Ganztag in Berlin: „Nicht nur für Kinder, sondern mit Kindern“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

„Qualität trägt zur Bildungsgerechtigkeit bei“, davon ist die Berliner Bildungssenatorin und amtierende KMK-Präsidentin Katharina Günther-Wünsch überzeugt, wenn es um die Ganztagsschule geht. Im Interview spricht sie über aktuelle Entwicklungen.

Bildungssenatorin und KMK-Präsidentin Katharina Günther-Wünsch
Bildungssenatorin und KMK-Präsidentin Katharina Günther-Wünsch © Hans-Christian Plambeck

Online-Redaktion: Frau Senatorin, Berlin hat seit vielen Jahren die Ganztagsschulen ausgebaut. Wie ist der derzeitige Stand?

Katharina Günther-Wünsch: Das Land Berlin ist beim Ganztagsausbau deutschlandweit an der Spitze. Während bundesweit nur zwei Drittel der Schulen einen Ganztagsbetrieb anbieten, arbeiten alle Berliner Grundschulen, sonderpädagogischen Förderzentren und Integrierten Sekundarschulen sowie ein Teil der Gymnasien im offenen oder gebunden Ganztagsbetrieb von 6 bis 18 Uhr. Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 1 bis 6 erhalten zudem ein kostenfreies Mittagessen nach den Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Die Ganztagsschule ist bis zum Ende des dritten Jahres ebenfalls kostenbeteiligungsfrei.

Seit 2019 legt Berlin einen Schwerpunkt auf die Qualität der Ganztagsangebote, basierend auf den Qualitätsstandards für die inklusive Berliner Ganztagsschule. Dieser Fokus auf Qualität trägt zur Bildungsgerechtigkeit bei, da die Ganztagsschule weit mehr als nur Betreuung bietet, sondern zusätzliche Lernmöglichkeiten ermöglicht.

Online-Redaktion: Sie haben selbst eine renommierte Berliner Ganztagsschule geleitet – die Walter-Gropius-Schule in Neukölln. Welche Erfahrungen bringen Sie von dort mit?

Günther-Wünsch: Ich konnte natürlich wertvolle Erfahrungen sammeln, insbesondere im Hinblick auf die Kooperation unterschiedlicher Professionen. In der Ganztagsschule spielte die Zusammenarbeit von verschiedenen Fachkräften eine zentrale Rolle. Es gibt ein Team, das gemeinsam daran arbeitet, die individuellen Bedürfnisse und Entwicklungsziele der Schülerinnen und Schüler bestmöglich zu unterstützen. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglicht es, ein breites Spektrum an Bildungs- und Betreuungsangeboten anzubieten, die den Bedürfnissen der Kinder gerecht werden.

Die Kooperation unterschiedlicher Professionen stärkt dabei nicht nur die pädagogische Arbeit, sondern auch die soziale und emotionale Entwicklung der Schülerinnen und Schüler. Darüber hinaus konnte ich aus erster Hand erleben, wie wichtig eine enge Vernetzung mit außerschulischen Partnern und Organisationen in der Nachbarschaft ist. Diese Partnerschaften erweiterten das Bildungsangebot und ermöglichten den Schülerinnen und Schülern vielfältige Erfahrungen außerhalb des klassischen Schulunterrichts.

Compartmentschule an der Karower Chaussee in Pankow
Compartmentschule an der Karower Chaussee in Pankow © Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie

Online-Redaktion: Wie sehen Sie allgemein die Bedeutung des Personals im Ganztag und die Kooperation mit außerschulischen Partnern?

Günther-Wünsch: Das Personal im Ganztag und die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern, insbesondere in Grundschulen, sind von großer Wichtigkeit. Bei der Gestaltung ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote steht das Leitmotiv im Vordergrund: Die Interessen und Bedürfnisse der Kinder sollten die pädagogische Ausrichtung bestimmen. Die Schulleitung und gegebenenfalls externe Kooperationspartner teilen die Verantwortung dafür, sicherzustellen, dass die Ganztagsangebote nicht auf reine Betreuung beschränkt sind, sondern die Lebenswelt der Kinder bereichern und ihre Kompetenzen fördern.

Online-Redaktion: Der Berliner Senat hat 2016 die „Schulbauoffensive“ gestartet. Welche Bedeutung haben Gebäude und Ausstattung für die Qualität des Ganztags?

Günther-Wünsch: Die „Schulbauoffensive“ des Berliner Senats, hat eine erhebliche Bedeutung für die Qualität des Ganztags. Die Gebäude und ihre Ausstattung spielen eine zentrale Rolle, da sie die Rahmenbedingungen für das Ganztagsangebot maßgeblich beeinflussen. Gut geplante, moderne Schulgebäude mit zeitgemäßer Ausstattung schaffen eine angenehme Lernumgebung und ermöglichen Unterricht auf der Höhe der Zeit.

Ein Beispiel dafür sind unsere neuen Compartmentschulen. Durch die dabei entstehenden Lern- und Teamhäuser schaffen wir mehrere kleine Schulen in einer großen Schule. Hier trifft eine Lerngruppe also auf alle Pädagoginnen und Pädagogen und ist im direkten Austausch. Das fördert das Miteinander im Ganztag. Unserer Neubauten sind barrierefrei und befördern den inklusiven Gedanken.

Online-Redaktion: Berlin hat seine aktive Serviceagentur Ganztag behalten. Wie wichtig ist die Unterstützung der Schulen?

Heinrich-von-Stephan-Schule in Moabit
Heinrich-von-Stephan-Schule in Moabit © Heinrich-von-Stephan-Schule

Günther-Wünsch: Die Serviceagentur Ganztag Berlin ist seit 2004 ein wichtiger Bestandteil des Unterstützungssystems für Berliner Schulen. Sie spielt eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der Qualität der Ganztagsangebote, indem sie Einzelschulen und Schulverwaltungsakteure berät, informiert, qualifiziert, inspiriert, vernetzt und stärkt. Die Serviceagentur arbeitet eng mit der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie zusammen, um Maßnahmen zur Umsetzung der Qualitätsstandards für die inklusive Berliner Ganztagsschule voranzutreiben. Damit leistet sie einen wertvollen Beitrag zur Förderung und Weiterentwicklung unserer Ganztagsschulen und trägt zur Verbesserung ihrer Qualität bei.

Online-Redaktion: Wo sehen Sie künftig Schwerpunkte des Ganztags in Berlin?

Günther-Wünsch: Erstmals überhaupt hat die KMK unter der Berliner Präsidentschaft gemeinsame Qualitätskriterien für die Ganztagsschule in Deutschland definiert. Wie auch schon gesagt: Unser Leitmotiv sind die Kinder: Die Interessen und Bedürfnisse der Kinder sind bei der pädagogischen Gestaltung ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote handlungsleitend. Dazu gehören die Förderung von Kompetenzen und die Verzahnung verschiedener Lernangebote. Weiter wollen wir positive Beziehungen untereinander in der Schule und mit Eltern fördern. Und natürlich gehören ein kostenfreies Mittagessen und kindgerechte Räume ebenfalls dazu.

Online-Redaktion: Was leitet Berlin aus den KMK-Empfehlungen ab?

Günther-Wünsch: Berlin hat im Auftrag des KMK-Schulausschusses die Empfehlungen für die Weiterentwicklung der pädagogischen Qualität der Ganztagsschule federführend entwickelt und konnte hier seine Erfahrungen, aber auch das Wissen über nahezu 20 Jahre Berliner Ganztagsschulentwicklung einbringen. Manchmal tut es auch gut zu erleben, dass wir hier wirklich schon viel vorangebracht haben. Unsere Qualitätsstandards für die inklusive Ganztagsschule, die den verpflichtenden Rahmen für die Qualität vorgeben, sind faktisch die Operationalisierung der Empfehlungen der KMK.

Das, was aber bei der Erarbeitung in den Gesprächen mit allen Ländern deutlich wurde, ist die Einsicht, dass der Ganztag eben der ganze Tag für Schulkinder ist, und alle Länder wollen nicht nur den Ganztag für Kinder gestalten, sondern den Ganztag mit Kindern. Das ist auch in Berlin eine Perspektive, die wir verstärkt einbringen: In diesem Jahr haben wir erstmals einen Kinderkongress unter dem Motto „Das ist meine Ganztagsschule“ mit reger Beteiligung und großem Erfolg durchgeführt.

Die Nürtingen-Grundschule übergibt Ideen für eine gute Ganztagsschule
Die Nürtingen-Grundschule übergibt Ideen für eine gute Ganztagsschule © Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie

Online-Redaktion: Sie sind in diesem Jahr auch Präsidentin der Kulturministerkonferenz. Welche Themen bewegen Sie über den Ganztag hinaus?

Günther-Wünsch: Natürlich treibt mich das Thema Lehrkräftegewinnung um. Wir brauchen qualifizierte Lehrkräfte für guten Unterricht und müssen hier auch neue Wege gehen. Leider hat sich der jetzige bundesweite Lehrkräftemangel über Jahre angekündigt, und ich verstehe nur begrenzt, wieso nicht früher etwas dagegen getan worden ist. Aber auch andere Themen haben mich als Präsidentin gefordert, etwa die Integration von Geflüchteten in unser Schulsystem –und generell bleibt die Steigerung der Bildungsqualität an den Schulen ein zentrales Anliegen.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Seit 2009 haben auf www.ganztagsschulen.org regelmäßig Bildungsministerinnen und Bildungsminister in Interviews die Entwicklungen beim Ausbau der Ganztagsangebote in ihrem Land erläutert. Alle Interviews finden Sie in der Rubrik „Bildungspolitik: Interviews“.

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