Fachtag Ganztagsschule: „Richtig gut auf dem Weg“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Mit Fachtagen fördert Niedersachsen die Vernetzung von Ganztagsschulen vor Ort. In Lüneburg stellte die Grundschule Hahle ihren teilgebundenen Ganztag vor, von dem sie „zu 110 Prozent überzeugt ist“.

Angela Reimers macht die Probe aufs Exempel. Wie viele Vertreterinnen und Vertreter von Schulen, die sich auf den Weg machen wollen, Ganztagsschule zu werden, sitzen an diesem 22. September 2016 unter den rund 90 Teilnehmenden des Fachtags Ganztagsschule? Viele Hände recken im Hörsaal der Leuphana Universität in die Höhe.

Grundschule Hahle
© Grundschule Hahle

„Die Grundschulen sind auf einem richtig guten Weg“, freut sich die Referentin für Ganztagsschulen im Niedersächsischen Kultusministerium im Anschluss an ihr Impulsreferat. „Seit zwei bis drei Jahren gibt es eine große Antragswelle im Primarbereich.“ Die Dynamik der Ganztagsschulentwicklung in Niedersachsen zeigt sich auch in der großen Nachfrage bei den Fachtagen, die seit 2015 in den Regionen stattfinden. Bei diesem zweiten Fachtag in Lüneburg heißt es in manchem der Workshops: Stühle beistellen, weil der Platz nicht reicht.

Die Niedersächsische Landesschulbehörde (NLSchB) und das Niedersächsische Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) haben die Fortbildungsreihe in enger Zusammenarbeit mit dem Niedersächsischen Kultusministerium entwickelt. Sie dient dem Austausch und der Vernetzung in den jeweiligen Regionen und soll die Schulentwicklungsprozesse unterstützen.

Fachtage fördern Vernetzung

Für dieses Schuljahr sind zwölf Veranstaltungen geplant, die in jeder Region des Landes stattfinden. „Die Resonanz auf die Veranstaltungen im Jahr 2015 war gut, hat aber auch Wünsche der Teilnehmenden deutlich gemacht, auf die wir nun reagiert haben“, erklärt Franz-Josef Kamp, koordinierender Fachdezernent für Ganztagsschulen für Niedersachsen und Moderator des Fachtags. So wird das Thema Vertragsgestaltung nicht mehr in einem gesonderten Themenblock behandelt, sondern in die pädagogischen Themen integriert. Neu hinzu gekommen ist das Thema „Hausaufgaben“. Daneben stellen sich zwei Grundschulen vor, die ihre Entwicklung zur offenen beziehungsweise teilgebundenen Ganztagsschule präsentierten.

„63 Prozent der Schulen in Niedersachsen arbeiten inzwischen als Ganztagsschulen“, berichtet Angela Reimers zu Beginn des Fachtags. „77 Prozent arbeiten als offene, 20 Prozent als teilgebundene und 3 Prozent als vollgebundene Ganztagsschulen.“ Bis Ende 2020 werde das Land 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, den Großteil davon für Lehrerstunden. „Die Ganztagsschulen sollen unter Berücksichtigung ihrer regions- wie schulspezifischen Qualitäten ausgebaut werden“, so die Referentin.

Abschließend geht sie auf Ergebnisse der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ (StEG) ein: „Die Studie hat gezeigt, das in der Rhythmisierung und der individuellen Förderung Ganztagsschulen ihr Potenzial nicht ausschöpfen. Mit den Schwerpunkten der Fachtage wollen wir gerade diese Themen behandeln und Schulen von der Erfahrung anderer Ganztagsschulen profitieren lassen. Und wir möchten die Vernetzung fördern, denn gerade Schulnetzwerke haben sich in der Vergangenheit bewährt.“

Grundschule Hahle: „Nehmen Sie sich Zeit!“

Mit der Grundschule Hahle berichtet eine teilgebundene Ganztagsschule im Workshop von ihren Erfahrungen. Die Grundschule in der Hansestadt Stade hat in fünf Jahren den Weg von der Halbtagsschule zur teilgebundenen Ganztagsschule zurückgelegt. Schulleiter Marc Rohde und Lehrer Florian Rohde – nicht verwandt, wie beide häufig anmerken müssen – schildern den nicht immer konflikt- und stressfreien Weg zum Status Quo. Heute sind alle Beteiligten an der zweizügigen Grundschule mit 170 Schülerinnen und Schülern, zwölf Lehrkräften und drei pädagogischen Fachkräften mit dem Entwicklungsstand zufrieden.

Grundschule Hahle
© Grundschule Hahle

Einen ersten Merksatz gibt es vom Schulleiter gleich zu Beginn: „Nehmen Sie sich Zeit!“ Inzwischen ist die Grundschule Hahle ein „Bildungshaus“, weil eine professionsübergreifende Kooperation mit der Kindertagesstätte und darüber hinaus mit zwei weiteren Kitas, einer Förderschule, der Familienbildungsstätte, dem Beratungszentrum für emotionale und soziale Entwicklung sowie der Diakonie besteht. Aber nach Auskunft des Schulleiters hat es gute drei Jahre gedauert, bis die Kooperation mit der Kita im Haus so verzahnt wie erhofft lief.

Die Idee zur Ganztagsschule entwickelte sich im Schuljahr 2009/2010. Das Kollegium hatte festgestellt, dass nach Schulschluss viele Schülerinnen und Schüler noch auf dem Schulhof blieben. Die Grundschule organisierte eine Hausaufgabenbetreuung durch Eltern, was aber an Grenzen stieß. „Ich finde Elterneinbindung gut“, betonte Marc Rohde, „aber nicht wenn eine Mutter oder ein Vater allein mit 22 Kindern zu tun hat. Das Land handelt meiner Ansicht nach richtig mit dem verstärkten Einsatz von Lehrerinnen und Lehrern im Ganztag. Wir brauchen Fachpersonal.“

Weniger ist mehr

Im Schuljahr 2010/2011 startete die offene Ganztagsschule an drei Wochentagen. „Da wir Vorreiter in unserer Region waren, konnten wir noch alle außerschulischen Anbieter 'abgrasen' und hatten über 20 AG-Angebote für die Kinder“, erzählt der Rektor. Um dann den zweiten Merksatz anzufügen: „Weniger ist mehr.“ Die Vielzahl der Angebote war gut gemeint, aber des Guten auch zu viel, und brachte vor allem den Schulleiter selbst an den Rand seiner organisatorischen Kräfte.

„Ich stand kurz vorm Burnout, denn die Rahmenbedingungen waren die einer Halbtagsschule“, berichtet Marc Rohde. Seine Folgerung: „Ganz wichtig ist, dass das Sekretariat während der ganzen Zeit besetzt ist.“ Der Schulleiter bat damals den Schulträger – den Landkreis Stade – um eine Verlängerung der Anwesenheitszeiten der Sekretärin, was ihm finanziert wurde. „Ich rate Ihnen, auch darauf zu bestehen, denn sonst überfordern Sie sich“, empfiehlt Marc Rohde den anwesenden Schulleitungen.

„Hausaufgabenbetreuung? Gibt es nicht mehr.“

Mit diesem Schuljahr ist nun der dritte Schritt zur teilgebundenen Ganztagsschule gefolgt. An zwei Wochentagen – dienstags und mittwochs – arbeitet die Schule im gebundenen Ganztag. „Damit machen wir gute Erfahrungen“, so Schulleiter Rohde. Auf ihrer Internetseite bietet die Grundschule Hahle „Fragen & Antworten zur GTS“. Eine wird besonders lakonisch beantwortet: „An welchen Tagen wird eine Hausaufgabenbetreuung angeboten? Gibt es nicht mehr.“

Im Laufe des Schuljahres wurden die Hausaufgaben als Lern- und Übungszeiten mit Sprach-, Deutsch- und Matheförderung sowie Projektunterricht mit Lehrkräften in den Unterricht integriert, wozu „wir alle möglichen Stunden zusammenkratzten“, wie Lehrer Florian Rohde erzählt. Doch das hatte auch eine Kehrseite: „Die Eltern meinten, sie bekämen jetzt überhaupt nicht mehr mit, was ihr Kind in der Schule mache. Da muss man mit ihnen verhandeln, um ihnen die Sinnhaftigkeit zu erklären und mit ihnen andere Wege zu finden, wie sie auf dem Laufenden gehalten werden können.“

Grundschule Hahle
Projekttag Mobilität © Grundschule Hahle

Die Anmeldung für die Ganztagsangebote ist für mindestens ein Schulhalbjahr verbindlich. Die Schülerinnen und Schüler können sich für zahlreiche Arbeitsgemeinschaften entscheiden, beispielsweise ein Sportangebot des örtlichen Sportvereins und die Wald-AG, Methodenlernen, Leseclub oder Englisch, „Kleine und Große Spiele in der Sporthalle“ oder die AG Hundeschule. Aber auch „Freies Spielen“ wird angeboten. Unterstützt werden die AGs durch Kooperationspartner.

Raum für Sprachförderung

„Gut ist es, eine Offenheit nach außen für Träger und in den Stadtteil zu haben“, erklärt der Schulleiter. Das Familienbildungszentrum als wichtiger Kooperationspartner bietet mit FezS „ein Superkonzept“ an, das sich sowohl an einsprachige als auch an mehrsprachige Familien richtet. „FezS – Familien erleben zusammen Sprache“ ist ein Eltern-Kind-Gruppen-Konzept, das Sprachförder- und Erziehungskompetenzen der Eltern stärken und den Spracherwerb fördern soll.

Ein weiterer Kooperationspartner ist die Stiftung Lesen, mit der die Grundschule Hahle eine Schulbücherei und einen Raum für Sprachförderung geschaffen hat. Kita-Erzieherinnen und -Erzieher und Lehrkräfte bieten hier dreimal in der Woche gemeinsam Sprachförderung für ganz heterogene Gruppen an. „Wir machen das seit vier Jahren und haben es evaluiert. Es ist hoch effektiv“, berichtet Lehrer Florian Rohde.

„ ... zu 110 Prozent überzeugt“

Die Betreuung vor und nach dem Unterricht sowie in der einstündigen Mittagspause übernehmen die Kita-Erzieherinnen und -Erzieher. Das Mittagessen ist für die Kinder nicht verpflichtend, wohl aber die Anwesenheit in der Mensa. „Auch die Lehrkräfte und ich essen verschiedentlich in der Mensa mit. Das baut Beziehungen zu den Schülerinnen und Schülern auf“, meint Marc Rohde.

„Klare Strukturen sind wichtig. Wer macht wann wo was?“, gibt der Schulleiter den Anwesenden als letzten Merksatz mit auf den Weg. Und auch das: „Von der teilgebundenen Ganztagsschule bin ich zu 110 Prozent überzeugt.“ Die in der StEG-Studie attestierte Verbesserung sozialer Beziehungen in Ganztagsschulen sieht der Rektor ganz klar. „Und ich wage die Behauptung, dass auch die Verbesserung in den fachlichen Leistungen kommen wird.“

 

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