Ganztagsnetzwerk: „Gutes Format im flachen Land“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Maria Parttimaa-Zabel leitet seit 2004 die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Mecklenburg-Vorpommern mit Sitz in Waren (Müritz). Das multiprofessionelle Team unterstützt besonders Schulnetzwerke und Kooperationen.

Maria Parttimaa-Zabel
Maria Parttimaa-Zabel © RAA M-V

Online-Redaktion: Frau Parttimaa-Zabel, die Serviceagenturen „Ganztägig lernen“ werden gerne als „Umschlagplätze des Wissens“ bezeichnet. Wie hat sich das Wissensbedürfnis bei den Schulen verändert?

Maria Parttimaa-Zabel: In den ersten Jahren ab 2004 ging es um den Aufbau und die Organisation der Ganztagsschule. Dann kam die Frage der voll gebundenen Ganztagsschule, die Organisationsform, die in Mecklenburg-Vorpommern ab 2009 für Ganztagsschulen im Sekundarbereich favorisiert wurde. Grundschulen sind jetzt auch im Boot, als ganztägig arbeitende Grundschulen in Kooperation mit den Horten.

Inklusion und Digitale Bildung stellen eine neue Herausforderung für alle Schulen dar. Seit der Lehrermangel spürbar geworden ist und die Schulen die Möglichkeit haben, Lehrerwochenstunden zu kapitalisieren, stellt sich uns verstärkt die Frage, wie Schulen die Kooperationen mit außerschulischen Partnern gestalten und wie wir auch die Kooperationspartner dafür qualifizieren können. In 15 Jahren haben viele Schulleitungen mit ihren Teams sehr viel Entwicklungsarbeit geleistet. Wenn in den nächsten Jahren viele Lehrkräfte in Rente gehen werden, wird es wiederum darum gehen, wie gut es uns gelingt, die neue Lehrergeneration der ganztägig arbeitenden Schulen zu begleiten.

Online-Redaktion: Wie reagiert die Serviceagentur Mecklenburg-Vorpommern auf die veränderten Bedürfnisse?

Parttimaa-Zabel: Wir müssen realistisch sein. Unser Team ist mit den Jahren gewachsen, von einer 0,75 Stelle auf 4,5 Stellen. Zurzeit teilen sich sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Stellen. Die Zahl der ganztägig arbeitenden Schulen ist auf derzeit 343 gestiegen. Effektivität und die Möglichkeit, zu multiplizieren, sind wichtige Kriterien unserer Arbeit.

Wir haben versucht, rechtzeitig auf neue Bedürfnisse zu reagieren. So konnten wir zum Beispiel schon frühzeitig Schulnetzwerke zum Thema Digitale Bildung aufbauen und Beratungsforen organisieren. Jetzt spielt dabei das Medienpädagogische Zentrum im Institut für Qualitätsentwicklung die Hauptrolle, und wir können andere Themen bearbeiten.

Online-Redaktion: Kooperationen gewinnen immer mehr an Bedeutung…

Parttimaa-Zabel: Ja, dazu haben wir mit dem Bildungsministerium mehrere Regionale Konferenzen organisiert und die verantwortlichen Lehrkräfte zu Beratungsforen eingeladen. Für Schulen und außerschulische Partner haben wir eine Kooperationsdatenbank aufgebaut. Hier können Vereine, Unternehmen und Institutionen oder auch Einzelpersonen ihre Angebote eintragen. Für die außerschulischen Partner haben wir auch eine Qualifizierungsreihe organisiert, die regelmäßig an verschiedenen Orten stattfindet. Wir haben einen Fortbildungsfilm, Checklisten und ein Instrument zur Planung und Steuerung des ganztagsspezifischen Finanzbudgets vorbereitet.

Kooperationsdatenbank
© RAA M-V

Online-Redaktion: Wie definieren Sie Ihren Arbeitsschwerpunkt?

Parttimaa-Zabel: Unser Ziel ist die qualitative und ganzheitliche Entwicklung der ganztägig arbeitenden Schulen. Sie sollen Lern- und Lebensort sein und sich an den spezifischen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen orientieren. Wir wollen dazu beitragen, dass die Schulen die Schülerinnen und Schülerinnen gut auf die Zukunft vorbereiten können und die Kinder und Jugendlichen die für das 21. Jahrhundert erforderlichen Kompetenzen erwerben.

Online-Redaktion: Wie gelingt Ihrem Team die optimale Begleitung der Schulen?

Parttimaa-Zabel: Einer unserer Vorteile ist sicher, dass wir ein multiprofessionelles Team sind. Bei uns arbeiten unter anderem zwei Erziehungswissenschaftlerinnen, ein Sozialpädagoge, zwei Lehrkräfte mit halben Stellen und eine Büroassistenz. Der zweite Vorteil ist, dass wir bei der RAA Mecklenburg-Vorpommern angesiedelt sind. Die Regionalstelle für Bildung, Integration und Demokratie ist ein Träger mit reichhaltiger Expertise zu dem thematischen Dreiklang, der im Namen steckt: Bildung, Integration, Demokratie.

Unser bundesweites Netzwerk „Ganztägig lernen“, das seit 2005 über ein Jahrzehnt lang von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung begleitet wurde, hat uns besonders am Anfang geholfen, unsere Arbeit viel schneller aufzubauen. Wir haben sehr viel von den Informationen, dem Austausch und der Unterstützung profitiert. Eine entscheidende Rolle spielt zudem die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium, das unsere Arbeit seit 2015 vollständig finanziert.

Online-Redaktion: Wie hat die tägliche Arbeit mit Schulen Ihre persönliche Haltung zu Schulen, Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften, aber vielleicht auch zu Schülerinnen und Schülern beeinflusst?

Parttimaa-Zabel: Schulen werden mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Rahmenpläne sind voll, es fehlen Lehrkräfte, manche Lehrkräfte fühlen sich überfordert. Gleichzeitig sehen wir, wie viele Schulleiterinnen und Schulleiter mit ihren Teams fast Unglaubliches schaffen. Es gibt viele Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte, die mutig und kompetent mit der Unterstützung ihrer Schulleitung agieren. Sie alle verdienen unseren Respekt, ja Bewunderung. Das motiviert uns. Wenn es um Schülerinnen und Schüler geht, denke ich, dass es Länder gibt, die mehr Unterstützungsmöglichkeiten anbieten, wie zum Beispiel eine flexible Förderung beim Lernen, mehr Schulsozialarbeit, einen schulpsychologischen Service, Schulassistenten. Das geht bis zum kostenlosen Schulessen. Da ist sicher viel zu tun, aber all das geht nicht ohne Geld. Es ist eine Frage der Priorisierung.

Lehrende
24 Vertreter aus 14 Schulen besuchten Schulen in Finnland © RAA M-V

Online-Redaktion: Wie hat sich Ihre Arbeit momentan angesichts der Schulschließungen gewandelt?

Parttimaa-Zabel: Bis auf ein Teammitglied arbeiten wir derzeit alle im Homeoffice. Das ist für uns nicht ganz neu, deshalb waren wir dafür gerüstet. Wir hatten auch schon Erfahrungen mit der Online-Kommunikation, aber jetzt hat es ein anderes Gewicht bekommen. Wir treffen uns als Team zwei Mal in der Woche online. Unsere Veranstaltungen haben wir erst einmal auf den Herbst verschoben. Gleichzeitig machen wir neue Pläne, wie wir die Schulen weiterhin unterstützen können. So wollen wir die Netzwerktreffen demnächst online durchführen.

Wir haben auch telefonisch Kontakt mit Schulleitungen aufgenommen, um zu hören, wie es ihnen geht und ob wir sie mit unseren Angeboten unterstützen können. Ein thematischer Newsletter, den wir an die Schulen senden werden, ist in Arbeit, ebenso ein Handbuch zum Thema Kooperationen mit außerschulischen Partnern. Wir arbeiten an einem Instagram-Auftritt zum Thema Lernumgebungen, um einige konkrete Vorhaben zu nennen. Zur Arbeit gehört natürlich auch die Vorbereitung der kommenden Fortbildungen.

Online-Redaktion: Netzwerkarbeit spielt seit Jahren auch in Mecklenburg-Vorpommern eine große Rolle. Welches Ziel verfolgen Sie damit?

Parttimaa-Zabel: Wir haben von Anfang an erkannt, dass die Schulnetzwerke ab vier Schulen ein gutes Format für unser kleines Team im flachen Land sind. Die unterschiedlichen Schulen treffen sich vier Mal im Jahr. Sie tauschen sich nicht nur über die aktuellen Themen aus, sondern arbeiten an Schulentwicklungsthemen und lernen viel voneinander. Schulen profitieren von den Erfahrungen anderer Schulen. Die Netzwerke begleiten wir am Anfang, dann übernimmt ein Mitglied im Netzwerk die Koordination.

Zurzeit haben wir in Mecklenburg-Vorpommern neun Schulnetzwerke ganztägig arbeitender Schulen mit insgesamt 49 Schulen. Einige der Schulen arbeiten in mehreren Netzwerken und sind auch schon seit mehreren Jahren dabei. Als neueste haben jetzt zwei Schulnetzwerke ihre Arbeit aufgenommen, eines zum Thema „Kooperationen gestalten“ und eines zum Thema „Zeitgemäße Lernumgebungen“.

Online-Redaktion: Ihre Heimat ist das viel gelobte PISA-Land Finnland. Wo sehen Sie die größten Unterschiede zwischen den beiden Ländern bei den Ideen von Schule und Bildung?

Parttimaa-Zabel: Der größte Unterschied ist für mich, dass Finnland seit den 1970er Jahren eine Schule für alle hat, also eine Schule von Klasse 1 bis 9. Finnische Schulen folgen konsequent dem Gedanken „Kein Kind zurücklassen“ und stellen die Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt. Das Thema Wohlbefinden, emotionale und soziale Kompetenzen werden früh thematisiert. Weniger Prüfungen und Kontrollen bedeuten meines Erachtens weniger Stress für die Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern, aber auch für die Lehrkräfte. Es gibt weniger Bürokratie, so kann man sich besser auf das Wesentliche, nämlich das Lernen, konzentrieren. Einen Unterschied sehe ich auch in der Lehrerbildung, sie ist zukunftsorientiert, wissenschaftlich und arbeitet eng mit den Schulen zusammen.

Lehrpersonal
Das Eldenburg-Gymnasium Lübz öffnet die Türen für Praxiseinblicke © RAA M-V

Online-Redaktion: Ein Blick nach vorne: Welche Schlagzeile würden Sie gerne zum 20-jährigen Bestehen der Serviceagentur Mecklenburg-Vorpommern, also in rund vier Jahren, lesen?

Parttimaa-Zabel: Wir haben in diesen Tagen in unserem Team viel über die globale Situation in der schulischen Bildung gesprochen. Vielleicht passiert etwas Neues. Wie wäre es, wenn die Schülerinnen und Schüler mehr Verantwortung für ihr eigenes Lernen übernehmen, stärker eigene Lerninteressen und Lernziele verfolgen würden? Möglich wäre das mit Hilfe digitaler Medien. Das würde auch die Rolle der Lehrkräfte verändern. Lassen wir uns überraschen. Wenn ich etwas über die zeitgemäße Ganztagsschule und Lehrerbildung mit zufriedenen Beteiligten und mit vielen internationalen Kontakten lesen könnte, würde ich mich freuen.

Zur Person:

Maria Parttimaa-Zabel leitet die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Mecklenburg-Vorpommern seit 2004. Nach dem Studium der Erziehungswissenschaft und Sozialpädagogik an der Universität Tampere arbeitete sie in Finnland unter anderem in einer Frauenorganisation, bei einer Wochenzeitung und in der Auslandshilfe der finnischen Kirche. Anschließend war sie in Dänemark in einem Projekt zum Thema Migration sowie als Entwicklungshelferin in Namibia und auf den Salomoninseln tätig. Von 1992 bis 1995 und seit 1998 lebt sie in Deutschland, wo sie von 1998 bis 2001 und wieder seit 2004 bei der RAA Mecklenburg-Vorpommern e. V. arbeitete. Sie verantwortete auch das Projekt KULTUR.LAND.SCHULE.

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