5. Saarländischer Ganztagsschulkongress : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Mit ihrem Eckpunktepapier zur gebundenen Ganztagsschule hat die saarländische Landesregierung einen Kurswechsel vollzogen: Nun starten erstmals wieder gebundene Ganztagsschulen.

 

Die Grundschule Saarbrücken-Rastpfuhl ist die älteste gebundene Ganztagsgrundschule im Saarland - und damit beinahe ein Exot unter den ansonsten eher mit dem offenen Modell arbeitenden Ganztagsschulen. Noch.

Denn ein Trend, der sich auf dem 5. Saarländischen Ganztagsschulkongress der Serviceagentur "Ganztägig lernen" Saarland am 21. Mai 2011 in der Europäischen Akademie Otzenhausen abzeichnete, ist die stärkere Umwandlung und Etablierung gebundener Ganztagsschulen und von Ganztagsklassen. "Wir leisten derzeit viel Beratungsarbeit an Schulen, die Ganztagsklassen einrichten", berichtete Melanie Helm, die Leiterin der Serviceagentur.

Die Landesregierung hat ihre Position in Sachen "Gebundener Ganztag" neu justiert, was Bildungsminister Klaus Kessler zum Auftakt des Kongresses mit der Ankündigung verdeutlichte, dass zum kommenden Schuljahr 2011/2012 nach 18 Jahren erstmals drei gebundene Ganztagsschulen eingerichtet werden: Eine Grundschule, eine Realschule und eine Gesamtschule. "Im kommenden Jahr stellen wir zusätzliche Projektgelder zur Verfügung", kündigte der Minister vor den rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern an.

Ganztagsangebote werden von Eltern und Schülern angenommen

Im aktuellen Schuljahr existierten an den offenen Ganztagsgrundschulen 800 Gruppen, im kommenden Jahr kämen 170 dazu. Insgesamt erreiche die Freiwillige Ganztagsschule damit etwa 20.000 Schülerinnen und Schüler - für Kessler "ein quantitativer Erfolg und ein Beleg für die Akzeptanz des Angebots bei Kindern und Eltern". Diese Akzeptanz werde darüber hinaus durch die Anwahl des kostenpflichtigen Angebots zwischen 15 und 17 Uhr durch 70 Prozent der Schülerinnen und Schüler belegt. Daneben existierten bereits 59 Ganztagsklassen.

Porträtfoto von Bildungsminister Klaus Kessler
Bildungsminister Klaus Kessler © Jean M. Laffitau

"Der Weg zur Ganztagsschule ist auch der Weg zu einer neuen Lehr- und Lernkultur", stellte der Bildungsminister heraus. "Gerade in gebundenen Ganztagsschulen muss es auch qualitative Veränderungen geben, sollten der Tag stärker rhythmisiert, die Themen stärker verzahnt, Vor- und Nachmittag besser verbunden, mehr Pädagogische Partner involviert, stärker Freizeitpädagogik und Förderung von Motorik angeboten werden." Dazu sollten alle schulischen und außerschulischen Kollegen ins Boot geholt werden.

In Saarbrücken-Rastpfuhl hat man diesen Weg bereits beschritten, und auf dem Kongress interessierten sich nun Lehrerinnen und Lehrer sowie Schulleitungen und Pädagogische Partner für "Managementaufgaben im Veränderungsprozess zur gebundenen Ganztagsschule" - so der Titel eines Workshops, den Margit Knaack vom Ministerium für Bildung durchführte. Die abgeordnete Lehrerin arbeitet seit 20 Jahren an der Ganztagsgrundschule und konnte so ihre Erfahrungen bei der Konzeption und Einführung des gebundenen Ganztags aus eigener Anschauung vermitteln.

"Kleine Brötchen backen"

"Es ist - gerade für große weiterführende Schulen - wichtig, dass zur Konzeption eine Steuerungsgruppe gebildet wird, die ein pädagogisches Konzept entwickelt. Wenn eine Schulleitung das auf eigene Faust durchziehen will, geht das schief", erklärte die Lehrerin. "Im Kollegium müssen nicht alle für die Einführung des gebundenen Ganztags sein, aber eine Mehrheit."

Dass gerade in einem aufwachsenden System, in welchem die Halbtagszüge nach und nach durch Ganztagsjahrgangsstufen ersetzt würden, die Konzeption des Stundenplans und die Taktung "besonders kniffelig" seien, sollte Margit Knaack zufolge jedem klar sein. In dieser Phase, in der auch hin und wieder unbezahlte Mehrarbeit anfalle, sei es wichtig, "kleine Brötchen zu backen", langsam voranzuschreiten und sich nicht mit zu vielen auf einmal gewollten Veränderungen zu überfordern.

Sei die gebundene Form erst einmal etabliert, merkten die Lehrerinnen und Lehrer schnell, dass sie in der gebundenen Ganztagsschule die Kinder und Jugendlichen im Vergleich zur Arbeit in einer Halbtagsschule anders erlebten: "Die Schülerinnen und Schüler bringen ihre Erfahrungen und Emotionen mit, wovon die Lehrkräfte nun viel mehr mitbekommen", erläuterte Margit Knaack. Das bringe neue Herausforderungen mit sich, auf welche die Lehrerausbildung bisher nicht vorbereite. "Lehrkräfte sollten diesen Herausforderungen durch die Zusammenarbeit mit Sozialpädagoginnen und -pädagogen begegnen, eine verzahnte Kooperation auf Augenhöhe anstreben und Teams bilden", riet die Referentin.

Lehrerbild muss sich wandeln

Die Ganztagsgrundschule Rastpfuhl arbeitet seit Jahren mit verschiedenen Partnern zusammen, um den Schülerinnen und Schülern über den herkömmlichen Unterricht hinaus eine Erweiterung ihrer Lebenswelt zu bieten, die Verwirklichung von Interessen sowie Talente und Begabungen zu fördern. In Zusammenarbeit mit der Kulturwerkstatt der Stadt Saarbrücken hat die Schule eine Ballettgruppe gegründet, und musikalisch interessierte Kinder machen im schuleigenen Rockstudio Musik. Gemeinsam mit Bildenden Künstlerinnen und Künstlern gestalten die Schülerinnen und Schüler den schulischen Raum mit eigenen Werken. Regelmäßige Museumsbesuche und das Nutzen museumspädagogischer Angebote wecken bei den Kindern Neugier und Interesse an der Kunst.

Drei Frauen sitzen in einem Seminarraum, ein Lehrer erklärt etwas
Unterstützung aus dem Nachbarland: Schulleiter Markus Fichter von der rheinland-pfälzischen Grundschule Eisenberg leitet einen Workshop © Jean M. Laffitau

Hinzu kommen regelmäßige Theateraufführungen, bei denen die Schule mit regionalen Kindertheatergruppen und dem theaterpädagogischen Zentrum zusammenarbeitet. Immer wieder besuchen auch Kinderbuchautorinnen und -autoren die Schule, um ihre Bücher vorzustellen, was wiederum die Schülerinnen und Schüler neu zum Lesen und auch zum eigenen Schreiben von Texten inspiriert, die dann in selbstgestalteten Büchern veröffentlicht werden. Im Sport arbeitet die Schule seit Jahren mit dem Verein DJK Rußhütte-Rastpfuhl zusammen. Eine Übungsleiterin betreut eine Spielgruppe.

Den traditionellen 45-Minuten-Takt des Unterrichts hat die Schule abgeschafft und stattdessen Arbeitszeiten eingeführt, die von 8.00 bis 9.55 Uhr und von 10.25 Uhr bis 12.20 Uhr dauern. Innerhalb dieser Stunden ist es den Lehrerinnen und Lehrern überlassen, ihre Zeit - angepasst an die kindlichen Bedürfnisse und an die sachlichen Erfordernisse - zu planen. Die Klassenräume sind so gestaltet, dass die Schülerinnen und Schüler allein, mit Partnern oder in Gruppen lernen können. Die Lehrerinnen und Lehrer schaffen dazu die entsprechenden Lernsituationen und stehen den Kindern beratend und unterstützend zur Seite. "Das Lehrerbild muss sich wandeln", erklärte dazu Margit Knaack.

Lernen in sozialen Situationen

Freier Zugang zu abwechslungsreichen und motivierenden Arbeitsmaterialien ermuntert die Schülerinnen und Schüler dabei zu selbstständigem Lernen. In allen Klassen nutzen die Kinder auch die neuen Medien, und Computer-Lernplätze sind eingerichtet. Hausaufgaben gibt es in den ersten beiden Klassen kaum; in der 3. und 4. Jahrgangsstufe werden sie dosiert eingesetzt, damit die Schülerinnen und Schüler auf die Praxis in den weiterführenden Schulen vorbereitet werden.

In der Zeit von 12.20 bis 13.50 Uhr findet die ungebundene Mittagsfreizeit statt. Hier essen die Schülerinnen und Schüler gemeinsam, nutzen Angebote im Freizeitbereich, spielen im Außengelände oder ziehen sich für ruhige Aktivitäten in die Klassenräume zurück. Von 13.50 bis 15.45 Uhr stehen unterschiedliche Freizeitangebote im Vordergrund. Diese können spielerischer, handwerklicher, sportlicher und musisch-kultureller Art sein und fördern die persönlichen Interessen der Kinder, ihre Begabungen und Fähigkeiten.

Das Credo der Ganztagsgrundschule Rastpfuhl lautet, die Kinder lernen zu lassen, selbst Fragen zu stellen und diese im handelnden und entdeckenden Umgang mit den Lerngegenständen zu lösen. Lernen findet in sozialen Situationen statt. Die Lehrkräfte und die Pädagogischen Partner schenken ebenso dem Arbeits- und Sozialverhalten der Kinder eine besondere Beachtung. Im Klassenrat - der Versammlung der Klassensprecherinnen und Klassensprecher - werden auftretende Probleme und die Möglichkeiten ihrer Lösung regelmäßig besprochen.

Informelles Lernen eminent wichtig

Ideen und Anregungen gibt es, wie dieses eine Beispiel zeigt, genügend. In welcher Form man diese indes im laufenden Arbeitsalltag umzusetzen vermag, steht auf einem ganz anderen Blatt. "Unsere Innovation wird durch einen Mangel an Vorstellungskraft behindert", zitierte Prof. Dr. Rolf Arnold den US-amerikanischen Ökonomen Gerry Hamel. Arnold, Erziehungs- und Sozialwissenschaftler an der Technischen Universität Kaiserslautern, ermunterte mit seinem Vortrag "Veränderung durch Selbstveränderung - Organisationsentwicklung und Führung in der Schule" das Plenum, eingetretene Pfade zu verlassen: "Wer den Unterricht verändern will, muss mehr als den Unterricht verändern."

Porträtfoto von Herrn Prof. Karl Arnold
Prof. Karl Arnold von der TU Kaiserslautern © Jean M. Laffitau

In der Schule stehe das formelle Lernen im Vordergrund. Es gebe aber mehr als Fachkompetenz. "Man kann viel wissen und nichts können", brachte es der Wissenschaftler auf einen Nenner. Ein nicht unerheblicher Teil der Bildung würden zudem außerhalb der Schule erworben. Seit den neunziger Jahren sei dieses informelle Lernen in den Vordergrund gerückt. "Hierbei ist es zentral, Herr seiner eigenen Lernfähigkeit zu werden. Kinder müssen den Umgang mit Wissen einüben." Lehrkräfte könnten ihnen das ermöglichen, indem sie ihnen Selbstlernangebote unterbreiten, andere Lernarrangements anbieten und sie nicht stundenlang frontal unterrichteten, führte Arnold aus.

2010 hat das Saarland ein Eckpunktepapier zur gebundenen Ganztagsschule veröffentlicht und damit dokumentiert, dass diese Schulform nun "politisch gewollt ist", wie es Margit Knaack einordnet. "Die Weichen sind gestellt."

Nimmt man die Resonanz auf den 5. Saarländischen Ganztagsschulkongress zum Maßstab, sind die Schulleitungen, Lehrkräfte und Pädagogischen Partner stark motiviert, auf neuen Gleisen zu fahren, was auch dem Minister nicht verborgen blieb. "Ich bin froh und stolz, dass wir so viele Erzieherinnen, Erzieher und Lehrkräfte auf einer Fortbildung am Samstag begrüßen können", meinte Klaus Kessler. "Das ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Aussage, dass sich Lehrerinnen und Lehrer nur während der Arbeitszeit fortbilden, falsch ist."

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