Qualität im Ganztag: „Sich aus eigenem Interesse hinterfragen“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Michael Schmitt leitet die Serviceagentur „Ganztägig Lernen“ Hessen. Im Interview erläutert er, wie sein Team an den Standorten Frankfurt und Kassel seit 15 Jahren die Qualitätsentwicklung ganztägig arbeitender Schulen unterstützt.

Online-Redaktion: 15 Jahre besteht die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ in Hessen nun.  Ein Grund zum Feiern?

Michael Schmitt: Ich denke, auf jeden Fall. Wir begleiten die Schulen auf dem Weg zum Ganztag und bei ihrer stetigen Weiterentwicklung nun anderthalb Jahrzehnte. Es sind enge Netzwerke entstanden mit viel Vertrauen, vielen Fortschritten und Entwicklungen zwischen den Partnern und in den einzelnen Einrichtungen.

Online-Redaktion: Können Sie Meilensteine der 15 Jahre benennen?

Schmitt: Unsere „Richtlinie für ganztägig arbeitende Schulen“ mit dem damit verbundenen Qualitätsrahmen und seinen acht Qualitätsbereichen: Steuerung der Schule, Unterricht und Angebote, Schul-, Lern- und Aufgabenkultur, Kooperation, Partizipation von Schülerinnen und Schülern sowie Eltern, Schulzeit und Rhythmisierung, Raum- und Ausstattungskonzept, Pausen- und Mittagskonzept. Sie ist der eine Meilenstein. Die Richtlinie wurde 2011 eingeführt. Einen zweiten Meilenstein stellt ganz eindeutig der vor vier Jahren eingeführte „Pakt für den Nachmittag“ dar.

Lehrerin und Schüler betrachten ein Buch
© Britta Hüning

Online-Redaktion: Was ist der besondere Wert von Richtlinie und Qualitätsrahmen?

Schmitt: Sie bieten einen rechtlichen Rahmen und legen fest, welche qualitativen Erwartungen ganztägig arbeitende Schulen erfüllen müssen. Der sehr detaillierte Qualitätsrahmen ermöglicht den Schulen, an ihm entlang ihr eigenes Konzept zu entwickeln und immer wieder auch zu hinterfragen: Erfüllen wir die Kriterien nach wie vor? Was müssen wir eventuell optimieren?

Online-Redaktion: Alles reine Selbstkontrolle?

Schmitt: Nein. Der Qualitätsrahmen ist verpflichtend. Wer neu in eines der Ganztagsprogramme des Landes Hessen aufgenommen werden möchte, muss sein Konzept vorlegen. Nach zwei Jahren überprüfen die Staatlichen Schulämter, ob die geforderten Standards erfüllt werden. Dieser Check steht auch für jene ganztägig arbeitenden Schulen an, die von einem Profil in ein anderes wechseln.

Online-Redaktion: Profil meint in Hessen die Organisationsform des Ganztagsangebots. Was unterscheidet die Profile?

Schmitt: Profil 1 entspricht der Definition der Kultusministerkonferenz, das heißt, Schulen bieten an drei Tagen pro Woche ein freiwilliges Ganztagsangebot bis 14.30 Uhr. Profil 2 beinhaltet freiwillige Ganztagsangebote bis 17 Uhr täglich. Profil 3 entspricht dem gebundenen Ganztag. Wir sprechen daher in Hessen von Schulen mit Ganztagsangeboten, das sind die Profile 1 und 2, und Ganztagsschulen im Profil 3. Hinzu kommt schließlich der „Pakt für den Nachmittag“. Er sieht für Grundschulen ein Bildungs- und Betreuungsangebot von 7.30 Uhr bis 17 Uhr an fünf Tagen in der Woche vor.

Online-Redaktion: Kommen wir noch einmal auf den nach zwei Jahren fälligen Check zurück. Was geschieht mit Schulen, denen die, ich nenne es mal so, TÜV-Plakette verwehrt werden muss?

Cover der Broschüre "Ganztägig arbeitende Schulen"
© Hessisches Kultusministerium

Schmitt: Erfüllt eine Schule Kriterien nicht, erhält sie Unterstützungsangebote, vor allem durch das Staatliche Schulamt. Dort sind die sogenannten multithematischen Teams verortet, zu denen auch die Fachberatung Ganztag gehört. Bislang können wir allerdings erfreut feststellen, dass sich die Schulen schon aus eigenem großen Interesse an ihrer Qualitätsentwicklung konsequent selbst hinterfragen und gegebenenfalls externe Unterstützung anfragen.

Online-Redaktion: Mit dem „Pakt für den Nachmittag“, den das Land mit Schulträgern, also Landkreisen und Städten, abgeschlossen hat, gibt es seit 2015 ein zusätzliches Programm für die Grundschulen und Grundstufen. Was zeichnet ihn aus?

Schmitt: Der Betreuungsbedarf ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Der Rechtsanspruch im Vorschulbereich und die gute Abdeckung bei den Kindergärten und Kindertagesstätten führen dazu, dass der Bedarf an verlässlichen Angeboten auch am Standort Schule wächst. Der „Pakt für den Nachmittag“ stellt allerdings mehr als ein additives Angebot von Unterricht am Vormittag und Betreuung am Nachmittag dar.

Online-Redaktion: Inwiefern?

Schmitt: Die am Pakt beteiligten Schulen öffnen von 7.30 Uhr bis 17 Uhr. Ab 14.30 Uhr wird über die Schulträger ein kostenpflichtiges Betreuungsangebot unterbreitet. Im Mittagsband oder auch bereits am Vormittag aber mischt sich das Angebot. Ein Drittel des bis 14.30 Uhr tätigen Personals sollen Lehrkräfte sein. So öffnet sich Raum für Lernzeiten oder spezielle Angebote, die der individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler dienen. Und es öffnet sich Raum für die Mischung zahlreicher Professionen. Der „Pakt für den Nachmittag“ bietet eine hohe Flexibilität bei gleichzeitiger Verlässlichkeit.

Online-Redaktion: Ein Erfolgsmodell, in das jede Schule, die möchte, einsteigen kann?

Schmitt: Ein Erfolgsmodell auf jeden Fall. Wir sind 2015/2016 mit 57 Grundschulen gestartet. Heute, vier Jahre später, sind wir im Pakt schon bei 253. Und: Ja, alle Schulen der jeweiligen Schulträger, die den Bedarf haben, sollen in den „Pakt für den Nachmittag“ aufgenommen werden. Mit einer wichtigen Besonderheit für die Familien: Alle, die einen Betreuungsplatz wünschen und deren Kind eine Schule im „Pakt für den Nachmittag“ besucht, bekommen ihn auch.

Lehramtsstudentin und Schüler im Unterricht
Die Schenkelsbergschule ist eine Ganztagsschule im Profil 1+ © Britta Hüning

Online-Redaktion: Wie hat sich die hessische Ganztagsschullandschaft insgesamt in den vergangenen 15 Jahren verändert?

Schmitt: Im Schuljahr 2001/2002 gab es 138 ganztägig arbeitende Schulen im Land. Heute sind es 1.150 und damit rund 75 Prozent aller Schulen. Der Ganztag ist zur Regel geworden und stellt keine Ausnahme mehr dar. Die Haltung gegenüber dem Ganztag hat sich gravierend verändert. Früher herrschte große Skepsis bei Verbänden und Vereinen. Sie fragten sich besorgt, welche Folgen der Ganztag für sie haben würde. Heute wird er als große Chance gesehen. In den Städten und Gemeinden sind immens viele Netzwerke und Kooperationen entstanden. Schule ist noch stärker ins Zentrum gesellschaftlichen Lebens gerückt.

Online-Redaktion: Ist auch die Qualität der Bildung gestiegen?

Schmitt: StEG, die „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“, beurteilt das bekanntlich eher skeptisch. Aber die Entwicklung von Schulen, die sich immer mehr Herausforderungen gegenübersehen, wäre meines Erachtens ohne den Ganztag mit mehr Zeit und Kompetenz durch zahlreiche Expertisen nicht zu meistern. Das kann die Qualität der Bildung steigern. Darüber hinaus verbessert ein gutes Ganztagsangebot die Bildungsgerechtigkeit und stärkt das Soziale, also das Lernen und das Zusammenleben in der Gemeinschaft. Dazu trägt in den ganztägig arbeitenden Schulen das Miteinander vieler Professionen und begeisterter Externer wesentlich bei.

Online-Redaktion: Hat sich die Arbeit der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ in Hessen im Laufe der 15 Jahre gewandelt?

Workshop beim Ganztagsschulkongress Hessen
© Serviceagentur Hessen

Schmitt: Die erwähnte „Richtlinie für ganztägig arbeitende Schulen“ und der Qualitätsrahmen haben dazu beigetragen, unsere Arbeit und unsere Angebote besser zu strukturieren. Unsere Arbeit ist vielfältiger geworden und wird heute sehr bereichert durch die zahlreichen Kooperationen, die wir mit anderen Einrichtungen des Landes und mit Stiftungen eingegangen sind.

Ich denke beispielsweise im Zusammenhang mit dem Qualitätsbereich „Pausen- und Mittagskonzept“ an die Zusammenarbeit mit der Vernetzungsstelle Schulverpflegung, die in einem großen Fachtag in diesem Frühjahr ihren bisherigen Höhepunkt hatte. Wir führen so Expertinnen und Experten im Sinne des Ganztags zusammen.

Darüber hinaus gehen wir heute viel stärker in die Region, um gemeinsam mit den Staatlichen Schulämtern und den Schulträgern die Schulen bei ihrer Qualitätsentwicklung konkret vor Ort zu unterstützen. Und nicht zuletzt spiegelt sich unser eigenes sehr multiprofessionelles Team auch in unseren Fortbildungs- und Beratungsangeboten wider.

Online-Redaktion: Ein Blick in die Zukunft. Was erhoffen Sie sich?

Schmitt: Im Sinne der Schülerinnen und Schüler wünsche ich mir, dass das Engagement derer, die das Ganztagangebot an den Schulen gestalten, weiterhin so groß bleibt wie bisher. Und ich finde wichtig, dass die Angebote der Unterstützungssysteme, also auch unser Angebot der Serviceagentur, dazu beitragen, dieses Engagement zu fördern. Dass wir so dazu beitragen, dass sich Ganztagsschulen in all ihrer Vielfalt weiterentwickeln.

Die regionalen Serviceagenturen „Ganztägig lernen“ in den Ländern, die Austausch, Vernetzung und Fortbildung der Ganztagsschulen, unterstützen, wurden 2005/2006 im Rahmen des Programms „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung gegründet. Alle Interviews finden Sie in der Rubrik „Ganztagsschule in den Ländern“.

Über die bildungspolitischen Ziele in den Ländern berichten die Kultusministerinnen und Kultusministern in Interviews: https://www.ganztagsschulen.org/de/2645.php. Aus den Kommunen kommen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Landrätinnen und Landräte zu Wort.

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