Schulkongress Mecklenburg-Vorpommern: Ganztägig lernen : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Mit dem Tag der Serviceagentur „Ganztägig lernen – mehr als Unterricht“ schloss der diesjährige Schulkongress Mecklenburg-Vorpommern. Es ging um nicht weniger als das Lernen im 21. Jahrhundert.

Mecklenburg-Vorpommern hat schon viele erfolgreiche Schulkongresse, darunter die Ganztagsschulkongresse erlebt. Das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur wollte auch in diesem Jahr „dem Bedürfnis nach Austausch und Fortbildung“ entgegenkommen. Statt einer zentralen Präsenzveranstaltung gab es diesmal „Schulkongresse plus – LERNdialoge“ von Februar bis Juni 2021 mit sieben thematisch unterschiedliche Online-Veranstaltungen. Am 10. Juni 2021 war es der Tag der Serviceagentur „Ganztägig lernen“.

„Ganztägig lernen – mehr als Unterricht“ bildete laut Bildungsministerin Bettina Martin den „würdigen Abschluss“ der virtuellen Veranstaltungsreihe – nach Themen wie „Beratungssettings“, „Unterricht in Präsenz und Distanzform“, „Fachdidaktische Aspekte guten Unterrichts“ oder „Erfolgreich Mathematik lehren und lernen“. Mit Informationsrunden und Workshops „rund um einen guten Ganztag“ gab die Serviceagentur Mecklenburg-Vorpommern „Impulse für erfolgreiches ganztägiges Lernen“.

Weil gleichzeitig die wichtige 374. Tagung der Kultusministerkonferenz stattfand, war Bildungsministerin Bettina Martin diesmal per aufgezeichnetem Grußwort dabei. Darin hob sie hervor: „Die Ganztagsschule ist ein wichtiger Bestandteil der Schullandschaft in Mecklenburg-Vorpommern. 55 Prozent aller Grundschulen arbeiten bei uns ganztägig und bereichern den Unterricht mit ergänzenden Angeboten. Obwohl die Teilnahme freiwillig ist, liegt an 90 Prozent dieser Schulen die Teilnahmequote zwischen 90 und 100 Prozent.“

„Kinder warten sehnlichst auf den Ganztag“

Blume
Mit der „Qualitätsblume“ den eigenen Entwicklungsstand prüfen. © Serviceagentur Mecklenburg-Vorpommern

Ganztagsschulen in Mecklenburg-Vorpommern stehen seit jeher für mehr als Betreuung: „Sie sind Lern- und Lebensorte, die mehr Zeit und Raum für individuelles Lernen geben. Sie öffnen die Schule in die Gesellschaft und holen Partner mit an Bord.“ Dieses – durch die Pandemie ausgebremste – Potenzial des Ganztags will das Land im kommenden Schuljahr wieder vollumfänglich aktivieren: „Darauf warten die Kinder sehnlichst.“

Das System soll zugleich weiterentwickelt werden. Bettina Martin zufolge braucht es dazu die Expertise und verschiedene Sichtweisen aller am Ganztag Beteiligten. Auf dem Kongress bildeten sich diese Sichtweisen ab, besonders in acht Workshops, in denen Lehrkräfte, Schulleitungen und Hortleiterinnen, sozialpädagogische Fachkräfte, Architekten und Wissenschaftler ins Gespräch kamen. Die Themenpalette reichte von der „Kooperation mit dem Hort“ über die „Gestaltung von zukunftsorientierten Lernumgebungen“ bis zum „Gesunden Mittagessen“.

Isabell Kitta, Ganztagsschulkoordinatorin der „Schule am Inselsee“ in Güstrow und pädagogische Mitarbeiterin der Serviceagentur „Ganztägig lernen“, stellte in ihrem Workshop „Analyse und Ziele der Qualitätsentwicklung“ vor. Anhand einer „Qualitätsblume“ definierte sie acht Qualitätsbereiche ganztägig arbeitender Schulen: Pädagogisches Verständnis, Qualitätsentwicklung und Steuerung, Lernen und Fördern, Zeitorganisation und Rhythmisierung, Professionen im Team, Kooperation mit außerschulischen Partnern, Gestaltung von Lernumgebungen und Wohlbefinden. Anhand von Checklisten lassen sich alle diese Bereiche bewerten, um den eigenen Entwicklungsstand als Ganztagsschule zu kennen.

Gesund, sozial gerecht, resilient

Besonders gut besucht war auch ein Workshop „Schulinnovationen aus aller Welt“. Christopher Petrie, gebürtiger Neuseeländer, Mitarbeiter der Universität Helsinki und Forschungsleiter der auf Bildung spezialisierten Denkfabrik HundrED in Finnland, stellte aktuelle Schulinnovationen aus verschiedenen Ländern vor, unter anderem aus Großbritannien, den Niederlanden und den USA. Bei „World's Largest Lesson“ bringt das HundrED-Team zum Beispiel Unterrichtsmaterialien zu den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung in die Schulen.

Die „Green Bronx Machine“ in New York, von dem Pädagogen Stephen Ritz und Schülerinnen und Schülern ins Leben gerufen, hat sich der Förderung gesunder, sozial gerechter und resilienter Communities (Nachbarschaften) verschrieben. Sie bringt zum Beispiel – als Teil des Stundenplans – den Garten ins Klassenzimmer, wo Kinder und Jugendliche ihr eigenes Gemüse für eine bessere Ernährung anbauen, ernten und verarbeiten. Das preisgekrönte Programm, das weitere Städte übernommen haben und über das 2020 der Film „Generation Growth“ gedreht wurde, hat nicht nur positive Auswirkungen auf Ernährungsverhalten und Gesundheit, sondern auch auf Lernmotivation und Lernleistungen.

Leerkracht
Lehrerfortbildungsprogramm „leerKRACHT“ © HundrED

Das Lehrerfortbildungsprogramm „leerKRACHT“ (Lehrkraft) ist inzwischen an 870 niederländischen Schulen etabliert. Hier arbeiten Schulleitungen sowie Lehrerinnen und Lehrer zusammen, um voneinander und miteinander zu lernen. leerKRACHT wurde 2012 als Stiftung gegründet, um die Chancenungleichheit in den Niederlanden strukturell anzugehen und mit der Unterrichtskultur in Schulen die Qualität des Bildungswesens zu verbessern.

Ganztägig qualitätsvoll

Die regionale Sichtweise brachten zwei Vertreter Mecklenburg-Vorpommerns in einer Impulsreferats- und Diskussionsrunde ein, die Ute Harrje von der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ moderierte: Schulrat Peter Hofmann vom Staatlichen Schulamt Neubrandenburg und ab August Schulleiter der Regionalen Schule „Am Lindetal“ sowie Falk Radisch, Professor für Schulpädagogik mit den Schwerpunkten Schulforschung und Allgemeine Didaktik an der Universität Rostock.

Der Ganztag biete Möglichkeiten, die über die Verbesserung des fachlichen und kognitiven Lernens hinausreichen – Möglichkeiten, wie sie die Lernziele in Paragraf 3 des Schulgesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern vorsehen, betonte Prof. Falk Radisch in seinem Vortrag mit dem Titel „Schule, ganztägig, qualitätsvoll“. Um die Lernziele zu realisieren, würden unterschiedliche Professionen gebraucht. Mit dem Ganztag könne die Trennung zwischen unterschiedlichen „Bildungsbestandteilen“ aufgelöst werden, zum Beispiel durch Kooperationspartner, die in die Schulen kommen.

Bei Kooperationspartnern wie Musikschulen und Sportvereinen habe sich die anfängliche Skepsis, dass der Ganztag „ihnen die Kinder wegnehme“, zum Glück verflüchtigt, berichtete der Erziehungswissenschaftler über Ergebnisse der Ganztagsschulforschung, darunter der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen – StEG“. Die Verbände und Vereine haben längst erkannt, „dass sie durch die Ganztagsschule die Möglichkeit haben, ganze Jahrgänge zu erreichen“, ja, dass sie „die Kinder und Jugendlichen wie auf dem Silbertablett serviert bekommen, um für die eigenen Angebote zu werben“, wie er es pointiert ausdrückte.

„Nicht zwei Teile – es ist der Ganztag!“

Falk Radisch
Prof. Falk Radisch, Schulforscher an der Universität Rostock. © Ministerium für Bildung Mecklenburg-Vorpommern

Mehr als Halbtagsschulen brauchen Ganztagsschulen „kooperatives Leitungshandeln“, so Radisch. „Ein Leitungsteam aus schulischen und außerschulischen Fachkräften muss sich wirklich als Team verstehen. Unterricht und Außerunterrichtliches sind nicht zwei Teile, es ist auch nicht nur Schule – es ist der Ganztag.“ Die Leitung sei für die Gestaltung dieses Ganzen zuständig und trage Verantwortung, alle in dem Veränderungsprozess mitzunehmen. Dafür brauche es Kommunikation: „Der Diskussionsbedarf, der dabei entsteht, muss immer wieder angeregt und aufrechterhalten werden.“

Schulleitung und Leitung des Ganztags müssten vor Ort gemeinsam die Ziele definieren, die erreicht werden sollen. Die Rhythmisierung des Schultags, Lernzeiten, Unterricht und Bewegungsangebote müsse die Schule jeweils so gestalten, wie es zu ihren formulierten Bildungszielen am besten passe. „Die Möglichkeiten für die Gestaltung von Kernzeiten sind für die Schulstufen unterschiedlich, aber die Spielräume sind da, auch in der Sekundarstufe II, zum Beispiel durch einen flexiblen Umgang mit Pausenzeiten“, so der Schulforscher. Ihre jeweiligen Entscheidungen sollten die Beteiligten pädagogisch begründen und transparent machen.

Lernen für das 21. Jahrhundert

Peter Hofmann widmete sich in seinem Impulsreferat dem „Lernen für das 21. Jahrhundert als Herausforderung für ganztägig arbeitende Schulen“. Für den Lehrer, kommissarischen Schulrat und künftigen Schulleiter liegt eine der zentralen Aufgaben für die Schule darin, Schülerinnen und Schüler zu befähigen, lebenslang zu lernen. Das gelte auch für Lehrerinnen und Lehrer: „Wir müssen offen sein für Neues und Innovationsbereitschaft entwickeln.“

Lehrkräfte sollten den Schülerinnen und Schülern Wissen, Kompetenzen und Persönlichkeitsmerkmale „mitgeben“, damit sie ihren späteren Beruf, ihren Bildungsweg und anstehende Herausforderungen erfolgreich meistern und erlangtes Wissen in neuen Situationen anwenden können. Sie sollten kollaborative und kommunikative Lernformen bereits in der Schule praktizieren, denn diese werden auch in der Arbeitswelt immer mehr erwartet. So können sie im Unterricht ihre Kreativität in Projektarbeiten entfalten. Bewertungsformate sollten „nicht nur das Lernergebnis, sondern auch den Lernprozess in den Fokus rücken“.

Maria Parttimaa-Zabel
Maria Partimaa-Zabel leitet die Serviceagentur seit 2004. © RAA M-V

Ganztagsschulen sind für den Schulrat besonders geeignet, um neue Lernformen umzusetzen und damit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden: „Das Mehr an Zeit kann für innovative Entwicklungsprozesse genutzt werden, nicht nur für den Unterricht, sondern für die gesamte Schulorganisation. Partner können besser eingebunden werden. Durch eine enge Verzahnung von Unterricht und unterrichtsergänzenden Angeboten kann auch informelles Lernen besser einbezogen werden.“

Peter Hofmann bilanzierte optimistisch: „In Mecklenburg-Vorpommern haben wir schon hervorragende Beispiele, wenn wir uns allein die regionalen und thematischen Netzwerke der Serviceagentur 'Ganztägig lernen' anschauen, die sich austauschen und voneinander lernen.“ In diesen Netzwerken, für die sich die Serviceagentur Mecklenburg-Vorpommern unter ihrer Leiterin Maria Parttimaa-Zabel seit 2004 engagiert, sind Kooperation und regelmäßiger Austausch schon selbstverständlich.

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