Ganztag in Hamburg: „Durch den Tag mit Bildung“ : Datum: Autor: Autor/in: Claudia Pittelkow

Hamburg hat flächendeckend Ganztagsschulen und seit 2013 bereits einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Doch Bildungssenatorin Ksenija Bekeris sieht noch wichtige Schwerpunkte.

Bildungssenatorin Ksenija Bekeris
Bildungssenatorin Ksenija Bekeris © Philine Hamann

Online-Redaktion: Frau Senatorin Bekeris, in Hamburg sind bereits seit über zehn Jahren alle Grundschulen Ganztagsschulen, alle anderen Schulformen haben Ganztagsangebote. Warum ist ein flächendeckender Ausbau so wichtig und wie ist das gelungen?

Ksenija Bekeris: Gelungen ist uns der Ganztagsausbau, indem wir unser politisches Vorhaben in den Fokus genommen haben, es allen Familien zu ermöglichen, ihre Kinder den ganzen Tag über betreut zu sehen. Am Anfang stand die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Mittelpunkt. Es ging uns dabei aber nie allein um eine verlässliche Betreuung, sondern die Ganztagsschule bietet Kindern ja auch die Möglichkeit, ganztägig zu lernen. Dabei schwang immer mit, dass Schule ein Bildungsort gerade auch für jene Kinder ist, die von Haus aus eher benachteiligt sind. Diesen Kindern wollten wir mehr Zeit in der Schule geben. Für Schülerinnen und Schüler aus sozial benachteiligten Stadtteilen bietet der Ganztag deutlich mehr Lernzeit – vor, im und nach dem Unterricht. Nicht zuletzt muss natürlich auch erwähnt werden, dass wir für den Ganztagsausbau sehr viel Geld in die Hand genommen haben.

Online-Redaktion: Was erwarten die Eltern von Ganztagsschulen und Ganztagsangeboten?

Bekeris: Das ist sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite soll der ganze Tag, den das Kind in der Schule verbringt, einen Charakter der Bildung haben. Auf der anderen Seite ist vielen Eltern aber auch das soziale Miteinander besonders wichtig. Wir wissen, dass sich die Erwartung der Eltern mit der Zeit wandelt. Zu Beginn steht eher im Vordergrund, dass die Kinder sich wohlfühlen, Freundschaften schließen und sich gut im Klassenverband zurechtfinden.

Im Verlauf der Grundschulzeit wird es für Eltern dann immer wichtiger, dass ihre Kinder ein anspruchsvolles Bildungs- und Betreuungsangebot in der Schule vorfinden, und zwar über den ganzen Tag. Ich selber werde meinen Sohn nach den Sommerferien einschulen. Für mich bedeutet das tatsächlich auch, dass ich meinen Job gut werde machen können, da ich weiß, dass mein Kind nicht nur gut betreut wird, sondern sich auch die Bildung wie ein Faden durch den Tag zieht. Jedes Kind soll es in der Schule gut haben, es trifft seine Freunde, gleichzeitig wird seine Neugier und Wissbegierde befriedigt.

Online-Redaktion: Wie steht Hamburg zu offenen und gebundenen Ganztagsschulen?

Heinrich-Hertz-Schule: Ganztag von 8 bis 16 Uhr
Heinrich-Hertz-Schule: Ganztag von 8 bis 16 Uhr © Claudia Pittelkow

Bekeris: In Hamburg gibt es sogar drei Ganztagsformen: offen, teilgebunden und gebunden. Indem Hamburg diese unterschiedlichen Ganztagsformen anbietet, ermöglichen wir Eltern genau das, was sie wünschen und auch brauchen. Es ist ein großes Plus, dass Eltern in Hamburg frei wählen können zwischen einer offenen, einer teilgebundenen oder einer gebundenen Ganztagsschule, je nachdem, was am besten zu ihrem Lebensmodell passt. Alle drei Formen werden von Eltern wie von den jeweiligen Schulgemeinschaften geschätzt.

Online-Redaktion: Was hat es mit den beiden Ganztagsmodellen GTS und GBS auf sich? 

Bekeris: Beim GBS-Modell – das Kürzel steht für „Ganztägige Bildung und Betreuung an Schulen“ – wird der Vormittag von 8 bis 13 Uhr schulisch betreut und der Nachmittag durch außerschulische Kooperationspartner wie Jugendhilfeträger oder Sportvereine gestaltet. Die Teilnahme am Nachmittagsangebot ist freiwillig. Es gibt in Hamburg insgesamt 126 GBS-Grundschulen. Das zweite Modell, das GTS-Modell, liegt komplett in der Verantwortung der Schule. Die drei Buchstaben stehen einfach für „Ganztagsschule“. In Hamburg gibt es insgesamt 83 offene, teilgebundene und gebundene GTS-Schulen, die ihren Ganztag selbst organisieren, oft allerdings in Zusammenarbeit mit einem Dienstleister aus der Kinder- und Jugendhilfe.

Online-Redaktion: Wie klappt die Zusammenarbeit mit den außerschulischen Kooperationspartnern?

Bekeris: Je mehr ich an den Schulen unterwegs bin und mir ein Bild machen kann, stelle ich fest, dass sich der Ganztag an den meisten Schulen gut etabliert hat und ein gutes Miteinander herrscht. Manche Schulen arbeiten seit über zehn Jahren mit dem gleichen Träger zusammen. Die Qualität des schulischen Ganztags steht und fällt ja mit dem guten Miteinander aller an Schule Beteiligten. Es läuft nicht, wenn sich jede/jeder nur auf die eigene Rolle innerhalb der Schule konzentriert, die Schule von heute funktioniert im Team. Beim Ganztag kommen noch die Beschäftigten der Jugendhilfe, des Sports und anderer außerschulischer Kooperationspartner dazu. Wichtig ist die gemeinsame Haltung, wichtig sind auch gemeinsame Konzepte, Partizipation, Feedback und Vertrauen. Ohne die Kooperationsidee funktioniert Schule nicht und Ganztag schon mal gar nicht.

Online-Redaktion: Wie wird in Hamburg der Qualitätsrahmen für Ganztagsschulen umgesetzt? Und welche Unterstützung erhalten die Schulen, um die Qualität weiterzuentwickeln?

Bekeris: Die Schulen werden in Hamburg auf unterschiedlichen Ebenen darin unterstützt, den Ganztag qualitativ weiterzuentwickeln. Zum einen müssen die Schulen personell gut ausgestattet sein. Zum anderen fahren wir in Hamburg seit vielen Jahren ein Schulbauprogramm, das immer auch den Blick darauf richtet, ob die Schule im Hinblick auf den Ganztag geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung stellt. Das stellt uns in älteren Schulgebäuden durchaus vor eine Herausforderung und wird bei Sanierungsmaßnahmen immer mitgedacht.

Adrian Krawczyk, Architekt und Referent für Raumkonzepte
Adrian Krawczyk, Architekt und Referent für Raumkonzepte © Claudia Pittelkow

Bei Neubauten ist das ein ganz wichtiges Moment, hier wird genau darauf geachtet, dass ein Klassenraum nicht nur für den Unterricht am Vormittag geeignet ist, sondern auch gute Aufenthaltsbedingungen für den Nachmittag bietet. Gleichzeitig hat Hamburg auch einen guten Rahmen für den Ganztag gesetzt. Zum Beispiel mit der Festlegung im Hamburgischen Schulgesetz, dass es an jeder Schule einen Ganztagsausschuss gibt. Damit gibt es an jeder Schule ein Gremium, in dem sich alle an Schule Beteiligten inklusive der Eltern regelmäßig mit allen Aspekten rund um den Ganztag vor Ort beschäftigen kann.

Ganz formal wurde der Orientierungsrahmen Schulqualität um den Qualitätsbereich Ganztag erweitert. Der Orientierungsrahmen dient Schulen – wie der Name sagt – der Orientierung in Veränderungsprozessen und beschreibt, was in Hamburg unter guter (Ganztags-)Schule verstanden wird. Er ist darüber hinaus Bewertungsgrundlage der Schulinspektion, die ein Element der Qualitätsentwicklung und -sicherung an Hamburger Schulen ist.

Online-Redaktion: Hamburg investiert gewaltige Summen in den Ausbau von Schulkantinen. Welche Rolle spielt das Mittagessen in der Ganztagsbetreuung?

Bekeris: Das Mittagessen ist ein ganz zentrales Element im Ganztag. Es strukturiert einerseits den Tag, auf der anderen Seite brauchen die Schülerinnen und Schüler aber auch eine qualitativ hochwertige Essensversorgung, um den Tag über leistungsfähig zu bleiben. Ein gutes Mittagessen steigert die Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit. Die Ganztagsschule von heute ist ein Ort zum Lernen, zum Spielen, für die Bewegung und zum Spaßhaben. Sie ist aber auch ein Ort, an dem es ein gesundes und leckeres Mittagessen gibt.

Somit ist Schule heute auch ein Ort, an dem Schülerinnen und Schüler sich mit gesunder Ernährung, unterschiedlichen Geschmäckern und vielen Dingen mehr beschäftigen. Ein sehr schönes Beispiel dafür ist die Essensausgabe nach dem Free Flow System. Schülerinnen und Schüler können an einem Buffet selber auswählen, was sie von dem Angebot essen und wie viel. Sie können selber entscheiden und setzen sich dadurch viel bewusster mit allen Fragen rund um das tägliche Essen auseinander. Wichtig ist aber auch, dass das Mittagessen gut begleitet wird.

Online-Redaktion: Hamburg hat seit 2013 den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder. Welche Erfahrungen können Sie weitergeben?

Ganztagsschule Appelhof
Ganztagsschule Appelhof © Philine Hamann

Bekeris: Es müssen alle, die jetzt vor der Aufgabe stehen, den Ganztag einzuführen, sich die Karten in ihren Haushaltsberatungen ehrlich legen. Denn dieser Ausbau kostet! Qualität ohne Geld stellt sich nicht her, und umgekehrt ist Geld nicht zwingend der Erfolgsfaktor. Natürlich müssen die Schulen personell gut ausgestattet werden, aber ebenso wichtig ist, dass die Beteiligten vom Vormittag und Nachmittag gut zusammenarbeiten, sich gemeinsam Konzepte überlegen und gemeinsam an einem Strang ziehen.

Und im Hinblick auf die Räumlichkeiten muss bedacht werden, dass die Schülerinnen und Schüler, die den ganzen Tag in der Schule sind, vielleicht noch andere Rückzugsmöglichkeiten brauchen. Hamburg ist hier schon große Schritte gegangen und ich bin sehr glücklich, in Hamburg auf eine sehr lebendige Ganztagsschullandschaft blicken zu können, die sich kontinuierlich weiterentwickelt.

Online-Redaktion: Gibt es Schwerpunkte für die Zukunft, die Ihnen besonders wichtig sind? 

Bekeris: Ein Punkt, der mir sehr am Herzen liegt, nimmt gerade richtig Fahrt auf: das Thema Chancengerechtigkeit. Mit dem Startchancen-Programm, das auf Bundesebene angeschoben wurde und von den Ländern finanziell unterstützt wird, ist ein gesellschaftlich wichtiger Fokus darauf gelegt worden, was Schule leisten muss. Durch das Programm werden Schulen in sozial benachteiligten Stadtteilen mit besonderen Mitteln und besonderen Konzepten ausgestattet. Wir haben uns also gesellschaftlich darauf geeinigt, dass Schule die Aufgabe hat, Benachteiligung abzubauen, und das finde ich sehr wichtig.

Ein zweiter, mir sehr wichtiger Punkt ist die Demokratiebildung. Wir machen uns gesellschaftlich viele Gedanken darum, wie wir unsere Demokratie gegen Angriffe resilient gestalten. Das schaffen wir nur, wenn wir es hinbekommen, die Schülerinnen und Schüler auf diese Aufgaben vorzubereiten. Dazu gehört, Entscheidungen treffen zu können und Verantwortung zu übernehmen für unsere Staatsform, die Demokratie. Das beginnt schon in der Kita damit, die Kinder partizipieren zu lassen, und zieht sich weiter fort in der Schule. Mit Klassenkonferenzen und Kinderkonferenzen gibt es hier schon viele gute Konzepte, die das Thema Demokratieförderung in den Alltag einziehen lassen und die dazu beitragen, dass später informierte Wahlentscheidungen getroffen werden können. 

Seit 2009 haben auf www.ganztagsschulen.org regelmäßig Bildungsministerinnen und Bildungsminister in Interviews die Entwicklungen beim Ausbau der Ganztagsangebote in ihrem Land erläutert. Alle Interviews finden Sie in der Rubrik „Bildungspolitik: Interviews“.

Die Übernahme von Artikeln und Interviews - auch auszugsweise und/oder bei Nennung der Quelle - ist nur nach Zustimmung der Online-Redaktion erlaubt. Wir bitten um folgende Zitierweise: Autor/in: Artikelüberschrift. Datum. In: https://www.ganztagsschulen.org/xxx. Datum des Zugriffs: 00.00.0000