Hamburg feiert 10 Jahre Ganztag mit Netz : Datum: Autor: Autor/in: Claudia Pittelkow

Vor gut zehn Jahren wurde das Hamburger Ganztagsschulnetzwerk gegründet. Aus einem kleinen Forum von ehemals acht Koordinatoren ist inzwischen ein großes Netzwerk von über 300 Beteiligten geworden. In der Ganztagsschule St. Pauli wurde der runde Geburtstag gefeiert.

Eingang des Veranstaltungsorts Ganztagsschule St. Pauli
Netzwerktreffen in der Ganztagsschule St. Pauli © Claudia Pittelkow

Vor etwas mehr als zehn Jahren, als das Ganztagsschulprogramm des Bundes langsam Fahrt aufnahm, wurde auf Initiative eines Ganztagskoordinators einer Hamburger Stadtteilschule das erste Ganztagsschulnetzwerk der Hansestadt gegründet. Das damals noch recht kleine Netzwerkforum, bestehend aus gerade mal acht Koordinatoren, ist inzwischen auf über 300 Mitglieder angewachsen.

„Ich bin erstaunt und erfreut über die langfristige Nachfrage“, so Detlef Peglow, Netzwerkmanager und Ganztagsreferent der Schulbehörde. Vergangene Woche trafen sich Entwickler und Gestalter aus Hamburgs Ganztagsschulszene – pädagogische Fachkräfte aus den Bereichen Schule und Jugendhilfe sowie außerschulische Partner – in der Cafeteria der Ganztagsschule St. Pauli, um das zehnjährige Bestehen des Netzwerks zu feiern.

Entwicklungsarbeit durch Peer-to-Peer-Lernen

Passend zum Konzept der selbstverantworteten Schule war das Hamburger Netzwerk von Anfang an als offener Zusammenschluss konzipiert, in dem sich am Ganztag Beteiligte treffen, austauschen und informieren können. Koordinatoren von rund 150 Schulen nehmen jährlich an den Netzwerktreffen teil. Peglow: „Es hat sich offenbar herumgesprochen, dass es ein gutes Netzwerk ist.“ Alle Beteiligten haben ein gemeinsames Ziel: Schülerinnen und Schüler von Ganztagsschulen optimal zu fördern. Um herauszufinden, wie das am besten geht, ist Offenheit angesagt. Denn bei der Netzwerkarbeit geht es nicht darum, sich möglichst gut darzustellen, sondern darum, Probleme zu benennen. Peglow: „Vertrauen ist hierfür immens wichtig, denn nur dann kann man ganz frei über die eigenen Fehler sprechen und offen darüber berichten, was an der eigenen Schule gerade schwierig ist.“

Das Netzwerk folgt einem besonderen Hamburg-spezifischen Konzept, das den beteiligten Schulen einen offenen Rahmen bietet, innerhalb dessen die Schulen die Themen selbst bestimmen und ihre konkreten Probleme und Entwicklungsfragen miteinander lösen können. „Dieses Peer-to-Peer-Lernen macht die besondere Attraktivität des Beratungs- und Fortbildungsangebots aus“, erläutert Peglow. Die wachsenden und beständigen Teilnehmerzahlen an den regelmäßigen Treffen würden beweisen, dass solche partizipativen Netzwerke sinnvoll seien. „Hier treffen sich Ganztagsschulexpertinnen und -experten, sie erhalten und geben Beratung ganz nah an den Stolpersteinen des Alltags“, so der Ganztagsreferent.

Blick ins Publikum
Entwickler und Gestalter aus Hamburgs Ganztagsschulszene feierten das zehnjährige Bestehen des Netzwerks. © Claudia Pittelkow

Mit den Jahren hat sich das Hamburger Ganztagsschulnetzwerk zu einem ausdifferenzierten Trio mit Netzwerken für Koordination, für GBS-Schulen – GBS steht für „Ganztägige Bildung und Betreuung an Schulen“ - und für Gymnasien entwickelt. Die Netzwerke befassen sich mit allen Schwerpunktthemen der Ganztagsschulpädagogik, entwickeln in Arbeitsgruppen die Rahmenbedingungen guter Koordinationsarbeit und setzen sich mit Veränderungen und Entwicklungen im Ganztagsschulwesen auseinander.

„Die Gesellschaft ändert sich, Familien ändern sich“

„Die so breit aufgestellte Entwicklungsarbeit über einen so langen Zeitraum ist etwas Besonderes in Hamburgs Schullandschaft“, so Uta Köhne, zuständige Leiterin der Abteilung für Ganztag und Schulentwicklung in der Schulbehörde. Die Abteilungsleiterin überbrachte den Gästen die Grüße des Bildungssenators Ties Rabe. In ihrem Grußwort blickte sie auf die vergangenen zehn Jahre zurück, in denen sich nicht nur das Netzwerk, sondern auch die Ganztagsangebote rasant entwickelt haben. „Anfangs ging man von einer Teilnahmequote von 40 Prozent aus“, erinnerte sie sich. Später hätte man die Prognose vorsichtig auf 50 Prozent erhöht. Aktuell gehen über 80 Prozent aller Hamburger Grundschulkinder vormittags und nachmittags zur Schule – und das, obwohl die Teilnahme am Ganztag freiwillig ist.

„Das ist eine enorme Zahl, die niemand so vorausgesehen hat. Und das ist auch Ihre Leistung!“, betonte Köhne in Richtung der anwesenden Beteiligten aus Schule und freier Kinder- und Jugendhilfe. Die Ganztagsbeschulung sei zunächst ein typisches Großstadt-Phänomen, doch könne man daran die Speerspitze einer Entwicklung beobachten. Köhne: „Die Gesellschaft ändert sich, Familien ändern sich.“ Immer häufiger seien beide Eltern voll berufstätig, die Ganztagsschule biete eine professionelle Betreuung, die Eltern mit gutem Gewissen annehmen könnten.

Das zehnjährige Bestehen des Netzwerks zeige, dass Hamburgs Schulen nicht nur Vorgaben umsetzen, sondern gute ganztägige Bedingungen für die Bildungschancen ihrer Schülerinnen und Schüler wollen und diese beständig entwickeln. Denn die größte Aufgabe bleibe: die Ganztagsschule auch in Sachen Bildung zu einem Erfolgsmodell zu machen. „Das passiert nicht von alleine“, so Köhne. „Dafür brauchen wir vor allem diejenigen, die direkt vor Ort, an den Schulen, täglich daran arbeiten, aus einem Konzept funktionierende Wirklichkeit zu machen.“ Und an die Anwesenden: „Sie sind diejenigen, die die Ganztagsschule zum Erfolg führen!“

Was macht eine gute Ganztagsschule aus?

Tänzer der HipHop Academy
Kooperationspartner vieler Hamburger Ganztagsschulen: die HipHop Academy © Claudia Pittelkow

Nach diesen würdigenden Worten gab es eine musikalische Pause mit Soulsängerin Zoe, Schülerin der Stadtteilschule Alter Teichweg, und Tänzern der HipHop Academy, die Kooperationspartner vieler Hamburger Ganztagsschulen ist. „Auch das ist Ganztag, ein Ort für Bildung und für Kultur“, so Professor Dr. Falk Radisch, Leiter des Instituts für Schulpädagogik und Bildungsforschung an der Universität Rostock. Der renommierte Bildungsforscher gab den Netzwerkern in einem 30-minütigen Vortrag einen Überblick über den aktuellen Stand der Ganztagsschulforschung.

Dabei nahm er Bezug auf die Studie „Mehr Schule wagen“ (2017), an der er selbst mitgearbeitet hat. Für die Studie, initiiert von vier großen Bildungsstiftungen, waren zehn Schulen, allesamt Träger des Deutschen Schulpreises oder des Jakob-Muth-Preises, befragt worden, was eine gute Ganztagsschule ausmacht. Nach Auswertung der Befragung gaben die Bildungsexperten folgenden Rat: Mehr Unterricht an Ganztagsschulen, dafür die Hausaufgaben abschaffen. Radisch: „Empfohlen wird eine wöchentliche Mindestöffnungszeit von acht Stunden an fünf Tagen mit unterschiedlicher Teilnahmepflicht.“ Die Gestaltung der Öffnungszeit sei dabei als Aufgabe der einzelnen Schule zu verstehen.

Das „Wagnis“ besteht für Radisch darin, Schule wieder in ihrer Ganzheit wahrzunehmen – als einen Ort mit weitem Bildungsbegriff und Lernzielen, die über Kompetenzen in Deutsch und Mathe hinausgehen. „Der Ganztag bietet hierfür den Rahmen, den alle Schulen bräuchten“, so der Bildungsforscher. In seinem Vortrag ging er auch auf das Thema Netzwerk ein. „Der Ganztag bietet ideale Möglichkeiten für Netzwerkarbeit“, betonte er. Es gebe deutschlandweit vielfältige Formen von Netzwerken, zudem sei ein rasanter Ausbau zu beobachten. Dennoch existiere aktuell nur wenig Expertise zur Wirksamkeit und zu Qualitätsmerkmalen von Netzwerkarbeit.

Wie eingangs Detlef Peglow betonte auch Radisch, wie wichtig Vertrauen und Wertschätzung für das Gelingen von Netzwerkarbeit sind. Gehe es doch darum, Probleme zu benennen und Erfahrungen auszutauschen, um voneinander zu lernen und Veränderungsansätze zu verwirklichen. Neben dem Rückhalt von Kollegien und Schulleitung seien regelmäßige Treffen und die Transparenz der Entwicklungen weitere wichtige Merkmale einer gelungenen Netzwerkarbeit. In Hamburg gehen die Beteiligten seit zehn Jahren genauso vor. Uta Köhne: „Unsere Schülerinnen und Schüler profitieren von dieser Arbeit.“

 

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