Kulturelle Bildung im Ganztag ist Anerkennungskultur : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Gehen Künstlerinnen und Künstler in Ganztagsschulen, ist pädagogische Kompetenz nützlich und Anerkennung zwingend, so Prof. Karsten Speck von der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg.

Prof. Karsten Speck
Prof. Karsten Speck © Universität Oldenburg

Prof. Karsten Speck von der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg hat zusammen mit Kathrin Hohmaier und Oxana Ivanova Chessex in einem Forschungsprojekt den „Kompetenzkurs Kultur – Bildung – Kooperation“, eine Weiterbildung für „Kulturschaffende in Ganztagsschulen und lokalen Bildungslandschaften“ wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Im Interview berichtet er über Ergebnisse des Projekts.

Online-Redaktion: Prof. Speck, Sie haben ein Projekt zur Weiterbildung von Kulturschaffenden in Ganztagsschulen geleitet. Wer sind diese Kulturschaffenden? Und warum benötigen sie Weiterbildung?

Karsten Speck: Das Forschungsprojekt geht auf eine Förderinitiative des BMBF zurück, deren Ziel war, die Kooperation zwischen Kulturschaffenden und Schule zu befördern und die kulturelle Bildung an Ganztagsschulen zu intensivieren. Mit den angesprochenen Kulturschaffenden sind zum einen freiberufliche Künstlerinnen und Künstler gemeint, zum anderen auch Personen, die in Kultureinrichtungen, Weiterbildungseinrichtungen und in Jugendeinrichtungen künstlerische und kulturelle Angebote unterbreiten.

Die ersten Befunde aus unserem Forschungsprojekt deuten darauf hin, dass es sich in der Weiterbildung zunächst meist darum handelt, gewisse Vorbehalte und Ängste gegenüber Schulen abzubauen. Dann geht es aber auch um Wissen über didaktische Kompetenzen, also die Vermittlung von Inhalten, das die Betreffenden brauchen. Und es dreht sich um den Aufbau einer interprofessionellen Kompetenz: Wie agiere ich gegenüber Lehrkräften an Schulen oder umgekehrt als Lehrerin oder Lehrer gegenüber den Kulturschaffenden? Das kann zum Beispiel auch die Frage sein, warum die Gegenseite einen anderen methodischen Ansatz hat oder warum sie anders mit den Kindern und Jugendlichen umgeht.

Online-Redaktion: Können Sie das Konzept der modularisierten Weiterbildung kurz beschreiben?

Speck: Die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) und die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) haben die Fortbildung mit Unterstützung der Universität Oldenburg entwickelt. Wir haben unsere Expertise in die Entwicklung der Module hereingegeben. Die Weiterbildung bestand einerseits aus Präsenzphasen, das waren vier bis fünf Module, an denen die Künstlerinnen und Künstler teilnahmen. Dann gab es kleine Projektaufträge, zum Beispiel sollten an Schulen Projekte initiiert werden. Drittens hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verschiedene Aufträgen, sich eigenständig mit Inhalten zu beschäftigen. Als wissenschaftliche Begleitung haben wir die Veranstaltungen beobachtet und laufend Rückmeldungen gegeben sowie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer befragt.

Online-Redaktion: Wie lang dauerte die Fortbildung?

Kinder
© Britta Hüning

Speck: Etwa ein Jahr, wobei drei Kohorten von insgesamt 79 Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Fortbildung an unterschiedlichen Standorten jeweils durchliefen, bundesweit. Das gesamte Projekt, einschließlich der wissenschaftlichen Begleitung, lief von Juli 2014 bis Juni 2017.

Online-Redaktion: Nun können eine Theaterpädagogin, ein freischaffender Bildhauer oder jemand, der beispielsweise Kulturarbeit studiert hat, ganz unterschiedliche Voraussetzungen und andere Ziele mitbringen. Kann man da ein Weiterbildungskonzept für alle entwickeln?

Speck: Das war genau die Frage. Wenn ich mir die Evaluationsergebnisse anschaue, würde ich sagen, dass man das kann. Und ich würde noch einen Schritt weitergehen: Das lohnt sich, weil so unterschiedliche Blickwinkel in die Weiterbildung eingebracht werden können. Das Weiterbildungskonzept bestand nicht darin, im klassischen Sinne Wissen zu vermitteln, sondern an die Erfahrungen und die Kompetenzen, über das die Teilnehmenden verfügen, anzuknüpfen und sie in die Fortbildung einzubinden.

Da war es zum Beispiel auch spannend, die unterschiedlichen künstlerischen Sparten zu berücksichtigen, und es war spannend, die unterschiedlichen Erfahrungen zu berücksichtigen. Da hat durchaus so etwas wie Peer Learning stattgefunden. Es ist überzeugender, wenn ein Künstler sagt, dass er schon einmal etwas ausprobiert und es funktioniert hat, als wenn ein Referent von der Universität vorne allgemeine didaktische Überzeugungen verkündet.

Online-Redaktion: Sie haben das Weiterbildungskonzept evaluiert. Mit welchen Ergebnissen?

Speck: Was wir empirisch nachweisen können, ist ein deutlicher Kenntnis- und Kompetenzzuwachs im pädagogischen Wissen. Dazu haben wir eine Vorher-Nachher-Befragung und am Anfang sowie am Ende jeweils einen identischen Test durchgeführt. Der Kompetenzzuwachs betrifft auch die Konzeptentwicklung: Worauf muss ich bei den Adressaten und den pädagogischen Settings achten? Worauf muss ich achten, wenn ich kulturpädagogische Methoden in Projekten nutzen möchte? Wie kann ich Projekte präsentieren und reflektieren?

Anhand von Gruppendiskussionen können wir nachweisen, dass der Austausch mit anderen als wichtig erachtet wurde, auch, dass Ängste gegenüber der Schule und den Lehrkräften abgebaut wurden. Die Fortbildung sensibilisierte für die kulturelle Bildung in Schulen und hat die Teilnehmenden an Sicherheit im Umgang mit den jeweiligen Kooperationspartnern gewinnen lassen. Und schließlich ist das Hauptziel, die didaktischen, methodischen und interprofessionellen Kompetenzen zu stärken, erreicht worden. Ausschlaggebend für den Kompetenzzuwachs war dabei das Praxisprojekt.

Ich will aber auch nicht verhehlen, dass es hier und da Probleme bei der Umsetzung der Projekte gab. Die Hierarchie zwischen Schule und Künstlern zeigte sich an einigen Schulen in der unterschiedlichen Handhabung der Bezahlung. Die fehlenden Finanzierungsmodelle sind ein grundsätzliches Problem. Wer nicht an eine Institution angebunden, sondern freiberuflich tätig ist, braucht eine Honorierung, von der er oder sie leben kann. Teilweise hatten die Künstlerinnen und Künstler auch Probleme, in Schulen überhaupt erst hineinzukommen.

Theater
© Britta Hüning

Online-Redaktion: Was müssen beide Seiten für eine gute Kooperation tun?

Speck: Ich würde es Anerkennung nennen. Künstler und Kulturschaffende sollten wertschätzen, dass Lehrkräfte eine sinnvolle und gute Arbeit leisten und dass zu dieser Arbeit auch das Vermitteln, Überprüfen und Beurteilen von Wissen gehören. Auf der anderen Seite sollten die Lehrerinnen und Lehrer die Angebote von Künstlerinnen und Künstlern anerkennen. Sie sollten auch einmal an deren Veranstaltungen teilnehmen und ihnen eine Rückmeldung geben. Eine Anerkennungskultur und der Abbau von stereotypen Sichtweisen auf die andere Berufsgruppe wären schon hilfreich.

Online-Redaktion: Sie sprechen von einer notwendigen Weiterentwicklung von Ganztagsschulen, „um anschlussfähig für Kunst- und Kulturschaffende“ zu sein. Was ist damit gemeint?

Speck: Wir haben sehr unterschiedliche Erfahrungen in der Zusammenarbeit der Schulen mit Künstlern und Kulturschaffenden gesammelt. Es gab Schulen, in denen sie mit offenen Armen empfangen wurden und die Lehrkräfte anschließend begeisterte Rückmeldungen gegeben haben, die außerschulischen Partner wurden auch sofort wieder gebucht. Aber es gab auch andere Erfahrungen. Manche Schulleitungen haben gleich die fehlende Zeit ihrer Lehrkräfte oder fehlende Finanzen betont. Da muss noch etwas passieren in der Einstellung dieser Schulen.

Online-Redaktion: Ist das Weiterbildungskonzept bundesweit einsetzbar? Was passiert nun mit Ihren Ergebnissen?

Speck: Die Förderung durch das BMBF ist abgeschlossen, und die Ergebnisse sind veröffentlicht worden. Die Modulinhalte werden auf jeden Fall weiter in Angebote einfließen, die die BKJ und die DKJS machen. Auch ich werde dieses Thema in meinen Lehrveranstaltungen an der Universität Oldenburg einbringen. Prinzipiell ist das Konzept bundesweit einsetzbar, es gibt aber derzeit noch keine Lösung für die gesamte Weiterbildung, wie diese eins zu eins in ein Angebot umgesetzt werden kann.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Zur Person:

Dr. Karsten Speck, Jg. 1973, ist seit 2010 Professor für Forschungsmethoden der Erziehungs- und Bildungswissenschaften an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. Nach dem Studium der Erziehungswissenschaft und Promotion an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, lehrte und forschte er bis 2010 an der Universität Potsdam, u. a. als Leiter des Projekts „Professionelle Kooperation von unterschiedlichen Berufskulturen an Ganztagsschulen“. Derzeit ist er Dekan der Fakultät I Bildungs- und Sozialwissenschaften der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg.

Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem die Multiprofessionelle Kooperation, die Kooperation von Jugendhilfe und Schule/Schulsozialarbeit, Partizipation und ehrenamtliches Engagement.

Veröffentlichungen u. a.:

Speck, K. (2014). Schulsozialarbeit. Eine Einführung, München, Basel: Reinhardt (3., überarbeitete Auflage).

Zierer, K., K. Speck & B. Moschner (2013). Methoden erziehungswissenschaftlicher Forschung.

München, Basel: Reinhardt. Speck, K., T. Olk, O. Böhm-Kasper, H.-J. Stolz & C. Wiezorek (Hg.) (2011). Ganztagsschulische Kooperation und Professionsentwicklung: Studien zu multiprofessionellen Teams und sozialräumlicher Vernetzung. Weinheim, München: Beltz Juventa.

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