5. Transferforum: "Was macht eine gute Ganztagsschule aus?" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Was macht eine gute Ganztagsschule aus? Wie verändern sich die Lernkultur und das Miteinander, wenn die Schule zum Lebensort wird und Bildungspartner den Schulalltag mitprägen? Welche Unterstützung erfahren Schulen auf dem Weg zur guten Ganztagsschule? Das 5. Transferforum des BMBF und der DKJS gab am 16. Mai 2014 für Wissenschaftler, Praktiker, Politik und Verwaltung in der Potsdamer Staatskanzlei Gelegenheit zum Austausch.

Mit den Transferforen bietet das Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ seit 2010 einmal im Jahr einen Rahmen für den länderübergreifenden Austausch zu Entwicklungsfragen und über gute Beispiele aus der Praxis. In diesem Jahr diskutierten unter der Überschrift „Qualitätsentwicklung – wie geht’s zur guten Ganztagsschule?“ über 200 Expertinnen und Experten aus Schulpraxis und Partnerinstitutionen, Wissenschaft und Bildungsverwaltung über Wege der Qualitätsentwicklung von Ganztagsschulen.

Martina Münch, die Ministerin für Bildung, Jugend und Sport in Brandenburg
Dr. Martina Münch, Ministerin für Bildung, Jugend und Sport in Brandenburg © Ganztägig lernen

„Zusammen mit den jährlichen Ganztagsschulkongressen in Berlin und den 16 Serviceagenturen bilden die Transferveranstaltungen den Kern des Ganztagsschulprogramms und sind Teil der Transferstrategie des BMBF zur Ganztagsschulforschung“, erklärte Daniela Ehlbeck, Referentin im Referat „Frühe und allgemeine Bildung“ des BMBF, zur Begrüßung der Teilnehmer in der Staatskanzlei. „Die Qualität von Ganztagsschulen beschäftigt uns nicht erst seit heute, sondern die ganze Zeit . Das Ganztagsschulportal bietet ebenso wie das Online-Portal des Programms „Ganztägig lernen“ zahlreiche gute Beispiele und Materialien. Auch die vom BMBF geförderte Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG) befasst sich seit 2012 vertieft mit der Frage der Wirkung und Qualität von Ganztagsangeboten“. Ab Sommer 2014 starte die Qualitätsoffensive Lehrerbildung. 

Über die Weiterführung des Begleitprogramms „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ ab 2015 führen Bund und Länder laut der Referentin derzeit Gespräche. Klar sei dabei, dass das Programm „ein Beispiel für eine gelungene Bund-Länder-Kooperation“ ist.

„Beim Thema Ganztagsschule sind wir uns alle einig“

Dr. Martina Münch, die Ministerin für Bildung, Jugend und Sport in Brandenburg, betonte in ihrem Grußwort, dass „wir die Unterstützungsleistungen der Serviceagenturen gar nicht hoch genug einschätzen können“. Die von der Serviceagentur Brandenburg herausgegebene Broschüre „Qualität an Schulen mit Ganztagsangeboten“ werde über Brandenburg hinaus sehr gut angenommen. Sowohl das IZBB wie das Begleitprogramm durch die DKJS hätten geholfen, die Ganztagsschullandschaft in Brandenburg aufzubauen: Seit 2004 sei die Zahl von 180 auf 480 Ganztagsschulen und damit auf einen Anteil von über 50 Prozent aller allgemeinbildenden Schulen gewachsen.

„Ganztagsschulen sind lernende Institutionen und ein Lebensort für alle Beteiligten“, so die Ministerin weiter, „und bieten die ideale Chance, der wachsenden Heterogenität der Schülerschaft gerecht zu werden. Die Schülerinnen und Schüler können sich in anderen Dimensionen erfahren, können Seiten an sich kennen lernen, welche sie sonst nicht kennen lernen würden. Und sie bieten die Chance, nonformale Kompetenzen weiter zu entwickeln.“ Alle Bundesländer stünden bei Themen wie Heterogenität oder Inklusion vor den gleichen Herausforderungen. „Beim Thema Ganztagsschule sind wir uns alle einig. Wir müssen alle gemeinsam daran arbeiten.“

„Auf dem Weg zur guten und lernenden Ganztagsschule“

Auch in Österreich ist die Ganztagsschule im letzten Jahrzehnt ein Thema, vor allem in der Hauptstadt Wien. Insgesamt gibt es in Österreich gerade einmal 126 Ganztagsschulen. Das Nachbarland schaut neidisch auf die Ganztagsschulentwicklung in Deutschland. „Bei uns wird der Prozess eher lustlos und langsam angegangen“, berichtete Prof. Dr. Marlies Krainz-Dürr, Rektorin der Pädagogischen Hochschule Kärnten und seit langem als Expertin für Schulentwicklung und Schulqualität bekannt, in ihrem Impulsvortrag „Auf dem Weg zur guten und lernenden Ganztagsschule“. In Österreich gebe es keine Qualitätsrahmen oder Qualitätskriterien für die Ganztagsschule, sondern lediglich Empfehlungen.

Prof. Dr. Marlies Krainz-Dürr, Rektorin der Pädagogischen Hochschule Kärnten
Prof. Dr. Marlies Krainz-Dürr, Rektorin der Pädagogischen Hochschule Kärnten © Ganztägig lernen

Die Kooperation mit außerschulischen Partnern sei in Österreich „noch viel ungewöhnlicher“. „Ich erlebe an meiner Hochschule, wie selbst bei gutem Willen aller Beteiligten die Zusammenarbeit von Lehrkräften, Freizeitpädagogen und Sozialpädagogen schwierig ist“, so die Erziehungswissenschaftlerin, die selbst lange Lehrerin war. Schon Ende der neunziger Jahre hat sie sich in einem Buch mit der Frage „Wie kommt Lernen in die Schule? Zur Lernfähigkeit der Schule als Organisation“ befasst. Der Kulturwandel in der Schule durch den Rollenwandel der Lehrkräfte in der Schule, die sich „immer weniger hinter ihrer Lehrerrolle verstecken können“ und „mehr Partner der Schülerinnen und Schüler werden müssen“, sei entscheidend für das Gelingen der Ganztagsschule. Aber diese Einstellungsänderung sei eben auch die große Herausforderung.

Heike Kahl, die Geschäftsführerin der DKJS, betonte beim Podiumsgespräch den Wert gemeinsamen Lernens: „Schulen wollen nicht nur Beratung, sondern auch eine Begleitung ihrer Lernprozesse. Am besten ist das gegenseitige Besuchen, um voneinander zu lernen.“ Ein aktuelles Thema sei das Digitale Lernen: „Dies wird in Schulen oft noch darauf reduziert, wie man mit den Medien umgeht. Wir müssen aber auch einfließen lassen, wie das digitale Lernen den Alltag bestimmt.“

Schule ist analog, Alltag digital

Diese Auffassung stützten Can Erdal von der Medienberatungsagentur Squirrel & Nuts und Andreas Hofmann, Lehrer an der Waldschule Hatten im niedersächsischen Landkreis Oldenburg im Workshop „Eine neue Lernkultur – wie der digitale Alltag das Lernen verändert“. Erdal, der Jugendbeteiligungsprozesse begleitet, konstatierte: „Das Digitale ist Lebenswirklichkeit. Die sozialen Netzwerke, in denen sich fast alle Kinder und Jugendlichen aufhalten, sind Ausdruck sozialer Identität und kulturellen Kapitals.“

Doch wie sollen Schulen sich dem Thema Smartphone, Internet, Social Media nähern? An einer Hamburger Schule ergibt sich derzeit die Situation, dass die Schule komplett digitalisiert wird, die Schülerinnen und Schüler also mit Tablets und Computer lernen werden, aber derweil noch ein Handy-Verbot besteht. Auf der einen Seite werden die Handys also am Schultor eingesammelt, im Klassenraum dann Tablets ausgeteilt. Für Lehrer Hofmann eine „absurde Zeit: Die Schule ist analog, der Alltag digital“.

Eine Lehrerin wandte im Workshop ein: „Dass die Kinder Social Media sowieso nutzen, ist für mich kein Argument. Wir müssen das sicherlich in Bahnen lenken – aber soll ich das jetzt auch noch gerade rücken, was die Eltern zuhause versäumen, ihren Kindern mitzugeben?“

Vielfalt der Methoden des digitalen Lernens

Andreas Hofmann arbeitet auch als medienpolitischer Berater in Niedersachsen und seit vier Jahren an seiner Oberschule und Ganztagsschule in der mobilen Klasse und papierfrei. 25 Prozent des Unterrichts an seiner Schule gestalte sich derzeit mit digitalen Medien. In Projektarbeiten, Wahlkursen, Arbeitsgemeinschaften und Lernwerkstätten fänden QR Rallyes statt, würden Digitale Kochbücher, Bewegungsanalysen, Lernvideos, Blogs, StopMotion-Filme, Fotofilme, Digitale Schülerzeitungen, Natur-und Heimatdokumentationen und virtuelle Reisen erstellt. Eine Vielfalt der Methoden, die sich ja ideal mit denen einer Ganztagsschule insgesamt deckten, wie ein Lehrer im Workshop feststellte.

Diskussionen in einem der drei Salons
Diskussionen in einem der drei Salons © Ganztägig lernen

Mit den Medien über die Medien zu lernen, hält Andreas Hofmann für selbstverständlich. In den Kollegien ist es das aber alles andere. „Ich bin oft frustriert, wenn die Diskussionen immer wieder von vorne losgehen – ob das denn nötig ist und so weiter. Zum einen  haben die Kolleginnen und Kollegen mit der Inklusion, der Einführung der Oberschule und der veralteten Ausbildung, die sie auf so etwas nicht vorbereitet hat, schon genug zu tun. Zum anderen  fürchten sie auch den Kontrollverlust. Viele wissen nichts über Facebook und haben schlicht Angst davor. Das müssen wir ernst nehmen.“

Vom Mehrwert der Ganztagsschule überzeugen

Ebenso ernst nehmen muss man laut Prof. Jörg Ramseger von der Freien Universität Berlin Vorbehalte von Lehrerinnen und Lehrern gegenüber der Ganztagsschule. Viele fürchten schlichte Mehrarbeit. „Viele Lehrkräfte sind ja bereits jetzt nicht glücklich mit ihrer Arbeit. Dem müssen wir auf den Grund gehen“, so der Grundschulforscher im Salon „Lernen und Bilden – wie können die Chancen der Ganztagsschule für eine neue Lernkultur genutzt werden?“ Kathi von Hagen, Schulleiterin der Gesamtschule Münster Mitte, einer gebundenen Ganztagsschule, ergänzte: „Ich kann die Kolleginnen und Kollegen nur überzeugen, wenn es einen Mehrwert für sie hat. Und der besteht darin, dass der Ganztag nachweislich eine Erleichterung bringt. In einer Belastungsstudie, an der Lehrkräfte in Nordrhein-Westfalen teilgenommen haben, bewertete mein Kollegium ihr Belastungserleben besser als die Lehrkräfte an anderen Schulen.“

Ganztagsschule: „Menü-Angebot, abwechslungsreich, mit Lust aufs Dessert“

Thomas Dau-Eckert vom Kinder- und Jugendbüro Flensburg schaute aus Sicht der Jugendhilfe kritisch auf den Prozess: „Können wir bitte mal sagen, ob wir die Ganztagsschule wirklich wollen? Die Politik behauptet das, stellt aber keine entsprechenden Rahmenbedingungen zur Verfügung. Aus unserer Sicht wäre es sinnvoll, wenn die Kommunen größere Mitspracherechte in den Schulen erhielten, weil wir einfach besser wissen, was vor Ort los ist.“

Joachim Seibt vom Studienseminar Cottbus bildet seit Jahren Referendarinnen und Referendare aus und berät Schulen bei der Schulentwicklung. Seine Erfahrung: „Wenn Lehrerinnen und Lehrer keine Überzeugungstäter in Sachen Ganztagsschule sind, wird das nix. Und ganz entscheidend für die Einstellung des Kollegiums ist da die Schulleitung, die entsprechend vorangehen und das vorleben muss. Die Lehrerinnen und Lehrer an einer Ganztagsschule müssen sich als Köche verstehen, die den Kindern unterschiedliche Menü-Angebote machen, die schmackhaft und abwechslungsreich sein müssen – und die am Nachmittag noch Lust auf das Dessert lassen. Dass es sich in Gemeinschaft besser isst als alleine, diese Einstellung bringen die Schülerinnen und Schüler sowieso mit.“

 

Die Übernahme von Artikeln und Interviews - auch auszugsweise und/oder bei Nennung der Quelle - ist nur nach Zustimmung der Online-Redaktion erlaubt. Wir bitten um folgende Zitierweise: Autor/in: Artikelüberschrift. Datum. In: https://www.ganztagsschulen.org/xxx. Datum des Zugriffs: 00.00.0000