Hessischer Landeskongress "Ganztagsschule im Wandel" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Um die „Ganztagsschule im Wandel – Herausforderungen, Chancen und Perspektiven“ ging es beim Hessischen Landeskongress in Frankfurt am Main.

Spielerisches Teamwork der Kongress-Teilnehmenden
Bewegungsangebote sind Tradition beim Ganztagskongress © Redaktion www.ganztagsschulen.org

„Das ist ja wie Speed Dating hier“, meint ein Teilnehmer scherzhaft. Und tatsächlich hat die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Hessen den Tagesablauf ihres diesjährigen Landeskongresses am 18. September im Spenerhaus in Frankfurt am Main ganz auf den Austausch zugeschnitten: den Austausch der Schulen und den Austausch mit Politik, Verwaltung, Jugendhilfe Verbänden und Vereinen.

Um die „Ganztagsschule im Wandel – Herausforderungen, Chancen und Perspektiven“ ging es beim Kongress, dessen 180 Plätze „sehr schnell ausgebucht“ waren, wie Heike Krüger vom Frankfurter Team der Serviceagentur berichtete. 1.072 Ganztagsschulen gibt es inzwischen in Hessen. Nach dem 2003/2004 gestarteten „Ganztagsprogramm nach Maß“ hat die Landesregierung den Auf- und Ausbau von Ganztagsangeboten mit dem „Pakt für den Nachmittag“ 2015/2016 zum Ausbau der Ganztagsgrundschulen erweitert und dabei vor allem die Schulträger stärker einbezogen.

Für den Eröffnungsvortrag konnte der bekannte Kindheits- und Sozialisationsforscher Prof. Klaus Hurrelmann, der unter anderem die Shell-Jugendstudien und die World Vision Kinderstudie verantwortet, gewonnen werden. Unter dem Titel „Warum sind Kinder und Jugendliche heute so anders als früher?“ widmete er sich in seinem Vortrag den veränderten Bedingungen des Aufwachsens.

„Heute benötigen Kinder und Jugendliche auch eine 'Lebensführungskompetenz'. Eine Ganztagsschule, die die Schülerinnen und Schüler dahingehend unterstützen will, muss eine multiprofessionelle Institution sein, in denen Angebote von der Berufsvorbereitung über die Medienpädagogik bis zur Suchtprävention vorgehalten werden“, meinte Hurrelmann. Dazu müssten Psychologen, Therapeuten, Sozialpädagogen, Handwerksmeister, Künstler und Sporttrainer in den Schulen arbeiten und zur Persönlichkeitsstärkung der Schülerinnen und Schüler beitragen. Besonders wichtig sei es dabei, dass „jede Schule ihre Angebote an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen vor Ort ausrichtet“.

Georg-August-Zinn-Schule: Förderung durch „Profil 2 plus“

Schüler mit einem Banner der Georg-August-Zinn-Schule
Ein Vierteljahrhundert "Europaschule” © Georg-August-Zinn-Schule

Einen Wandel hat die Georg-August-Zinn-Schule bereits vollzogen. Die Integrierte Gesamtschule in Kassel nennt sich nun im Flyer „neue GAZ“. Kurz vor dem Jubiläum „25 Jahre Europaschule“ stellte Stufenleiterin Anke Scholz auf dem Kongress die Veränderungen in ihrer Ganztagsschule vor.

„Vor fünf Jahren ging die Schulleitung in Klausur. Wir waren nicht zufrieden, weil die Schülerzahlen rückläufig waren, und fragten uns: Wo wollen wir hin? Wie können wir den veränderten Lernvoraussetzungen gerecht werden? Wie fördern wir in Klassen mit bis zu 20 verschiedenen Herkunftssprachen? Die Antwort: "Wir hatten viele Ideen und Vorstellungen und haben uns auch an anderen Schulen kundig gemacht." Das Kollegium tat sich um, wie der Schultag so gestaltet werden konnte, dass die Schülerinnen und Schüler bestmöglich „gefördert und gefordert“ werden. „Wir haben uns dazu Beratung von der Lehrkräfteakademie gesucht, was ich nur empfehlen kann“, meinte die Lehrerin, „denn sonst schmort man zu sehr im eigenen Saft.“ Supervision könne sich jede Schule über die Bildungsgutscheine der Staatlichen Schulämter holen, so der Hinweis eines Teilnehmers.

„Fünf Wochentage im gebundenen Ganztag, wie es das Profil 3 vorsieht, hielten wir für zu viel“, so die Lehrerin. „Wir entschieden uns, stattdessen unser Profil 2 sozusagen zu einem Profil 2 plus auszuweiten.“ Das bedeutet, Ganztag an drei Tagen bis 15.20 Uhr und an zwei Tagen bis 13.10 Uhr. Die Schultage sind rhythmisiert. Es gibt zwei Pausen am Vormittag mit Angeboten der Schulsozialarbeit und der Stadtteilbibliothek. Pro Woche arbeiten die Schülerinnen und Schüler in vier Schulstunden selbstständig im Lernbüro, und zwei Schulstunden sind sportlicher und künstlerischer Bildung vorbehalten.

Wandel führte zu stabilen Schülerzahlen

Die Lern-und Übungsphasen im Unterricht sind länger, sodass weniger Hausaufgaben anfallen. Dazu kommt eine Wochenstunde mit integriertem Förderunterricht. Am Nachmittag folgen Arbeitsgemeinschaften wie Zirkus, Schulband oder Skater-Hockey in Kooperation mit den TGW Kassel Wizards. An einigen Tagen dauern die Schultage auch mal bis 17 Uhr. Räumlich hat sich ebenfalls etwas getan: Ein Jahrgang ist jeweils in einem Lernhaus untergebracht, was laut Anke Scholz „den Teamgeist erhöht“.

Titelbild der Schülerzeitung GAZettchen
Schülerzeitung GAZettchen © Georg-August-Zinn-Schule

Die Lernbüros aller Klassen des Jahrgangs finden parallel statt, und zwei Klassenlehrkräfte sind anwesend. „Das ist eine Herausforderung für das Kollegium, mehr gemeinsame Absprachen zu treffen“, berichtet Anke Scholz, „aber es ist auch eine Chance, da ich die Klassen teilen kann. Und wenn ich nur zwölf Schülerinnen und Schüler habe, ist mehr individuelle Förderung möglich.“ Die „neue“ Georg-August-Zinn-Schule arbeitet jetzt im dritten Jahr mit diesem Modell.

„Was sich gewandelt hat: Die Schule ist von den Jugendlichen als Freizeitort akzeptiert, sie sind gerne lange in der Schule. Selbst nach Unterrichtsschluss spielen sie auf dem Schulhof Tischtennis und Fußball. Und sie sind stolz auf das, was sie zum Beispiel in den Projektwochen geleistet haben.“ Der Kurswechsel schlägt sich in jetzt stabilen Schülerzahlen nieder. „Offenbar spricht es sich in der Stadt herum, wie bei uns gelernt wird“, freut sich Anke Scholz.

Carl-Orff-Schule Fehlheim: „Pakt für den Nachmittag kam wie gerufen“

Die Carl-Orff-Schule in Bensheim-Fehlheim im Kreis Bergstraße gehört zu den Grundschulen, die 2015 im „Pakt für den Nachmittag“ mit dem Ganztag starteten. Rektorin Christine Marx stellte ihre kleine Schule vor, an der rund 100 Schülerinnen und Schüler lernen und sieben Lehrerinnen beschäftigt sind. Schulen im „Pakt für den Nachmittag“ arbeiten mit einem offenen Angebot am Nachmittag, das von einem außerschulischen Partner verantwortet wird. In der Carl-Orff-Schule ist das der Arbeiter-Samariter-Bund Südhessen.

Nach dem Vormittagsunterricht wechseln die Schülerinnen und Schüler in die „Villa Nussbaum“, einen Bungalow auf dem Schulgelände. Dort folgt nach dem Mittagessen in der Mensa eine Bewegungspause auf dem Schulhof, bevor die Kinder ab 14.15 Uhr zur Lernzeit wieder in die Klassenzimmer gehen. Für die Dritt- und Viertklässler findet die Lernzeit täglich, für die Zweit- und Drittklässler findet sie an zwei Tagen der Woche statt. Anschließend folgt die „Spielzeit“: Bis 15 Uhr oder bis 17 Uhr können die Schülerinnen und Schüler auf dem Schulhof, in den Klassen, in Forscherwerkstatt, Computerraum, Schulgarten oder Musiksaal an Angeboten teilnehmen.

Verzierter Schülerstuhl
© Carl-Orff-Schule Fehlheim

„Der Pakt für den Nachmittag kam für uns wie gerufen“, berichtete Christine Marx. „Wir wollten ein größeres Zeitfenster zum Lernen und setzen unsere Lehrerstunden alle in der Lernzeit ein. Bis 15 Uhr sind Lehrkräfte in der Schule, ab dann lernen und spielen die Kinder mit außerschulischen Fachkräften.“ Neben der zweistündigen Lehrerkonferenz gibt es nun noch Pädagogische Konferenzen mit den Erzieherinnen, „weil wir gemerkt haben, dass wir erzieherisch noch mehr über die Kinder erfahren wollen“.

„Wenn die Qualität stimmt, schicken die Eltern ihre Kinder. Wir hatten gar nicht mit so vielen Ganztagskindern in unserem ländlichen Bereich gerechnet. Aber die Tendenz ist immer noch steigend. Und die Eltern schätzen nun auch den Wert von Angeboten wie Weben, Drucken und Spielen, deren Sinn sie am Anfang noch hinterfragt haben.“ Es sei ein schönes Arbeiten, aber „es wäre gelogen, wenn wir sagten, dass es wenig Arbeit ist“, erzählte die Schulleiterin. Wichtig sei es, über jeden Schritt die Eltern zu informieren.

Räumlicher Wandel: Gesamtschule Melsungen

Einen räumlichen Wandel stellte Architekt Prof. Philipp Krebs vor. Die Gesamtschule Melsungen  im Regierungsbezirk Kassel ist nach einer Planungsphase im Jahr 2013 und umfangreichen Umbauten im Jahr 2016 fertiggestellt worden. Ein Anbau aus den 1970er Jahren musste vom einstigen Schulhof des Gebäudes aus den 1950er Jahren weichen. Die Bauten entsprachen nicht den Anforderungen eines Ganztagsbetriebs.

In die Planungsphase waren Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte eingebunden. Philipp Krebs empfahl die „Rote Punkt“-Methode, um alle Gruppen zu Wort kommen zu lassen. „Als wir unsere Pläne vorgestellt hatten, konnten alle Anwesenden rote Punkte dort auf den Plänen aufkleben, wo sie Fragen oder Anregungen hatten. Wir haben die Punkte durchnummeriert und dann jede einzelne Frage der Reihe nach beantwortet.“

Hessische Ganztagsschulen befinden sich im Wandel, und auch die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ wandelt sich. „Es gelingt uns immer mehr, unseren Teilnehmerkreis zu erweitern – auf Schulträger, Jugendämter, auch Honorarkräfte“, freut sich Stephanie Welke vom Team Kassel. Thematisch wird das Angebot ebenfalls breiter: Mit Sabine Stuhlmann ist im Team Kassel nun die MINT-Botschafterin von Hessen im Team, die ihre Expertise für das Thema „MINT im Ganztag“ einbringen wird. Die Diplompädagogin Kanda Tatari wird im Team Frankfurt unter anderen Themen das „Interkulturelle Lernen“ stärken. Sie bereitet derzeit auch den Fachtag „Ganztagsschule als Interkultureller Ort“ am 1. Dezember in Frankfurt am Main vor.

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