Spiel, Sport und Bewegung: Dokumentarfilm "Bewegt den ganzen Tag" : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

Aus dem Forschungsprojekt "StuBSS - Studie zur Entwicklung von Bewegung, Spiel und Sport in der Ganztagsschule" berichten die Filmemacher Aline Becker, Matthias Michel sowie der Marburger Erziehungswissenschaftler Prof. Ralf Laging 

Titelbild DVD "Bewegt den ganzen Tag"

Online-Redaktion: Was haben Sie im Forschungsprojekt StuBSS über Sport, Spiel und Bewegung in guten Ganztagsschulen gelernt?

Laging: Das Forschungsprojekt gliedert sich in einen qualitativen und einen quantitativen Teil. Im quantitativen Teil sind drei zentrale Ergebnisse besonders interessant. Dabei haben wir in den Ländern Hessen, Niedersachsen und Thüringen Lehrkräfte, Schulleitungen, Schülerinnen und Schüler sowie außerschulische Partner gefragt, wie stark Bewegung, Spiel und Sport in den Schultag integriert sind. Wir haben herausgefunden, dass insbesondere jene Schulen, die sich tatsächlich mit einem innovativen Konzept von Ganztagsschule befasst haben, auch stark Bewegung in den Schultag integriert haben.

Sie haben bewegten Unterricht, bewegte Pausen, legen Bewegungspausen im Unterricht ein. Ferner besitzen sie ein attraktives Bewegungsgelände auf dem Schulhof. Und drittens unterhalten solche Schulen viele Kooperationen mit außerschulischen Partnern im Bewegungsbereich. Festzuhalten ist auch, dass die Schulen, je mehr sie als gebundene Ganztagsschulen arbeiten, mehr Bewegungsaktivität in den Schultag integrieren. Die Sport- und Bewegungsangebote fallen also nicht heraus, sondern die Beteiligten machen sich darüber Gedanken, wie sie Bewegung, Spiel und Sport in ihre Tagesgestaltung einbauen. Mit Blick auf die Organisation finde ich interessant, dass wir viele Ganztagsschulen finden, die diese Angebote ausschließlich mit eigenem Lehrpersonal, weiterem pädagogischen Personal oder mit Eltern und Ehren umsetzen.

Es gibt auch eine andere Gruppe von Schulen, die sehr stark mit Kooperationspartnern zusammenarbeiten, insbesondere mit Sportvereinen. Hier engagieren sich insbesondere die Sportlehrer. Schließlich gibt es noch eine Gruppe von Schulen, die alle Ressourcen wie Eltern, Ehrenamtliche, Vereine benötigen, um ein ausreichendes Sport-, Spiel- und Bewegungsangebot zur Verfügung zu stellen. Unter dem Strich kann man festhalten, dass außerschulische Partner für Sport-, Spiel- und Bewegungsangebote dringend erforderlich sind: Ohne diese Partner wäre das entsprechende Angebot weit weniger umfassend und differenziert. Aber es gibt auch eine Reihe von Schulen, die eigene Interessen verfolgen und Bewegung, Spiel und Sport mit eigenem pädagogischen Personal stärker in die Schule einbringen.

Online-Redaktion: An welchen Beispielen lassen sich diese Ergebnisse illustrieren?

Laging: Die gefilmten Schulen gehören zu denen, die wir im qualitativen Teil der Studie untersucht haben. Mir fällt als Beispiel der bewegte Unterricht der Gesamtschule in Peine ein. Die niedersächsische Ganztagsschule zeigt sehr anschaulich, wie lebendig der Physik- und Mathematikunterricht draußen in Bewegung umgesetzt wird. Der entsprechende Filmausschnitt thematisiert die Geschwindigkeit. Dabei fahren Schülerinnen und Schüler mit Rollern und vielen anderen Geräten auf dem Gelände herum und messen die Geschwindigkeit. Ein anderes Unterrichtsbeispiel aus der Mathematik zeigt, wie das Försterdreieck draußen im Schulgelände erarbeitet wird. In der Reformschule Kassel wiederum verdeutlicht der Film, wie der Französischunterricht in einem siebten Schuljahr mit Bewegung in Verbindung gebracht wird.

An der Gesamtschule Ebsdorfer Grund wurde eine Bewegungszeit während der Mittagszeit eingerichtet: Nach dem Mittagessen gibt es eine AG-Zeit, die Schülerinnen und Schüler für ein Halbjahr wählen. Der Film zeigt wie ein Übungsleiter in der Mittagszeit ein Rückschlagspiel organisiert. Dann gibt es auch die Wartburgschule in Eisenach, die zeigt, wie man im Handball den Leistungssport gemeinsam mit Vereinsabteilungen organisiert. Die Glocksee-Schule in Hannover zeigt, wie die Kinder ihre Pausen wählen, wenn sie sie brauchen, und sich austoben, um sich wieder konzentrieren zu können.

Online-Redaktion: Welches pädagogische Konzept liegt dem Film zugrunde?

Laging: Ganztagsschule bedeutet nicht, dass man den Vormittag einfach verlängert und an dem üblichen 45-Minuten-Unterricht festhält. Die Konzeption, die wir vertreten, besagt vielmehr, dass es darum geht, den ganzen Tag anders zu gestalten. Sie setzt voraus, dass die Kinder immer auch mit ihrem Körper zur Schule kommen, und dass sie das Bedürfnis nach Bewegung haben. Dieses lässt sich nicht dadurch organisieren, dass die Kinder vormittags sechs Stunden still sitzen und anschließend in ein paar AG's gehen, um sich dort auszutoben.

Unsere pädagogische Konzeption beinhaltet, dass man Bewegung von morgens bis nachmittags in den Ganztag integriert. Der Film ist entsprechend aufgebaut, indem er Themen wie die Rhythmisierung des Tages, Bewegung im Unterricht, Bewegungsaktivitäten auf dem Schulhof, Bewegungs- und Sportangebote in AG's oder auch bei Festen und Feiern, die im Jahresrhythmus stattfinden, zeigt.

Online-Redaktion: Wie kam es zu diesem Film?

Laging: Im Projektantrag war vorgesehen, dass wir auch eine Dokumentation zu den Projektschulen erstellen. Da wir noch nicht die richtige Idee besaßen, bin ich an Prof. Karl Prümm herangetreten, der in Marburg die Abteilung für Medienwissenschaften leitet. Glücklicherweise stieß ich auf offene Ohren. Er hat mir mit Alina Becker eine wissenschaftliche Mitarbeiterin vorgeschlagen, die die Aufgabe dann gerne übernommen hat.

Hinzu kam, dass mit Matthias Michel ein hervorragender Kameramann in das Projekt eingebunden wurde. So haben wir uns in mehreren Gesprächen darüber verständigt, wie wir uns Ganztagsschulen vorstellen und welche Bedeutung dabei Bewegung, Spiel und Sport einnehmen. Dabei konnte ich die wunderbare Erfahrung machen, dass zwei Mitarbeiter, die nicht aus dem Sportbereich kommen, sich hervorragend in die pädagogische Konzeption von Ganztagsschulen hineingedacht haben.

Daraus entwickelten sie völlig eigenständig ein Drehbuch und eine Filmkonzeption. Unsere ursprüngliche Vorstellung bestand darin, zu zeigen wie man Bewegung, Spiel und Sport stärker in den Ganztag integriert und wie diese einen Veränderungs- und Reformprozess in Gang setzen.

Online-Redaktion: Frau Becker, Sie haben eigene gestalterische Mittel in den Film eingebracht. Worin bestehen diese?
 
Becker: Uns war von vornherein klar, dass, wenn wir einen Film über Bewegung, Spiel und Sport machen, wir uns überlegen müssen, wie wir den Gegenstand in dem Film kommunizieren. Unser Auftrag beinhaltete, dass wir fachliche Informationen transportieren, das heißt, wir mussten eine Ebene finden, auf der Konzeptionen und Strategien vermittelt werden. Natürlich wollten wir auch zeigen, wie diese in die Praxis umgesetzt werden. Uns war es wichtig, dass die Schulen sich gut repräsentiert sehen und sich auch in ihrer Individualität wiederfinden.

So ist die Entscheidung gefallen, dass wir ganz gezielt Interviews mit Schulleitern, Lehrkräften und außerschulischen Kooperationspartnern durchführen. Auf der Bildebene wollten wir die pädagogische Praxis möglichst authentisch darstellen. Zugleich wollten wir zeigen, wie das Angebot an den Schulen angenommen wird. Wir haben deshalb versucht, Bilder zu finden, die repräsentativ zeigen, was an den Schulen gemacht wird. Wir wollten ferner veranschaulichen, wie die Schülerinnen und Schüler darauf reagieren und wie viel Freude und Spaß für sie damit verbunden ist. Der Film zeigt ganz unmittelbar und von innen heraus, wie eine bewegungsorientierte Ganztagsschule funktionieren kann.

Online-Redaktion: Was verstehen Sie unter "authentisch"?

Becker: Authentisch bedeutet, dass die Schulen für sich selbst sprechen. Das heißt, die Akteure erzählen selbst, wie sie vorgehen, vor welchem Hintergrund sie agieren und wie sie in der Praxis eine bewegungsorientierte Ganztagsschule gestalten. Wir wollten darüber hinaus den Schulalltag dokumentieren. Daher haben wir keine Szenen oder Einstellungen künstlich gestellt, sondern wir sind vor Ort in die Gruppen und Angebote gegangen, um zu beobachten, was dort passiert.

Das Geschehen haben wir dann mit der Kamera eingefangen. Die Schülerinnen und Schüler, aber auch die Lehrkräfte und Eltern sollten sich ganz frei bewegen und die Kamera möglichst nicht wahrnehmen. Sie sollten Teil des Ganzen sein und die Dinge wie üblich angehen. Obwohl die Ganztagsschulen zeigen, dass sie individuelle Wege gehen, bieten sie trotzdem Anregungen für andere Schulen, unabhängig davon, um welche Schulform es sich handelt. Wir wollten zeigen, dass man den Schultag deutlich bewegungsorientierter gestalten kann, als dies bisher an vielen Schulen der Fall ist.

Online-Redaktion: Welche Rolle spielt dabei die Verknüpfung von Bild und Ton?

Becker: Die Verknüpfung von Bild und Ton spielt eine ganz besondere Rolle. So wurden die Interviews mit den Praktikern nicht einfach illustriert, sondern es wurden Bilder gewählt, die eine zusätzliche Information hergeben. Wir zeigen nicht nur, was wird gemacht, sondern auch, wie es emotional bei den Kindern und Jugendlichen ankommt. Der Film bekommt dadurch eine zusätzliche Dokumentationsebene, die nicht nur eine bestimmte Struktur und ein bestimmtes Angebote in der Einzelschule darstellt, sondern über die Bildebene wird mitgeteilt, wie die Schülerinnen und Schüler die Angebote wahrnehmen und mit Leben füllen.

Online-Redaktion: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Wie ist das beim Film?

Becker: Er bietet die Möglichkeit, unmittelbare Einblicke in die Schulpraxis zu geben und geht über die theoretische Ebene hinaus. Der Film führt weg von der Abstraktion, hin zu der konkreten Dokumentation der Praxis. Die zusätzlichen Möglichkeiten des Films ergeben sich auch daraus, dass man mit der Kamera verschiedene Blickwinkel wählen und die bewegungsorientierte Schule aus verschiedenen Perspektiven zeigen kann. Man kann ganz gezielt, bestimmte Szenen in den Vordergrund stellen, ohne dass der wissenschaftliche Aspekt darüber verloren geht. Der fachliche Aspekt bleibt dabei gewahrt, wird aber mit der konkreten Dokumentation der Praxis verknüpft.

Online-Redaktion: Wie soll der Film für die Fortbildung genutzt werden?

Becker: Der Film ist so angelegt und konzipiert, dass er Anregungen für eine bessere Praxis gibt, und er kann in der Lehrerausbildung oder auf Fachtagungen und wissenschaftlichen Konferenzen eingesetzt werden. Vor diesem Hintergrund gibt es den Film in einer Kurz- und Langfassung. Die Kurzfassung dauert 35 Minuten und ist für den Einsatz in Seminaren gedacht. Die Langfassung ist gut 90 Minuten lang und ist auch als Materialsammlung interessant. Hier kann man gezielt, einzelne Themen oder Schulen herauspicken und für Fort- und Weiterbildungen einsetzen. Wir haben in den sechs Schulen, an denen wir gedreht haben, übrigens tolle Erfahrungen gesammelt. Dabei wurde uns deutlich, dass an den Schulen viel getan wird, was wunderbar funktioniert. Schule gewinnt für die Schülerinnen und Schüler an Attraktivität, wenn sie vermehrt Sport, Spiel und Bewegung in den ganztägigen Schultag integriert.

Online-Redaktion: Herr Michel, Sie sind der Kameramann. Wie schafft man Bilder mit hoher Aussagekraft?

Michel: Für Aline Becker und mich war es das erste, fast selbst verwaltete Projekt. Mit den Kindern machten wir tolle Erfahrungen. Außerdem haben wir fantastische pädagogische Konzepte und Bewegungsmodelle kennen gelernt und gesehen, dass sie nicht auf einer wissenschaftlichen Wolke ausgedacht, sondern mit Leben gefüllt werden. Wir mussten uns vor Ort auf die Modalitäten einstellen, also auf die Aktivitäten der Kinder und Lehrkräfte, und bei der knapp bemessenen Zeit oft innerhalb von Sekunden entscheiden.

Online-Redaktion: Wie filmt man am besten eine bewegungsorienterte Schule?

Michel: Die Gesprächspartner wurden vorher bestimmt. Bei den Bewegungsaufnahmen war die Situation anders, da wir die Kinder nicht instruieren konnten, was sie als Nächstes tun sollten. Wir kannten ja auch nicht den Unterrichtsablauf, wussten allerdings, worauf es in einem bestimmten Filmabschnitt ankam. Vor diesem Hintergrund habe ich versucht, auf bestimmte Situationen zu reagieren. Die Drehsituationen selbst waren spontan und nicht planbar. Ich bemühte mich, möglichst auf Augenhöhe der Kinder zu bleiben: Als Kameramann habe ich nicht von oben nach unten herab geschaut, sondern Mitspielen und Mitbewegen war eines der Hauptziele. Mit ging es darum, Bewegung erfahrbar zu machen.

Online-Redaktion: Die Kamera und die Kinder kommunizierten also miteinander.

Michel: Bei den Aufnahmen des Fußballspiels gab es zwei Schwierigkeiten. Erstens ist es von den Bewegungen her gesehen ein sehr komplexes Spiel und zweitens ist Fußball immer Fußball und sieht immer gleich aus. So habe ich mich mit der Kamera mitten ins Spiel gemischt - und habe manchmal den Ball auch abbekommen. Das nimmt man gerne in Kauf, weil die dabei entstandenen Bilder die Dynamik aufgreifen. Ferner haben wir versucht, nicht nur bei Sport, Spiel und Bewegung mitzugehen, sondern auch neue Bilder zu finden und außergewöhnliche Perspektiven ins Spiel zu bringen. Dafür ist das Fußballspiel sehr gut geeignet.

Auch die Aufnahmen auf den Klettergerüsten sind ein gutes Beispiel. Natürlich habe ich die Möglichkeit genutzt, um selbst auf das Klettergerüst zu steigen, oder Bilder von unten mit langer Brennweite gemacht. Diese Bilder, bei denen ich etwas ausprobieren konnte, gefallen mir persönlich am besten. Weil man nicht die Möglichkeit hat, sich mit den Kindern als Person vertraut zu machen, ist man mit der Kamera natürlich eine Attraktion. Das verliert sich aber mit der Zeit. Wenn sie alle mal in die Kamera gewunken haben und jeder sein Späßchen gemacht hat, konzentrieren sie sich wieder auf ihr Spiel.

Online-Redaktion: Wie haben Sie den Film aufbereitet, damit er spezielle Interessen trifft?

Michel: Wir arbeiteten überwiegend als Zweierteam und drehten aus Zeitgründen sehr wenig mit künstlichem Licht. So war die Aufbereitung relativ unaufwändig: Ich habe überwiegend Farbkorrekturen gemacht, damit sich die Bilder etwas angleichen. Die meisten Filmsequenzen sind so geblieben wie sie aufgenommen wurden. Alles andere ist im normalen Schnitt passiert, etwa wenn wir Interviews geglättet und das Wichtigste daraus verwendet haben. Hier war Teamwork zwischen Aline Becker und mir gefragt.

Da ich Erfahrung mit DVD-Programmierung habe, lag es nahe, dass wir die Gestaltung selbst übernehmen. Bei der optischen Gestaltung habe ich versucht, mich an das verspielte Wesen der Kinder zu halten. So sind die einzelnen Module farblich sehr gut zu unterscheiden und der Zugriff möglichst benutzerfreundlich. Das Menu ist zum größten Teil selbsterklärend.

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