Ganztags gut vernetzt in der Altmark : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

11 Sekundar- und Gemeinschaftsschulen in Sachsen-Anhalt bildeten für zwei Jahre ein Schulentwicklungsnetzwerk der Serviceagentur Ganztag. Auf dem Abschlusstreffen mit prominenter Beteiligung zogen sie Bilanz.

Schulentwicklungsnetzwerk Altmark
Schulentwicklungsnetzwerk Altmark © DKJS - Serviceagentur Ganztag

Ein Hauch von Wehmut lag in der Luft des kleinen Städtchens Arendsee in Sachsen-Anhalt,  als sich elf Ganztagsschulen zum Ausklang ihres Schulentwicklungsnetzwerkes trafen. Das Netzwerk bot den Teams aus Sekundar- und Gemeinschaftsschulen der Landkreise Altmarkkreis-Salzwedel  und Stendal in den vergangenen zwei Jahren die Möglichkeit, an verschiedenen Schulentwicklungsthemen zu arbeiten. Begleitet und moderiert wird das Netzwerk durch das Landesschulamt mit seinem schulfachlichen Referenten Dr. Sören Messerschmidt und die Teams der Programme „LiGa – Lernen im Ganztag“ und der Serviceagentur Ganztag der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS).

Seitdem hat sich das Netzwerk vier Mal in kompletter Runde in Präsenz getroffen, miteinander diskutiert, hospitiert, sich Impulse gegeben, Fachwissen ausgetauscht und wurde von Expertinnen und Experten unterstützt. Im Netzwerk gut beraten und begleitet, entwickelte jede Schule passende Konzepte, um den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen im Bildungssystem zu begegnen.

Vom gestärkten Selbstbewusstsein profitiert die Region

Heike Herrmann, die Schulleiterin der Ganztags- und Gemeinschaftsschule Lessing in Salzwedel, betonte: „Der Austausch untereinander, bei den Treffen, aber auch dazwischen, war extrem befruchtend. Diese Vernetzung darf nicht enden.“ Ulrike Krauße vom Programm LiGa und Mitarbeiterin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung weiß aus der Perspektive der Begleitung: „Schulentwicklung braucht Zeit und Raum zum Austausch sowie Impulse. Diese können von außen kommen, die Entwicklung selbst ist aber ein Prozess aus Schule heraus.“

Der engagierte Leiter der Serviceagentur Ganztag und auch Programmleiter der DKJS Michael Stage ist überzeugt: „Die große Stärke des Netzwerks lag in seiner Regionalität und einer anregenden, positiven Atmosphäre. Der Ideenreichtum und Handlungsmut, aber auch das Selbstbewusstsein der Schulteams und ihrer Schulen ist in diesen Jahren stetig größer geworden. Und davon profitiert letztlich die gesamte Region.“

Die Besonderheit des Schulentwicklungsnetzwerks zeigt sich auch darin, dass die Teilnehmenden für den Vertreter des Landesschulamts Dr. Sören Messerschmidt nur lobende Worte fanden. „Er ist so nah an uns Schulen dran und schaut stets, was möglich und was nicht möglich ist. Das gilt übrigens auch für die Serviceagentur und das LiGa-Team“, freute sich eine Lehrerin.

„Coole neue Modelle“

„Der Austausch war extrem befruchtend“
„Der Austausch war extrem befruchtend“ © DKJS - Serviceagentur Ganztag

Der Fachreferent selbst, der für die Schulaufsicht insgesamt 20 Sekundar- und Gemeinschaftsschulen begleitet, zeigte sich überzeugt, dass das Netzwerk „ein Ermöglichungsspielraum zur Weiterentwicklung“ ist: „Uns ging es nicht darum Kluges aufzuschreiben und den Schulen als Empfehlung zu überreichen. Wir wollten Schulen in Beziehung und eine Dynamik in die Altmark bringen.“

Viele der Netzwerkschulen hätten ihre Unterrichtskonzeption auf den Kopf gestellt und „coole neue Modelle entwickelt“, wie Messerschmidt meint. Sein Blick richtete sich aber auch in die Zukunft und bezeichnete es als seine Aufgabe, auch künftig Impulse zu setzen: „Denn die Schulen werden weiter externe Unterstützung wünschen und benötigen.“ Als eine Idee brachte er regelmäßige Schulentwicklungsgespräche zwischen Landesschulamt und Schulen ins Gespräch: „Natürlich auf freiwilliger Basis.“ Als ein klares Ziel des Landesschulamts, das er vertritt, nannte er die Weiterentwicklung zum Ganztag. „Meine Vision ist, dass der Begriff Ganztagsschule eines Tages ganz überflüssig wird. Schule sollte dann gleichbedeutend mit Ganztag sein“, hofft er.

Neue Wege suchen und finden

In sogenannten Fahrstuhl-Gesprächen ließen Netzwerkschulen die anderen an ihren Entwicklungsschritten der vergangenen Jahre teilhaben. Birgit Smirnow von der Sekundarschule Bismark und Grit Heese von der Sekundarschule „Geschwister Scholl“ Goldbeck, beide im Landkreis Stendal, erläuterten kurz die Einführung eines Online-Lerntages an ihren Schulen. „Online-Lerntag“ bedeutet, dass die Schülerinnen und Schüler nur vier Tage der Woche in der Schule verbringen. Am fünften Tag arbeiten sie daheim an individuellen Lernplänen. Sie sind in dieser Zeit mit der Schule „vernetzt“, chatten mit den Lehrkräften und spiegeln die Ergebnisse ihrer Arbeit anschließend in die Schule zurück.

Ramona Reck, die Schulleiterin der Goldbecker Sekundarschule, formulierte es so: „Wir müssen überlegen, wie wir neue Wege gehen und wie wir unsere Schule im ländlichen Raum gestalten.“ Eine Möglichkeit ist für sie auch die digitale Berufsorientierung, das heißt, die Vernetzung von Betrieben mit Schülerinnen und Schülern. Reck: „Darüber, wie das gelingen kann, führen wir gerade Gespräche.“ Die Schulleiterin machte zugleich deutlich, dass es ein wertvoller und doch anstrengender Weg sei, die manchmal unterschiedlichen Vorstellungen von Schulentwicklung im Team einer Schule zusammenzubringen.

Veränderung wertschätzend, transparent und sicher gestalten
Veränderung wertschätzend, transparent und sicher gestalten © DKJS - Serviceagentur Ganztag

Einen neuen Weg geht derzeit die Gemeinschaftsschule J.J. Winckelmann Seehausen im Landkreis Stendal mit der Einrichtung eines „Trainingsraums“. Den Raum, den ein pädagogischer Mitarbeiter leitet, besuchen Schülerinnen und Schüler, die den Unterricht „stören“. Lehrer Phillip Wisotzky ist überzeugt: „Hier bekommen die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit zu erläutern, warum sie gerade nicht in der Lage sind, dem Unterricht konzentriert zu folgen. Gemeinsam wird nach Lösungen gesucht. Das ist besser, als jemanden einfach vor die Tür zu schicken.“

Schulentwicklung braucht Aufgeschlossenheit

Um Teamentwicklung und den Umgang mit Wiederständen drehte sich der Vortrag von Rebecca Giersch aus Jena. Die Beraterin und ausgebildete Lehrerin begleitet unter anderem Organisationen, die Wege suchen, Lern-, Entwicklungs- und Veränderungsprozesse wertschätzend, transparent und sicher zu gestalten. In ihrem Impuls gab sie vier Bedingungen für gelungene Kooperationen an, darunter geklärte Beziehungen und Rollen, gemeinsame Interessen, Ziele und Positionen, die ,Abwesenheit` von Rivalität und Vertrauen sowie den guten Umgang mit verschiedenen Motivationstypen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten selbst einiges ausprobieren, beispielweise Methoden des „Teamchecks“ oder die Einnahme unterschiedlicher Rollen, um selbst zu erfahren, wie man sich als „Widerständler“ oder „Klagende“ fühlt und von anderen wahrgenommen wird. Jeder müsse akzeptieren, dass „mein Mehrwert bei einer Entwicklung nicht automatisch der Mehrwert des anderen ist“. Sie empfahl, bei Schulentwicklungsprozessen eine positive Haltung einzunehmen: „Es geht darum, wohin man kommen, nicht wovon man wegkommen möchte.“

Um den „Mehrwert“ geht es an der Ganztags- und Gemeinschaftsschule Lessing in Salzwedel. Schon einige Zeit betreute dort Deutsch und Techniklehrerin Nadine Jafke nebenher die Homepage der Schule. Als sie gebeten wurde, selbst auch einen Ganztagskurs anzubieten, strahlte sie angesichts der zusätzlichen Aufgabe und Belastung nicht vor Freude. Dann aber kam die rettende Idee: Die junge Lehrerin etablierte einen Kurs zur Homepage-Gestaltung. Eine Win-Win-Situation mit dem zusätzlichen Effekt der Partizipation von Schülerinnen und Schülern.

Kooperation mit Externen

Praktisch ging es bei diesem abschließenden Netzwerktreffen, das viele Elemente der Teambildung integrierte, wie etwa eine Schiffsfahrt auf dem Arendsee, am Nachmittag des ersten Tages weiter. In vier Gruppen diskutierten die Teilnehmenden über ihren jeweiligen Ist-Zustand und mögliche Schulentwicklungsziele. Begleitet wurden sie dabei von verschiedenen Expertinnen und Experten, angefangen von der Industrie- und Handelskammer, und der Kreishandwerkerschaft bis hin zu Freien Trägern der Jugendhilfe.

„Von der grünen Wiese zur vernetzten Bildungsregion“
„Von der grünen Wiese zur vernetzten Bildungsregion“ © DKJS - Mimi Hoang

Es ging um die Berufsorientierung, um außerschulische Lernorte, um den Einbezug externer Kooperationspartner und vor allem um die Beteiligungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler in all diesen Bereichen. Für Michael Stage, den Leiter der Serviceagentur Ganztag Sachsen-Anhalt, ist die Einbindung externer Kooperationspartner stets auch eine zusätzliche Möglichkeit der Vernetzung in der Region.

Als Aufgaben für die Zukunft nannten die Schulvertreterinnen und -vertreter etwa eine bessere Koordination und einen früheren Start der Berufsorientierung oder die Entwicklung einer „Landkarte“ mit potenziellen außerschulischen Lernorten. Ein solcher Lernort könnte beispielsweise der Wiederaufbau alter Bauernhöfe in der Altmark sein. Im engeren Sinne um das Lernen dreht sich das Ziel der Werte- und Kompetenzvermittlung unter Beteiligung der Schülerinnen und Schüler an der Unterrichtsgestaltung, die gleichwertig zur Vermittlung von Fachwissen sein soll.

Ein Bürgermeister spielt zum Abschied

Mit dem Benediktinerinnenkloster St. Marien in Arendsee hatten die Veranstalter einen altehrwürdigen Ort für ihren abschließenden „Bildungstalk“ gewählt. Schulleiterinnen und Schulleiter konnten dort Fragen an Bildungsstaatssekretär Jürgen Böhm, die Leiterin des Stendaler Schulverwaltungsamtes Dr. Ulrike Bergmann, den Bürgermeister René Schernikau von der Verbandsgemeinde Arneburg-Goldbeck und Dr. Sören Messerschmidt vom Landesschulamt richten. Auch vier Landtagsabgeordnete stellten sich der Diskussion.

Staatssekretär Jürgen Böhm, selbst ehemaliger Lehrer für Deutsch und Geschichte, äußerte im Gespräch mit unserer Redaktion die Hoffnung, dass die digitalen Möglichkeiten noch viel stärker als bisher zur Vernetzung für Entwicklungsprozesse genutzt werden: „Damit sollten wir in der Region beginnen.“ Den Nutzen des Ganztags sieht er „unabhängig von der Schulform und von der Gestaltung in offener oder gebundener Form“.

Als das engagierte Schulentwicklungsnetzwerk der beiden Landkreise sich vom Kloster Arendsee wieder auf den Weg zum eigentlichen Veranstaltungsort macht, begleitet es harmonische und besinnliche Musik. Unbemerkt hatte sich Arendsee’s Bürgermeister Norman Klebe an die Orgel aus dem 19. Jahrhundert gesetzt…

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