"In Sachen Pädagogik sind Sie die Experten" : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Der Wandel ging schnell. Nahezu alle Hamburger Grundschulen wurden in kurzer Zeit zu Schulen Ganztägiger Bildung und Betreuung (GBS). Stefan Clotz begleitet Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe beim Zusammenwachsen.

Online-Redaktion: Einen Management-Coach erwartet man in Unternehmen, nicht unbedingt in Schulen. Wie kam es dazu, dass Sie in Hamburgs GBS-Ganztagsgrundschulen tätig sind?

Stefan Clotz: Tatsächlich habe ich eine Coach-Ausbildung für den Management-Bereich abgeschlossen und arbeite mit dem so genannten St. Galler Management-Modell. Eine ehemalige Kollegin rief mich eines Tages an, sie war mittlerweile pädagogische Leitung in einer Ganztagsschule. So kam es zum ersten Kontakt. Hilfreich war aber sicher, dass ich als Vater einer achtjährigen Tochter der Grundschule häufiger im Alltag begegne.

Online-Redaktion: Haben Unternehmen und Ganztagsgrundschulen denn etwas gemeinsam?

Clotz: Es gibt kaum Wirtschaftsunternehmen, die komplexere Strukturen als eine Ganztagsgrundschule aufweisen. Alleine der Aufbau, wer wem was zu sagen hat und wem welcher Raum gehört und wer den Vertrag mit dem Caterer hat und wer mit den Eltern spricht – da muss ich mich oft mehr konzentrieren als in einem Unternehmen.

Als Unterschied ist auch auffällig, dass das System Grundschule ein in sich sehr geschlossenes System ist, fast eine eigene Welt. Ich sage bewusst nicht weltfremd. Aber es ist eine Sache, die ich immer im Auge behalte. Und als Coach fällt sofort auf: Grundschule ist ein Ort mit einem nicht ganz problemlosen Führungsverständnis. Gute Leitung zählt für mich zu einem der Haupterfolgsfaktoren für eine Grundschule.

Online-Redaktion: Worin unterscheidet sich Ihr Coaching in Grundschulen?

Clotz: Beim ersten Coaching in einer Grundschule habe ich zunächst an meinen Methoden und dem Aufbau meines Coachings nichts verändert. Für mich war das auch eine Frage des Respekts vor den Berufen der Lehrerin und der Erzieherin. Warum sollten sie ein anderes Angebot als ein Manager erhalten? Daher betrete ich auch jede Grundschule grundsätzlich im Anzug.

Mein Coaching konzentriert sich auf zwei Bereiche: Kommunikation und Organisation. Ich sage immer: In Sachen Pädagogik sind Sie die Experten und brauchen mich nicht. Ich glaube, mein sehr sachlicher und unemotionaler Ansatz wird letztendlich in den Grundschulen geschätzt. Für mich ist Coaching ein Handwerk. Ich helfe Menschen beim Denken, ohne zu beeinflussen. Ich möchte einen kritischen Blick von außen einbringen.

Online-Redaktion: Wie reagieren die Schulen oder Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen – gibt es Vorbehalte?

Clotz: Zu Beginn eines Coachings öfter. Wir sprechen von einer Zielgruppe, die nicht zum ersten Mal mit Moderationskarten um eine Pinnwand sitzt… Da gibt es schon Ermüdungserscheinungen, auch weil viel Geplantes dann oft nicht umgesetzt wurde. Ich versuche bestimmte Sachen wie Rollenspiele ganz rauszulassen, arbeite sehr ergebnisorientiert. Allgemein aber gilt: Ich kenne kaum dankbarere Kunden! Auch wenn wir manchmal bei lauwarmem Kaffee auf kleinen Stühlen im Werkraum sitzen, die Offenheit und die ehrliche Dankbarkeit machen alles wett.

Online-Redaktion: Wo sehen Sie die besondere Herausforderung für die Ganztagsgrundschulen Hamburgs?

Clotz: Für Fragen wie „Was ist ein guter Ganztag aus Sicht des Kindes?“ war bisher zu wenig Platz. Es entstand teilweise ein durchgetakteter Nachmittag, an dem Erzieherinnen vor allem auf die Uhr schauen müssen: Essenszeit, Hausaufgabenzeit, Kurszeit, Abholzeit. Hinzu kommt die Herausforderung, auch wenn ich immer Ärger bekomme, wenn ich das sage, dass Schule kein klassischer Ort der Veränderungen ist. Und nun stehen da plötzlich mittags Erzieherinnen und Erzieher vor der Tür. Das bewirkt Verunsicherungen, vom Hausmeister bis zur Schulleiterin. Wechselseitig haben Erzieherinnen und Lehrerinnen nicht immer Respekt voreinander.

Online-Redaktion: Welche gegenseitigen Vorbehalte gibt es denn?

Clotz: Zunächst: Ich kenne kaum ein Unternehmen, das trotz Zerwürfnissen noch so lange scheinbar funktioniert. Ich höre Sätze wie: „Ich muss sehen, dass ich hier um 13 Uhr schnell vom Hof komme, denn ich kann mir nicht ansehen, wie die mit den Kindern arbeiten“. Es geht an der Oberfläche um verschmutzte Tische, Rennen auf dem Flur und konzeptloses Freispiel. Die tatsächlichen Verletzungen liegen viel tiefer, da geht es um Wertvorstellungen, die Wahrnehmung des eigenen Berufs, fehlende Anerkennung, aber auch gewisse Absolutheitsansprüche.

Online-Redaktion: In Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen existieren ähnliche Modelle, etwa die Offene Ganztagsgrundschule. Dort wird häufig bemängelt, dass Schule und Betreuung nebeneinander herlaufen, die Akteure wenig miteinander zu tun haben. Sehen Sie Parallelen zu Hamburg?

Clotz: Ja. Und ich habe herausgefunden: Für manche war das sogar die Hoffnung, möglichst nichts mit den Anderen zu tun zu haben. Das ist natürlich eine Illusion, denn die Kinder gehen vom ersten Tag an in eine Ganztagsschule und nicht in zwei Organisationen. Einigen gelingt es sehr lange an der Illusion festzuhalten, dass es gut gehen könnte, nebeneinander zu existieren.

Für die Kinder aber ist genau das eine Riesenchance. Sie begegnen Menschen, die ihnen im System Schule kaum begegnet wären. Dass ein ehemaliger Streetworker aus Berlin meine Tochter betreut, finde ich großartig, das ist doch Vielfalt. Aber man muss sich aufeinander einlassen.

Online-Redaktion: Wie gelingt es Ihnen, die Professionen zusammenzubringen?

Clotz: Zunächst einmal: Ich nehme alle ernst und bleibe neutral. Wenn eine Lehrerin daran verzweifelt, dass sie nun nicht mehr nachmittags die Weihnachtsdekoration in der Klasse anbringen kann, weil der Raum im Ganztag belegt ist, nehme ich das auch ernst. Im Coaching führe ich die Erzieherinnen und Lehrerinnen möglichst schnell raus aus dem Wunsch, permanent in Lösungen zu denken. Auch mit Perspektivwechseln arbeite ich viel. Das Gelingen entscheidet sich aber oft auf Leitungsebene. Versteht man sich dort gut, gelingt es auch in den Teams viel schneller.

Online-Redaktion: Welche Rolle spielen die Eltern?

Clotz: Auch hier gibt es interessante Vorstellungen, was für das Kind gut sei. Abhängig von Einkommenslage und Bildungsstand der Eltern, werden Erzieherinnen im Nachmittag teilweise hart angegangen. Man stelle sich vor: In einer Vielzahl von Konferenzen ringen sich die Teams durch, zum Wohle der Kinder die Hausaufgaben in Zukunft anders zu gestalten. Zur gleichen Zeit fordern Eltern auf dem Elternabend der 1. Klasse die Verdopplung der Hausaufgaben. Da bin ich oft sprachlos.

Online-Redaktion: Welche Chance bieten sich den Ganztagsschulen in der Hansestadt – vorausgesetzt die Systeme harmonieren?

Clotz: Wenn es politisch gewollt bleibt: Unter etwas anderen Bedingungen ist es das Beste, was Kindern passieren kann. Zukunftsforscher sagen schon heute, dass Noten und Schulwissen in Zukunft nicht mehr so wichtig sind wie soziale Kompetenz, Flexibilität und Ideenreichtum. Und dafür hat man in GBS den kompetenten Partner, wenn man ihn lässt. Gespannt schauen wir in Hamburg auf die Initiative „Wir gehen auf´s Ganze“ vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Im Schuljahr 2014/15 ermöglicht man an sechs Schulstandorten, dass Erzieherinnen und Lehrerinnen die letzte Schulstunde gemeinsam gestalten. Das ist es, was wir brauchen: Zeit zur Kommunikation. Der Rest wird dann auch gelingen.

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