Ganztagsbildung mit dem Jugendbegleiter-Programm : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Das Jugendbegleiter-Programm in Baden-Württemberg ist inzwischen ein wichtiger Baustein der Ganztagsbildung, zum Beispiel in der Grundschule St. Märgen.

Die Ganztagsschullandschaft in Baden-Württemberg ist in Bewegung. Zum Schuljahr 2014/2015 sind 172 Ganztagsschulen nach dem neuen Schulgesetz gestartet. Die Ganztagsschule ist nun nicht mehr länger ein Schulversuch, sondern im Schulgesetz verankert. Das Ganztagsschulgesetz betrifft Ganztagsgrundschulen und die Grundstufen der Förderschulen, die bis zu 50 Prozent der zusätzlichen Lehrerwochenstunden in Geld umwandeln und damit außerschulische Partner und Ehrenamtliche an die Schule holen können.

Eine der Schulen ist die Grundschule St. Märgen im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald. Dass sie nun als gesetzliche Ganztagsgrundschule in Wahlform arbeitet, ist aber laut Rektor Markus Rößler nicht nur das Ergebnis eines politischen Prozesses, sondern auch eines Perspektivenwechsels vor Ort. „Wenn ich mich vor einigen Jahren dafür stark gemacht hätte, eine Ganztagsschule einzurichten, wären die Eltern am nächsten Tag aufs Schulamt marschiert, um meine Ablösung zu fordern.“ Der von der Ganztagsschule überzeugte Schulleiter hatte nur eine Wahl: „Nach und nach langsam anfangen, die Eltern nach ihrem Bedarf fragen und an das Bestehende, unsere Kernzeitbetreuung, anknüpfen.“ Nun ist allen klar, dass die Kinder im Fokus der Ganztagsschule stehen. Sie erhalten mehr als nur Betreuung. Die Ganztagsschule bietet ein deutlich erweitertes Bildungs- und Betreuungsangebot für jedes Kind, das das Angebot wahrnimmt.

Grundschule St. Märgen: Lieber langsame Schritte als einer zu viel

Neben konservativen Einstellungen, die sich laut Rößler auch in Konkurrenzängsten mancher Vereine wiederspiegeln, gab es vor einer Umwandlung allerdings auch ganz praktische Erwägungen zu bedenken: Für Umbauten oder Mensa war zunächst kein Geld zu erwarten, und durch die ländliche Lage der Schule ist man abhängig von Busfahrzeiten. „Wir haben rund 40 Prozent Buskinder, die von verschiedenen Unternehmen befördert werden“, so Rößler. „Ich bin jetzt seit fünf Jahren hier und blicke da langsam durch.“ Ein Runder Tisch mit Vertretern der Busunternehmen sollte das Dickicht lichten, aber Tatsache bleibt, dass der letzte Bus um 15.20 Uhr fährt. „Bis dahin muss ich das Ganztagsprogramm unterbringen“, so Rößler.

Der Schulleiter warb unverdrossen für die Ganztagsschule und konnte überzeugen, wobei die gute Zusammenarbeit mit Bürgermeister Manfred Kreutz half, der die Entscheidung für die Ganztagsschule als „Chance für den Schulstandort St. Märgen" sah. Schulleiter Rößler ist sicher: „Es geht nur mit dem Schulträger, der ein Stück vom Enthusiasmus mitbekommen muss.“ Vor dem Start meldeten 30 Eltern ihre Kinder für die Ganztagsschule an. Das war ein Drittel der Schülerschaft und damit „Landesschnitt“, so Rößler.

Mit sieben Zeitstunden an drei Wochentagen hat sich die Schule für die schmalste vom Land vorgesehene Variante entschieden, was zu der bisher behutsamen Vorgehensweise der Schulleitung passt. Lieber langsame Schritte als einer zu viel. „Wenn wir gleich für die Ganztagsschule in verbindlicher Form geworben hätten, wäre das sofort gescheitert“, bilanziert Markus Rößler.

Zu Tisch im Gasthaus

Die eigentlich notwendigen Um- oder Neubauten hat die Ganztagsgrundschule bisher gut kompensieren können, da durch den Auszug der Hauptschule Räume frei geworden sind. Das Mittagessen bieten umliegende Gasthäuser an. „Das hat was“, findet der Rektor. „Die Kleinen werden da ganz groß. Sie werden am Platz bedient wie die Erwachsenen, und das Benehmen in einem Gasthaus haben wir drin.“

Nach dem ersten Jahr kann Markus Rößler ein positives Fazit ziehen: „Ich bin total überrascht, dass es ein so ruhiges Jahr gewesen ist. Es gab keine gravierenden Probleme, und es macht allen Spaß.“

Dass der Übergang so reibungslos verlief, sei auch den Jugendbegleitern zu verdanken, die bereits vor der Einführung der Ganztagsschule in der Übermittagsbetreuung mitgeholfen haben. Nun arbeiten sie weiter in der Mittagszeit mit, unterstützen mit ihren zusätzlichen Betreuungsangeboten die Lehrkräfte und bereichern den schulischen Alltag mit ihren abwechslungsreichen Angeboten.

Jugendbegleiter-Programm: „GanzTag“

Jugendbegleiter werden in Baden-Württemberg an allen interessierten öffentlichen Schulen eingesetzt. Das Jugendbegleiter-Programm des Kultusministeriums umfasst aktuell 23.496 Jugendbegleiterinnen und Jugendbegleiter. Das macht 44.155 Stunden pro Schulwoche. An derzeit 1.798 Schulen führen die qualifizierten Ehrenamtlichen ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote durch. Beim Start im Jahr 2006 waren es gerade mal 248 Schulen. Viele Schulen decken zwischen 50 und 100 Prozent ihrer außerunterrichtlichen Ergänzungsangebote über das Jugendbegleiter-Programm ab.

Im Schuljahr 2014/15 sind mehr als die Hälfte aller Jugendbegleiter-Schulen auch Ganztagsschulen, derzeit 910. Das Kultusministerium hat daher die Servicestelle Jugend und Schule der Jugendstiftung Baden-Württemberg, die seit 2006 das Jugendbegleiter-Programm organisiert, damit beauftragt, die Serviceagentur „Ganztägig Lernen“ bei der Beratung und Begleitung der Schulen zu unterstützen.

Die Stiftung berät nun Schulen und außerschulische Partner, wie sich Ganztagsschule und Jugendbegleiter-Programm optimal ergänzen lassen Sie unterstützt die Schulen und ihre Partner mit Informationsveranstaltungen, Begleitmaterialien und Arbeitshilfen. Sie ist auch verantwortlich für die ordnungsgemäße Weitergabe der Mittel. Hier ist es besonders von Vorteil, dass sich viele Ganztagsschulen durch das Jugendbegleiter-Programm ohnehin bereits im Kontakt mit der Jugendstiftung befinden.

Inhaltliche Stärke und Vielfalt

Für Lukas Wiesehöfer, Referent in der Jugendstiftung Baden-Württemberg, liegt die inhaltliche Stärke des Programms in der Vielfalt der Ehrenamtlichen, die an die Schulen vermittelt werden: „Das geht von einem Imker im Ruhestand über Musiker bis zu einem Künstler, der mit den Kindern Plastiken aus Mooreichen gestaltet. Ich bin immer wieder überrascht, was sich für Ideen und Initiativen vor Ort zeigen.“

Die Zufriedenheit mit dem Jugendbegleiter-Programm ist laut der jährlichen Programmevaluation  der Jugendstiftung sehr hoch: Im Schuljahr 2014/15 bewerten 96 Prozent aller Schulleitungen das Programm als „sehr positiv“ oder „positiv“. Die Zahl der Negativ-Wertungen liegt seit 2011/12 bei null Prozent. „Für die Schulleitungen ist das Programm besonders von Vorteil, weil es ihnen die Akquise außerschulischer Partner erleichtert“, so Wiesehöfer. „Auf der Plattform www.bildungsnetzwerke-bw.de können sie ihr eigenes lokales Bildungsnetzwerk abbilden und neue Kooperationspartner finden.“

Die sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung, die im Jugendbegleiter-Programm tätig sind, haben allerdings über die Jahre auch so viele Beispiele gesammelt, dass sie gezielt Auskunft geben können. Als zum Beispiel eine Jugendfeuerwehr mit einer Schule zusammenarbeiten wollte, konnte ihr Lukas Wiesehöfer aus dem Stegreif empfehlen, sich an die Jugendfeuerwehr Waghäusel zu wenden, die bereits eine solche Kooperation unterhält. „In 70 bis 80 Prozent der Fälle haben wir eine Idee und können weiterhelfen. Das klappt immer besser“, so der Referent.

Kooperation voranbringen

Bei den dreitägigen Fortbildungen für Koordinatoren und Schulleitungen, die die Jugendstiftung anbietet, geht es um Themen wie Akquise und Netzwerke, aber auch Kommunikation und Rhetorik. „Wir wollen auch die Angst vor der Verwaltung und dem Verwaltungsaufwand nehmen, der sicherlich nicht jedermanns Sache ist und wo es immer wieder Nachfragen und Beratungsbedarf gibt“, berichtet Wiesehöfer.

Auch im neunten Jahr des Jugendbegleiter-Programms gibt es noch Neues: „In diesem Jahr haben wir erstmals den Kooperationspreis Baden-Württemberg verliehen“, berichtet Birgit Schiffers aus dem Leitungsteam. Ausgezeichnet wurden die Grund-, Werkreal- und Förderschule im Bildungszentrum Bonndorf, die Rheinschule Weil am Rhein und die Albert-Schweitzer-Realschule Böblingen.

„Mit dem Preis haben das Kultusministerium und unsere Stiftung solche Jugendbegleiter-Schulen ausgezeichnet, die herausragend und dauerhaft mit außerschulischen Partnern kooperieren“, erklärt Birgit Schiffers. Die Jugendstiftung will so das Thema Kooperationen nach vorn bringen und den Beteiligten auch öffentliche Anerkennung verschaffen.

Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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