Seitenstark: Digital und analog durch den Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Als bestens gefüllte Fundgrube voller Anregungen für den kreativen und handlungsorientierten Einsatz guter digitaler Medien in Unterricht und Ganztag erwies sich der länderübergreifende Seitenstark-Medientag 2021.

Grundschullehrerin Verena Knoblauch blieb es in ihrer Keynote „Wer wischt, der denkt nicht? – Starke Kinder in einer Kultur der Digitalität“ vorbehalten, zwei Gedanken zu formulieren, die sich wie ein roter Faden durch die Online-Fortbildung zogen. „Die Zeit des Distanzunterrichts hat uns Chancen der Digitalisierung vor Augen geführt, nicht nur zur Krisenbewältigung, sondern auch für eine neue Form des Unterrichts“, sagte die medienpädagogische Beraterin für Grund- und Mittelschulen in Bayern, die selbst Lehrerin an der Friedrich-Staedtler-Grundschule Nürnberg ist.

Und: „Es geht nicht darum, alles Analoge zu streichen. Es geht darum, beides sinnvoll zu verbinden.“ Letzteres machte sie an einem Beispiel deutlich: Wenn es im Unterricht um das Thema Wald gehe, wäre es fatal, nicht mehr in den Wald zu gehen, die Rinde der Bäume anzufassen, ihre Blätter anzuschauen. Aber im Klassenzimmer könne man die aufgesammelten Blätter als Vorlage nutzen, um digital zu recherchieren, zu welchem Baum sie gehören.

Sie sprach auch über Vorurteile und Vorbehalte gegenüber dem Einsatz neuer Medien in der Grundschule, mahnte aber zugleich: „Digitales Arbeiten müssen die Schülerinnen und Schüler ebenso lernen wie Rechnen und Schreiben.“ Was dann möglich ist, führte sie den Teilnehmenden anhand der Aufgabe für Drittklässler, sich mit dem Thema Märchen zu beschäftigen, vor. In der Tat: Die Trailer, die die Grundschülerinnen und Grundschüler nach der Lektüre „ihres“ Märchens digital entwickelt hatten, ließen manchen Betrachter ob ihrer Qualität staunend zurück.

Die Umsetzung macht den Unterschied

Lehrerinnen und Lehrer vor einer Stundentafel
© Britta Hüning

Im Gespräch mit www.ganztagsschulen.org hob Verena Knoblauch hervor, dass Digitales inzwischen Teil unserer Welt ist, also auch in die Schule und in den Ganztag gehört. Doch ebenso: „Wenn Unterricht und Ganztagsangebote nicht verzahnt sind, macht es wenig Sinn. Beispiel: Wenn ich den Kindern meine Rückmeldung zu ihrer Geschichte per QR-Code als Audiofeedback gebe, mit der Aufgabe, die Geschichte zu verbessern, sie das dann aber in der Nachmittagsbetreuung nicht anhören können, weil kein Gerät dafür vorhanden ist, dann funktioniert es nicht.“

Die große Chance liege darin, dass die Kinder ganzheitlich gefördert werden könnten, vor allem auch diejenigen, die zu Hause wenig Unterstützung erhielten. Sie fügte hinzu: „Aber so wie man nicht automatisch guten und zeitgemäßen Unterricht macht, nur weil ein Tablet auf dem Tisch liegt, so ist auch der Ganztag durch ein solches Medium sicherlich nicht automatisch gut. Die Art und Weise der Umsetzung macht den Unterschied.“

 

Der Medienpädagogin gelang es, in ihren 45 Minuten noch mehr Appetit auf diesen Medientag zu machen. An ihm machte sich das Seitenstark-Netzwerk, ein 2007 gegründeter gemeinnütziger Träger der freien Jugendhilfe, gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz (KMK), dem Bildungsministerium Rheinland-Pfalz, dem Südwestrundfunk (SWR), der EU-Initiative Klicksafe, der Medienanstalt Rheinland-Pfalz und vielen weiteren engagierten Akteuren für den Einsatz positiver digitaler Kinderangebote in Schule, Freizeit und Familie stark.

Medienbildung von Anfang an

Prof. Dr. Friederike Siller ist Vorstandsmitglied im Seitenstark e.V. Sie hob in ihrer Einführung hervor: „Lehrkräften kommt die wichtige Aufgabe zu, Schülerinnen und Schülern Orientierung in der Medienlandschaft zu geben und ihnen über Medien erweiterte Handlungsspielräume zu ermöglichen. Hier setzt die Veranstaltung an und zeigt pädagogischen Fach- und Lehrkräften ein abwechslungsreiches Spektrum digitaler Angebote für Kinder, die in der Schule zum Einsatz kommen können und den Schulalltag bereichern.“

Flyer
„Seitenstark macht Spaß und schlau!“ © Seitenstark e.V.

Auf diese Chance hatten in ihren Grußworten bereits der Direktor des Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg, Dr. Götz Bieber, und die Direktorin des Pädagogischen Landesinstituts Rheinland-Pfalz Dr. Birgit Pikowsky hingewiesen. Beide sprachen stellvertretend für die Unterstützungssysteme und Lehrerfortbildungsinstitutionen der Länder, die für eine qualifizierte Digitalisierung der Schulen von besonderer Bedeutung sind. Dazu gehören die KMK-Strategie „Bildung in der Digitalen Welt“, aber vor allem die Verankerung in Lehrplänen, die Qualifizierung des Personals oder Medienentwicklungspläne wie etwa der MedienKomp@ss in Rheinland-Pfalz. Medienbildung von Anfang an, war das Motto.

Weniger Gewalt, weniger aggressive Werbung

In Vertretung für KMK-Vizepräsidentin Dr. Stefanie Hubig eröffnete die Staatssekretärin im Bildungsministerium Rheinland-Pfalz Bettina Brück den Seitenstark-Medientag im Rahmen einer Schulstunde an der Georg-Forster-Gesamtschule in Wörrstadt offiziell.

Sie betonte: „Die Digitalisierung bietet uns unendlich viele Möglichkeiten für unsere Schulen, sie birgt aber auch Risiken. Deshalb müssen wir unsere Kinder und Jugendlichen, aber auch die Eltern und Lehrkräfte fit, selbstbewusst und medienkompetent machen. Gleichzeitig müssen wir ihnen Medien und Materialien an die Hand geben, bei denen sie sicher sein können, dass sie inhaltlich geprüft und qualitativ wertvoll sind. Wenn diese Inhalte dann auch noch Freude bereiten, wie die Angebote, die unter Seitenstark zu finden sind, dann haben alle einen Mehrwert, die Lehrkräfte, die sie einsetzen, und die Schülerinnen und Schüler, die Spaß haben, damit zu lernen.“

Schülerinnen und Schüler der sechsten Klassen präsentierten in selbst produzierten Videos digitale Angebote für Kinder, die sie besonders interessieren und gut finden. Moderiert von Tim Gailus vom KiKA-Medienmagazin Team Timster, diskutierten sie anschließend in einer Runde mit Bettina Brück, Friederike Siller sowie Dr. Marc Jan Eumann von der Medienanstalt Rheinland-Pfalz und Dr. Simone Schelberg vom SWR darüber, was sie sich für Kinder im Internet wünschen. Ganz oben auf ihrer Wunschliste stehen weniger Gewaltdarstellungen und aggressive Werbung im Netz, dafür mehr Schutz für ihre persönlichen Daten und verlässliche Informationen. Mehr Sicherheit für Kinder könnten beispielsweise Kontrollen und klare Alterskennzeichnungen bei Filmen, Spielen, Apps usw. bieten.

Burgen digital entdecken oder virtuell in die Isetta steigen

Im weiteren Tagesverlauf standen die Teilnehmenden dieser Online-Fortbildung vor der Herausforderung, aus rund 40 Workshops den für sie interessantesten herauszufiltern. Die Bandbreite war enorm. Sie reichte von der Vorstellung konkreter Einsatzmöglichkeiten digitaler Medien über das Erkennen von Fake News und das Überprüfen des Wahrheitsgehalts von Informationen bis hin zum sicheren Bewegen im Netz. Exemplarisch seien die Kernaussagen zweier Module dargestellt.

Schülerinnen und Schüler im Sandkasten der Schule
...sondern ein Ort für die Kinder. © Britta Hüning

Wie gut außerschulische Lernorte auch digital in den Unterricht und den Ganztag einbezogen werden können, unterstrichen in ihrem Beitrag „Schlösser, Burgen, Museen lebendig und digital entdecken“ Daniela Schwarzmeier von der Bayerischen Schlösserverwaltung und Elke Schneider vom Kommunikationsmuseum Nürnberg. Sie zeigten auf, dass inzwischen und durchaus auch unabhängig von den Erfordernissen des Distanzunterrichts, zahlreiche Museen und Kulturstätten virtuelle 360-Grad-Rundgänge anbieten.

Dadurch können sich Schülerinnen und Schüler bundesweit (ohne Reiseaufwand) ägyptische Grabkammern aus dem Nürnberger Museum anschauen oder sich virtuell in eine altehrwürdige Isetta, jenes nach dem Krieg so beliebte „Kugelauto“ mit Ausstieg durch die Fronttür, setzen und das Fahrzeug kennenlernen. Schwarzmeier und Schneider betonten: „Solche Angebote, oft verbunden mit spannenden Lernvideos sind vielfältig und häufig kostenlos. Sie lassen sich sehr gut in den analogen Unterricht oder in Arbeitsgemeinschaften des Ganztags integrieren.“ Einen Wunsch formulierte Daniela Schwarmeier anschließend: „Schön wäre, wenn es das alles noch häufiger in leichter Sprache und mehrsprachig gäbe.“

„Wer wischt, denkt durchaus“

Anschaulich und daher bestens geeignet für die Umsetzung im Schul- und Ganztagsalltag präsentierten Samantha Hodenius und Janne Hoferer von der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“, wie die von nahezu allen Referentinnen und Referenten gewünschte Verzahnung analoger und digitaler Arbeitsweisen gelingen kann. „Es geht darum, Dinge mit digitalen Lernspielen auszuprobieren und dabei etwas umzusetzen, das sonst im Alltag nicht möglich wäre“, sagten sie.

Dabei erinnerten sie aber auch daran, dass laut Studien zum Medienumgang von Kindern fast alle Grundschülerinnen und ‑schüler in ihrem Haushalt bereits ein Smartphone nutzen können. Bei den bis 13-Jährigen besitzen sogar schon 50 Prozent der Kinder ein eigenes Smartphone und nutzen es zum Teil ganz selbstständig. Eine Herausforderung für Schulen und Ganztag.

Ein konkretes Beispiel verdeutlichte, wie leicht das Ziel der Verzahnung umsetzbar sein kann: Auf dem Unterrichtsplan steht das Thema Strom. Vorschlag der beiden Referentinnen: Im Schritt eins sollte man im Gespräch mit der Klasse klären, was dazu bekannt ist, welche Geräte eventuell besondere Stromfresser seien und wie man selbst mit dem Verbrauch von Energie umgehe. Im zweiten Schritt könnte dann der Auftrag lauten, die Schülerinnen und Schüler im Netz recherchieren zu lassen, wieviel Strom welches Gerät verbrauche.

Insektenhotel
Analog und digital durch den Ganztag © Britta Hüning

Hodenius: „Die Ergebnisse könnten natürlich von der Lehrkraft vorgetragen werden, aber die selbstständige Recherchearbeit fesselt die Kinder viel mehr.“ Schritt drei erfolge dann wieder im persönlichen Austausch: „Was lernen wir daraus? Was können wir auch vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit anders machen?“ und ähnliche Fragen. Darüber hinaus aber könnte das abschließende Gespräch auch zur Medienbildung genutzt werden: „Wie gehen wir bei der Recherche vor? Was ist euch schwergefallen? Wie erfahrt ihr, ob eure Ergebnisse der Realität entsprechen?“

Praktische Beispiele wie diese ließen die Teilnehmenden des Medientages erkennen: Das Fragezeichen hinter dem Titel der Keynote „Wer wischt, der denkt nicht?“ ist mehr als berechtigt. Denn: „Wer wischt, denkt durchaus.“ 

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