Berlin: „Ganztagsgymnasien in Kooperation gestalten“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die 2. Fachtagung Ganztagsgymnasien der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Berlin zeigte am 16. März 2015 Praxisbeispiele funktionierender Kooperationen und gelungener Schulentwicklung.

Seit 2010 entwickelt sich ein Teil der Berliner Gymnasien zu Ganztagsschulen. Derzeit arbeiten 18 von 90 Gymnasien ganztägig. Der Ganztag bringt mehr Zeit, neue Kooperationen und neue Chancen des Lernens. Aber wie fängt man an? Wie organisiert man Schule mit anderen Professionen gemeinsam? Rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Berliner Ganztagsgymnasien und solchen, die es erst noch werden wollen, kamen zur Fachtagung der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ in das Jagdschloss Glienicke. Sie wollten sich informieren, von den Beispielen anderer Ganztagsgymnasien profitieren und sich austauschen.

Die Serviceagentur organisierte dazu Präsentationen, Beratungstische für Schulleitungen und Steuergruppenmitglieder, Praxiswerkstätten und den Austausch in Schulteams. Ein ständiger Austausch fand statt, der auch schon die eine oder andere Befürchtung vor einem sich auftürmenden Berg nahm. So meinte ein Gymnasiallehrer: „Mich hat es beruhigt zu erfahren, dass man nicht vor Beginn der Ganztagsschule schon alle Antworten parat haben muss, sondern dass das ein Prozess ist, der so richtig erst ins Rollen kommt, wenn man mit der Ganztagsschule startet.“

Die Serviceagentur zeigte mit ihrer Schwerpunktsetzung „Ganztagsgymnasien als Lern- und Lebensraum in Kooperation gestalten“, dass eine Ganztagsschule nur in der Zusammenarbeit verschiedener Professionen zu stemmen ist. Um diesen Sachverhalt aus wissenschaftlicher Sicht zu beleuchten, hatten die Veranstalterinnen Prof. Thomas Olk von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg eingeladen.

Kooperation unterschiedlicher Professionen

Der Sozialpädagoge erklärte in seinem Impulsreferat „Multiprofessionelle Zusammenarbeit und lernende Organisation“: „In der Erziehungswissenschaft wird die Entgrenzung von Schule durch die Ganztagsschulentwicklung diskutiert. Klar ist, dass die Schule den Kindern und Jugendlichen ein Angebot machen muss, das qualitativ genauso gut und besser ist, als das, was sie in ihrer Freizeit erfahren könnten.“ Da erfordere ein neues Verständnis von Schulqualität. Die Schulentwicklung hin zu einer Schule, in der auch Alltags- und Lebensbewältigungskompetenzen vermittelt werden, sei ein offener Prozess, der nicht von oben steuerbar sei, sondern partizipativ laufen und alle mitnehmen müsse. Sie setze voraus, dass sich alle Beteiligten professionell weiterentwickelten und Kooperation als einen zentralen Faktor bei der Entwicklung von Unterrichts- und Schulqualität sehen.

Ganztägig lernen in der Agentur
© Ganztägig lernen

„Es geht nicht nur um die Ko-Konstruktion des Unterrichts, sondern auch um die Ko-Konstruktion der nonformalen Bildung“, führte der Wissenschaftler aus. „Entscheidend bei der Ganztagsschule ist die Kooperation unterschiedlicher Professionen. Und bei allen Schwierigkeiten, die es in der Zusammenarbeit von Lehrkräften und Sozialpädagogen noch geben mag, hat sich hier seit Mitte der neunziger Jahre, seitdem ich diesen Prozess verfolge, vieles verbessert.“

Für die zusätzlichen erzieherischen Aufgaben, die sich den Lehrerinnen und Lehrern stellten, sei eine intensive Kooperation mit außerschulischem pädagogischen Partnern notwendig, die aufgrund mangelnder Zeit, Räumlichkeiten und Strukturen noch zu selten stattfinde. Als Bedingungen für eine gelingende Zusammenarbeit nannte Olk zufolge die strukturelle Absicherung der Kooperation, deren Verankerung im Ganztagsschulkonzept („Was möchte ich eigentlich mit der Kooperation erreichen?“), die Verzahnung von Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten, den Aufbau und die Pflege kontinuierlicher Beziehungen.

Gymnasium Steglitz: „Unsere Schule ist bunter geworden“

Am Vormittag zeigte das Gymnasium Steglitz, wie eine Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendarbeit erfolgreich funktionieren kann. An dem Gymnasium, das zu den wenigen grundständigen Gymnasien ab Klasse 5 in Berlin gehört, forcierte die damals neue Schulleiterin Antje Lükemann die Einführung des offenen Ganztags. Das zog einige Veränderungen nach sich, die Lehrerin Vera Funk vorstellte und die ihrer Schule „gut getan haben, weil wir bunter geworden sind“. Neben der Einführung eines Logbuchs für die Schülerinnen und Schüler, das unter anderem mit Kompetenzrastern zur Selbsteinschätzung dient, aber auch zur Kommunikation mit den Eltern, sind das inzwischen 23 Arbeitsgemeinschaften.

Die AGs werden hauptsächlich von Lehrerinnen und Lehrern, aber auch von Schülerinnen und Schülern durchgeführt. Mittwochs finden Basketball- und Musikangebote auch in der 1. Stunde für die Fünft- und Sechstklässler statt, wobei mit ALBA Berlin und TuS Lichterfelde große Vereine für die Zusammenarbeit gewonnen werden konnten. Besonders wichtig für den Ganztagsbereich ist die Kooperation mit dem Freien Träger der Jugendhilfe Mittelhof e.V., einem Träger der Kinder- und Jugendarbeit. Das fünfköpfige pädagogische Fachpersonal wirkt bereits am Vormittag unterstützend im Unterricht mit. Die Sozialpädagoginnen bieten soziales Training an, betreuen zusammen mit Lehrkräften die Mensapausen und begleiten Ausflüge. Am Nachmittag begleiten sie die Hausaufgabenbetreuung, den offenen Freizeitbereich, die Mathesprechstunde, Sport- und Spielangebote.

Sozialpädagogin Alexa Knothe berichtete: „Wir treffen uns alle zwei Wochen zu einer Teamsitzung mit der Schulleiterin und nehmen an allen Konferenzen, Besprechungen und Studientagen teil.“ Seit neuestem finden auch Klassenteamtreffen mit den Mittelhof-Mitarbeiterinnen sowie monatliche Jahrgangsteamtreffen der Klassen 5 bis 7 statt. „Das ist zwar schwierig zu organisieren, damit so viele Lehrerinnen und Lehrer wie möglich daran teilnehmen können, aber es bringt einen Nutzen zu sehen, was andere Klassen machen.“.

Sarah Neumann, ebenfalls Sozialpädagogin, meint, dass man als Jugendhilfepartner „einen langen Atem“ benötigte: „Am Anfang haben wir auch Distanz im Kollegium erfahren, aber wir konnten nach und nach mit unserer Arbeit überzeugen.“ Nun sehe man positive Entwicklungen wie die verlässliche Betreuung bis 16 Uhr, die pädagogischen Anregungen durch die multiprofessionelle Zusammenarbeit, die ersten Schritte zum Selbstorganisierten Lernen, die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler, die Beratung von Lehrkräften sowie ganz allgemein eine Verbesserung des Schulklimas.

Leibniz-Gymnasium: Schulsozialarbeit als Bereicherung

Karin Wagnitz-Brockmöller von der Serviceagentur "Ganztägig lernen" Berlin
Karin Wagnitz-Brockmöller von der Serviceagentur "Ganztägig lernen" Berlin © Ganztägig lernen

Die Schulsozialarbeit als „bereichernde Ergänzung“ stellte Schulleiterin Renate Krollpfeiffer-Kuhring am Nachmittag in einer von fünf Praxiswerkstätten vor. Mit dabei war Schulentwicklungsberaterin Daniela Wellner-Petsch von der Serviceagentur Berlin. Das Leibniz-Gymnasium in Kreuzberg hatte im September 2012 erfahren, dass es Ganztagsgymnasium werden kann. Anfang 2013 begann der offene Ganztag. Parallel startete auch Christian Oetken als Schulsozialarbeiter. Er erhielt einen eigenen Raum, der aufgrund der Raumnot der Schule zu klein ausfiel, aber „das Beste aus den Gegebenheiten herausholt“, wie die Schulleiterin betont.

Die Schulsozialarbeit ist nun ein Schwerpunkt der Schulentwicklung. Oetken ist täglich von 8 bis 16 Uhr, freitags bis 14 Uhr in der Schule präsent. Er kooperiert auch mit den Lehrkräften und dem Förderteam, das die Hausaufgabenbetreuung und spezielle Förderkurse in Deutsch, Englisch, Französisch und Mathematik durchführt. Weitere wichtige Meilensteine in der Schulentwicklung waren die Teilnahme am Ganztagsnetzwerk der Serviceagentur im Sommer 2013 oder ein Studientag, bei dem es laut der Schulleiterin gelang, „alle Kollegen ins Boot zu holen“, einschließlich der Honorarkräfte. Wichtig war auch die Verschmelzung der Steuergruppe und der Ganztags-AG zu einer gemeinsamen Schulentwicklungsgruppe im Sommer 2014.

Eine erfolgreiche Maßnahme ist die Einführung der Ateliers, die für die Schülerinnen und Schüler des 7. Jahrgangs angeboten werden. Von den Herbst- bis zu den Sommerferien finden im ersten 90-minütigen Lernblock fächerübergreifende Angebote statt: Die von Lehrerinnen und Lehrern konzipierten Themen wie „Glasbläserei“, „Entdeckung ungewöhnlicher Tiere“ oder „Von Abenteurern, Freiheitskämpfern und anderen Helden“ werden ohne Noten, aber mit abschließenden Produktpräsentationen entwickelt. „Die Kinder erhalten hier die Möglichkeit, ihre Kompetenzen individuell zu erweitern“, berichtete Renate Krollpfeiffer-Kuhring.

Sowohl das Gymnasium Steglitz als auch das Leibniz-Gymnasium nutzten auf ihrem Weg die Beratungsangebote der Serviceagentur „Ganztägig lernen“. Hannelore Trageser von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft dankte auf der Tagung der Serviceagentur für ihr „qualitativ tolles Fortbildungsangebot“ und für „die Möglichkeit, an Tagen wie diesen mit anderen Schulen konzeptionell zu arbeiten“. Es sei geplant, die Arbeit der Serviceagentur fortzuführen. Zu den bestehenden 18 Ganztagsgymnasien sollen demnächst neun weitere hinzukommen.

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