Forum Ganztagsschule NRW 2015 : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Um Partizipation, Rhythmisierung und die Kooperation mit der Kinder- und Jugendhilfe ging es beim Forum Ganztagsschule NRW am 30. September 2015 in Dortmund.

Blick ins Publikum
© Nina Boos

Herbert Boßhammer steht vor der Dortmunder Westfalenhalle und schmunzelt. Der Co-Leiter der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Nordrhein-Westfalen erläutert, dass der sportliche Tagesablauf des Forums Ganztagsschule – mit der schnellen Abfolge von Vorträgen und Foren, mit ständigen Raumwechseln und teilweise ohne Zwischenpausen –absichtlich so konzipiert worden ist. „Die Pädagoginnen und Pädagogen sollen sehen, wie sich so ein Acht-Stunden-Tag für die Schülerinnen und Schüler anfühlt mit den ständigen Wechseln und den knappen Zeiten zwischendurch.“ Inklusive einer ans Ende des Tages angehängten „Erholung“.

Tatsächlich merken auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die enge Taktung, wie die Gespräche untereinander zeigen. Die Zeit oder vielmehr die fehlende Zeit wird zum ständigen Randthema an diesem 30. September 2015, an dem 210 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Schule, Jugendhilfe und Verwaltung der Einladung der Serviceagentur gefolgt sind.

Und Zeit ist auch Gegenstand einer der drei Vorträge des Tages, die zwischen den rund 30 Foren eine Konstante über den Tag bilden. „Einführung von Zeitstrukturen und Rhythmisierung – auf dem Weg in eine neue Lernkultur?“ fragte Thomas Schnetzer in seinem Vortrag. „Seitdem ich gemerkt habe, was allein schon die Umstellung meines Unterrichts von 45 auf 60 Minuten positiv bewirkt hat, weiß ich, wie wichtig die Zeitstruktur in der Ganztagsschule insgesamt ist“, zitierte Schnetzer einen Lehrer.

Zeitstruktur und Schulentwicklung

Nach seinen Erfahrungen als Schulberater tun sich Schulen oft schwer, diese Veränderungen systemisch anzugehen. Schulentwicklung ist Organisationsentwicklung, Unterrichtsentwicklung und Personalentwicklung. Eine Veränderung in einem Bereich zieht auch Veränderungen in den beiden anderen Bereichen nach sich. Eine veränderte Zeitstruktur bedeutet auch eine veränderte Lernkultur. „Ein 90-Minuten-Block ist nicht das Gleiche wie zweimal 45 Minuten.“

Teilnehmer an einem Info-Stand mit Büchern
© Nina Boos


 


Für die Zeitstruktur können unterschiedliche Antworten gefunden werden. Eine Ganztagsschule hat es laut Schnetzer als den „besten Schachzug“ empfunden, den Schultag direkt mit einer Lernzeit zu starten. Ein Ganztagsgymnasium wiederum hat die Lernzeiten über den Tag verteilt und die Wochentage thematisch gebündelt. So ist ein Tag mit den naturwissenschaftlichen Fächern besetzt, an einem anderen stehen Sprachen im Vordergrund.

Lernzeiten sind ein wichtiges Element im rhythmisierten Schultag. Wenn sie mehr als nur eine Hausaufgabenzeit sind, sondern genutzt werden, um Schülerinnen und Schülern selbstorganisiertes Lernen zu ermöglichen, steigt die Chance auf erfolgreiches Lernen. Heinz Schirp, emeritierter Professor der Universität Bielefeld, berichtete dies in seinem Vortrag „Lernstrategien und Lernaufgaben aus neurodidaktischer Sicht“.

„Die Schülerinnen und Schüler lernen besser, wenn sich ihnen der Bedeutungszusammenhang der Aufgaben erschließt, sie einander etwas erklären und auch Erfolgserlebnisse erzielen können.“ Ob der Unterricht frontal, in Gruppen- oder Einzelarbeit stattfindet, sei dabei irrelevant, so Schirp. „Wichtig ist es, dass es gelingt, die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler für eine Aufgabe anzuregen.“

Ganztagsschule als Sozialraum

Die „Offene Ganztagsschule aus Sicht von Kindern“ hat Prof. Ulrich Deinet von der Fachhochschule Düsseldorf im Auftrag des Schulverwaltungsamts an sechs Düsseldorfer Ganztagsgrundschulen untersucht. Sein Team befragte 362 Schülerinnen und Schüler der 3. und 4. Klassenstufe mit verschiedenen Methoden. Zum Beispiel markierten die Kinder auf Karten geliebte und ungeliebte Plätze in ihrer Schule und im Sozialraum, zeichneten eigene Schullandkarten und „Subjektive Landkarten“ der Stadt. So kann gezeigt werden, wie sich die Kinder ihre Räume im Sozialraum aneignen, wobei sich „interessante Umnutzungen auftaten“, wie Deinet berichtet.

Als ein Ergebnis verzeichnete Deinet, der Professor für Didaktik und Methoden der Sozialarbeit ist, dass die Schule der zentrale soziale Lebensort für die Kinder ist. „Auf die Frage, was ihnen ohne die Schule fehlen würde, nannten sie das Spielen mit ihren Freunden, die Ausflüge und ihre Lehrerinnen und Lehrer. Gleichzeitig ist die Schule auch „ein Ort, an dem es Stress für die Kinder mit anderen gibt.“

Teilnehmerinnen und Teilnehmer während eines Workshops
© Nina Boos

Die Befragung zeige, dass es „erheblichen Nachholbedarf bei Mitbestimmung der Schülerinnen und Schüler“ gebe. Deinet zufolge müssten Ganztagsschulen den Freundschaften der Kinder mehr Beachtung schenken, Partizipation ausbauen und vor allem die Schulen stärker in den Sozialraum öffnen. „Die Schülerinnen und Schüler wollen die Erweiterung ihres Handlungsspielraums, sie benötigen vielfältige Aneignungsmöglichkeiten, die man ihnen eröffnen muss. Kinder sind in der Lage, sich gesellschaftliche Orte anzueignen und in ihrer Weise zu beleben.“

Jugendamt im Ganztags-Boot

In Nordrhein-Westfalen ist die Kinder- und Jugendhilfe oft Träger der Offenen Ganztagsgrundschule in der Gesamtverantwortung der Schulleitung. Über die Jugendhilfe sind wiederum die Jugendämter „mit im Ganztags-Boot“, wie Alexander Mavroudis vom Landesjugendamt Rheinland in seinem Forum darstellte. Das Gesetz von 2003 sieht vor, dass die Jugendämter an der integrierten Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung und der Schulprogrammentwicklung beteiligt sind. Sie sollen die freien Träger bei der Entwicklung kooperativer Praxis in Ganztagsschulen unterstützen, den Schulen bei der Suche nach Kooperationspartnern helfen und in den Kommunalen Qualitätszirkeln mitwirken.

„Die Frage ist, ob die Jugendämter alle diese Aufgaben erfüllen können, da besteht eine Überforderungsgefahr“, gab Mavroudis zu bedenken. Auch knirsche es mitunter in der Zusammenarbeit, insbesondere wenn es nur ein Kreisjugendamt gebe und keines vor Ort. „Da schiebt man sich die Verantwortungen hin und her“, wirft eine Pädagogin aus dem Märkischen Kreis ein.

Alexander Mavroudis meint, dass es einer stärkeren gesamtkommunalen Perspektive unter Einbeziehung der Jugendämter mit ihren Kompetenzen bedürfe. „Die Expertise, die es gibt, muss in den Ganztag. Nur so lassen sich die vielen Ideen, die mit der Ganztagsschule verbunden sind, erreichen. Die Ganztagsschule braucht die Jugendämter, und diese brauchen die Ganztagsschule.“ Die Kooperation zwischen Schulen und Jugendamtsverwaltungen sei aber noch keine Selbstverständlichkeit. Das Jugendamt werde häufig nur als „Feuerwehr“ gerufen, bei schwierigen Einzelfällen und beim Kinderschutz. Man müsse vom Zuständigkeits- zum Verantwortungsdenken kommen, so Mavroudis.

Qualität im kommunalen Bildungsmanagement

Johannes Schnurr und Mario Roland stellten „Perspektiven und Erfahrungen für Ganztag und kommunales Bildungsmanagement“ in einem Forum vor. 2014 endete das BMBF-Förderprogramm „Lernen vor Ort“, das 35 Kommunen bei der Entwicklung eines lokalen Bildungsmanagements vor Ort unterstützte. Nach Auslaufen des Programms sind 2014 neun vom BMBF geförderte Transferagenturen gegründet worden. In Nordrhein-Westfalen ist diese genauso wie die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ am Institut für soziale Arbeit (ISA) in Münster angesiedelt.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Workshops
© Nina Boos

„Die Kommunen haben erkannt, dass sie sich im Bereich Lebenslanges Lernen kümmern müssen. Wir unterstützen sie dabei in 14 der 53 Kreise und kreisfreien Städte, indem wir alle Bildungsakteure an einen Tisch bringen, um ein ganzheitliches Bildungsmanagement anzustoßen, unterstützen bei Austausch und Vernetzung, organisieren Tagungen und bereiten das Erfahrungswissen auf“, berichtete Roland. Die Ganztagsschule ist dabei ein Element im kommunalen Bildungsmanagement, bei dem noch Kriterien für gute Qualität vereinbart werden müssten. Wie man diese entwickeln kann, und zwar nicht nur auf der Ebene der Einzelschule, sei die große Herausforderung.

Nach dem Forum hieß es, wieder schnell die Sachen zu packen. „Das ist aber schlecht organisiert hier“, meinte eine Mitarbeiterin der Dortmunder Stadtverwaltung. „Obwohl – vielleicht haben die das ja auch absichtlich gemacht.“ So war es, und am Schluss klärten Milena Bücken und Dirk Fiegenbaum von der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ das Plenum darüber auf, warum diesmal eine solche Organisationsform gewählt worden war. „Etwas selbst zu erfahren ist etwas Anderes, als es nur geschildert zu bekommen.“

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