Bayerischer Ganztagskongress: Modelle der Zukunft : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

„Ganztag in Bayern: gestalten, begleiten, weiterentwickeln" lautete des Motto des bayerischen Ganztagskongresses. Es gilt für bestehende Ganztagsangebote ebenso wie für den künftigen Rechtsanspruch auf Ganztag für Grundschulkinder.

Plattform „Chance Ganztag"  in München
Plattform „Chance Ganztag" in München © ISB

Die bayerischen Ganztagskongresse zogen schon immer Schulleitungen, Lehrkräfte und weitere pädagogische Fachkräfte, aber auch Vertreterinnen und Vertreter der Bildungsverwaltung an, sich über den Stand der Ganztagsentwicklung im Land auszutauschen. Mit dem geplanten Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder gab es nun einen neuen Anlass. In Nürnberg lautete das Motto: „Ganztag in Bayern: gestalten, begleiten, weiterentwickeln“.

Das Referat Ganztag am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) hatte nicht zufällig diesmal mehrere Kooperationspartner ins Boot geholt: Das Staatsministerium für Unterricht und Kultus, das Staatsministerium für Arbeit, Familie und Soziales, das Institut für Frühpädagogik, die Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung Dillingen und schließlich die Regierungen der bayerischen Regierungsbezirke – sie alle sind an der Weiterentwicklung des Ganztags in Bayern beteiligt.

„Wir starten nicht bei Null“

Die Themenpalette des zweitägigen Ganztagskongresses war nicht nur entsprechend breit – sie sprach sowohl die Teilnehmenden vor Ort als auch jene an den Bildschirmen, die online zugeschaltet waren. Dass der qualitative Ausbau des Ganztags eine anspruchsvolle Aufgabe darstellt, unterstrich gleich zum Auftakt Ministerialdirigentin Christine Modesto, Leiterin der Abteilung IV für Realschulen und Grundsatzfragen im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus.

Mit Blick auf die bisherige Entwicklung und besonders auf den kommenden Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder freute sie sich: „Wir starten nicht bei Null.“ Sie bedankte sich ausdrücklich bei den bayerischen Kommunen für deren Bereitschaft, ihre Investitionen beim Ausbau der Ganztagsplätze zu erhöhen. Diese ist wohl auch dringend erforderlich. Denn Christine Modesto verriet: Prognosen gehen davon aus, dass die Zahl der Familien in Bayern, die ein Ganztagsangebot nutzen möchten, in den kommenden Jahren von 58 auf 80 Prozent steigen wird.

Umso wichtiger scheint Optimismus beim Angehen der kommenden Herausforderungen. Bevor es um Details des Rechtsanspruchs ging, begab sich Prof. Dr. Ulrike Lichtinger von der Universität Regensburg in ihrem Vortrag „Wohlbefinden im Ganztag“ auf die Reise durch die Welt einer positiven Bildung. Sie erinnerte daran, dass Schule vielfach noch zu defizitär orientiert sei und appellierte an die Teilnehmenden, „stärker das Positive zu erkennen“ – bei sich selbst, aber auch bei den Schülerinnen und Schülern.

Ein „Werkzeugkasten der Ganztagsangebote" zur Orientierung
Ein „Werkzeugkasten der Ganztagsangebote" zur Orientierung © Britta Hüning

Natürlich gehe es nicht darum, alles durch die rosarote Brille zu sehen, so die Schulentwicklungsforscherin, aber eine positive Grundeinstellung helfe, „durch schwierige Situationen zu kommen. Diese solle nicht an der Klassentür enden, „denn positive Emotionen sind die Grundlage fürs Lernen“. Für die Schulentwicklung empfahl Ulrike Lichtinger, den Weg kleiner Schritte zu gehen: „Dann gelingt sie eher.“

„Alle Angebote sollen erhalten bleiben“

Alexandra Brumann vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultur, und Nora van de Sand vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration stimmten die Teilnehmenden anschließend, moderiert von der Journalistin des Bayerischen Rundfunks Geli Schmaus, auf das ein, was in Bayern mit dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ausgelöst werden wird. Sie zeigten die Vielzahl der unterschiedlichen Ganztagsangebote auf und verdeutlichten, dass nicht alles, was der Rechtsanspruch mit sich bringt, in und von der Schule gestemmt werden müsse.

In einer gemeinsamen Schätzung gehen beide Ministerien von 130.000 Plätzen als Ausbauziel aus. Nora van de Sand: „Bei den Kommunen liegt es nun, festzustellen, was man hat und was man braucht.“ Dabei lautet die Prämisse der Landesregierung: „Alle bisherigen Angebote sollen erhalten bleiben.“ Den größeren Kommunen steht der sogenannte „Werkzeugkasten der Ganztagsangebote“ zur Orientierung über die in Bayern möglichen Modelle zur Verfügung.

Als attraktives Modell der Zukunft präsentierten die Referentinnen den „Bildungscampus“. Da wo es die räumliche Nähe ermögliche, könnten Schulen und Horte in einem solchen Campus „das Beste aus zwei Welten“ bündeln. Voraussetzung dafür seien die Bereitschaft beider Einrichtungen, sich konzeptionell und pädagogisch abzustimmen, sowie eine gemeinsame Raumnutzung. Bei den Offenen Ganztagsschulen bestehe der Bedarf zur Weiterentwicklung: Fünf Tage á acht Stunden wöchentlich und das elf Monate im Jahr müssten am Ende herauskommen. Für den gebundenen Ganztag wird derzeit ein fünfter voller, aber von den Eltern flexibel buchbarer Wochentag angestrebt.

„Werden Sie zu Schatzsuchenden!“

Die positive Sicht auf die Dinge, wie sie Ulrike Lichtinger dargestellt hatte, griff in ihrem Impulsvortrag „Chancen des Ganztags: Entlastung in Gemeinschaft“ Dr. Barbara E. Meyer von der Ludwig-Maximilians-Universität München auf. „Natürlich werden einige von Ihnen jetzt fragen, wie Sie jetzt auch noch den Rechtsanspruch umsetzen sollen“, vermutete sie mit Blick auf damit verbundene Belastungen. Entscheidend sei, dass diese gemeinsam getragen und bewältigt werden: „Überlegen Sie, wer welche Stärken ins Team einbringen kann.“

Austausch im Team
Austausch im Team © AWO Bezirksverband Niederbayer / Oberpfalz e.V.

Die Schulpädagogin ermutigte auch, sich selbst wie den Schülerinnen und Schülern bei der Schulentwicklung, aber auch im Unterricht Fehler und Irrtümer zuzugestehen. In der Fehlertoleranz sieht sie in Deutschland noch Nachholbedarf, wie sie mit Blick auf internationale Vergleiche betonte. Im Vergleich der Industrieländer liege Deutschland in der Fehlerkultur, das heißt, in der Fähigkeit, Fehler als Chance zum Lernen produktiv zu nutzen, auf dem vorletzten Platz. Das wirke sich auch in der Schulkultur aus.

Barbara E. Meyer erinnerte daran, dass der Ganztag keine reine Fortsetzung des Vormittagsprogramms sein könne. Das erhöhe den Anspruch und die Belastungen. Den Umgang damit gelte es zu trainieren. Dazu sei der Austausch mit allen im Ganztag Tätigen erforderlich und hilfreich, auch wenn es manchmal auf Grund der Arbeitsstrukturen „nur zu einem kurzen Gespräch in der Teeküche reicht“. Die Schülerinnen und Schüler nannte sie eine „Riesenressource“ und ermutigte: „Werden Sie zu Schatzsuchenden! Im Ganztag ist Zeit dafür.“

Der 5. Tag an der Grundschule Tegernheim

Ein wenig wie Schatzsuchende konnten sich die Teilnehmenden bereits während des Kongresses fühlen. Denn Einblicke in die praktische Umsetzung von Konzepten gewährten Besuche unterschiedlicher Ganztagsschulen mit zahlreichen Praxisworkshops vor Ort. Ergebnisse ihres täglichen Engagements im Unterricht und bei außerunterrichtlichen Aktivitäten präsentierten Schülerinnen und Schüler in Gesang und Theaterdarstellungen. Mancher Gast hätte sich wohl gewünscht, sich teilen und an mehreren Workshops teilnehmen zu können.

Etwa an dem von Karin Förster. Die Schulleiterin der Grundschule Tegernheim stellte vor, wie es ihrem Team gelungen ist, den fünften Tag in der OGTS umzusetzen und mit dem gebundenen Ganztag zu verknüpfen. Insgesamt fünf Klassen dieser dreizügigen Grundschule sind als gebundene Ganztagsklassen eingerichtet, rhythmisiert und mit einem Nachmittag für Arbeitsgemeinschaften organisiert. Den Offenen Ganztag mit der AWO bietet die Schule darüber hinaus an fünf Tagen der Woche bis 16 Uhr an.

Pauline-Thoma-Schule in Kolbermoor
Pauline-Thoma-Schule in Kolbermoor © Britta Hüning

Karin Förster unterstrich, dass Grund- und Mittelschulen in Bayern schon lange sowohl den offenen als auch den gebundenen Ganztag anbieten: „Wir haben den Auftrag, verschiedene Angebote so zu unterbreiten, sodass die Kinder Freude haben und ihre Eltern zufrieden sind.“ Fest etabliert sind für alle Jahrgänge Spielezeiten – für die Älteren vor dem Mittagessen, für die Jüngeren danach. Lehrkräfte, die zum Team dieser von 260 Schülerinnen und Schüler besuchten Schule gehören möchten, wissen: Mindestens an einem Nachmittag pro Woche arbeiten sie in der Schule.

Ein Beratungsleitfaden für alle

Beratungsrektorin Carolin Ernst vertritt die Schulaufsicht als Koordinatorin für Ganztagsangebote der Realschulen in Mittelfranken. Sie gehört einer Arbeitsgruppe des Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) an, die einen neuen Beratungsleitfaden zur Qualitätsentwicklung an Ganztagsschulen aller Schulformen konzipiert hat. Dieser dient als Impuls für die schulinterne Weiterentwicklung, aber auch als Grundlage für die Beratung der Schulen.

Carolin Ernst sieht einen besonderen Wert des Beratungsleitfadens darin, dass er die Schulen unterstützt, im multiprofessionellen Team den Kontakt und Austausch zu finden, sich einzelne Elemente herauszusuchen und den Umgang damit „Stück für Stück in kleinen Schritten zu optimieren“. Es gehe darum, den eigenen Schwerpunkt und das eigene Profil zu schärfen. „Denn“, so die Beratungsrektorin, „es gibt nicht das eine Konzept, das automatisch alle Schulen zu guten Ganztagsschulen macht.“

Besonders wertvoll für die Schulen dürfte Kapitel 3 des Leitfadens sein. Es beschreibt die unterschiedlichen Qualitätsbereiche, angefangen von der Rolle der Schulleitung über die Arbeit in multiprofessionellen Teams, die Partizipation der Schülerinnen und Schüler oder die Schulverpflegung bis zu konkreten Organisationsstruktur des Ganztags. Beispiele und Hinweise zur Vorgehensweise bei der Schulentwicklung runden den Beratungsleitfaden für die Umsetzung in der Praxis bestens ab.

Kreativ im multiprofessionellen Team

Den Ganztag gemeinsam weiterentwickeln
Den Ganztag gemeinsam weiterentwickeln © Britta Hüning

Ein Plädoyer für gemeinsame Anstrengungen im multiprofessionellen Team war auch der Impuls von Schulamtsdirektor a. D. Gerhard Koller, einem der frühen Initiatoren des Ganztags in Bayern. „Mit allen Beteiligten den Ganztag gemeinsam (weiter-) entwickeln“ hatte er sein Impulsreferat überschrieben und betonte, dass die Lehrkräfte heute eine stärker begleitende Rolle einnehmen. Das schließe auch den Austausch mit den Eltern ein.

„Mindestens ebenso wichtig ist es aber auch, die politisch Verantwortlichen ,mitzunehmen`, beispielsweise, wenn geplant sei, einen „Bildungscampus“ zu etablieren. Ein Bildungscampus, der Schule, Kita und Betreuung umfasst, erfordere zwingend eine Verabredung über die gemeinsame Nutzung von Räumen, bei der die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigt werden müssten. Und er fügte hinzu: „Aus Erfahrung weiß ich, dass dies alles häufig besser gelingt, wenn man sich eine externe Beratung dazuholt.“

Immer wieder hört Koller die Frage, woher denn die nötige Zeit für Neuerungen kommen solle. „Natürlich müssten für einen guten Ganztag beispielsweise Kooperationsstunden zum Arbeitsvertrag gehören“, sagt Koller. Wenn dem aber nicht so sei, heiße es, kreative Lösungen zu finden. Eine kreative und zudem zeitgemäße pädagogische Lösung sei, Schülerinnen und Schüler selbstständiger arbeiten zu lassen: „Das können sie, und für die multiprofessionellen Teams wird Zeit zum Gedankenaustausch gewonnen.“

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