QUA-LiS NRW: Das Potenzial der Ganztagsschule : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die Qualitäts- und UnterstützungsAgentur – Landesinstitut für Schule begleitet Schulen in NRW bei der Schulentwicklung. Die Aufgaben im Bereich Ganztagsschule erläutert Simone Tusche im Interview.

Tagungshaus des Landesinstiuts für Schule in Soest
„Unterstützungssysteme unter einem Dach“ © QUA-Lis NRW

Online-Redaktion: Frau Tusche, bevor wir zum Ganztag kommen: Welche Aufgaben hat die 2013 gegründete Qualitäts- und UnterstützungsAgentur am Landesinstitut für Schule, kurz: QUA-LiS NRW, in Soest?

Simone Tusche: Die Qualitäts- und UnterstützungsAgentur berät das Ministerium für Schule und Bildung und ist vom Ministerium damit beauftragt, die Schulen bei ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag zu unterstützen. Aufgabenfelder sind unter anderem die Richtlinien und Lehrpläne für den Unterricht, zentrale Prüfungen und Lernstandserhebungen, aber auch die Professionalisierung und Qualifizierung von Führungskräften in Schulen und in der Schulaufsicht sowie in der Lehrerausbildung.

Zu unseren Aufgaben gehören auch die Beobachtung und die Analyse schulfachlicher Entwicklungen in der Forschung. So unterstützen wir das Ministerium, indem wir Ergebnisse von Bildungsforschungsprojekten aufbereiten. Ein Arbeitsbereich beschäftigt sich mit sogenannten übergreifenden schulbezogenen Aufgabenfeldern, dazu gehören die inklusive Bildung, Erziehung und Prävention, gendersensible Bildung, die interkulturelle Schulentwicklung und auch der Ganztag.

Online-Redaktion: Wie ist das Thema Ganztag verankert, und wie unterstützen Sie Ganztagsschulen?

Tusche: Das Thema Ganztag ist auf vielfältige Weise verankert. Durch die Mitarbeit bei der „Bildungsberichterstattung Ganztagsschule NRW“ konnte unser Institut dazu beitragen, aktuelle Erkenntnisse zu Lehr- und Lernprozessen in Ganztagsschulen zu gewinnen, die auch in unsere Unterstützungsangebote einfließen.

Zu den Unterstützungsangeboten zählt insbesondere das Webangebot „Ganztag in der Schule“. Aber wir führen auch regionale und landesweite Fachtagungen durch. Zudem stehen wir im Arbeitsbereich 3, in dem das Thema Ganztag verankert ist, in engem Austausch mit anderen Arbeitsgruppen im Haus. Zum Beispiel stellen wir Materialien zum Referenzrahmen Schulqualität für das Online-Unterstützungsportal bereit. Die Schulen erhalten durch unsere Angebote Impulse und Anregungen für die Schulentwicklung im Bereich Ganztag, sei es über Praxisbeispiele, Reflexionsbögen, Literaturhinweise oder andere fachliche Informationen und Unterstützungsmaterialien.

Der Ganztag ist ja ein Querschnittsthema. Die Struktur unseres Institutes bietet den Vorteil, dass die landesweiten Unterstützungssysteme sich unter einem Dach befinden. Beispielsweise sind die zuständigen Kolleginnen und Kollegen der Lehrerfortbildung aus dem Haus damit befasst, Erkenntnisse zum Ganztag und zur individuellen Förderung aus verschiedenen landesweiten Schulentwicklungsprojekten für die Lehrerfortbildung nutzbar zu machen.

Solche Schulentwicklungsprojekte waren zum Beispiel „Ganz In“ in Ganztagsgymnasien und „Lernpotenziale. Individuell fördern im Gymnasium“, die beide mit der Stiftung Mercator umgesetzt wurden. Ebenso gehört der Transfer von weiterem Projekt- und Forschungswissen in die Unterstützungssysteme über den Ganztag hinaus zu unseren Arbeitsfeldern, diesen Transfer haben wir verstärkt in den Blick genommen.

Online-Redaktion: Sie betreuen die wissenschaftliche Begleitung des Ganztags. Welche Begleitvorhaben gibt es?

Lehrerin und Schüler im Unterricht
© Britta Hüning

Tusche: Aktuell wird in der QUA-LiS NRW das Programm „Leben und Lernen im Ganztag – LiGa NRW“ in Kooperation mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und der Stiftung Mercator durchgeführt. Dieses wird extern evaluiert, sowohl das länderübergreifende Programm insgesamt als auch das Teilprojekt in NRW. Allein in NRW sind 131 Sekundar- und Gesamtschulen beteiligt, die sich zum Ziel gesetzt haben, das individualisierte Lernen weiterzuentwickeln und den Ganztag so zu gestalten, dass er die Kompetenzen und die Persönlichkeitsbildung der Schülerinnen und Schüler stärkt.

Zu den Unterstützungsangeboten gehören einerseits die regionalen Schulnetzwerke und andererseits Angebote für die Schulleitungen und die Schulaufsicht. Unser Ziel ist, dass die Projekt- und Forschungsergebnisse optimal für die Weiterentwicklung des Ganztags in NRW genutzt werden können. Es ist angedacht, sie in die landesweite Lehrerfortbildung und in die Qualifizierung der Schulleitungen und der Schulaufsicht einfließen zu lassen.

Online-Redaktion: Was sind die Erkenntnisse der Bildungsberichterstattung Ganztagsschule zum Thema „Individualisiertes Lernen und Fördern in Lernzeiten“?

Tusche: Lernzeiten können zu einem individualisierten Lernen und Fördern beitragen. Dies geschieht aber nicht automatisch. Es ist wichtig, sich im Kollegium über die Gestaltung der Lernzeiten auszutauschen, Absprachen zu treffen, das zeigen unsere Auswertungen. Wenn sich Lehrkräfte und das weitere pädagogische Personal an einem gemeinsamen Konzept orientieren, dann finden eher Entwicklungen statt, ob das die Weiterentwicklung der Lernzeiten ist oder die Entwicklung von Materialien, die gemeinsam genutzt werden.

Besonders wichtig: Es gibt dann auch mehr Austausch über die individuelle Lernentwicklung der Schülerinnen und Schüler. Und die gegenseitige Hilfestellung und Unterstützung unter den Lehrkräften in Bezug auf die Lernzeiten nimmt ebenfalls zu. Dieser Austausch im Kollegium wirkt sich wiederum positiv auf die Schülerinnen und Schüler aus: auf ihre Kompetenzen und ihr selbstständiges Lernen.

Der Einsatz verschiedener Arbeits- und Sozialformen, die sowohl selbstständige als auch kooperative Lernaktivitäten ermöglichen, differenzierte Aufgaben und Wahlmöglichkeiten, Feedback und Unterstützung – all dies wirkt sich positiv auf die Zielerreichung in den Bereichen Kompetenzerwerb, individuelle Förderung und Selbstständiges Lernen aus und ist verknüpft mit einer verstärkten Kooperation der Lehr- und Fachkräfte. Aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler fördern die Lernzeiten vor allem dann ihr selbstständiges Lernen und ihre Kompetenzen, wenn konzentriertes Arbeiten möglich ist und wenn die Begleitpersonen als unterstützend wahrgenommen werden.

Online-Redaktion: Welche wichtigen Erkenntnisse bietet der „Bildungsbericht Ganztagsschule NRW 2018“ noch?

Schülerinnen, Schüler und eine Lehrerin im Klassenzimmer
© Britta Hüning

Tusche: Er liefert ein großes Spektrum an Erkenntnissen zu verschiedenen Themen. Zum Beispiel erfahren wir etwas über die Situation der Träger von Ganztagsschulen, auch die unterschiedlichen kommunalen Strategien im Umgang mit den Herausforderungen, die der Ganztag bedeutet. Der Bericht zeigt die Potenziale der Ganztagsschule zur Stärkung von Familien auf. Für die Integration von neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Ganztagsschulen bei einer adäquaten Ressourcenausstattung die soziale und schulische Integration befördern können. Dabei sollten die besonderen Potenziale des Ganztags jedoch noch stärker genutzt werden, zum Beispiel durch eine lernförderliche Rhythmisierung von Unterricht, (Sprach-)Lernaktivitäten und Freizeitangeboten oder auch durch die Kooperation mit der Jugendarbeit.

In den verschiedenen Themenschwerpunkten des Bildungsberichts wurden neben Informationen zum Status Quo immer auch Entwicklungs- und Handlungsbedarfe identifiziert, die für die Weiterentwicklung des Ganztags von zentraler Bedeutung sind. Im Bereich kommunaler Steuerung ist dies zum Beispiel der Umgang mit sehr unterschiedlichen Betreuungswünschen und -bedarfen von Eltern. Ein anderes Feld ist der Ausbau einer integrierten Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung.

Online-Redaktion: Wie schätzen Sie den Forschungsstand zur Ganztagsschule ein?

Tusche: In den vergangenen 15 Jahren wurde viel zum Thema Ganztagsschule geforscht. Dabei spiegeln die vielfältigen Untersuchungsthemen die unglaubliche Komplexität der Ganztagsschulentwicklung wider. Von organisatorischen Aspekten und Rahmenbedingungen über gestalterische Merkmale, wie die Angebots- oder Kooperationsqualität, bis hin zu den Wirkungen auf fachliche und überfachliche Kompetenzen. Auch gesellschaftliche Aspekte wie Chancengerechtigkeit.

Wie bei jeder Forschung muss man immer genau hinschauen: Was ist wie untersucht worden, und welche Aussagen können für welchen Teilbereich oder welche Zielgruppe getroffen werden? Auch wenn man sich das oft wünscht, gibt es oftmals keine einfachen Lösungen oder Antworten, das gilt für die Ganztagsschulforschung genauso wie für die Bildungsforschung insgesamt.

Lehrerin mit Klasse im Unterricht
© Britta Hüning

Fest steht: Die Ganztagsschule hat ein enormes Potenzial, die Lern- und Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen zu bereichern. Dies kann aber nur realisiert werden, wenn die Ressourcen stimmen, die Qualität der Angebote gut ist und die vorhandenen Potenziale genutzt werden.

Vieles hängt von Qualitätsmerkmalen ab, die für alle Schulen gelten: der Unterrichtsqualität, der Innovationsbereitschaft, den innerschulischen Kooperations- und Kommunikationsstrukturen. Einige Aspekte sind aber auch ganztagsspezifisch, dazu gehören zum Beispiel die Auswahl und Ausgestaltung der außerunterrichtlichen Angebote oder eine lernförderliche Rhythmisierung des Schultages, die sich an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen orientiert.

In nächster Zeit wird es sicher noch spannende Befunde aus den aktuell laufenden Forschungen geben, unter anderem zu den Gelingensbedingungen verschiedener Ganztagsangebote. Handlungswissen sollte in der Ganztagsschulforschung zukünftig noch stärker eine Rolle spielen. Dazu sind entsprechende Forschungsdesigns erforderlich. Doch es lohnt auch, die schon vorhandenen Ergebnisse noch genauer zu sichten und aufzubereiten.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Zur Person:

Simone Tusche, geb. Menke, Jg. 1985, ist Diplom-Pädagogin und seit 2015 wissenschaftliche Referentin in der Qualitäts- und UnterstützungsAgentur - Landesinstitut für Schule (QUA-LiS NRW). Sie war zuvor von 2011 bis 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität Dortmund, u. a. in der Werkstatt „Entwicklung und Organisation von Ganztagsschule“ des Begleitprogramms „Ganztägig lernen“ der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Seit 2016 ist sie Mitautorin des „Bildungsberichts Ganztagsschule NRW“ (BiGa NRW).

Veröffentlichungen u. a.:

Altermann, A., Lange, M., Menke, S. et al. (2018). Bildungsbericht Ganztagsschule NRW 2018. Dortmund.

Menke, S. (2017): Individualisiertes Lernen in Lernzeiten der Sekundarstufe I. Ergebnisse der Bildungsberichterstattung Ganztagsschule NRW. In: Schule NRW, 69 (7/8), 18-21.

Altermann, A./Börner, N./Lange, M./Menke, S. et al. (2016): Bildungsbericht Ganztagsschule NRW 2016. Dortmund.

 

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