3. Transferforum: Bauen am Haus der Inklusion : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Wenn es eines Impulses, Inklusion in der Ganztagsschule umzusetzen, noch bedurft hätte, er wäre vom 3. Transferforum am 22. März 2012 in Bremen ausgegangen. Intensiver Gedankenaustausch, faszinierende Praxisbeispiele und ein aufrüttelnder Hauptvortrag durch den englischen Bildungsforscher und Leiter des Centre for Equity in Education der Universität Manchester, Prof. Dr. Alan Dyson, kennzeichneten den Tag.

Dass Bremen genau der richtige Ort für das von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) im Rahmen des Programms "Ideen für Mehr! Ganztägig lernen." organisierte Forum war, machte die Leiterin des Referats "Frühe und allgemeine Bildung" im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bettina Bundszus, gleich zum Auftakt in der Gesprächsrunde, an der neben ihr die Geschäftsführerin der DKJS, Dr. Heike Kahl, sowie die Referentin für Inklusion bei der Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit in Bremen, Andrea Hermann-Weide, teilnahmen, deutlich. "Bremen ist auf dem Weg der Inklusion schon sehr weit vorangeschritten", betonte Bundszus.

Das Kompliment nahm Andrea Hermann-Weide gerne an. Sie verwies auf die lange Tradition des Landes, das sich bereits Ende der 1970er Jahre auf den Weg zu Kooperation, Integration und letztlich Inklusion begeben habe. Man müsse sich auf Inklusion festlegen, "eben einen Punkt setzen und sagen, jetzt wird das umgesetzt". Den Stand der Dinge an Bremens Schulen verglich sie mit dem Bau eines Hauses: "Wir haben den Rohbau Inklusion fertig. Jetzt folgt der Innenausbau. Und der muss qualitativ hochwertig sein."

Ein Lob für "viele Ganztagsschulen" sprach Dr. Heike Kahl aus. Viele hätten erkannt, dass Barrierefreiheit nicht nur etwas mit Treppen zu tun habe. Vielen gelinge es, Schule und Soziales miteinander zu verbinden. Vor allem aber gehe es diesen Schulen darum, jedes Kind besonders gut zu fördern und von ihm aus zu denken. "Wenn das gelingt, dann ist der Weg zu Inklusion nicht weit", sagte sie. Zugleich aber legte sie auch den Finger in die Wunde: "Manchmal kommt es aber auch in Ganztagsschulen vor, dass diejenigen, die eigentlich vernetzt sein und zusammenarbeiten sollten, in unterschiedlichen Etagen ohne ausreichende Verbindung untergebracht sind."

Das Bild vom Haus aufgreifend, formulierte Bettina Bundszus die Herausforderung, vor der die Handelnden stünden. Inklusion bedeute einen Paradigmenwechsel, ähnlich dem Wandel der Schulen zu Ganztagsschulen. Sie machte deutlich, dass dieser Prozess durchaus auch mit Befürchtungen sowohl bei Eltern als auch bei Lehrern verbunden sei. "Die müssen wir sehr ernst nehmen, sonst können wir nicht ehrlich miteinander umgehen", mahnte sie. Ganztagsschulen bieten nach ihrer Ansicht eine ganz besondere Chance, Inklusion voranzutreiben. Viele der Schulen hätten schon Erfahrungen mit multiprofessionellen Teams, mit Rhythmisierung und Kooperationen.

Diskussion in den Fachforen
In vier Fachforen diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über ihre Praxiserfahrungen mit der Inklusion © Alexander Janetzko

Großes Verständnis für die Lehrkräfte zeigte auch Heike Kahl. Sie benötigten auf jeden Fall Unterstützung von außen. Aber sie machte auch deutlich. Jeder Lehrer solle damit rechnen, inklusiv arbeiten zu müssen. Das stelle nichts anderes als eine Haltungsfrage dar: "Die Einstellung der Lehrer zu ihrer Arbeit wird sich verändern. Es geht um den Umgang mit einer höchst unterschiedlichen Schülerschaft."

Einig waren sich Andrea Hermann-Weide und Bettina Bundszus in ihren Antworten auf die Frage des Moderators, Armin Himmelrath, warum die Kultusminister so lange benötigt hätten, ehe sie im November 2011 ihre Empfehlungen zur Inklusion herausgegeben hätten. "Sie haben sich zu recht Zeit gelassen, schließlich gelte es auch einem Qualitätsanspruch gerecht zu werden", meinte Hermann-Weide. Sie machte aus ihren Gefühlen keinen Hehl. "Dass in der Einleitung dieser Empfehlung von Vielfalt der Gesellschaft und deren Wertschätzung, gesprochen wird, lässt mein Herz höher schlagen", versicherte die gelernte Sonderpädagogin. Bettina Bundszus ergänzte: "Die Empfehlung der Kultusministerkonferenz ist ein wichtiger Meilenstein."

Wie Inklusion im Alltag gelingen kann, präsentierten einige Ganztagsschulen in sechs Fachforen:

Seit mehr als 15 Jahren können Kinder mit besonderem Förderbedarf den "Gemeinsamen Unterricht" der Städtischen Gemeinschaftsgrundschule "Die Brücke" in Neuss besuchen. Diesen gemeinsamen Unterricht nutzen zurzeit rund 50 Kinder mit den Förderbedarfen Lernen, geistige Entwicklung, soziale und emotionale Entwicklung, körperliche und motorische Entwicklung, Sprache, Sehen und Hören. Um eine größtmögliche gemeinsame Lernzeit und individuelle Fördermaßnahmen anbieten zu können, arbeiten Lehrkräfte, Sonderpädagoginnen und -pädagogen sowie Integrationshelferinnen und -helfer im Team zusammen. Rund die Hälfte (184) aller Schülerinnen und Schüler der GGS "Die Brücke" besuchen den Offenen Ganztag. 28 von ihnen haben einen sonderpädagogischen Förderbedarf.

Inklusiv arbeitet auch die Lina-Morgenstern-Schule in Berlin. Die 400 Schülerinnen und Schüler werden betreut und unterrichtet von 50 Lehrkräften, drei Erzieherinnen und Erziehern sowie zwei Sozialpädagoginnen. Der rücksichtsvolle Umgang miteinander hat an der Schule Tradition. "Für unsere Schülerinnen und Schüler ist es ganz selbstverständlich, anderen zu helfen und ihren eigenen Lernrhythmus entsprechend zu gestalten", berichtet Schulleiterin Sabine Bartsch. Von ihren Lehrkräften erhalten sie individuelle Lernangebote. Den gut ausgestatteten außerunterrichtlichen Bereich nutzen Sozialpädagoginnen und Erzieherinnen, um regelmäßig mit den Schülerinnen und Schülern ins Gespräch zu kommen.

Einen ganz anderen Weg ging die Oberschule im Park in Bremen. Das ehemalige Förderzentrum für Lernen, Sprache und Verhalten wurde 2011 zur Regelschule. In der inklusiven Oberschule werden ab dem 5. Jahrgang in jedem Jahrgang drei inklusive Klassenverbände mit jeweils 18 Schülerinnen und Schülern von Klassenlehrerteams aus Regelschul- und Sonderpädagogen unterrichtet.

Kompetenzorientierte Curricula, Neigungs- und Integrationsklassen sowie individuelle Förderpläne kennzeichnen die Integrierte Gesamtschule Hannover-Linden. 115 Regelschullehrkräfte und 10 Förderschulpädagogen haben ein Konzept zur sonderpädagogischen Förderung erarbeitet und setzen dieses um. Unter den 1400 Schülerinnen und Schülern befinden sich 72 mit sonderpädagogischen Förderschwerpunkten Lernen, emotionale und soziale Entwicklung, Sprache und seit dem Schuljahr 2011/2012 auch mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Für ihr inklusives Konzept wurde die Schule unter anderem mit dem Jakob-Muth-Preis 2009 ausgezeichnet.

Rund 830 Schülerinnen und Schüler werden an der Geschwister-Prenski-Schule in Lübeck von 71 Lehrkräften, vier Sonderschulpädagogen, acht Schulbegleitern und einer Sozialpädagogin unterrichtet. Grundlage aller Arbeit ist die Teambildung - sowohl in den Klassen, als auch im Kollegium und im Zusammenwirken mit den Eltern. Auf  eine äußere Differenzierung wird völlig verzichtet. Die Schule wendet sich gegen Ausgrenzung und Rassismus und thematisiert beides in regelmäßigen Projekten.

Ein Kooperationsprojekt der besonderen Art tragen das Johannes-Brahms-Gymnasium Hamburg Bramfeld und die Schule für Haus- und Krankenhausunterricht Hamburg. Neun Schüler mit Asperger-Syndrom lernen im Gymnasium in eigenen, ihren Bedürfnissen entsprechend eingerichteten Klassenräumen. Der Sonderpädagoge des Gymnasiums ist ihr Klassenlehrer, Ansprechpartner, Lernberater und Fachlehrer. Die "Insel-Klasse" ist der Ausgangspunkt, um mit Unterstützung eines multiprofessionellen Teams, zu dem auch zwei (Heil-)Erzieher zählen, nach und nach am regulären Unterricht teilzunehmen. Je nach ihren Möglichkeiten und besonderen Stärken überspringen sie in einzelnen Fächern auch Klassenstufen (z. B. Informatik und Mathematik) und werden auf unterschiedlichen Wegen zum Abitur geführt.

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