Gute Ganztagsbildung – trotz Corona! : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

„Guten Ganztag in weiterführenden Schulen gestalten – trotz Corona!“ In einem Online-Seminar tauschten sich Ganztagsschulen in Nordrhein-Westfalen aus, wie sie derzeit Ganztag und Schulentwicklung möglich machen.

„Habe meine Freunde vermisst.“
„Dass die Freunde nicht da waren, hat mir gefehlt.“
„Die Pausenangebote sind immer gut gewesen.“
„Schade, dass es keine AGs gibt.“
„... alleine zu Hause, da hatte ich Langeweile.“

© Gymnasium Wanne

Die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Nordrhein-Westfalen hat Siebtklässler eines Gymnasiums befragt, wie sie die Schulschließungen und die aktuellen Einschränkungen der Corona-Pandemie erlebt haben. Ihre Zitate konnten rund 50 Teilnehmende des Online-Seminars „Guten Ganztag in weiterführenden Schulen gestalten – trotz Corona!“ am 28. Oktober im O-Ton hören.

Eigentlich hatte die Serviceagentur eine Präsenzveranstaltung „Kinder- und Jugendbeteiligung in der Ganztagsschule“ geplant. „Doch auch wir wurden von Corona kalt erwischt“, wie Dirk Fiegenbaum, Ganztagsberater für die Sekundarstufe I, zur Begrüßung berichtete. Zusammen mit seiner Kollegin Alexandra Wiese moderierte er nun die virtuelle Tagung: „Wir wollen gemeinsam Ideen entwickeln, wie Ganztag an weiterführenden Schulen unter den aktuellen Bedingungen gelingen kann und welche Möglichkeiten es gibt, Kinder und Jugendliche nachhaltig an der Umsetzung einer guten Ganztagsschule zu beteiligen.“

Unterschiede zwischen Ganztagsschulen

Zwar war das Online-Seminar mit einem Impulsvortrag und vier parallelen Workshops klassisch aufgebaut. Aber vor allem gab die Veranstaltung den teilnehmenden Schulleitungen, Ganztagskoordinatoren, Lehrkräften, pädagogischen Fachkräften und Schulsozialarbeitern die Gelegenheit, selbst zu berichten, wie sie die aktuellen Herausforderungen meistern und welche Wege sie gehen, um die Ganztagsangebote aufrechtzuerhalten.

Dabei zeigten sich durchaus einige Unterschiede zwischen den Ganztagsschulen. So stehen normalerweise am Franz-Stock-Gymnasium Arnsberg die Schülerbibliothek, ein Tanzsaal und weitere Räumlichkeiten in der Mittagspause offen. Es gibt ein offenes Atelier in Kunst und Neigungsgruppen. Doch derzeit sind die Räume nicht geöffnet. „Unser Ganztagsangebot ist total eingekürzt. Wir versuchen es irgendwie am Laufen zu halten“, berichtete Lehrerin Anna-Lena Kemper.

Lehrerin Anna-Lena Kemper vom Franz-Stock-Gymnasium Arnsberg © Online-Redaktion

An der Realschule Hohenstein in Wuppertal finden die Arbeitsgemeinschaften wiederum entsprechend angepasst statt. „Man hat gemerkt, dass den Schülerinnen und Schülern was gefehlt hat“, betonte eine Lehrerin. Ganztagskoordinatorin Eva Beckschulte vom Haranni-Gymnasium in Herne konnte berichten: „Unsere AG-Angebote gibt es wieder, auch die Pausenausleihe durch die Sporthelfer läuft.“

„Die Enttäuschung der Kinder zu sehen, tut weh“

Am Gymnasium Wanne in Herne wiederum laufen die Arbeitsgemeinschaften weiter. Aber der Pausensport findet nicht statt, und Spieleraum und Bibliothek sind auch hier geschlossen. An der Höhnequellschule Neuenrade, einer Gemeinschaftsschule, müssen wiederum derzeit Schulsanitäter, Pausenhelfer und Sporthelfer pausieren, der Spieleraum ist geschlossen, die Pausenangebote sind gestrichen.

Im St. Ursula Gymnasium und in der St. Ursula Realschule in Attendorn kann der Bund der Katholischen Jugend (BDKJ) seine Freizeitangebote nur beschränkt und in festen Gruppen anbieten. Neben der räumlichen Aufteilung und der Einteilung in feste Gruppen versuchen die Ganztagsschulen beispielsweise eine Entzerrung durch separate Essenbestellung, um ein Schlangestehen zu vermeiden und einen wöchentlichen Wechsel der Angebote zu erreichen. Manche verkürzen die Mittagspause.

In Arnsberg listet der Sportdezernent in einem Newsletter regelmäßig auf, welche Angebote möglich sind. Dass immer wieder Kontaktsportarten abgesagt werden müssen, finden manche Lehrkräfte mehr als bedauerlich: „Die Enttäuschung der Kinder zu sehen, tut weh.“ In manchen Ganztagsschulen übernehmen Sekretärin oder Lehrkräfte derzeit die Aufgaben, die normalerweise die Schulsozialarbeit hat. Ganztagsangebote werden auch zu Fachunterricht umfunktioniert.

Lernen bedeutet Zukunft, Ganztagsbildung ist Teilhabe

Für Dr. Petra Bollweg ist es wichtig, dass die Ganztagsschulen den Schülerinnen und Schülern so viele Angebote wie möglich machen. Die Erziehungswissenschaftlerin von der Universität Bielefeld stellte ihrem Impulsvortrag „Kind- und jugendorientierte Ganztagsschule aus Perspektive von Ganztagsbildung“ ein Zitat aus einem historischen Roman von Charles Lewinsky voran: „Wo es einen Stundenplan gibt, ist die Welt nicht völlig aus den Fugen. Solange man lernen muss, muss es eine Zukunft geben.“ Denn Lernen sei eines der Grundbedürfnisse des Menschen, „unsere Gesellschaft beruht auf Wissen und wird durch Wissen vorangetrieben“, betonte sie.

Dr. Petra Bollweg von der Universität Bielefeld © Online-Redaktion

„Ganztagsbildung“ ist für Petra Bollweg eine institutionenübergreifende Perspektive. Sie braucht ein „weites Bildungsverständnis“, das unterschiedliche Bildungspartner und Bildungsorte einschließt. Dazu gehören für sie insbesondere die Kooperation von Schulen mit der Kinder- und Jugendhilfe und eine optimale Abstimmung zwischen Schule, Eltern und außerschulischen Partnern.

Ganztagsbildung, so Petra Bollweg, sei „ein Grundgerüst, mit dem Lern- und Beziehungsräume und deren Strukturen in Beziehung gesetzt werden, ohne dass die Bereiche miteinander kollidieren“. Die Ganztagsschule könne Teilhabe und die Befähigung zur Teilhabe forcieren, „Handlungsbefähigung und Selbstorientierung“. Sie schaffe flexible Lernanlässe und erkenne auch außerunterrichtliches Engagement an. Die Ganztagsschule wirft für die Erziehungswissenschaftlerin auch Fragen demokratischer Beteiligung auf: „Mitgestaltungsrechte, Mitspracherechte und die Wahlfreiheit der Kinder und Jugendlichen“.

Schulentwicklung digital-partizipativ

Eine neuere Möglichkeit zur Partizipation ist die Online-Plattform aula, die Alexa Schaegner von politik-digital e.V. im Workshop „Wie lässt sich die Beteiligung von Schülerinnen und Schülern an 'Ihrer' Ganztagsschule nachhaltig umsetzen?“ vorstellte. aula ist eine Plattform, mit der Schülerinnen und Schülerinnen und Schüler sich über ihre Ideen für die Schulentwicklung und Projekte austauschen, debattieren und abstimmen können. Sie können ihre Projekte so gemeinsam weiterentwickeln. Moderiert werden die Prozesse von den Lehrerinnen und Lehrern.

Ob Ideen und Projekte weiterverfolgt werden, hängt dann davon ab, wie viele sich beteiligen und wie die Schulgemeinschaft abstimmt. Der Erfahrung nach kreisen die Ideen oft um Schulhofgestaltung, Klassenfahrten, das AG-Angebot, aber auch um Regeln für die Handy-Nutzung. Eine „ungeplante Zweckentfremdung“ erfuhr die Plattform laut Alexa Schaegner während der Schulschließungen: „Die Schulen nutzten sie, um die Aufgabenverteilung digital zu organisieren. So ist die Beteiligung am Schulgeschehen auch aus der Distanz möglich gewesen.“

Demokratische Schulentwicklung: Gymnasium Wanne © Gymnasium Wanne

An der Gesamtschule Barmen in Wuppertal, wo im Oktober wieder Schulen schließen mussten, können die Jugendlichen aktuell „Corona-angepasste“ AGs besuchen. Dort hat sich ein „Schulentwicklungsforum“ gegründet, um die Lernformen anzupassen. Die Ganztagsschule hatte bereits im März eine eigene Lernplattform „Wider die Langeweile“ gestartet. Jede Woche fand eine Konferenz statt, „bei der auch die Schülerinnen und Schüler und der Hausmeister mitgemacht haben“. Es wurden handwerkliche Aufgaben, auf den Ganztag abgestimmt, entwickelt. Jetzt nutzt die Schule wiederum eine Online-Plattform, um „irgendwie zusammen da durchzukommen“, wie Ganztagsschulkoordinator Axel Sardemann berichtete.

„Gemeinsames Lernen durch nichts zu ersetzen“

Die Gesamtschule Wanne-Eickel in Herne, eine offene Ganztagsschule mit Musik-Profil und einem normalerweise reichhaltigen Angebot an AGs und Lernzeiten, hat nicht nur „neue Wege“ – genauer: A-H-A-Wege, eigene Eingänge und Aufenthaltsbereiche für die die einzelnen Jahrgänge – eingerichtet, sondern kürzlich die „Quaralympics“ ausgerufen, wie Lehrerin Jennifer Vooren erzählte. „Wir haben Spiele für zu Hause ausgedacht, und die Jugendlichen haben das gefilmt.“

Für Christoph Gathmann, den stellvertretenden Schulleiter der Realschule Lechenich in Erftstadt, einer „Zukunftsschule NRW“ mit offenen und gebundenen Ganztagsangeboten, die im April eine Schüler- und Elternbefragung zur Bewältigung der Bildung auf Distanz durchgeführt hat, ist klar: „Wir versuchen unsere Routinen beizubehalten und haben die Kommunikationsmöglichkeiten ausgebaut. Aber das gemeinsame Lernen ist durch nichts zu ersetzen.“

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