6. Bayerischer Ganztagskongress: „Wo wollen wir hin?“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Der 6. Bayerische Landeskongress thematisierte mit der Frage „Ganztagsschule – was nun?“ in interessanten Vorträgen, Workshops und Besuchen bei außerschulischen Partnern die Qualität von Ganztagsangeboten.

Rathaus Forchheim
Der 6. Bayerische Ganztagsschulkongress fand in Forchheim statt. © Redaktion

Das Lob kam schon zu Beginn: „Man fragt nicht: Fährst du auch zum Ganztagsschulkongress? Sondern: Fährst du auch nach Forchheim?“ Das berichtete Dr. Karin Oechslein, die Direktorin des Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB), in ihrem Grußwort zum 6. Bayerischen Ganztagsschulkongress, der am 20. und 21. November 2018 wieder im Herder-Gymnasium stattfand. „Forchheim ist schon Programm.“

Tatsächlich ist es erstaunlich, wie viel sich in der oberfränkischen Kreisstadt und dem Landkreis Forchheim seit einem Jahrzehnt tut – von der Gründung des Vereins Forsprung im Jahr 2006, der eine Bildungsregion etabliert hat, bis zur Akademie für Ganztagsschulpädagogik, die Fortbildungen im Ganztagsbereich anbietet, Forschung betreibt und selbst Träger des Ganztagsangebots an zwei Grundschulen und seit diesem Schuljahr auch an zwei Gymnasien ist, darunter dem Herder-Gymnasium. Diese beiden Partner organisieren seit Jahren auch die Bayerischen Ganztagsschulkongresse.

„Wir haben das zugegebenermaßen früher ein bisschen unter der Decke gehalten, dass ausgerechnet das Herder-Gymnasium, an dem wir auch unsere Kongresse 2014 und 2016 veranstaltet hatten, gar keine Ganztagsschule war“, meinte Dr. Volker Titel von der Akademie bei der Begrüßung der 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Aula verschmitzt. „Aber das hat sich ja jetzt mit der neuen Schulleiterin Ingrid Käfferlein geändert.“

Spannungsverhältnis: Bildungsangebot versus Betreuung

Das Herder-Gymnasium liegt dabei im Trend, wie Ministerialrat Michael Rißmann aus dem Staatsministerium für Unterricht und Kultus, der mit seinem Team aus München angereist war, in seinem Vortrag „Zum Sachstand des Ganztags in Bayern“ darlegen konnte. In den vergangenen zehn Jahren sind die Gruppen in offenen Ganztagsschulen von 2.700 auf 6.150 und die gebundenen Ganztagsklassen von 1.045 auf 4.050 gestiegen. 80 Prozent der allgemeinbildenden Schulen in Bayern haben ein Ganztagsangebot in irgendeiner Form. In den Großstädten liegt die Teilnahmequote der Schülerinnen und Schüler teilweise bei bis zu 90 Prozent. Und der Bedarf nimmt weiter zu.

Michael Rißmann
Ministerialrat Michael Rißmann: „Viele Eltern erwarten Flexibilität.“ © Redaktion

„Nach knapp zehn Jahren Ganztagsschulentwicklung ist jetzt ein guter Zeitpunkt, innezuhalten und sich zu fragen: Wo wollen wir mit dem Ganztag hin?“, so der Leiter des Referats „Ganztagsschulen und Mittagsbetreuung“. Es gelte, Herausforderungen zu diskutieren, insbesondere das Spannungsverhältnis von Ganztagsschule als Bildungsangebot versus Ganztagsschule als Kinderbetreuung. „Viele Eltern erwarten Flexibilität. Es kommen ständig Fragen im Referat an, die die vorzeitige Abholung, flexible Bildungszeiten und die wöchentliche Mindestteilnahme betreffen. Hier knirscht es“, erklärte Rißmann.

Weiter gelte es, die Zuständigkeit von Schule und Jugendhilfe zu klären, worauf insbesondere Städte und Gemeinden drängten. Damit verbunden sei die Strukturfrage der verschiedenen Angebotsformen: offene und gebundene Ganztagsschule, Mittagsbetreuung, Hort oder Tagesheim. „Diese Vielfalt ist für die Eltern verwirrend, aber manche Kommune will diese Vielfalt erhalten, die aber auch zu Konkurrenzsituationen und manchmal zur Trägervielfalt unter einem Schuldach führt“, berichtete Rißmann. In München erprobt die Grundschule am Pflanzeltplatz gerade die „Kooperative Ganztagsbildung“, ein Modellprojekt, das „sehr positiv aufgenommen worden ist“. Für das Ganztagsangebot ist nur noch ein Träger – in diesem Fall die Arbeiterwohlfahrt – zuständig.

Entscheidend ist der Bildungserfolg

Das Innehalten, von dem Michael Rißmann sprach, machte auch den Kongress aus. „Ganztagsschule – was nun?“ lautete die Überschrift der Veranstaltung, die „Impulse und Strategien für die Schule vor Ort“ geben wollte. Dazu hatten die Veranstalter vier Vorträge, zwei Workshop-Runden mit insgesamt über 20 Angeboten und eine Salon-Runde, in der sich fünf außerschulische Partner vorstellten, organisiert.

Aus wissenschaftlicher Perspektive beleuchteten Prof. Klaus Zierer von der Universität Augsburg, Prof. Stefan Voll von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und Prof. Ludwig Stecher von der Justus-Liebig-Universität Gießen verschiedene Aspekte der Ganztagsbildung. „Qualität ins Zentrum rücken“ war der Vortrag von Klaus Zierer überschrieben: „Ich möchte das Narrativ der Ganztagsschule verändern. Entscheidend ist nicht der Betreuungsgedanke, sondern der Bildungserfolg der Schülerinnen und Schüler.“ Die Qualität entscheide sich im Unterricht, während „Strukturfragen nachrangig“ seien.

Podiumsdiskussion
Austausch von Wissenschaft und Praxis mit Prof. Klaus Zierer (l.) und Prof. Ludwig Stecher (2.v.l.) © Redaktion

Zierer verwies auf die bekannte Hattie-Studie. „Es braucht neben der Fachkompetenz auch Kompetenzen der Didaktik und Pädagogik – die Wechselwirkung macht den Erfolg aus.“ Da die Schülerinnen und Schüler einen Großteil ihrer Lebenszeit in der Ganztagsschule verbrächten, müsse diese ebenso effektiv wie „freudvoll“ sein und das Wohlbefinden sichern. „Es geht auch um eine erfüllte Lebenszeit“, so Zierer. „Wie schafft es die Ganztagsschule, gesellschaftliche Interessen und Wünsche der Eltern zu vereinbaren, ohne die Pädagogik zu verraten? Wie schafft sie es, Familie zu ergänzen, ohne sie zu ersetzen?“

Stefan Voll sprach sich in seinem Vortrag „Bewegung macht schlau“ dafür aus, dass die Ganztagsschule ihr Mehr an Zeit und Raum nutzen müsse, um hochwertigere Sport- und Bewegungsangebote in den Schulalltag zu bringen. Der Sportdidaktiker zeigte auf der Bühne gleich ein paar Beispiele, wie sich Matheaufgaben mit Geschicklichkeitsübungen kombinieren lassen. Dass Schülerinnen und Schüler nachhaltiger lernen, wenn sie sich bewegen, haben schon zahlreiche Studien belegt. Voll konnte sich auch auf die eigene Studie „BekoAkt – Bewegung zur kognitiven Aktivierung“ berufen.

Erweiterte Bildungsangebote

Um „Gute Ganztagsschulen – und wie wir sie erreichen können“ ging es im Vortrag von Ludwig Stecher. Die Ganztagsschule ist für ihn ein „erweitertes Bildungssetting“, also eine Anordnung des Lernens mit verschiedenen Lerngelegenheiten: Dazu gehören „erweiterte Angebote, erweitertes Personal und erweiterte Arbeitsweisen“. Für ihn hat die Ganztagsschule „das Potenzial, eine andere Schule zu sein“. Sie müsse sich dazu aber für mehr Qualitätsbereiche verantwortlich zeigen. „Qualität ist ein ständiges, pädagogisch motiviertes Ringen, und sie braucht einen Anker: Am Anfang muss die pädagogische Überlegung stehen. Die Struktur macht die Qualität nicht per se aus.“

Ein beeindruckendes erweitertes Angebot stellte sich auf dem Kongress mit der Umweltstation Lias-Grube Unterstürmig e.V. vor. Die Informations- und Bildungsstätte für die Umweltbildung in einem ehemaligen Tonabbaugebiet in der Nähe von Forchheim arbeitet zurzeit mit der Grundschule Eggolsheim und der Deichselbach-Grundschule Buttenheim zusammen. Die Schülerinnen und Schüler kommen einmal in der Woche für jeweils rund 90 Minuten auf das große Gelände, auf dem die Kinder die Natur hautnah erleben können.

Kongressteimlehmende vor einem Weidenpavillon
Diplom-Biologin Ceara Elhard vor dem Weidenpavillon der Lias-Grube. © Redaktion

„Sie buddeln nach Fossilien, backen Stockbrot, schleudern Honig, lernen Tiere und ihre Lebensräume kennen“, berichtete Ceara Elhard der Gruppe von Kongressteilnehmenden, die sich zur Lias-Grube aufgemacht hatten. Die Diplom-Biologin arbeitet seit zwei Jahren in der Umweltstation mit den Ganztagsklassen zusammen. Die Schülerinnen und Schüler lernen etwas über den Lebensraum Wasser und Wiese oder machen Sinneserfahrungen mit der Blinden Raupe, der Geräuschelandkarte und auf dem Barfußweg. Spiel und Spaß kommen dabei nicht zu kurz, so zum Beispiel beim Wegbahnen durch das Weidenlabyrinth.

„Voneinander Impulse aufnehmen“

Wie sich die zusätzliche Zeit für den Ganztag im Unterricht nutzen lässt, stellte Lehrerin Katja Schön, ehemalige Ganztagskoordinatorin der Nürnberger Dr.-Theo-Schöller-Schule, vor. Die Mittelschule hat 500 Schülerinnen und Schüler und acht Ganztagsklassen. Katja Schön präsentierte ihre Wochenplanarbeit. „Der Wochenplan ist ein Element unter vielen Unterrichtsformen, eignet sich aber besonders gut für die Ganztagsklasse.“ An jedem Tag gibt es in ihrer Ganztagsklasse zwei Schulstunden in Wochenplanarbeit. „Wenn es richtig laufen soll, muss ich es konsequent anwenden. Es nützt nichts, einen Wochenplan nur mal hin und wieder einzustreuen.“

Kongressteilnehmende während einer Pause
Gelegenheit zum Austausch in der Aula des Herder-Gymnasiums. © Akademie für Ganztagsschulpädagogik

Der Wochenplan unterstütze Selbstständigkeit, Individualisierung und Selbstorganisation. „Lehrerinnen und Lehrern fällt es manchmal schwer, den Lernprozess an die Schülerinnen und Schüler abzugeben“, räumte Katja Schön ein. „Ich sage ihnen, dass Sie sich frei davon machen müssen, alles kontrollieren zu wollen.“ Workshop-Teilnehmerinnen berichteten von ähnlichen Erfahrungen in ihren Schulen, Skepsis von Schulleitungen oder im Kollegium ob der Effektivität, vor allem vor dem Hintergrund des Mehraufwands in der Vorbereitung. „Auch wenn es Anfangsschwierigkeiten gibt – es lohnt sich“, bestätigte eine Lehrerin.

„Es lohnt sich!“ Dieses Fazit zogen am Ende auch Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer. „Die Workshops waren toll“, lobte Lehrerin Sandra Angermaier von der Grundschule Langenzenn. „Und die Beispiele haben mir gezeigt, dass, wenn man eine Idee hat, man Geduld beweisen und dranbleiben muss.“ Michael Strehler, Schulleiter des Kaiser-Heinrich-Gymnasiums Bamberg bilanzierte: „Es ist toll, wenn wie hier die verschiedenen Professionen ins Gespräch kommen und man voneinander Impulse aufnehmen kann.“

 

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