, erlebten im April 250 „richtig begeisterte“ Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fachtagung „„UmsetzBAR. Gebundener Ganztag 2024“ in Saarbrücken. Die Geburtsstunde der Fachtagungen liegt bereits einige Jahre zurück, doch Corona sorgte dafür, dass es eine längere Pause gab. Und um es vorweg zu nehmen: Was heraus kam und was an diesem Tag „UmsetzBAR“ war, faszinierte.

Getreu dem Motto der Veranstaltung tauchten die Gäste in die Ganztagskonzepte gebundener Ganztagsschulen ein, schauten darauf, wie und was dort umgesetzt worden ist und noch werden soll. Und stets standen nicht die möglichen Hemmnisse sperrig im Wege der Gespräche. Die Suche nach Lösungen dominierte und zog viele in ihren Bann. 36 unterschiedliche Modelle und Konzepte wurden präsentiert, stets mit der Möglichkeit, im Laufe des Tages an einen weiteren Tisch weiterzuwandern.

„Wir haben bewusst nicht ausreichend Stühle platziert. Wir wollten, dass unsere Gäste in Bewegung bleiben und sich auch mit Kolleginnen und Kollegen unterhalten, die sie ansonsten vielleicht gar nicht kennengelernt hätten“, berichtete Anette Becker. Lange hatte sie die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ im Saarland geleitet. Nun übt sie diese Funktion für den Fachbereich Grundsatzthemen in Schulen – Abteilung Fort und Weiterbildung am Bildungscampus Saarland aus.

Mutig neue gemeinsam

Zu jenen, die „UmsetzBAR“ mit entwickelt haben, zählt auch die heutige Staatssekretärin im Ministerium Bildung und Kultur des Saarlandes Jessica Heide. Als ehemalige Schulleiterin, zuletzt an der Grundschule Saarbrücken-Dellengarten, weiß sie um die Bedürfnisse der Basis. Insbesondere auch, was den Ganztag anbetrifft. „Ganztag ist Lehren und Lernen aus einer Hand und das multiprofessionell“, betonte sie und nannte noch einige wichtige Vorzüge: „Ganztag bedeutet verlässliche Beziehungsarbeit, Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit.“

Sie hob hervor, was Schulen dabei leisten. Der Ganztag sei eine große Herausforderung, etwa im Umgang mit der Heterogenität der Schülerinnen und Schüler, aber auch in der Arbeit der Kolleginnen und Kollegen als Team. „Der Weg dahin ist lang und mühsam“, weiß sie. Außerdem bedürfe es einer guten Portion Flexibilität, „denn manche Tage laufen anders, als man sie geplant hat“. Nur gemeinsam und mutig könne eine Schule den Ganztag voranbringen. Sie ermutigte alle, auch unkonventionelle Wege zu gehen: „Dafür sind wir im Ministerium offen.“

Zwei ausgezeichnete Schulen

Einer, der genau weiß, was Jessica Heide meint, ist Stefan Ruppaner, seit 2005 der Schulleiter der Alemannenschule Wutöschingen in Baden-Württemberg. Die Alemannenschule, die 2019 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurde, hat sich vor über zehn Jahren in manchen Belangen von der traditionellen Schule verabschiedet: Klassenzimmer, Schulbücher, ja klassische Unterrichtsstunden gehören der Vergangenheit an. Die Schülerinnen und Schüler lernen, begleitet von eigenen Lerncoaches, mehr oder weniger selbstständig.

Aula Lebach im Landkreis Saarlouis
Aula Lebach im Landkreis Saarlouis © Britta Hüning

Der Input der Lehrkräfte wurde inzwischen pro Unterrichtsfach auf eine Stunde pro Woche reduziert. „Aber da muss niemand hingehen“, erzählte der engagierte Schulleiter. Er ist überzeugt: „Wenn wir Kindern und Jugendlichen Zeit und Verantwortung geben, zu lernen, tun sie das auch.“ Die Ergebnisse von Vergleichsstudien bestätigen es. Stets übertreffen die Leistungsbilanzen der Schülerinnen und Schüler die anderer Schulen.

Einen anderen Weg geht die Ganztagsgrundschule Gau-Odernheim in Rheinland-Pfalz. Sie wurde 2013 mit dem Deutschen Schulpreis geehrt. Susanne Rammenzweig-Fendel, die damals die Schule leitete, stellte das Konzept vor und kündigte gleich an, dass sie trotz ihres Wechsels zum Team „Schulen der Zukunft“ im Pädagogischen Landesinstitut Rheinland-Pfalz immer noch von „unserer Schule“ spreche.
In der Grundschule Gau-Odernheim lernen rund 250 Grundschülerinnen und -schüler mit und ohne Beeinträchtigungen gemeinsam jahrgangsübergreifend in Lernhäusern. Sie arbeiten mit kompetenzorientierten Wochenplänen, die nach Aufgabenformat und Umfang variieren. Bücher und Arbeitsblätter werden kaum noch verwendet. Kinder erstellen ihre Materialien selbst. Vier Mal im Jahr entwickelt ein Klassenteam die Radio-Sendung „RotznasenRadio“, die dann live per Lautsprecher in der ganzen Schule zu hören ist. „Wer jetzt glaubt, die lernen hier nichts, täuscht sich. Wir haben einen hohen Leistungsanspruch, der weit über Mathe und Deutsch hinausgeht“, betonte Susanne Rammenzweig-Fendel.

„Leuchttürme“ als Impulsgeber

Das Herzstück der UmsetzBAR-Tagung bildeten die „Leuchttürme“ der saarländischen Ganztagsschulen, wie Jessica Heide die vorgestellten Ideen und Konzepte wertschätzend nannte. Wolfgang Scholer, der Leiter der Gemeinschaftsschule Bellevue in Saarbrücken, meinte dazu: „Ich möchte über den Tellerrand schauen, von anderen lernen und davon inspiriert werden, also neue Impulse für unsere Schulentwicklung mitzunehmen. Auch dann, wenn sie erst noch auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten werden müssen.“

Impulse versprach sich auch Sebastian Ecker. Der Lehrer ist als Koordinator an der Gemeinschaftsschule Neunkirchen-Stadtmitte tätig. Die Schule möchte 2025, wenn sie in ihre – derzeit durch Umbauarbeiten geschlossene – Heimat zurückkehrt, den teilgebundenen Ganztag mit neuem pädagogischem Konzept einführen. Schon jetzt ging man den ersten Schritt – die erste sowie die letzte tägliche Unterrichtsstunde wurden zu Zeitfenstern für freies Lernen umgewandelt. Ecker berichtete im Gespräch von den Herausforderungen auf dem Weg zum Ganztag, gerade wenn es um die Umgestaltung der Stundentafel geht. Schon zur „Halbzeit“ der Fachtagung resümierte er begeistert: „Hier kann ich wertvolle Ideen sammeln und Kontakte knüpfen.“

Ganztagsgrundschule mit „Freidays"
Ganztagsgrundschule mit „Freidays" © Ganztagsgrundschule Vogelsang Saarlouis

Die fand auch Schulleiter Clemens Wilhelm für die Ganztagsgemeinschaftsschule Neunkirchen. „Für uns ist das einerseits ein Schulterschluss derjenigen, die Schule anders machen wollen. Gleichzeitig dient uns manche Reaktion auf unser Konzept als Bestätigung unserer Arbeit“, betonte er. Zugleich hob er die Herausforderung hervor, die Veränderung auch bedeute: „Die Kunst ist, Standards zu entwickeln, dass eine neue Idee zum Konzept reifen kann.“ Mitgestaltungsmöglichkeiten sind aktuell ein Schwerpunkt der Entwicklungsarbeit. So erarbeit derzeit eine aus Schülerinnen und Schülern zusammengesetzte Steuerungsgruppe in Kooperation mit dem Bildungscampus ein Feedback-System für die Lehrkräfte in der Oberstufe.

Lernoase als Rückzugsraum

Alle 36 Leuchttürme waren eine „Besichtigung“ wert. Zwei seien erwähnt. Eva Moog-Quirin, Schulleiterin der gebundenen Ganztagsgrundschule Füllengarten, präsentierte gemeinsam mit der Sozialpädagogischen Leiterin Liliane Rosar-Ickler den Rückzugsraum „Lernoase“. Hier finden Kinder, die mit knurrendem Magen das Schulgebäude betreten, zunächst einmal ein Frühstück vor, bevor sie Gelegenheit erhalten, ihr Herz im Gespräch zu erleichtern. „Wenn Schülerinnen und Schüler etwas belastet, können sie nicht lernen“, weiß Liliane Rosar-Ickler.

Den gesamten Schultag über können sich Kinder in die Lernoase zurückziehen – auf eigenen Wunsch oder weil die Lehrkraft es für ratsam hält. Dort ist dann allerdings nicht nur Chillen angesagt. Auf einem „Schickzettel“ wird festgehalten, woran gearbeitet werden soll. In ruhiger Atmosphäre schaffen sie das Pensum häufig schneller als im Klassenraum. „Es ist besser, 30 Minuten mit Freude zu arbeiten und dann noch 15 Minuten etwas Schönes tun zu können, etwa zu spielen, als 45 Minuten lang bockig im Unterricht zu sitzen“, glaubt Eva Moog-Quirin. Der Erfolg gibt ihr Recht: „Früher sind die Kinder im Zweifelsfall weggelaufen, heute gehen sie in die Oase.“ Sogar Schülerinnen und Schüler, die bereits eine weiterführende Schule besuchen, suchen immer wieder einmal in der Oase Zuflucht.

Freiday am Mittwoch

Neue Impulse für die Schulentwicklung
Neue Impulse für die Schulentwicklung © Stephan Lüke

Auf ähnlich großes Interesse stieß das Konzept des „Freidays“ an der Ganztagsgrundschule Im Vogelsang aus Saarlouis. Am Freiday, der hier immer der Mittwoch ist, widmen sich die Schülerinnen und Schüler einen Tag lang Projekten ihrer Wahl. Der stellvertretende Schulleiter Ignazio Coniglio ist überzeugt, dass „wir den Kindern Verantwortung übergeben und das Vertrauen für eigenständiges Lernen entgegenbringen müssen – wenn wir Kinder wollen, die die Zukunft mitgestalten können.“ Der Projekttag ist seit acht Monaten fester Bestandteil des Stundenplans. Schon jetzt beobachten die Lehrkräfte, wie sich Kinder verändern und anders verhalten als bei der Arbeit im Klassenzimmer.

„Wir entdecken plötzlich ganz andere Seiten an ihnen“, berichtet Ignazio Coniglio. Die Themenpalette des Projekttages ist bunt: Sie reicht von Müllvermeidung über den Tierschutz bis zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Konsumverhalten. So hat eine Gruppe die Fundkiste unter die Lupe genommen, in die liegengebliebene Kleidungsstücke wandern. Ihren Wert taxierten die Schülerinnen und Schüler mit der Zeit auf mehrere Tausend Euro. Nun überlegen sie, die Jacken, Pullover und Blusen aufzuarbeiten und einen Verkauf oder eine Fair-Tausch-Aktion zu starten. Der stellvertretende Schulleiter weiß: „Dabei lernen die Kinder extrem viel – auch zu lesen und zu rechnen.“

Wie dieser faszinierten alle schulischen Leuchttürme mit ihren breitgefächerten Inhalten. Ob selbstgesteuertes Lernen, die kindgerechte Gestaltung des Mittagessens, kinder- und jugendlichengerechte Freizeiträume oder Formen und Möglichkeiten der Kommunikation im multiprofessionellen Team – neue Impulse für die Schulentwicklung konnten wirklich alle Teilnehmenden mitnehmen.

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