Zweiter Kongresstag: Ganztag braucht Kooperation : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg, Stephan Lüke

Serviceagenturen und Kooperationspartner präsentierten sich mit Ganztagsschulen auf dem Kongress „Ganztägig bilden. Ideen für mehr!“. Was sind die Herausforderungen für die Zukunft?

Der Kongress „Ganztägig bilden. Ideen für mehr!“ am 17. und 18. September 2015 in Berlin bot auch Raum für die 16 regionalen Serviceagenturen und für Kooperationspartner, die in und mit Ganztagsschulen arbeiten. Sie waren am ersten Kongresstag von vielen Rednern als „Herzstück“ des Programms „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ bezeichnet worden.

Die Aufgaben der regionalen Serviceagenturen sind ebenso wie von den Ganztagsschulen nachgefragten Themen oft sehr ähnlich. Letztere reichen von Vertragsgestaltungen mit außerschulischen Partnern über die Organisation des Mittagessens bis zu den Aufgaben der Prozessbegleitung bei der Entwicklung einer neuen Lernkultur oder der Rhythmisierung. Jede Serviceagentur geht jedoch auch einen eigenen Weg, der die Besonderheiten im jeweiligen Land berücksichtigt und die spezifischen Bedürfnisse der Ganztagsschulen in der der Region aufgreift. Dazu kooperieren die Serviceagenturen mit ihren jeweiligen Landeseinrichtungen.

Professionelle Prozessbegleitung bei der Schulentwicklung

Für Anne-Katrin Jordan von der Serviceagentur Bremen stehen Beratung, Qualifizierung, Hospitationen und Vernetzung im Mittelpunkt. „Wir haben einen Kompetenz-Guide, eine Internet-Plattform, auf der verschiedene Ganztagsschulen vertreten sind. Er soll das Hospitieren erleichtern. Wer sich beispielsweise zu einem bestimmten Thema wie Inklusion informieren möchte, klickt dies an und erhält eine Liste von Schulen, die dazu etwas anbieten“, erläutert sie.

„Einige Schulen stellen sich Fragen wie: Wo stehen wir gerade? Wo wollen wir im kommenden Schuljahr hin? Dazu haben wir Fortbildungen mit multiprofessionellen Teams angeboten, die sehr gut funktioniert haben.“ Dabei arbeitet die Serviceagentur mit der Universität Bremen, der Fachschule für Sozialpädagogik und der Hochschule Bremen zusammen.

In Baden-Württemberg ist derzeit der Beratungsbedarf bei den vielen Grundschulen, die gerade nach dem neuen Schulgesetz zu Ganztagsschulen werden, enorm hoch, wie Martina Bäuerle von der Serviceagentur zu berichten weiß. Da gebe es viele spezifische Fragen nach der Finanzierung oder nach Kooperationsverträgen. Die Serviceagentur habe dazu Workshops organisiert, in denen sich künftige Ganztagsschulen gezielt auf die Antragstellung vorbereiten konnten.

Birgit Schröder und Herbert Boßhammer von der Serviceagentur Nordrhein-Westfalen berichten: „Ganztagsschulen brauchen eine professionelle Prozessbegleitung bei ihrer Schulentwicklung. Netzwerke wie unsere Herbstakademie geben da wertvolle Anstöße. Die vergangenen elf Jahre und das Ganztagsschulprogramm waren ein Quantensprung. Besonders wertvoll und wichtig ist bei uns das gewachsene erweiterte Bildungsverständnis durch die Arbeit in multiprofessionellen Teams.“

Ganz wesentlich für ist für Ute Krümmel von der Serviceagentur Ganztag in Brandenburg das Thema Kooperation. Die Serviceagentur bietet Fortbildungen im Tandem an: Lehrkräfte und Erzieherinnen beziehungsweise Schul- und Hortleitungen informieren sich gemeinsam zu verschiedenen Bereichen wie Lernkultur, Partizipation und Elternarbeit. „Die Tandems reflektieren gemeinsam den Entwicklungsprozess ihrer Schule. Anschließend entwickeln sie dann eigene Projekte, die sie wiederum in Folgeveranstaltungen vorstellen, reflektieren und weiterentwickeln“, erläutert Ute Krümmel das Fortbildungskonzept.

Netzwerk der Serviceagenturen

Die Serviceagenturen haben in der Vergangenheit immer wieder zusammengearbeitet: Sie organisierten länderübergreifende Hospitationsreisen, Kongresse und Netzwerke. Aktuell arbeiten zum Beispiel die Serviceagenturen in Berlin und Bremen zusammen: Sabine Hüseman von der Serviceagentur Bremen wird das in Berlin entwickelte Fortbildungsprogramm „IMMER AUF ACHSE – Gemeinsam im Schulentwicklungsprozess unterwegs“ im Oktober auch in der Hansestadt anbieten.

Jürgen Wrobel von der Serviceagentur Hessen lobt den „großen fachlichen Austausch im Netzwerk der Serviceagenturen“: „Man kann unterschiedliche Modelle, die ein gemeinsames Ziel verfolgen, kennenlernen, sich gegenseitig beraten und ganz praktische Tipps geben.“ Gut sei darüber hinaus die Möglichkeit, Schulen aus dem eigenen Bundesland in die überregionalen Netzwerke einzubringen: „Das haben die Schulen sehr genossen und dann hier in Hessen einen Erfahrungs- und Wissenstransfer in andere Ganztagsschulen geleistet.“

Von Beginn an dabei ist Jürgen Tramm von der Serviceagentur Rheinland-Pfalz. Deren Schwerpunkt war und ist die Partizipation. Die Serviceagentur hat dazu Schulnetzwerke gebildet. Im Netzwerk der Modellschulen für Partizipation und Demokratie tauschen sich zum Beispiel Lehrkräfte und pädagogische Partner aus. „Eine jüngere Entwicklung ist, dass wir verstärkt mit Schülerexperten arbeiten. Schülerinnen und Schüler werden zum Beispiel als Experten für den Klassenrat ausgebildet. Die gehen dann an andere Schulen, um ihr Wissen weiterzugeben“, berichtet Tramm. In den vergangenen zwei Jahren sei das Thema Inklusion wichtig geworden, zudem Tagungen für die Ganztagsschulen angeboten werden.

Kooperation macht Ganztagsschule

Immer breiter wird das Spektrum der Kooperationspartner im Ganztag. Einige präsentierten sich auf dem Kongress mit Ausstellungsständen und Beratungsangeboten. Zu den ersten Adressen gehört seit Beginn des Programms die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) mit ihrem bundesweiten Programm „Kultur macht Schule“. Michael Heber leitet den „Kompetenzkurs Kultur – Bildung – Kooperation“ und berichtet: „Die Kernfrage ist: Wie können Partner aus der kulturellen Bildung gut mit und in Schulen kooperieren?“ Die BKJ entwickelt und erprobt derzeit mit der Universität Oldenburg eine Weiterbildung für Kunst- und Kulturschaffende, die in Schulen arbeiten. „Schulen sind auf die Zusammenarbeit unterschiedlich vorbereitet. Ganz vieles, und das ist auch hier auf dem Kongress zu spüren, hängt von Persönlichkeiten und Netzwerken ab“, meint Heber.

Speisekarte mit Snacks
...und bot dort ganz besondere Snacks feil © www.ganztagsschulen.org

Melanie Berg von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung steht stellvertretend für das Bundesernährungsministerium am Ausstellertisch von „IN FORM - Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“. Im Rahmen von IN FORM wurden in allen Ländern die Vernetzungsstellen Schulverpflegung eingerichtet, deren Handlungsempfehlungen zur Kita- und Schulverpflegung sie hier vorstellt. Auch die zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung entwickelten Qualitätsstandards für die Schulverpflegung werden gut angenommen. „Die Schulen fragen nach, wie sie gesunde Ernährung integrieren können“, erzählt die Ernährungswissenschaftlerin. Zum Angebot für Schulen gehören auch der aid-Ernährungsführerschein für Grundschulkinder und das „SchmExperten“-Projekt für Schülerinnen und Schüler der 5. und 6. Klassen, mit dem Ziel, Ernährungsbildung in den Unterricht zu tragen.

Die Ziele der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik (DeGeDe) erläutert Anna Lilja Edelstein. Die DeGeDe setzt sich dafür ein, mehr Partizipation in der Schule zu wagen. Als Beispiel nennt sie die Klassenrats-Initiative in Berlin und Brandenburg. „Dazu gehören Trainings mit Schülerinnen und Schülern, aber auch mit Pädagoginnen und Pädagogen, die darauf vorbereiten, einen Klassenrat einzuführen.“ Auch kommunale Partizipation ist ein Thema. So wird es in Sachsen eine „BeteiligungsWerkstatt“ geben, in der Kriterien für jugendgerechte Kommunen entwickelt werden.

Beteiligung: A und O in Ganztagsschulen

Das SV Bildungswerk ist auf dem Kongress nicht nur mit einem Stand vertreten. Aktiv vertreten Lukas Wolf, Justin Gentzer und Sorina Lungu, die im SV Bildungswerk regelmäßig Schülerinnen und Schüler, Kollegien und Eltern fortbilden, die Schülerbeteiligung in zwei Workshops zur Inklusion und zur Feedback-Kultur. „Ich finde bemerkenswert, dass hier vielen der Begriff SV für Schülervertretung gar nicht bekannt ist, obwohl er doch ein Kern der Schule sein sollte“, erzählt Justin Gentzer. SV-Coaching an Schulen ist „nicht nur ein Workshop, und das war's dann. Sondern wir versuchen langfristig über ein Halbjahr die Schülervertretung zu betreuen. Für Nachfragen hat die Schule dann Ansprechpartner bei uns.“ Das Projekt läuft aktuell an sieben Berliner Schulen.

Im Workshop „Inklusion“, den Lukas Wolf und Sorina Lungu leiten, gibt es ein Rollenspiel, das sinnfällig macht, wie defizitorientiert unsere Sichtweisen oft sind. Ob es um die Ausstattung und Finanzen, um Ängste vor dem Neuen oder Fremden, um Vorurteile und Klischees, unreflektierte Sprache oder einfach mangelndes Wissen geht. „Inklusion kann gelingen, wenn wir die Potenziale eines Menschen, seine Bedürfnisse und Fähigkeiten wahrnehmen “, lautete eine Schlussfolgerung. „Fangt an, macht es nicht zu kompliziert und nutzt die noch nicht perfekten Rahmenbedingungen nicht als Argument gegen Inklusion.“

Der „großartige Austausch“ muss weitergehen

Im Abschlussgespräch des Programmbeirats „Ganztägig lernen“ erinnerte Lukas Wolf dann auch an die Flüchtlinge, die in Deutschland eintreffen: „Die Ganztagsschule ist eine Chance, die vielen jungen Menschen gut in die Schulgemeinschaft zu integrieren und voneinander zu lernen.“ Für Inge Grothus vom Landesinstitut für Schule in Bremen gilt es, „in der Unterrichtsentwicklung den Qualitätsvorsprung einer Ganztagsschule zu zeigen und weiter daran zu arbeiten“. Berufsorientierung und selbstbestimmtes Lernen in der Demokratie seien auch wichtig, um das Armutsrisiko zu senken.

Prof. Dr. Karsten Speck von der Universität Oldenburg sah die Kooperation auf allen Ebenen als Herausforderung. Es brauche Unterstützungsstrukturen, Fortbildung und Beratung, wie sie auf Länderebene durch die Serviceagenturen angeboten werden. Und: „In der Lehrerausbildung sollte das Thema Ganztagsschule eine größere Rolle spielen. “ Wolf Schwarz vom Hessischen Kultusministerium fasste zusammen: „Ganztagsschule wird nur gelingen, wenn wir einen Vierklang haben aus Lehrerbildung, Qualitätsentwicklung, individueller Förderung und Schülerpartizipation. Diese Schwerpunkte müssen wir unbedingt in der Neuauflage des Programms berücksichtigen.“

Carsten Haack, Schulleiter der Theodor-Storm-Schule in Kiel, bilanzierte schließlich, wie der Schritt zur Ganztagsschule eine Schule verändern kann: „Unser Schulleitungsteam hat zur Vorbereitung des Kongresses in 23 Thesen zusammengetragen, was sich mit der offenen Ganztagsschule in acht Jahren verändert, unsere Schule sozusagen positiv auf den Kopf gestellt hat. Die größte Herausforderung ist jetzt, uns nicht auf dem Erreichten auszuruhen. Wir sollten uns hinterfragen und weiter engagierte Netzwerkverbindungen knüpfen.“ Der „großartige Austausch“, den das Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ bundesweit ermöglicht habe, müsse weitergehen.

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