„Niedersachsen ist Ganztagsschulland“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Kaum eine Innovation im Bildungsbereich finde so viel Zustimmung: Ein flächendeckendes, qualitativ hochwertiges und doch zugleich flexibel zu gestaltendes Ganztagsangebot ist das Ziel in Niedersachsen. Kultusminister Grant Hendrik Tonne spricht im Interview über aktuelle Entwicklungen.

Porträtfoto Grant Hendrik Tonne
Kultusminister Grant Hendrik Tonne © Philipp von Ditfurth / Presse- und Informationsstelle der Niedersächsischen Landesregierung

Online-Redaktion: Herr Minister, Niedersachsen hat in den letzten Jahren die Ganztagsschulen kontinuierlich ausgebaut, wie auch bei der diesjährigen didacta in Hannover deutlich wurde. Wie schätzen Sie die Entwicklung ein?

Grant Hendrik Tonne: Die Entwicklung zeigt es ganz deutlich: Niedersachsen ist Ganztagsschulland. Rund 70 Prozent unserer Schulen weisen mittlerweile ein Ganztagsangebot aus, und es kommen jedes Jahr weitere hinzu. Darunter sind auch viele Grundschulen, die sich auf den Weg machen, das Angebot auf den Nachmittag zu erweitern. Neben der Familie prägt kein zweiter Ort Kinder und Jugendliche stärker und nachhaltiger als die Schule, kein anderer Ort stellt derart viele Zukunftsweichen. Ganztagsschulen als Schulen mit einer längeren Verweildauer ermöglichen mehr gesellschaftliche Teilhabe und sind insoweit ein Baustein für mehr Bildungsgerechtigkeit. Es verwundert daher nicht, dass der Ausbau der Ganztagsschule bundesweit von Eltern, aber auch von Vertretern aus Wirtschaft und Gewerkschaften unterstützt und auch gefordert wird.

Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode die Schulen bedarfsgerecht mit Ressourcen ausgestattet, so dass die Qualität der Ganztagsbildung noch einmal gesteigert werden konnte. Schule wird immer mehr vom Lern- zum Lebensort, und diese Entwicklung gilt es positiv zu unterstützen.

Online-Redaktion: Wie ist die Nachfrage seitens der Eltern, und welche Erwartungen haben Eltern an Ganztagsschulen?

Rückansicht der Clemensschule Wesuwe in Haren
Hinterm Haus: Spielplatz, Fahrradparkplatz und Schulgarten. © Clemensschule Wesuwe

Tonne: Der Ausbau der Ganztagsschule wird heute bundesweit von Eltern schulpflichtiger Kinder gefordert. Bildungsstudien zufolge wünschen sich bundesweit 70 Prozent der Erziehungsberechtigten eine Schule mit Ganztagsangebot. Das war nicht immer so. In den Anfängen war die Ganztagsschule durchaus umstritten. Heute kann man für Niedersachsen sagen, dass kaum eine Innovation im Bildungsbereich so viel Zustimmung findet wie der Ausbau der Ganztagsschulen.

Erfolgreiche Bildungsprozesse und gelungene Bildungsbiografien sind wesentliche Voraussetzungen für individuelle Zukunfts- und Arbeitschancen und für persönliche Zufriedenheit. Die Erfahrungen zeigen, dass Eltern häufig für ein Ganztagsschulangebot mit der größtmöglichen Flexibilität im Sinne eines Betreuungsanspruchs votieren. Dies muss in Einklang gebracht werden mit dem pädagogischen Anspruch, den die Schulen erfüllen sollen.

Online-Redaktion: Die Diskussion dreht sich in allen Ländern um Verlässlichkeit und Flexibilität. Ist die Organisationsform – offene oder gebundene Ganztagsschulen – ein Thema für Sie?

Blick auf die Mesa im Schulhof
Draußen-Mensa der Grundschule Maschen © Gemeinde Seevetal

Tonne: International sind Ganztagsschulen der Standard zur Sicherung des Bildungserfolges. In Niedersachsen ermöglichen wir den Schulen losgelöst von der Ressourcenzuweisung die Wahl zwischen drei Organisationsformen und geben ihnen sehr weitreichende Handlungsspielräume, auch in der inhaltlich-fachlichen Ausgestaltung. Jede Ganztagsschule kann so individuell – in Abhängigkeit zum regionalen Umfeld – das für sie passende Konzept entwickeln und das Angebot ganz nach ihren pädagogischen Bedürfnissen und den Wünschen der Eltern gestalten.

Tendenziell ist zu verzeichnen, dass Schulen sich auf den Weg machen, ihr offenes Konzept in ein teilgebundenes umzuwandeln. Das ist eine Entwicklung, die mich freut. Eine Ganztagsschule mit gebundenen Elementen ermöglicht eine pädagogische Einheit von Vor- und Nachmittag, eine sinnvolle Rhythmisierung von Unterricht und außerunterrichtlichem Angebot sowie die Möglichkeit, noch stärker individuell auf die Schülerinnen und Schüler einzugehen.

Online-Redaktion: Welche Rolle spielt die Qualität der Ganztagsangebote, und mit welcher Unterstützung können die Schulen rechnen?

Tonne: Wir arbeiten weiterhin intensiv daran, die Maßnahmen zur Stärkung der Bildungswirksamkeit des Ganztags fortzuführen. Denn diese hängt entscheidend davon ab, ob es Schulen gelingt, Unterricht und außerschulische Angebote miteinander zu verzahnen. Der Ganztag bietet vielfältige Möglichkeiten zur Kooperation mit externen Partnern – Sportvereinen, Musikschulen, Bibliotheken und vieles andere mehr. Hier wird ganz tolle Arbeit gemacht, die, davon bin ich fest überzeugt, für beide Seiten eine Bereicherung darstellt.

Schülerinnen und Schüler im naturwissenschaftlichen Unterricht
Schülerinnen und Schüler im naturwissenschaftlichen Unterricht © Wilhelm-Bracke-Gesamtschule

Online-Redaktion: Das Thema „Ländliche Räume“ ist wieder mehr in der öffentlichen Diskussion. Spielt es für die Ganztagsangebote in Niedersachsen eine Rolle?

Tonne: Mich freut besonders, dass zahlreiche Schulen im ländlichen Raum den Schultag um Ganztagsangebote erweitern. Denn mittlerweile ist ein ganztägliches Bildungsangebot zu einem ganz klaren Standortfaktor für Familien geworden. Durch den Ausbau von Ganztagsschulen schaffen wir auch mehr Flexibilität für die Familien und verbessern gleichzeitig die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Im Hinblick auf die Schulen im ländlichen Raum muss das Land auf die situativen Bedingungen vor Ort eingehen und flexible Rahmenbedingungen schaffen.

Online-Redaktion: Wo sehen Sie zukünftig die Schwerpunkte der Ganztagsschule in Niedersachsen?

Tonne: Es ist davon auszugehen, dass die Nachfrage nach Ganztagsschulplätzen weiter steigen wird. Deshalb ist es das Ziel des Landes, jedem Kind und Jugendlichen in Niedersachsen unabhängig von seinem Wohnort, der Schulform oder den individuellen Unterstützungsbedarfen einen Ganztagsschulplatz anbieten zu können. Das Land Niedersachsen investiert im Rahmen einer zukunftsorientierten Schule erheblich in einen flächendeckenden Ausbau der Ganztagsschule und stärkt die Schulen durch ganztagsspezifische Schulentwicklungsberatung sowie passgenaue Fort- und Weiterbildungsangebote. Zielsetzung ist dabei unter anderem, die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit durch ein qualitativ hochwertiges und doch zugleich flexibel zu gestaltendes Ganztagsangebot zu unterstützen.

Wir sind im Übrigen der Meinung, dass Bund und Länder mit Blick auf den Ausbau des Ganztags an einem Strang ziehen müssen. Insofern freue ich mich, dass auf Bundesebene Bewegung in das Thema kommt. Ich betone aber auch, dass die mögliche Einführung eines Rechtsanspruches auf einen Ganztagsplatz nicht zu einem Absenken der Qualitätsansprüche führen darf. Hier steht der Bund in der Verantwortung, auf die Umsetzbarkeit seiner Versprechen zu achten.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Seit 2009 haben auf www.ganztagsschulen.org regelmäßig Bildungsministerinnen und Bildungsminister in Interviews die Entwicklungen beim Ausbau der Ganztagsangebote in ihrem Land erläutert. Alle Interviews finden Sie in der Rubrik „Bildungpolitik: Interviews“.

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