Kooperation in Brandenburg: "Wir holen Akteure an einen Tisch" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Der Projektverbund kobra.net – Kooperation in Brandenburg, Träger der Serviceagentur "Ganztägig lernen", bemüht sich, die vielen verschiedenen Partner von Ganztagsschulen in einen Dialog zu bringen. Besonders das Thema Inklusion macht das Ziehen an einem Strang notwendig, wie Katrin Kantak, die Leiterin von kobra.net im Gespräch deutlich macht.

Online-Redaktion: Frau Kantak, auf welchen Feldern arbeitet kobra.net derzeit hauptsächlich?

Katrin Kantak: Wie der 14. Kinder- und Jugendbericht unterstreicht, ist das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen nicht allein private Aufgabe von Eltern, sondern auch Teil öffentlicher Verantwortung. In diesem Sinne arbeitet kobra.net – Kooperation in Brandenburg an den Schnittstellen unterschiedlicher Gesellschaftsbereiche und -ebenen. Wir wollen eine Brücke zwischen Schule, Kinder- und Jugendhilfe, Soziales, Gesundheit und Wirtschaft für die Interessen von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien bilden, indem wir Arbeitsbündnisse sowohl auf Landesebene als auch vor Ort initiieren.

Zurzeit arbeiten wir insbesondere im Bereich der Bildungsübergänge, an denen unterschiedliche Akteure zusammen treffen. So befinden sich die Kindertagesstätten in der Verantwortung der Kinder- und Jugendhilfe, die Schulen in der des Landes. Ein weiterer Übergang findet dann von der Schule in den Beruf statt. Hier kommen Unternehmen, berufliche Ausbildungszentren und Universitäten ins Spiel. Diese Übergänge gelingen nicht allen jungen Menschen reibungslos. Wir holen die verschiedenen Partner zusammen, damit alle Kinder und Jugendlichen einen erfolgreichen Anschluss beziehungsweise Start in den nächsten Lebensabschnitt finden.

Online-Redaktion: Wie kann das bei der Kooperation Schule und Wirtschaft geschehen?

Kantak: Junge Menschen brauchen bereits in ihrer Schulzeit eine fundierte berufliche Orientierung, die ihnen Einblicke in die Berufswelt und in wirtschaftliche Zusammenhänge ermöglicht. Das gelingt zum Beispiel besonders motivierend in Schülerfirmen: Jugendliche setzen eine eigene Geschäftsidee in einem Schülerunternehmen um. Kobra.net unterstützt Schülerfirmen sowohl bei der Gründung als auch bei Fragen des Schülerfirmenalltags und vermittelt Kontakte zu regionalen Wirtschaftspartnern. So erhalten die Jugendlichen einer Schülerfirma im Bereich der Pausenversorgung beispielsweise von einem Gastronomiebetrieb wertvolle Anregungen für eine gesunde Küche oder erwerben die Mitglieder der Schülerfirma „Junge Imker“ mit Unterstützung des örtlichen Imkervereins Wissen um ökologische Zusammenhänge und steigern damit den Ertrag ihrer Honigernte.

Durch die Förderung der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und des Brandenburgischen Bildungs- und Wirtschaftsministeriums ist es kobra.net in den letzten Jahren gelungen, immer mehr junge Menschen zu ermutigen, sich als Unternehmer zu versuchen, Einblicke ins Wirtschaftsleben zu gewinnen und dabei eigene Stärken zu entdecken und auszubauen. Heute gibt es im Land Brandenburg über 120 Schülerfirmen, viele von ihnen kooperieren mit Wirtschaftspartnern in ihrem Umfeld.

Online-Redaktion: Was verbirgt sich hinter der Initiative Oberschule?

Kantak: Die Initiative Oberschule ist ein aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Landes Brandenburg finanziertes Förderprogramm, in dem Oberschulen gemeinsam mit Kooperationspartnern Projekte zur Stärkung der Ausbildungs- und Berufsfähigkeit ihrer Schülerinnen und Schüler umsetzen. Kobra.net koordiniert das Programm für ein Drittel des Landes. Es bietet Jungen und Mädchen an Brandenburger Oberschulen vielfältige Möglichkeiten, ihre Berufswahlentscheidung vorzubereiten. So führen Jugendliche beispielsweise Befragungen bei Unternehmen in ihrer Region durch und verschaffen sich dadurch einen Überblick über potenzielle Ausbildungsbetriebe.

Darüber hinaus arbeitet der Projektverbund kobra.net am Aufbau regionaler Bildungsnetzwerke und lokaler Bildungslandschaften. Diese Aufgabe gewinnt vor dem Hintergrund von Herausforderungen wie dem demografischen Wandel und dem Fachkräftemangel, der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und der damit einher gehenden Umstrukturierung der Schullandschaft hin zu „Schulen für alle“ zunehmend an Bedeutung. Die unterschiedlichen Bildungspartner müssen sich darüber verständigen, wie die Bildungsinfrastruktur ihrer Region in Zukunft aussehen soll und wie sie sie gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern gestalten wollen.

Online-Redaktion: Durch die bei kobra.net angesiedelte Serviceagentur „Ganztägig lernen“ wirken Sie auch im Bereich der Ganztagsschulen mit. Welche Themen stehen dort derzeit an?

Kantak: Brandenburg liegt beim Ganztagsschulausbau im Bundesvergleich im Mittelfeld: 56 Prozent unserer Schulen halten ein Ganztagsangebot vor, und 47 Prozent aller Schülerinnen und Schüler nutzen Ganztagsangebote. Gerade im Grundschulbereich besteht durch die Hortbetreuung eine sehr gute Abdeckung mit ganztägiger Betreuung, die den Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht. Die Landesregierung hat den quantitativen Ausbau auch deshalb mehr oder minder für abgeschlossen erklärt.

Die Herausforderung besteht nun vor allem in der qualitativen Weiterentwicklung. Und hier gibt es in Brandenburg noch einiges zu tun. Seit Beginn der Tätigkeit der Serviceagentur im DKJS-Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ unterstützen wir die unterschiedlichen schulischen und außerschulischen Partner bei ihrer Zusammenarbeit, auf die das Land von Beginn des Ausbaus an gesetzt hat. Jede Schule muss für ihr Ganztagsangebot mit mindestens drei außerschulischen Partnern kooperieren. Die meisten Schulen haben weit mehr Partner. Solche Kooperationen sind nicht der Selbstläufer, für den sie einmal gehalten wurden. Den Unterricht und die interessenorientierten Angebote zu einer ganzheitlichen Förderung zu verknüpfen und diese in einem für Kinder und Jugendliche bekömmlichen Rhythmus zu gestalten bleibt nach wie vor die große Herausforderung und eine Riesenmöglichkeit zugleich. Da besteht weiterer Entwicklungsbedarf.

Online-Redaktion: Welche Herausforderungen stellen sich noch?

Kantak: Da kann ich die Öffnung der Schulen ins Umfeld und ihre sozialräumliche Vernetzung ebenso nennen wie das Thema Beteiligung der Schülerinnen und Schüler, der Eltern und der Partner an der konzeptionellen Weiterentwicklung des Ganztags. Insbesondere im Primarbereich ist es noch nicht gelungen, eine flächendeckend gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und Erzieherinnen zu erreichen. Zu selten kommen die Kompetenzen der Kinder- und Jugendhilfe voll zum Tragen, werden die Erzieherinnen und Erzieher als Pädagogen mit eigener Fachlichkeit wahrgenommen und gleichberechtigt einbezogen.

In enger Kooperation mit der Steuerebene auf Landesseite hat die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ daher die Broschüre „Qualität an Schulen mit Ganztagsangeboten in Brandenburg“ erarbeitet und veröffentlicht. Sie enthält einen Qualitätsrahmen, der sich am allgemeinen Schulqualitätsrahmen orientiert und speziell aufschlüsselt, was die Qualität ganztägigen Lernens ausmacht, und dies mit konkreten Praxisbeispielen unterfüttert. Das ist ein hervorragendes Instrument, um die Qualitätsentwicklung vor Ort anzuregen und voranzubringen.

Online-Redaktion: Wie hat sich die Resonanz auf die Veranstaltungen und Publikationen der Serviceagentur zuletzt entwickelt?

Kantak: Die Nachfrage nach den inzwischen sehr vielfältigen Unterstützungsleistungen verbleibt auf einem hohen Niveau. Beratungen werden von kommunaler Seite wie Bürgermeistern und Ämtern, von pädagogischer Seite wie Lehrkräften, Erzieherinnen und Sozialarbeitern, ebenso wie von Seiten weiterer Akteure beispielsweise der kulturellen Bildung oder des Sports gesucht. Wir initiieren und unterstützen unter anderem unter der Überschrift „Plattform Ganztag“ regionale Vernetzungsrunden. Sie ermöglichen den Beteiligten Erfahrungsaustausch und sind darüber hinaus Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung ganztägiger Bildung und Erziehung in der jeweiligen Region.

Hoch im Kurs steht unsere Publikationsreihe „GanzGut“ zu spezifischen Themen wie Soziales Lernen oder Bildungspartnerschaft mit Eltern. Ebenso Hospitationen und Exkursionen. Es zeigt sich, dass konkrete Praxisbeispiele stets hohe Resonanz finden und zum Transfer anregen. In diesem Jahr führt eine Exkursionen auch in ein anderes Bundesland – nach Bremen, wo es um das Thema „Inklusive Bildung“ gehen wird. Im Primarbereich haben wir Konsultationsstandorte etabliert: Dort öffnen sich die Schulen gemeinsam mit den kooperierenden Kindertagesstätten für andere Schulen und ihre Kooperationspartner zur Hospitation. Sehr gefragt sind auch die berufsübergreifenden Tandemqualifizierungen für Lehrkräfte und außerschulische Pädagoginnen und Pädagogen. Und schließlich gibt es noch unsere Fachtage für den Primar- und den Sekundarbereich.

Bei der Gestaltung all dieser Formate hat sich das Eingebundensein in das Bundesprogramm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung als besonders hilfreich erwiesen, weil wir viele gute Ideen aus anderen Bundesländern kennenlernen und aufnehmen können.

Online-Redaktion: Welche Rolle spielt das Bildungsthema Inklusion bei Ihrer Arbeit?

Kantak: Von der „Hilfe aus einer Hand“ für Familien sind wir noch weit entfernt. So müssen Eltern zum Sozialamt, zum Träger des Schülertransports, zur Krankenkasse, zur sonderpädagogischen Förder- und Beratungsstelle oder zum Jugendamt – um nur einige Anlaufstellen zu nennen – und müssen dabei stets verschiedene Anträge stellen. Derweil wird das Kind immer wieder nach verschiedenen Verfahren neu diagnostiziert. Dieser Weg war schon immer strapaziös – und in Zeiten, in denen wir ein gemeinsames Lernen für alle propagieren, mutet er absurd und als nicht zumutbar an.

In Deutschland ist es aber sehr schwierig, eine ganzheitliche Bildung für alle Kinder und Jugendliche umzusetzen, weil es so viele verschiedene Leistungsträger, Institutionen und Verantwortliche gibt, die sich bislang in ihren eigenen Rechtskreisen bewegen und voneinander wenig wissen. Für einen strukturierten, kontinuierlichen Austausch fehlt bisher einfach der Rahmen.

Online-Redaktion: Was können Sie tun, um das zu ändern?

Kantak: Inklusion kann nicht aus einem Ressort allein gestaltet oder gar verordnet werden. Schule, Jugendhilfe, Soziales und Gesundheit sowie die Interessenverbände der Betroffenen müssen an einen Tisch, um den Ist-Stand zu erheben, gemeinsame Ziele zu erarbeiten, Umsetzungsschritte zu verabreden und Verantwortlichkeiten zu definieren. Dafür braucht es moderierende Unterstützung. Sowohl das Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie wie auch das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg haben sich vor knapp einem Jahr daher entschlossen, eine „Kooperationsstelle inklusives Aufwachsen“ zu finanzieren. Auftrag dieser Kooperationsstelle ist es, regionale Kooperationsansätze durch Beratung und Prozessbegleitung zu unterstützen. Dieses Angebot wird insbesondere von den Kommunen und Schulämtern stark nachgefragt.

Online-Redaktion: Neben den personellen Strukturen stellt sich sicher auch die Frage nach den baulichen Veränderungen für inklusives Lernen?

Kantak: Als brisant erweist sich, dass keine Klarheit darüber herrscht, wie ein Raumprogramm für einen inklusiven Bildungsstandort aussehen muss. Viele Schulträger fragen uns an, wie eine Schule gebaut oder umgebaut werden sollte. Da findet bundesweit gerade eine große Suchbewegung statt. Die Antwort ist noch nicht gefunden. Länder wie Nordrhein-Westfalen, die ihr Schulgesetz in Richtung Inklusion verändert haben, geraten unter Druck, denn sie werden im Zuge der Konnexität von den Kommunen mit den finanziellen Auswirkungen veränderter Anforderungen an die räumliche und sächliche Ausstattung konfrontiert. Das schreckt andere ab, die sich daher schwer damit tun, Empfehlungen für ein Raumprogramm herauszugeben.

Online-Redaktion: Und nicht zuletzt stellen sich pädagogische Herausforderungen...

Kantak: ... die wir gemeinsam mit allen Beteiligten stärken- und ressourcenorientiert annehmen, denn wir starten nicht am Punkt Null. Schon heute lernen in Brandenburg 42 % aller Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigungen im gemeinsamen Unterricht. Wir können also auf Erfahrungen aufbauen. Die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ widmet sich dem pädagogischen Kernstück inklusiver Bildung, der individuellen Förderung, und bietet hier Unterstützungsangebote an. Auch die Landeskooperationsstelle Schule - Jugendhilfe unterstützt sozialpädagogische Fachkräfte und Lehrer/innen, zum Beispiel bei der Entwicklung von Konzepten zum soziales Lernen in heterogenen Gruppen. Alle diese Unterstützungsleistungen sind sehr nachgefragt.

Katrin Kantak ist Diplomlehrerin, Supervisorin und Schulentwicklungsberaterin. Sie ist Leiterin des Projektverbundes kobra.net und der Kooperationsstelle Schule-Jugendhilfe in Brandenburg.

Seit 2009 haben auf www.ganztagsschulen.org regelmäßig Bildungsministerinnen und Bildungsminister in Interviews die Entwicklungen beim Ausbau der Ganztagsangebote in ihrem Land erläutert. Alle Interviews finden Sie in der Rubrik „Bildungpolitik: Interviews“.

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