Ganztagsschulverband: "Chancen für alle entwickeln" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Der diesjährige Bundeskongress des Ganztagsschulverbandes in Lübeck rückte Qualität und Chancen in der Praxis der Ganztagsschule in den Mittelpunkt.

Dass der diesjährige Bundeskongress des Ganztagsschulverbandes vom 18. bis 20. November 2015 im Hotel Hanseatischer Hof in Lübeck stattfand, konnte die Hansestadt auch als Auszeichnung für ihr Engagement verstanden wissen. Rolf Richter, Vorsitzender des Ganztagsschulverbandes, lobte die Stadt Lübeck bei der Begrüßung der rund 380 Teilnehmerinnen und Teilnehmer als „vorbildlich“ der Ganztagsschulentwicklung. Darüber wiederum freute sich Stadtpräsidentin Gabriele Schopenhauer, die ein Grußwort sprach.

In Lübeck gibt es insgesamt 42 Offene Ganztagsschulen. In Ergänzung der Ganztagsangebote haben sich in Lübeck in den vergangenen Jahren weitere Bildungsnetzwerke rund um Schule gebildet. Diese profitieren unter anderem von der reichen Stiftungstradition der Hansestadt. Die Netzwerke aus verschiedenen regionalen Partnern, zum Beispiel Vereinen, Jugendfreizeiteinrichtungen oder auch Ehrenamtlichen, bieten schulartübergreifende Lern- und Freizeitangebote an.

Ihre Basisfinanzierung gewährleistet der Stiftungsverbund im Lübecker Bildungsfonds, der auf Initiative des Gremiums "Zukunft Lübeck" 2006 gegründet worden war. Seit 2008 investieren Kommune, Land, Wirtschaftsunternehmen und der Stiftungsverbund, dem sieben Stiftungen angehören, gemeinsam jährlich zwei Millionen Euro in diesen Fonds. Dieser hilft bei der Finanzierung von Mittagessen, Arbeitsmaterialien, Sprachförderung, Musik- und Sportangeboten oder auch Klassenausflügen.

Ganztagsschule für alle

Um allen Schülerinnen und Schülern, auch jenen aus einkommensschwachen Familien, die Teilnahme am Ganztag zu ermöglichen, können für förderfähige Familien die Beiträge für Ganztagsangebote durch den Bildungsfonds reduziert werden, wie Stadtpräsidentin Gabriele Schopenhauer berichtete. Zusätzliche Mittel setzt der Bildungsfonds für das Programm „Schule als Lebens- und Lernort“ ein, sodass seit August 2011 mehr Kinder als ursprünglich vorgesehen in den Genuss einer verlässlichen Ganztagsbetreuung kommen. Das Motto des Ganztagsschulkongresses „Chancen für alle entwickeln“ fand sich also auch in der Verwaltungspraxis des Veranstaltungsortes wieder.

Vorstand des GTSV e.V.
© GTSV e.V.

Für das Land Schleswig-Holstein betonte der Staatssekretär im Ministerium für Schule und Berufsbildung Dirk Loßack in seinem Grußwort, die Ganztagsschule sei eine lernende Institution, die sich auch an der Nachfrage durch die Eltern und die Kinder orientiere. 2015 seien wieder 20 neue Ganztagsschulen im Land genehmigt worden, sodass nun 429 Schulen einen Ganztag vorhielten, davon 30 in gebundener Form.

Schleswig-Holstein strebe an, dass die Ganztagsschule allen Schülerinnen und Schülern zugänglich sei und „nicht nur den Privilegierten“. Das Land werde die Ganztagsschulen unterstützen und ermuntern, sich in den Sozialraum zu öffnen, mit der Kinder- und Jugendhilfe zu kooperieren und sich mit Freizeiteinrichtungen zu verzahnen.

Gute Ganztagsschulen schaffen sich ihre Nachfrage

Für den Hauptvortrag „Ganztagsschulen im Spannungsfeld von Nachfrage, Finanzierung und Qualität“ hatte der Verband den Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Klaus Klemm von der Universität Duisburg-Essen gewinnen können, der in seinem Beitrag ein Plädoyer für die gebundene Ganztagsschule abgab. Zugleich räumte er ein, dass die meisten Eltern die offene Form bevorzugten, die eine flexiblere Betreuung gewährleiste. Diese hätte aber auch pädagogische Schwächen. „Wo die Ganztagsschulen gut arbeiten, entwickelt sich die Nachfrage am besten“, konstatierte Klemm. Gute Ganztagsschulen würden den „pädagogischen Dreischritt aus Vorschreiben, Abschreiben und Auswendiglernen“ überwinden.

Unter der Überschrift „Was Ganztagsschulen brauchen, um erfolgreich zu sein“ stellte am zweiten Kongresstag Helmut E. Klein, Senior Researcher am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, dem Plenum statistische und empirische Befunden aus Studien zur Ganztagsschule vor. „Ganztagsschulen werden zu einem bundesweiten Regelangebot und zur Normalität. Das Investitionsprogramm 'Zukunft Bildung und Betreuung' hat maßgeblich zu dieser Dynamik beigetragen. Die Angebotsstruktur variiert dabei allerdings von Bundesland zu Bundesland erheblich“, so Klein.

Ganztagsschulen führten zu einer neuen Lern- und Förderkultur. Sie förderten die Schülerinnen und Schüler besonders im sozialen Bereich positiv, wie die Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG) zeige. Klein sieht für die Zukunft der Ganztagsschulen drei Merkmale als notwendig an: ein Personalkonzept mit neuen Arbeitszeitmodellen, eine intensivere Vernetzung in der Bildungslandschaft und einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz.

Vom „Schulsanitätsdienst“ bis zum „Pausenengel“ – Praxis Ganztagsschule

Zum Bundeskongress des Ganztagsschulverbandes gehören traditionell die Schulbesuche am zweiten Kongresstag, die den Teilnehmenden ein anschauliches Bild von der Praxis der Ganztagsschulen ermöglichen. 16 Ganztagsschulen in Lübeck, Groß Grönau, Bad Oldeslohe, Trittau, Bargteheide, Bad Segeberg und Mölln öffneten diesmal ihre Türen. Darunter waren etwa die Anne-Frank-Schule Bargteheide, die 2013 den Deutschen Schulpreis gewann, die Baltic-Schule in Lübeck, die Schule am Burgfeld in Bad Segeberg oder das Marion-Dönhoff-Gymnasium in Mölln.

Am dritten Kongresstag konnten die Teilnehmenden schließlich aus einer Fülle von Themen und Formaten wählen. Die Themen der Foren und Workshops reichten vom „Schulsanitätsdienst“ der Holstentor-Gemeinschaftsschule Lübeck über das „Pausenengel-Konzept“ der Stadtschule Bad Oldesloe bis zu „Handball für alle – ein inklusives Kooperationsprojekt“ der Geschwister-Prenski-Schule Lübeck, der „Schule des Jahres Schleswig-Holstein 2014“. Es ging um „Individuelle Lernzeiten statt Hausaufgaben in der Ganztagsgrundschule“, „Elternarbeit an einer Teamschule“, „Rhythmisierung und Studienzeiten am Ganztagsgymnasium“ und um „Unterrichtsentwicklung in der inklusiven Ganztagsschule“. „Gutes Schulessen für alle – Mensa macht Schule“ stellte die Vernetzungsstelle Schulverpflegung Schleswig-Holstein vor.

„Im Ganztag ist viel Leben“

Im Rahmen eines „Wortwechsels“ tauschten sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter dem Motto „Chancen nutzen, Chancen schaffen – Migrationskinder an Ganztagsschulen“ auch zu aktuellen Themen aus. Ulrich Rother vom Ganztagsschulverband und ehemaliger Oberschulrat aus Hamburg berichtete aus seiner Heimatstadt, dass dort die Behörde für Schule und Berufsbildung das bisherige Schulangebot an berufsbildenden Schulen für rund 2.000 jugendliche Flüchtlinge umstellt. Die Halbtagsschulen sollen ab Februar 2016 schrittweise von einem ganztägigen Schulangebot abgelöst werden, das neben intensiver Sprachförderung und Schulunterricht auch Betriebspraktika vorsieht. Die Hamburger Wirtschaft stellt dazu Praktikumsplätze zur Verfügung. 50 betriebliche Integrationsbegleiter werden als Mentoren einbezogen.

Kristina Bartak ist Schulleiterin der Grundschule Gießen-West und sieht in der Ganztagsschule gute Möglichkeiten der Integration, denn schon jetzt hat die Grundschule eine bunte Schülerschaft aus 62 Nationen. „Gerade im Ganztag ist viel Leben in der Schule. Die Kinder fühlen sich in der Schule zu Hause. Auf Kinder mit Traumatisierungen sind wir aber nicht vorbereitet. Wir wollen daher mit Kinder- und Jugendpsychiatern und der Kirche zusammenarbeiten.“ Schulleiterin Ute Lesniarek-Spieß von der Grundschule Auf den Heuen in Bremen ergänzte: „Ohne die Ganztagsschule wäre es gar nicht möglich, die Kinder so zu integrieren, wie wir es mit den Nachmittagsangeboten und dem Mehr an Zeit für Sprachförderung können.“

Abendessen im Veranstaltungsraum
© GTSV e.V.

Wie die Jugendhilfe die Ganztagsschulen in Lübeck unterstützt, stellte Joachim Karschny von der KinderWege gGmbH im Forum „Netzwerkarbeit – Möglichkeiten für den guten Ganztag“ vor. KinderWege unterbreitet als Träger an verschiedenen Schulstandorten Angebote der Kinder- und Jugendhilfe. „In Lübeck gibt es 13 Schulnetzwerke, vier davon werden durch uns koordiniert“, berichtete Karschny. „Wir machen Angebote in der offenen Ganztagsschule und zusätzliche Nachmittagsangebote wie sportliche, musikalische, kreativ-künstlerische und weitere Arbeitsgemeinschaften, darunter auch Hausaufgabenhilfe.“ Hier spannte sich zum Abschluss des Kongresses wieder der Bogen zu den Bildungsnetzwerken, mit denen die Hansestadt Lübeck eine ihrer besonderen Stärken besitzt.

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