Tradition der Ganztagsbildung: Kirchliche Ganztagsschulen in Bayern : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Sie verstehen sich als „Orte umfassender Bildung, in denen sich die Schülerinnen und Schüler gut aufgehoben fühlen“. Der Kongress „Kirchliche Ganztagsschulen in Bayern“ in Furth konnte sich im Maristen-Gymnasium davon überzeugen.

Schülerinnen und Schüler vor einer Tafel mit der Aufschrift "Ganztagsschule - Zeit für mehr"
„Wesentliche Säule der modernen Schule“ © Maristen-Gymnasium Furth

„Im Sommer vergangenes Jahr habe ich realisiert, dass unser erster Jahrgang aus dem gebundenen Ganztag im Mai 2019 Abitur macht“, erzählt Christoph Müller, Schulleiter des Maristen-Gymnasiums Furth. „Das ist für mich der Zeitpunkt gewesen, um mal innezuhalten, mir Gedanken zu machen, was wir gut hinbekommen haben und was wir hätten besser machen können.“ Diese Gedanken habe er sich dann nicht alleine machen wollen. Die Idee eines Kongresses „Kirchliche Ganztagsschulen in Bayern“ war geboren.

Am 29. März 2019 nun konnte Müller in der vollbesetzten Aula des Maristen-Gymnasiums erfreut mitteilen, dass „wir es geschafft haben, die katholische Ganztagswelt nach Furth zu holen“. Rund 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren der Einladung des Katholischen Schulwerks in Bayern, das den Kongress federführend plante und organisierte, der Schule, der Diözese Regensburg und der Schulaufsicht Niederbayern gefolgt, sich einen Tag lang vor Ort auszutauschen. Dass zeitgleich am Nachmittag der Tag der offenen Tür des Maristen-Gymnasiums stattfand, sorgte für eine Mischung aus Kongressteilnehmern, Schülerinnen und Schülern mit ihren Präsentationen aus dem Schulleben und interessierten Eltern in den Gängen und Räumlichkeiten. Das Schulleben war so aus verschiedenen Perspektiven greifbar zu erleben.

Da geht noch mehr!

„Die Ganztagsschule ist eine wesentliche Säule der modernen und weltoffenen Schule am Maristen-Gymnasium“, begrüßte der Schulleiter das Plenum. Seine Stellvertreterin Friederike Albiez erzählte aus der Schulhistorie: „Alles begann mit einem seit zwei Jahrzehnten gut funktionierenden Tagesheim, das dann zur offenen Ganztagsschule wurde. Aber wir fanden: Da geht noch mehr! Mehr Förderung und mehr Lernen. Wir wollten die Schülerinnen und Schüler ins Zentrum rücken und das Schulleben über den Unterricht hinaus bereichern.“

Als 2009 die Rahmenrichtlinien des Bayerischen Kultusministeriums für den gebundenen Ganztag herauskamen, sei das die Antwort auf die Frage gewesen, wie man das am besten bewerkstelligen könne. Im Schuljahr 2011/2012 startete der gebundene Ganztag im 5. Jahrgang. „Es hat damals auch Widerstände im Kollegium gegeben“, berichtete Friederike Albiez. „Aber als die Entscheidung gefallen war, haben die Lehrkräfte die Ganztagsschule zu ihrer Schule gemacht. Ohne ein engagiertes Kollegium ist die beste Ganztagsschule nichts wert, und ich bin immer noch begeistert über das, was wir gemeinsam erreicht haben.“

Friederike Albiez während ihres Vortrags
Friederike Albiez: Alles begann mit dem gut funktionierenden Tagesheim. © Matthias Spannrad / Maristen-Gymnasium Furth

Auf den heute durchgängig gebundenen Ganztag von Klasse 5 bis 10 ist auch Schulleiter Christoph Müller stolz: „Teilweise kommen Schüler sogar aus dem Landkreis Freising zu uns, wofür wir eine extra Buslinie eingerichtet haben.“ Von den 600 Schülerinnen und Schülern in den Klassen 5 bis 10 lernen 320 im gebundenen Ganztag, an vier Wochentagen von 8 bis 16 Uhr, freitags etwas kürzer. Daneben besteht weiterhin die offene Ganztagsschule. Insgesamt besuchen 1.600 Schülerinnen und Schüler das Gymnasium.

Verwirklichen konnte das Maristen-Gymnasium die Rhythmisierung des Ganztags mit Phasen der Entspannung, sportlichen und musischen Aktivitäten. Zu den Angeboten gehören unter anderem der Schulgarten, aber auch Golf oder die sogenannten Projekt-Klassen wie die Bläserklasse oder die Theater-Klasse. „Die Kinder und Jugendlichen brauchen auch nondigitale Inhalte“, findet Schulleiter Müller. Morgenkreis, Klassenrat und Lernbüro sind fester Bestandteil des Tagesablaufs.

Ganztagsschulen als „Orte umfassender Bildung“

Bern Sibler am Rednerpult
Staatsminister Bernd Sibler: „Machen Sie die Schultore auf!“ © Matthias Spannrad / Maristen-Gymnasium Furth

Acht Jahre seit Einführung des gebundenen Ganztags am Maristen-Gymnasium sind ein überschaubarer Zeitraum. In den Grußworten zum Kongress erinnerten mehrere Redner indes daran, wie weit viele Schulen Anfang des Jahrtausends noch von der Ganztagsschule entfernt gewesen sind. Der ehemalige Kultusminister und jetzige Staatsminister für Wissenschaft und Kunst Bernd Sibler erinnerte daran, wie noch vor rund 15 Jahren die Ganztagsschule manchen wie „sozialistisches Teufelszeug“ erschien.

Der Staatsminister bilanzierte in seiner Begrüßungsrede: „Über 80 Prozent der Schulen in Bayern bieten heute ganztägige Angebote in unterschiedlichen Formen. Wenn man auf die individuellen Bedürfnisse der Familien eingehen will, wird es halt vielfältig. Strukturen sind das eine. Viel wichtiger ist aber das Zusammensein von Pädagogen und Schülerinnen und Schüler über den ganzen Tag, das von gegenseitigem Respekt, Geduld, Toleranz und Rücksichtnahme geprägt sein sollte.“ Dem Publikum gab er den Rat: „Machen Sie die Schultore auf, lassen Sie Partner rein und holen außerschulische Lernorte in die Schule!“

Auch Domdekan Johann Neumüller, Direktor der Schulstiftung der Diözese Regensburg, merkte an, dass Ganztagsschulen inzwischen „gang und gäbe“ seien: „Ganztagsschulen sind Orte umfassender Bildung, in denen sich die Schülerinnen und Schüler gut aufgehoben fühlen. Es ist aber sehr unterschiedlich, was sich hinter den Türen der Ganztagsschulen organisatorisch verbirgt. Diese organisatorischen Fragen sollten aber in den Hintergrund treten gegenüber den Überlegungen, was eigentlich den Kindern gut tut.“

Austausch zu allen Facetten

„Die Qualität ins Zentrum rücken“ war denn auch der Vortrag von Prof. Klaus Zierer von der Universität Augsburg überschrieben. Er betonte, dass sich das Kollegium verständigen müsse, welche Vision es von seiner Schule hat. „Ausgangspunkt der Pädagogik muss der Lernende und sein Bildungserfolg sein.“ Und mit Blick auf den Unterricht: „Die Methode allein macht noch keinen guten Unterricht. Wichtig ist, die Lernziele für die Schülerinnen und Schüler transparent zu machen und als Lehrkraft Glaubwürdigkeit und Klarheit auszustrahlen.“

Anselm Räde am Rednerpult
Anselm Räde für Niederbayern: „Die Zahlen belegen den Bedarf“ © Matthias Spannrad / Maristen-Gymnasium Furth

Dass die kirchlichen Schulen „einen ganz entscheidenden Beitrag zur Ganztagsschule leisten“, legte Anselm Räde, der Ministerialbeauftragte für die Gymnasien in Niederbayern, dar: „Bei uns in Niederbayern sind die drei kirchlichen Gymnasien für 82 Prozent der am Ganztag teilnehmenden Schüler verantwortlich, nur das staatliche Gymnasium in Straubing leistet sozusagen Paroli. Die Zahlen belegen eindeutig den Bedarf an der Ganztagsschule.“

Den Austausch ermöglichten am Kongressnachmittag der „Marktplatz der Ganztagsschulen“, rund zehn Workshops und ein Rundgang durch das Schulgebäude. Auf dem „Marktplatz“ präsentierten sich fünf weitere Ganztagsschulen: die Maria-Ward-Realschule Schrobenhausen, die Mittelschule Oberroning, das Ursulinen-Gymnasium Straubing, die Knabenrealschule Rebdorf und die Maria-Ward-Schule Würzburg. Die Workshops widmeten sich allen „Facetten“ des Ganztags: von der Rhythmisierung des Tagesablaufs über den „Klassenrat“ bis zu den Besonderheiten des Unterrichtens im Ganztag. Das Schulgebäude des Maristen-Gymnasiums mit seinen Differenzierungsräumen für jedes Klassenzimmer, der multimedialen Ausstattung, den Lehrerarbeitsplätzen samt Küchenzeile fanden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Rundgangs beeindruckend: „Suchen Sie vielleicht noch Leute?“, fragte eine Lehrerin lachend.

Lange Tradition des gebundenen Ganztags

„Überall, wo in Bayern Ganztagsschule draufsteht, ist ganz viel Niederalteich drin“, hatte Bernd Sibler einmal auf einer Fachtagung des Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung gesagt. Und so war das St.-Gotthard-Gymnasium Niederalteich, das bereits seit 1968 mit seinem Tagesheim gebundene Ganztagsschule ist und auf eine eindrucksvolle Reformgeschichte zurückblickt, natürlich auch auf dem Kongress mit einem Workshop vertreten. Stephan Kokott, Lehrer für Englisch und Geographie und Mitglied der Schulentwicklungsgruppe, stellte das „Niederalteicher Modell“ vor.

„Für jedes Talent wollen wir ein entsprechendes Angebot machen“ so Kokott. „In Freiarbeitsphasen erledigen die Schülerinnen und Schüler Aufgaben und bereiten sich auf den kommenden Unterricht vor. Das geschieht für 20 Minuten in Stillarbeit, danach in Einzel- oder Gruppenarbeit, die von einer Lehrkraft begleitet wird. In Intensivierungsstunden fördern wir wiederum gezielt Schülerinnen und Schüler in flexibel eingeteilten Gruppen, die nach Absprache des Lehrerteams zusammengestellt werden. Wer Probleme hat, spricht mit dem Fachlehrer oder der Fachlehrerin. Die Aufgaben können dann angepasst werden.“

Wand mit Infos zum gebundenen Ganztag im Maristen-Gymnasium Furth
Zeitgleich zum Kongress: Tag der offenen Tür des Maristen-Gymnasiums © Matthias Spannrad / Maristen-Gymnasium Furth

Außerdem stellten die Mittelschule Oberroning und das Ursulinen-Gymnasium Straubing ihre Ganztagsmodelle vor. Die Mittelschule Oberroning arbeitet laut Sabine Röhrl wie viele katholische Schulen nach dem „Marchtaler Plan", einem reformpädagogischen Bildungs- und Erziehungskonzept. Für sie ist die – verpflichtende – Ganztagsschule daher auch „ein Kernstück des Konzepts der Schule“. Der bis 16:00 Uhr rhythmisierte Schultag reicht vom Morgenkreis über Fachunterricht und freie Stillarbeit bis zum Mittagessen und den Arbeitsgemeinschaften.

Auf fast 50 Jahre Erfahrung im gebundenen Ganztag kann das Ursulinen-Gymnasium verweisen, wie Ursula Holzapfel darstellte. Auch hier ist der Schultag rhythmisiert. Die Schülerinnen der Klassen 5 bis 9 erledigen die „Hausaufgaben“ in sogenannten Arbeitsstunden, begleitet von Fachlehrern und weiteren pädagogischen Fachkräften. Es gibt „Intensivierungsstunden“, Neigungsgruppen und Wahlunterricht, in denen die Schülerinnen ihre Talente entdecken und entfalten können. Zusätzlich gibt es seit 2011 das Angebot der offenen Ganztagsschule (OGS) für Schülerinnen der 5. bis 10. Klassen – bis längstens 17 Uhr – mit einer „Lernzeit“ für die Hausaufgaben. Träger der OGS ist das Kloster der Ursulinen.

Die vielen guten Beispiele wurden während des Kongresses eifrig diskutiert. Konzepte wurden ausgetauscht, und viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer fuhren mit neuen Anregungen zurück in ihre Schulen. Christina Gabelsberger, Referentin für Fortbildungen beim Katholischen Schulwerk in Bayern, resümierte: „Es ist bereichernd, so viele Beispiele zu sehen und sich so austauschen zu können.“ Schulleiter Christoph Müller zog ebenfalls ein positives Fazit: „Wir haben heute wieder wunderbar gesehen, über welch tolles Netzwerk die bayerischen Schulen in kirchlicher Trägerschaft verfügen. Dieses Potenzial müssen wir nutzen, und genau dafür sind solche Kongresse so wichtig.“

 

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