Online-Café Ganztag in Sachsen: „Der Hort im Ganztag“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

In Sachsen war wieder Zeit für ein Treffen im „Online-Café Ganztag“. Der Ganztagsschulverband lud zum Austausch über die Frage „Welche Rolle spielt der Hort im Ganztag?“ ein. Das Echo war wie immer sehr groß.

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© Staatsministerium für Kultus Freistaat Sachsen

Kaum hatte es sich Christoph Bülau, der Vorsitzende des sächsischen Ganztagsschulverbandes, vor seinem Mikrofon „gemütlich“ gemacht, da traten bereits zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnahmer dem „Online-Café Ganztag“ bei. Sie kamen nicht nur aus unterschiedlichsten Professionen und Einrichtungen in Sachsen, sondern das Interesse reichte deutlich über die Landesgrenzen Sachsens hinaus. Das Beratungs-, Informations- und Austauschformat bietet offensichtlich bundesweit interessante Fragestellungen. Dazu tragen sicher auch die in aller Kürze und vorgestellten Neuigkeiten aus der Welt des Ganztags bei.

So warf Bülau einen Blick voraus auf den Bundeskongress des Ganztagsschulverbandes, der in diesem Jahr Mitte November in Bremen stattfinden wird. Seine Empfehlung: „Melden Sie sich schnell an. Er ist schon zu zwei Dritteln ausgebucht.“ Auch die Hinweise zu interessanter Lektüre dürften über Sachsen hinaus wertvoll sein, wie zum Praxishandbuch „Qualität in Ganztag und Hort“ von Kornelia Schlaaf-Kirschner und Ulrike Schiefer, dem bereits in dritter Auflage erschienenen Sammelband „Qualität in Ganztag, Hort und Schulkindbetreuung“ von Manja Plehn oder „Hort und Ganztagsschule“ von Nprbert Neuß.

Das Kombimodell Grundschule–Hort

Wie facettenreich das für das Online-Café gewählte Thema ist, unterstrich Christoph Bülau in seiner Einführung. „Sachsen setzt in den Grundschulen auf das Kombimodell von Ganztag und Hort. Das hat Vorteile, etwa, dass hier überall Fachkräfte arbeiten“, betonte er. Die Fachkräfte kommen – wie überall bundesweit – jedoch aus zwei Systemen: der Schule und der Kinder- und Jugendhilfe. „Strukturell ist es schwierig, die Zuständigkeiten der unterschiedlichen Dienstherren zu vereinbaren. Wer bestimmt was?“

Unterschiedliche Berufslogiken und Arbeitszeitfenster, bis zu Diskrepanzen bei den Gehältern bedürften, so Bülau, einer positiven Grundhaltung zum Ganztag, um ein gemeinsames Miteinander bei der Umsetzung zu gewährleisten. Die Frage „Ist der Hort schon die Antwort auf den Rechtsanspruch auf Betreuung im Grundschulalter oder benötigt es etwas Anderes“ leitete er zu Dr. Andreas Wildgruber vom Bayerischen Staatsinstitut für Frühpädagogik und Sylvia Mihan von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung in Sachsen weiter. Sie hielten die Hauptreferate.

Anforderungen an die Struktur des Ganztags

Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler berücksichtigen
Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler berücksichtigen © Britta Hüning

Andreas Wildgruber machte gleich zu Beginn die Gemeinsamkeiten im Auftrag von Schule und Hort deutlich. So sehe der Auftrag der Schulen unter anderem vor, dass die Schülerinnen und Schüler lernen, selbstständig, eigenverantwortlich und in sozialer Gemeinschaft zu handeln. Er zitierte anschließend aus dem Auftrag der Horte: „Horte sollen die Entwicklung des Kindes zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit fördern.“

Er ergänzte den Vergleich durch den Bezug zu den Kinderrechten und schlussfolgerte: „Der Ganztag muss so strukturiert sein, dass sich das Kind bestmöglich einbringen kann.“ Die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler müssten sowohl von der Schule als auch von der Kinder- und Jugendhilfe in der gemeinsamen Gestaltung des Ganztags berücksichtigt werden. Wildgruber betonte anschließend „Nicht die Kinder müssen sich an die Betreuungsangebote anpassen, sondern umgekehrt.“

Auf welche Bedürfnisse zu achten ist, hätten zuletzt Bastian Walther und Iris Nentwig-Gesemann 2021 in ihrer Expertise „Ganztag aus der Perspektive von Kindern im Grundschulalter“ beschrieben: An vorderster Stelle stehen beispielsweise die Beteiligung und Mitsprache der Kinder, die Gestaltung einer positiven Peergroup, Rollenspiele (um ihre eigene Rolle auch in der Gruppe zu finden), die Möglichkeit, Grenzen auszutesten sowie Bewegung und Entspannung. „Und vor allem wollen sie draußen sein“, betonte der Wissenschaftler.

Der Umgang mit Hausaufgaben

Spannend waren Wildgrubers Hinweise zum Umgang mit Hausaufgaben. „Der Hort soll also die Bedürfnisse der Kinder berücksichtigen. Eines ihrer Bedürfnisse ist ganz klar: dass sie nach der nachmittäglichen Heimkehr nach Hause sich nicht noch an Hausaufgaben setzen müssen“, betonte der Referent. Dass Schülerinnen und Schüler auch im Hort nicht unbedingt „Hurra“ schreien, wenn es an die Hausaufgaben geht, war Referierenden und Teilnehmenden bewusst. Wildgruber schlug daher vor: „Experimentieren Sie mit den Kindern, wie Hausaufgaben gemacht werden.“

Insgesamt machte er deutlich, dass der Hort eine anspruchsvolle Aufgabe in der Kooperation mit der Schule übernehme: Er ist Lern- und Lebensort, dient der Erfahrungs- und Lebensweltorientierung und trägt durch das Zusammensein der Kinder am Nachmittag zu mehr Bildungsgerechtigkeit bei. „Das ist eine ganze Menge, wenn Horte das erreichen“, bilanzierte Wildgruber.

Vier wesentliche Punkte nannte er als Nutzen einer intensiven Kooperation zwischen Hort und Schule: Der Blick auf das Kind ist umfassender, weil mehr Professionen in unterschiedlichen Situationen auf das Kind blicken. Gegenüber den Erziehungsberechtigten können beide mit einer Stimme sprechen. Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf können intensiver gefördert werden. Hausaufgaben können besser begleitet werden.

Gemeinsam bildet

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© Staatsministerium für Kultus Freistaat Sachsen

Dass eine so beschriebene Kooperation durchaus eine Herausforderung darstellt, betonte anschließend auch Sylvia Mihan, Programmleiterin des DKJS-Programms „Gemeinsam bildet – Grundschule und Hort im Dialog“ in Sachsen. Sie illustrierte die unterschiedlichen Ausgangspositionen von Schulen, Kitas und Horten anhand der Corona-Zeit: „Da wurden von den unterschiedlichen Behörden an einem Tag Verordnungen herausgegeben, die extrem unterschiedlich ausfielen.“ In den Ganztagseinrichtungen durften die Handelnden jedoch selbst nach einem gemeinsamen Nenner und einer realitätsnahen Umsetzung suchen.

Zur immer noch existierenden „Hierarchie“ von Schule und Hort sagte Sylvia Mihan: „Auch in den Augen der Eltern hat die Schule Vorrang.“ Das liege ein Stück weit aber auch an den Horten: „Sie sollen und möchten ihr Bildungs- und Erziehungsverständnis vermitteln, haben aber mitunter selbst kein einheitliches Bild.“ Im Folgenden präsentierte sie drei Handlungsansätze für eine gelingende Kooperation:

Schule und Hort sollten sich Zeit nehmen für einen Perspektivwechsel, sich bemühen, den „anderen“ zu verstehen. Mihan: „Man ist schnell mit Vorwürfen bei der Hand. Vielleicht weniger, wenn man die andere Profession besser kennt und versteht.“ Viele Schulen richteten gemeinsame Arbeitsgruppen ein. „Doch wenn diese eingerichtet werden, müssen sie am Ende spürbare Erleichterungen bringen“, betonte sie. Als letzten, möglicherweise wichtigsten Erfolgsgarant benannte Sylvia Mihan: Durchhaltevermögen. Es sei einfach viel Zeit für die Kommunikation und einen gesicherten Informationsfluss erforderlich.

Gute Beispiele aus der Praxis

Aus der Praxis im Freistaat Sachsen kennt die Programmleiterin gelungene Beispiele der Zusammenarbeit aus verschiedener Grundschulen mit Ganztagsangeboten. Unter anderem nannte sie die Idee eines gemeinsamen Pausenraums für das Personal aus Hort- und Schule. Ein solcher gemeinsamer Raum ermöglicht den Austausch „zwischendurch“.

Spannend ist die Idee, Arbeitszeitmodelle über Bord zu werfen und sogenannte Tandemzeiten, in denen je eine Person aus Schule und Hort die Gruppe leitet, einzurichten. Ein weiteres Praxisbeispiel sind Checklisten für gemeinsame Elternabende und Entwicklungsgespräche. Sie erleichtern die gemeinsame Ansprache der Schülerinnen und Schüler ebenso wie der Eltern.

Angetan zeigte sich Sylvia Mihan auch von der Bereitschaft von Eltern, ihre Kinder zweimal pro Jahr jeweils zwei Stunden länger selbst zu betreuen, um die Weiterentwicklung der Kooperation des Personals zu unterstützen. Den späteren Unterrichtsbeginn beziehungsweise das frühere Hortende nutzen dann die in Schule und Hort Tätigen zu gemeinsamen „Dienstbesprechungen“.

Christoph Bülau
Christoph Bülau © Universität Leipzig / Sven Reichhold

Als Moderator Christoph Bülau abschließend die Frage aus dem Kreis der Teilnehmenden weitergab: „Wer von Schule und Hort muss sich denn auf wen zubewegen?“, schmunzelte Andreas Wildgruber: „Beide. Denn sie brauchen eine gemeinsame Vision und gemeinsame Ziele. Kooperation ist nun einmal anstrengend.“ Sylvia Mihan ergänzte gleich aus Erfahrung: „Nicht zu kooperieren ist noch anstrengender.“

Literaturempfehlungen:

Kornelia Schlaaf-Kirschner & Ulrike Schiefer (2022): Qualität in Ganztag und Hort. Das Praxishandbuch. Mülheim: Verlag an der Ruhr.

Manja Plehn (Hg.) (2023): Qualität in Ganztag, Hort und Schulkindbetreuung. 3. Ergänzte und überarbeitete Auflage. Freiburg: Herder.

Norbert Neuß (Hg.) (2017): Hort und Ganztagsschule. Grundlagen für den pädagogischen Alltag und die Ausbildung. Berlin: Cornelsen.

Bastian Walther & Iris Nentwig-Gesemann (2021): Ganztag aus der Perspektive von Kindern im Grundschulalter. Eine Rekonstruktion von Qualitätsbereichen und -dimensionen. Gütersloh: Bertelsmann.

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