Niedersachsen: "Ganztagsschule ist die Schule der Zukunft" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Priorität für den qualitativen und quantitativen Ganztagsschulausbau – diese Botschaft vermittelte die Niedersächsische Kultusministerin Frauke Heiligenstadt auf der diesjährigen Landesfachtagung für Ganztagsschulen in Niedersachsen am 24. Oktober 2013 in Barsinghausen.

Ursprünglich hatte die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Niedersachsen mit 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmern kalkuliert. Dann war die Nachfrage nach ihrer 3. Landesfachtagung für Ganztagsschulen, die diesmal unter der Überschrift „Bausteine guter Ganztagsschule“ in Barsinghausen im Landkreis Region Hannover stattfand, so ungebrochen gewesen, dass die Agentur die Zahl der Teilnehmenden auf 200 erhöhte – und dennoch rund 50 Anfragen ablehnen musste. Dennoch reichten an diesem 24. Oktober 2013 auf dem Rittergut Großgoltern die Sitzplätze noch immer nicht aus, als Kultusministerin Frauke Heiligenstadt das Auditorium begrüßte.

Ähnlich war es schon eine Woche zuvor auf der Landestagung der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Baden-Württemberg: Der Informationsbedarf über Ganztagsschulen ist nicht nur nicht gestillt, er nimmt offenbar immer weiter zu, auch weil sich der Kreis der Akteurinnen und Akteure stetig vergrößert. So starteten beispielsweise in Niedersachsen mit diesem Schuljahr 136 weitere Ganztagsschulen, sodass mit über 1.600 Ganztagsschulen rund die Hälfte der allgemeinbildenden Schulen des Landes ganztägige Angebote vorhalten. 35 Prozent der Schülerinnen und Schüler nahmen diese im Schuljahr 2012/13 wahr.

Frauke Heiligenstadt
Frauke Heiligenstadt © Birthe Szlapka

„Wir Veranstalter, das Kultusministerium und die Serviceagentur, sind natürlich sehr erfreut über diesen großen Zuspruch“, meinte Ministerin Heiligenstadt. Der Zuspruch korrespondiert mit der Prioritätensetzung der Landesregierung. „Bildung erhält die absolute Priorität im Landeshaushalt“, so Frauke Heiligenstadt, „und innerhalb der Bildungspolitik genießt die Ganztagsschule die absolute Priorität.“ Im Rahmen der „Zukunftsoffensive Bildung" sollen in den kommenden vier Jahren rund 260 Millionen Euro in den Ganztagsschulausbau fließen. „Der Ausbau macht das Bildungssystem leistungsfähiger, hilft, die Begabungen der Schülerinnen und Schüler besser auszuschöpfen und schafft zusätzliche Möglichkeiten für soziales Lernen“, führte die Politikerin aus. Der Ausbau müsse sich zukünftig an Qualitätsstandards, nicht nur an Betreuungssicherheit messen lassen.

Berechnungsmodus für Ganztagsschullehrerstunden wird geändert

„Die Schule der Zukunft wird nach meiner Überzeugung die Ganztagsschule sein. Die Ganztagsschulen werden sich zu gesellschaftlichen Orten entwickeln, Familien entlasten und aus Sicht der Städte und Gemeinden zu Standortfaktoren werden“, erklärte Frauke Heiligenstadt. Um all dies zu erreichen, müsse die Ausstattung der Ganztagsschulen verbessert werden. Der bisher angewandte Berechnungsmodus für zusätzliche Lehrerwochenstunden, der sich nach Klassen und einem festen Termin richte, sei zu starr. „Gerade Schulleiter von Ganztagsschulen, an denen sich die Schülerteilnahme erhöhte, haben mir mitgeteilt, sie seien sozusagen Opfer ihres eigenen Erfolges“, teilte die Ministerin mit.

Der neue Berechnungsmodus, der zum Schuljahr 2014/15 greifen soll, wird sich der Ministerin zufolge nach den Schülerzahlen richten; auf die Landeslehrerzuweisung soll ein Faktor X aufgeschlagen werden, der sich kontinuierlich erhöhen werde. Im besten Fall könnten Ganztagsschulen bei einer Teilnahmequote von 90 Prozent und einer Teilnahme von mehr als drei Tagen dann mit 80 statt 20 Ganztagsschullehrerwochenstunden kalkulieren. „So lassen sich Vor- und Nachmittag besser verzahnen, individuelle Förderung besser durchführen und Hausaufgabenbetreuung beziehungsweise Lernzeiten qualifiziert begleiten“, führte die Kultusministerin aus. „Die zusätzlichen Mittel können auch das Thema Honorarverträge befrieden und Arbeitsverträge ermöglichen.“

In der Diskussion um die Organisationsform der Ganztagsschule – offen, gebunden oder teilgebunden – erklärte Frauke Heiligenstadt: „Die Organisationsform bestimmt nicht die Qualität. Wir wollen die Organisationsform je nach Wunsch vor Ort ermöglichen.“

Cuxhaven-Ritzebüttel: Drei Häuser unter einem Dach

Viel erreicht hat auch die Ritzebütteler Schule aus Cuxhaven, die in einem Workshop ihr integriertes Konzept von Kindertagesstätte, Ganztagsschule und Hort vorstellte, das seit 2001 gewachsen ist. Die Grundschule liegt im Stadtteil Ritzebüttel, einem sozial benachteiligten Stadtteil, der ins Programm „Soziale Stadt“ zur Erneuerung des Stadtviertels aufgenommen worden ist. An der zweizügigen Schule lernen 120 Schülerinnen und Schüler, davon 82 mit Migrationshintergrund aus 14 verschiedenen Ländern. „Diese Gruppe als solche ist für uns nicht die herausforderndste“, erklärte Lehrer Wolfgang Thom, der bereits seit 1976 an der Schule arbeitet. Die Pädagoginnen und Pädagogen arbeiten mit einem hohen Anteil von Kindern mit festgestelltem Förderbedarf in den Bereichen Lernen und sozialer emotionaler Entwicklung.

Mittagspause
Reger Austausch in der Mittagspause © Birthe Szlapka

Dabei wird schon seit Jahren inklusiv gelernt. So werden zwei Kinder mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung beschult, zwei Kinder befinden sich in einer Tagesklinik, drei Schüler werden nach der Schule von der Tagesgruppe abgeholt, acht Schülerinnen und Schüler haben den Förderbedarf Sprache / Hören / Sehen attestiert erhalten und vier Schüler haben eine bewilligte Schulassistenz.

91 der 120 Schülerinnen und Schüler besuchen nach dem Vormittagsunterricht den Hort Neu-Lummerland. Die Grenzen zwischen Hort und Ganztagsschule sind dabei fließend: So besuchen einige Kinder nach dem Mittagessen die Arbeitsgemeinschaften in der Ganztagsschule, andere bleiben bis 15 Uhr im Hort. Da die Ritzebütteler Schule nur an drei Tagen ganztägige Angebote macht, sind die Schülerinnen und Schüler an zwei Wochentagen sowieso in Gänze auf das Hortangebot angewiesen. Manche der Ganztagsangebote werden gemeinsam von der Schule mit dem Hort organisiert und sind für die jeweils anderen Einrichtungen offen.

„Es lag nahe, sich zusammen zu tun“

Die enge Kooperation zwischen der Schule, dem Hort und der Kindertagesstätte Lummerland, die eine durchgängige Betreuung von null bis 14 Jahren ermöglicht, die auch von immer mehr Eltern für ihre Kinder genutzt wird, wird durch die räumliche Nähe der Einrichtungen, die teilweise unter einem Dach beheimatet sind, erleichtert. Aber es sind vor allem die handelnden Personen, die es geschafft haben, eine vertrauensvolle, enge Zusammenarbeit zu etablieren. Es begann mit der Einsicht, „dass wir uns von einigen Kindern alleine einfach überfordert fühlten“, wie es Torsten Sander, Leiter der von der evangelischen Kirche getragenen Kita und Hort erklärt. „Und wir hatten dieselben Kinder am Nachmittag, welche die Schule am Vormittag hatte – da lag es doch nahe, sich zusammen zu tun.“

Schulleiterin Barbara Modrow-Seebaß ergänzt: „Beide Organisationen haben wertschätzend füreinander die Türen geöffnet. Wir haben gegenseitig in unseren Einrichtungen hospitiert und über unsere Arbeit etwas erfahren, was wir jeweils nicht wussten.“ Schule, Hort und Kita verstanden das Zusammenwachsen als einen „Brückenschlag“, bei dem die Eltern eng einbezogen wurden. Dieser gesamte Aufbau und die tägliche Koordination machen „natürlich mehr Arbeit, das zu bestreiten, wäre töricht“, so die Schulleiterin. Aber: „Es ergeben sich durch unsere enge Kooperation auch viele Synergieeffekte“, meint Kita- und Hort-Leiter Sander. „Das spart unheimlich Zeit – wo es früher erstmal ein Treffen gebraucht hatte, reicht heute ein Telefonanruf.“

Gemeinsame Projekte und enge Vernetzung

Beata Williams
Dr. Beata Williams vom TransferZentrum für Neurowissenschaft und Lernen der Universität Ulm referierte über "Faktoren gelingenden Lernens - neurologische Prozesse als Voraussetzung für den Lernerfolg" © Birthe Szlapka

Sukzessive bauten die Teams der Schule, der Kita und des Horts gemeinsame Projekte auf: Die Mensa des Horts wird auch durch die Ganztagsschülerinnen und -schüler genutzt, die Hortgruppen belegen Räume der Schule, im Anschluss an das Mittagessen, das gemeinsam beaufsichtigt wird, findet eine gemeinsame Hausaufgabenhilfe statt. Es gibt eine gemeinsame Streitschlichterausbildung, eine Sprachförderung zusammen mit Erzieherinnen und Erziehern; das gemeinsame Projekt „Sprachcamps“ und das Projekt Familienklassenzimmer, in dem besonders schwierige Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit Lehrkräften, Hortmitarbeiterinnen, ihren Eltern, einem Psychologen vom Jugendamt gezielt an bestimmten Schwächen arbeiten. Die Fallbesprechungen mit dem Jugendamt führt man zusammen durch, ebenso wie man gemeinsam an Fortbildungen teilnimmt. Die Planung eines Schulgartens wird ebenfalls gemeinsam durchgeführt. Auch Ausflüge und kollegiale Treffen finden institutionsübergreifend statt.

Zusätzlich hat das Trio sich eng im Quartier vernetzt: Mit dem Familienzentrum, mit dem Quartiersmanagement, mit dem Stadtteilverein, der Kirche, dem Jugendamt, den Arbeitskreisen, dem Haus der Jugend, den Sportvereinen und den anderen drei Kindertagesstätten. Der Lohn für alle Mühen schlägt sich in zweierlei nieder: „Wer an unserer Schule arbeitet, will nicht weg“, freut sich Schulleiterin Barbara Modrow-Seebaß über das hohe Engagement und die „stets offenen Türen aller Kolleginnen und Kollegen“, die teilweise wie Wolfgang Thom seit Jahrzehnten an der Ritzebütteler Schule arbeiten. Und die Schülerzahlen steigen – als einzige Grundschule in Cuxhaven und obwohl die Bevölkerungszahl im Stadtteil sinkt.

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