Ganztag in Thüringen: "Wir legen großen Wert auf Schulentwicklung" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Qualität und Verlässlichkeit der Ganztagsangebote spielen in Thüringen eine entscheidende Rolle. Obwohl der Ganztag im Land bereits stark ausgebaut ist, sieht Bildungsministerin Dr. Birgit Klaubert noch Potentiale für ein neues Ganztagsschulkonzept.

Bildungsministerin Dr. Birgit Klaubert
Bildungsministerin Dr. Birgit Klaubert © Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport

Online-Redaktion: Frau Ministerin, Thüringen gehört beim Ausbau der Ganztagsangebote seit Jahren zur Spitzengruppe, die KMK-Statistik verzeichnet im Primarbereich 100 Prozent. Wie sieht es bei den anderen Schularten aus?

Dr. Birgit Klaubert: Bereits die Kindergärten – im Übrigen eine Erfindung aus Thüringen – bieten funktionierende Ganztagsangebote. In Thüringen besuchen fast alle Drei- bis Sechsjährigen eine Kita. Alle 451 Grundschulen in Thüringen bieten ein Ganztagsangebot. Fast alle der 54 Gemeinschaftsschulen haben ein ganztägiges Angebot. 40 Prozent der Regelschulen, welche die Klassen 5 bis 10 umfassen, bieten Ganztagsangebote an. Bei den Gymnasien und Gesamtschulen kommen wir auf 30 Prozent. Und schließlich sind Förderschulen in Thüringen grundsätzlich Ganztagsschulen in vollgebundener Form.

Online-Redaktion: Thüringen hat Horte als Teil der Grundschule im Schulgesetz verankert, mit Betreuung und Förderung an fünf Tagen der Woche sowie Erzieherinnen und Erziehern als Landesbediensteten. Wie erfolgreich ist dieses Modell?

Klaubert: Grundschulen sind in Thüringen als offene Ganztagsschulen konzipiert und ausgestaltet. Der Hort ist dabei Teil der Schule. Das bedeutet, dass auf der Basis von Ganztagsschulkonzepten an Thüringer Grund- und Gemeinschaftsschulen durch Erzieherinnen und Erzieher verlässliche Betreuungs-, Förder- und Ruhezeiten für die Schülerinnen und Schüler garantiert werden. Das geschieht vor und nach der Unterrichtszeit sowie im Rahmen der Ferienbetreuung.

Diese Verlässlichkeit ermöglicht die pädagogische Verzahnung von Unterricht und Betreuung. Ganz praktisch wird dies bei der Abstimmung von Unterrichtsinhalten mit Nachmittagsangeboten oder bei der Sicherstellung einer qualifizierten Hausaufgabenbetreuung. Grundschulkinder haben in Thüringen einen Anspruch auf ganztägige Förderung von täglich bis zu zehn Stunden. Damit werden die KMK-Vorgaben weit übertroffen.
Der Erfolg des Modells lässt sich ganz einfach daran erkennen, wie gut es angenommen wird: 83 Prozent der Primarschülerinnen und -schüler nutzen die ganztägigen Angebote. Wir wissen aus Umfragen auch, dass es unter den Eltern eine hohe Zufriedenheit mit dem Ganztagsangebot gibt. So sagen 91 Prozent der Eltern, dass sie mit der allgemeinen Verlässlichkeit der Betreuung zufrieden sind.

Online-Redaktion: Was erwarten Thüringer Eltern von Ganztagsangeboten?

Klaubert: Der wichtigste Punkt ist sicher die Verlässlichkeit der Betreuung. Denn ganztägige Angebote verbessern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Durch den Einsatz von qualifiziertem Landespersonal und von Landesmitteln in diesem Bereich sind hierfür gute Voraussetzungen in Thüringen gegeben.

In pädagogischer Hinsicht sollen die Ganztagsangebote sinnvoll mit den Unterrichtsinhalten verknüpft sein. Natürlich sollen die Kinder auch Freiräume für Ruhe- und Spielphasen bekommen. Nicht zuletzt ermöglichen zusätzliche Angebote in Kooperationen mit außerschulischen Partnern eine interessengeleitete Förderung der Kinder.

Regenbogen-Grundschule Jena
Regenbogen-Grundschule Jena © Britta Hüning

Online-Redaktion: Wie steht das Land zur Frage offener oder gebundener Ganztagsschulen?

Klaubert: Die meisten Schulen mit ganztägigen Angeboten in Thüringen haben sich für die offene Form des Ganztagsangebotes entschieden. Das Schulgesetz gibt den Eltern hier eine Wahlmöglichkeit; so ist der Hortbesuch freiwillig. Aber natürlich sehe ich durchaus Potentiale bei der Entwicklung unserer Grundschulen zu Ganztagsschulen. Deshalb werden wir noch in dieser Legislatur ein Ganztagsschulkonzept vorlegen. Den Weg dahin wollen wir gemeinsam mit allen Partnern vor Ort gehen. Dabei werden wir in einen Dialog zu pädagogischen, organisatorischen und konzeptionellen Fragen treten, wie wir ganztägige Angebote gemeinsam weiter ausgestalten können. Dabei wird natürlich auch die Frage der offenen beziehungsweise gebundenen Ganztagsschule thematisiert werden.

Online-Redaktion: Kürzlich haben Sie den „Thüringer Bildungsplan bis 18 Jahre“ vorgestellt. Wie wichtig ist dabei die Ganztagsbildung?

Klaubert: Thüringen ist das erste Bundesland mit einem Bildungsplan von 0 bis 18 Jahre. Der Bildungsplan ist kein übergeordneter Lehrplan, der aussagt, was Kinder lernen müssen. Er formuliert vielmehr aus der Perspektive der Kinder und Jugendlichen, was sie für ihre Entwicklung brauchen, wie Lernprozesse moderiert werden und wie man Kinder und Jugendliche in der Entwicklung ihrer Stärken unterstützen kann. So wird er zum Orientierungsrahmen für die pädagogische Arbeit. Er vereint institutionenunabhängig und konzeptneutral alle Bildungsorte von Kindern und Jugendlichen bis zum Ende der Schullaufbahn. Deshalb enthält der Bildungsplan auch keine expliziten Aussagen zu Ganztagsschulen.

Indem der Thüringer Bildungsplan bis 18 Jahre aber konkrete Gestaltungsmöglichkeiten für individuelle Bildungsangebote thematisiert und für Pädagoginnen und Pädagogen einen Zugang zu bildungstheoretischem und entwicklungspsychologischem Hintergrundwissen schafft, kann er eine wichtige Grundlage für Ganztagsschulkonzepte und die Kooperation von Schulen mit außerschulischen Partnern sein.

Online-Redaktion: Welche Rolle spielt die Qualität der Ganztagsangebote? Und welche Unterstützung bietet das Land für die Schulentwicklung?

Klaubert: Hier sind sich Eltern, Pädagogen und Bildungsministerium einig: Die Qualität der ganztägigen Angebote an Schulen spielt neben der Verlässlichkeit eine entscheidende Rolle. Deshalb legen wir in Thüringen auch großen Wert auf die Schulentwicklung. Zur Unterstützung dieser Prozesse haben wir in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung eine Serviceagentur etabliert. Diese stand – auch dank einer BMBF-Förderung – als Ansprechpartner für Schulentwicklungsfragen zur Verfügung. Die Aufgaben der Serviceagentur werden seit 2016 durch eine Landesstelle fortgeführt. Derzeit wird an einer Neuorganisation gearbeitet, um in der Bildungsverwaltung feste Ansprechpartner für den Hort- und Ganztagsschulbereich zu verankern.

Gymnasium Neuhaus am Rennweg
Ganztags-AG "Gesteine und Mineralien erforschen" © Gymnasium Neuhaus am Rennweg

Online-Redaktion: Gibt es Schwerpunkte, die Ihnen für die Zukunft besonders wichtig sind?

Klaubert: Um die Voraussetzungen für ein neues Ganztagsschulkonzept zu schaffen, sind wir derzeit dabei, auch jene Horte wieder in die Trägerschaft des Landes zu überführen, die derzeit noch von den Kommunen betrieben werden. Dieser Schritt garantiert die pädagogische und organisatorische Einheit von Grundschule und Hort.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Seit 2009 haben auf www.ganztagsschulen.org regelmäßig Bildungsministerinnen und Bildungsminister in Interviews die Entwicklungen beim Ausbau der Ganztagsangebote in ihrem Land erläutert. Alle Interviews finden Sie in der Rubrik „Bildungpolitik: Interviews“.

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