Gemeinsam Ganztags(grund)schule entwickeln : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Alle zwei Jahre wird Forchheim zur Hauptstadt der bayerischen Ganztagsschulen. Der 5. Bayerische Ganztagsschulkongress spiegelte die aktuellen Entwicklungen.

„Dass so eine Veranstaltung in Bayern stattfindet, ist sensationell", fanden Dr. Birgit Hoyer vom Zentrum für Lehrerbildung der Universität Würzburg und Prof. Sybille Rahm vom Bamberger Zentrum für Lehrerbildung. Das war 2008, als im oberfränkischen Forchheim, initiiert und befördert durch das Schulamt der Stadt und ihren Leiter Gerhard Koller, erstmals Praktiker, Politiker, Verwaltungsfachleute und Wissenschaftler zu einem bayernweiten Austausch über Ganztagsschulen zusammenkamen.

5. Bayerischer Ganztagsschulkongress
5. Bayerischer Ganztagsschulkongress im Herder-Gymnasium Forchheim © Redaktion www.ganztagsschulen.org

Acht Jahre später ist der Bayerische Ganztagsschulkongress eine Institution. Seinen Stellenwert kann man nicht zuletzt an dem Fernsehteam des Bayerischen Rundfunks und weiteren anwesenden Journalisten ablesen. Zum 5. Kongress am 11. und 12. März 2016 kamen 320 Teilnehmende in das Herder-Gymnasium, um sich unter dem Motto „Gemeinsam Ganztagsschule entwickeln“ in Vorträgen, Themenwerkstätten und einer Zukunftswerkstatt zu informieren und auszutauschen.

Für die Landesregierung würdigte Staatssekretär Georg Eisenreich zum Kongressauftakt in der vollbesetzten Aula des Herder-Gymnasiums die Pionierrolle Forchheims in der Ganztagsschulentwicklung. Für ganz Bayern gelte, dass bis 2018 ein flächendeckendes Ganztagsschulangebot in allen Schulformen erreicht werden soll. Aktuell ermöglicht die Landesregierung die Einrichtung von offenen Ganztagsschulen in Grundschulen und in den Grundstufen der Förderschulen, sodass „jetzt in allen Schulformen alle Ganztagsmodelle möglich sind“, wie der Staatssekretär die Entwicklung bilanzierte.

„Kombi-Modell“ Ganztagsgrundschule-Hort

Mit Unterstützung des Sozialministerium und der Kommunen erproben seit Schuljahresbeginn außerdem 100 Ganztagsgruppen das „Kombi-Modell“, bei dem offene Ganztagsgrundschule und Hort ein Bildungs- und Betreuungsangebot kombinieren, mit dem ein Zeitrahmen bis 18 Uhr auch in den Ferien organisiert wird. „Mit den Erfahrungen aus dem Pilotprojekt wollen wir das Kombi-Modell im kommenden Schuljahr auf 1.000 Ganztagsgruppen ausweiten“, so Eisenreich. Dabei müsse es zukünftig darum gehen, dass Jugendhilfe- und Schulplanung besser aufeinander abgestimmt würden.

Für das Eröffnungsreferat hatten die Veranstalter einen Kongressveteranen eingeladen, der bereits 2008 und 2014 dabei gewesen war. Prof. Olaf-Axel Burow von der Universität Kassel führte in seinem Vortrag „Grenzen öffnen“ aus, dass „Schulen Teams brauchen“ und wie „Stärken im Team gemeinsam entfaltet werden können“. Dem wachsenden Anforderungs- und Zeitdruck in Schulen könne Teamarbeit entgegenwirken, indem sie die einzelne Lehrkraft entlaste, vor allem aber im Austausch mit anderen überhaupt erst den Raum für neue Ideen und Kreativität schaffe. Dies werde einen nachhaltigeren Effekt auf die Lernkultur einer Schule haben als die immer wieder erhobene Forderung nach kleineren Klassen. „Schlechter Unterricht ist vor sechs oder 100 Schülern gleich ineffektiv“, meinte der Erziehungswissenschaftler.

Über die gesamte Dauer des Kongresses bot Burow die Zukunftswerkstatt „Ganztagsschule als kreatives Feld“ an. Darüber hinaus konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aber noch rund 40 Workshops besuchen, deren Themen von der „Umgestaltung von Räumen“ über „Einrichtung und Betrieb einer Ganztagsschule“ als Herausforderung für Sachaufwandsträger bis zur „Personalfindung für die Ganztagsschule“ reichten.

Grundschule Hiltpoltstein: Engagement für das Ganztagsangebot

Die noch recht junge Möglichkeit der offenen Ganztagsgrundschule war Anlass, in einem Workshop von „Ersten Erfahrungen“ zu berichten. Die Schulleiterinnen Cordula Haderlein von der Adalbert-Stifter-Grund- und Mittelschule Forchheim und Margit Keck von der Grundschule Hiltpoltstein im Landkreis Forchheim berichteten aus ihren „Pilotschulen“.

In der kleinen Grundschule Hiltpoltstein nehmen zwei Drittel der 44 Schülerinnen und Schülern an den Ganztagsangeboten teil. Die Teilnahme variiert von dem geforderten Minimum von zwei Tagen bis zu fünf Tagen. Träger des Ganztags ist die Gemeinde Hiltpoltstein, und Schulleiterin Keck hat auch gleichzeitig die Leitung der Ganztagsschule übernommen. Deutlich wurde, dass ohne das große Engagement der Schulleiterin und der Sekretärin, der die Gemeinde zusätzlich drei Stunden in der Woche finanziert, das Angebot am Nachmittag kaum aufrechtzuerhalten wäre.

5. Bayerischer Ganztagsschulkongress
5. Bayerischer Ganztagsschulkongress 2016 in Forchheim © Redaktion www.ganztagsschulen.org

Von Montag bis Donnerstag dauert der Schultag bis 15.30 Uhr, am Freitag bis 14 Uhr. Das Mittagessen ist verpflichtend. „Wir wollen das Wir-Gefühl durch die gemeinsamen Mahlzeiten und das Aufräumen danach stärken“, erklärte Margit Keck. In der Hausaufgabenzeit begleiten drei externe Mitarbeiterinnen die Kinder. An jedem Tag gibt es einen Kurs, für den die Schüler sich einwählen können, aber nicht müssen. Die Angebote reichen von Flöte über „Haus der kleinen Forscher“ bis zu „Kreativer Kindertanz“ mit einer Tanzpädagogin. Alternativ können die Schülerinnen und Schüler sich auch einfach nur ausruhen oder frei spielen.

Adalbert-Stifter-Schule: Situative Angebote statt feste Kurse

Während die kleine Grundschule Hiltpoltstein für den Ganztag das komplette Untergeschoss mit einem Hausaufgabenraum, einem Bauzimmer, einem Ruhe- und einem Werkraum hat einrichten können, platzt die Adalbert-Stifter-Schule mit ihren 360 Schülerinnen und Schülern aus allen Nähten. Die Grund- und Mittelschule verfügte bereits über einen gebundenen Ganztagsschulzweig und nun auch über die offene Ganztagsschule in der Primarstufe. 40 Schülerinnen und Schüler besuchen jetzt in zwei jahrgangsgemischten Gruppen die offene Ganztagsschule, die montags bis donnerstags von 12 bis 16 Uhr stattfindet.

Die Schule bietet gar keine Kurse am Nachmittag an und setzt nur wenige externe Partner ein. Bei den externen Partnern hätten die Schülerinnen und Schüler zu sehr „die Grenzen ausgetestet“. Das Kurssystem passe nicht zu den Schülern – die Erzieherinnen entscheiden laut Cordula Haderlein jeden Tag situativ, was sie anbieten. Hauptsächlich sei Bewegung gefragt, und es gebe Angebote wie beispielsweise Tanzen, Einradfahren, Basteln und Experimentieren. Die Kooperation von Lehrkräften und außerschulischem Personal sei schwierig, aber man setzte die Hausaufgabenbetreuerinnen auch täglich eine Stunde im Unterricht ein, um mehr Kontakt zu ermöglichen. Einmal pro Woche bespreche sie sich mit Cornelia Schütz, der Leiterin der offenen Ganztagsschule, und „es gibt immer etwas zu bereden“, so Cordula Haderlein.

Für die Grundschüler ist das Mittagessen an der Adalbert-Stifter-Schule verpflichtend. Die Teilnahme an einem Coaching der Vernetzungsstelle Schulverpflegung Oberfranken habe viel gebracht: Vorgedeckte Tische mit Schüsseln auf dem Tisch haben die Atmosphäre im Essenraum entspannt, weil das ständige Laufen zur Ausgabetheke entfalle. Zweimal die Woche wird eine Salatbar angeboten, für die Mittelschüler gibt es Wahlessen.

Gymnasiums Grünwald: „Wir sind die Experten für das Lernen“

Eine ganz andere Perspektive, die des neugegründeten Gymnasiums Grünwald, brachte Schulleiterin Birgit Korda im Workshop „Neue Wege im offenen Ganztag: Das Grünwalder-Modell“ ein. Das mit dem Schuljahr 2014/15 gegründete Gymnasium im Münchner Nobel-Vorort war von Beginn an mit einem teilgebundenen Ganztag konzipiert, der so vom Landeskonzept gar nicht vorgesehen war. Doch der Schulleiterin gelang es, von ihrem Modell zu überzeugen.

5. Bayerischer Ganztagsschulkongress
© Redaktion www.ganztagsschulen.org

Die teilgebundene Ganztagsschule ist eine Kooperation des Kreisjugendring München-Land und der Gemeinde Grünwald. Alle Schülerinnen und Schüler haben zwei lange Tage mit Unterricht bis 15.45 Uhr, eine regelmäßige Studierzeit, eine Mittagspause und freie Wahlfächer. Die offene Ganztagsschule mit Hausaufgaben- und Lernzeit sowie Freizeitangeboten findet im Anschluss bis 16.30 Uhr statt. Fünf Pädagoginnen und Pädagogen vom Kreisjugendring-München-Land sind hier im Einsatz.

„Wir wollen das soziale und individuelle Lernen der Jugendlichen, ihre Persönlichkeiten in einer wichtigen Entwicklungsphase stärken“, beschrieb es Schulleiterin Korda. Prinzipien seien ein entschleunigtes Lernen hauptsächlich in Doppelstunden, Binnendifferenzierung und fächerübergreifende Projekte. Lernen solle in der Schule und nicht in Nachhilfeinstituten stattfinden, erklärte Birgit Korda: „Wir Lehrerinnen und Lehrer sind die Experten für das Lernen.“

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