KIDS in Ganztagsgrundschulen : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Stefanie Richard hat zum Thema Aufmerksamkeit in Ganztagsgrundschulen geforscht. Im Interview resümiert sie Erfahrungen der Interventionsstudie „KIDS – Konzentration in der Schule“.

Hausaufgaben und Lernzeiten sind Kernthemen der Ganztagsschule. Aber was, wenn es Schülerinnen und Schülern an konzentriertem Arbeitsverhalten mangelt? Wie kann das pädagogische Personal die Kinder unterstützen? Welche Fortbildung braucht das Personal? Solche Fragen stellte sich das Forschungsprojekt „KIDS - Konzentration in der Schule“, das von 2009 bis 2012 unter der Projektleitung von Prof. Charlotte Hanisch (Hochschule Düsseldorf) und Prof. Manfred Döpfner (Universität Köln) durchgeführt wurde.

Stefanie Richard
Stefanie Richard, wiss. Mitarbeiterin, Universität zu Köln © Stefanie Richard

Ziel des Forschungsteams war die Entwicklung und Evaluation einer Fortbildungsmaßnahme, die das pädagogische Personal offener Ganztagsschulen befähigt, Schülerinnen und Schüler mit Aufmerksamkeitsproblemen zu unterstützen. Das Projekt wurde an zehn Ganztagsgrundschulen in Düsseldorf und Köln durchgeführt. Stefanie Richard, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Projekt beteiligt war, bilanziert im Interview die Erfahrungen und Ergebnisse.

Online-Redaktion: Frau Richard, wie stellte sich damals, als Sie mit dem Projekt „KIDS“ starteten, die Forschungslage im Bereich Konzentration und Hausaufgabenbetreuung an der Ganztagsschule dar?

Stefanie Richard: Unser Team kommt eher aus der klinischen Forschung und wusste aus verschiedenen Studien, dass viele Kinder Aufmerksamkeitsprobleme haben. In der Begleitstudie zum Offenen Ganztag in Nordrhein-Westfalen von 2005 gab es die zusätzliche Beobachtung, dass sich Kinder im Gruppenkontext insgesamt abgelenkt fühlen. Nach unserem Kenntnisstand gab es damals zu dem Thema, wie eine Lehrkraft oder ein pädagogischer Mitarbeiter mit Kindern, denen es nicht so leicht fällt, sich zu konzentrieren, in der Lernzeit umgeht, im deutschsprachigen Raum noch überhaupt keine Forschung.

Online-Redaktion: Das Projekt haben sie zusammen mit der Uniklinik Köln durchgeführt. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?

Richard: Frau Prof. Hanisch arbeitete bereits in einem Vorgängerprojekt, „Präventionsprogramm für Expansives Problemverhalten im Kindergarten“ (PEP), an der Uniklinik Köln. Dort ging es darum, den Erzieherinnen und Erziehern Strategien an die Hand zu geben, um mit Kindern umzugehen, die unaufmerksam, hyperaktiv, impulsiv oder oppositionell sind. Daher bestand bereits eine Zusammenarbeit mit Prof. Manfred Döpfner.

Das Projekt haben wir gemeinsam und gleichwertig geplant und durchgeführt und die Grundschulen für unsere Studie in beiden Städten rekrutiert. In Köln saßen Prof. Döpfner und Frau Dr. Ilka Eichelberger, und in Düsseldorf arbeiteten Frau Dr. Hanisch und ich.

Online-Redaktion: Nach welchen Kriterien haben Sie die Grundschulen ausgewählt?

Richard: Es bestanden Kontakte zu den beiden Schulämtern in Düsseldorf und Köln, die uns die Namen aller Ganztagsgrundschulen mitteilten. Daraufhin haben wir sämtliche Schulen angeschrieben und für unser Vorhaben geworben. Es haben sich sehr viele Schulen zurückgemeldet, mit denen wir Informationsveranstaltungen durchführten.

Dabei zeigte sich allerdings, dass viele dieser Schulen noch ganz neu auf dem Feld Ganztag und Hausaufgabenbetreuung waren und noch keine Strukturideen für die Durchführung hatten. Es fehlten eigentlich die Rahmenbedingungen, die wir untersuchen wollten. Schließlich haben wir zehn Schulen gefunden, bei denen bereits Erfahrungen mit der Hausaufgabenbetreuung bestanden und die Zeit und Lust hatten, an dem Projekt mitzuwirken.

Online-Redaktion: Konnten Sie bei diesen Erstkontakten schon erfahren, wo die Schulen eventuell der Schuh drückte?

Richard: Es gab Beschreibungen großer Gruppen und ständig wechselnder pädagogischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und dass Schülerinnen und Schüler mit Aufmerksamkeitsproblemen nicht die Aufmerksamkeit erhielten, die sie eigentlich bräuchten, damit sie sich konzentrieren können.

Online-Redaktion: Wie haben Sie das Projekt durchgeführt?

Richard: Wir gaben den pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Fragebögen zu ihren Schülerinnen und Schüler. Sie sollten einschätzen, wie auffällig sich die Kinder verhielten. Insgesamt konnten so 136 Schülerinnen und Schüler, die als problematisch eingeschätzt wurden und zu denen das Einverständnis der Eltern vorlag, in unsere Studie aufgenommen werden. Im Schuljahr gab es vier Messzeitpunkte, zu denen wir Aufmerksamkeitstests durchführten und die Lehrkräfte Fragebögen zu ihrem pädagogischen Handeln und zu dem Verhalten der Schülerinnen und Schüler ausfüllten. Zwischen den Messzeitpunkten fanden Interventionen in Form einer 1-tägigen Fortbildung und Kindertrainings statt.

Online-Redaktion: Was passiert in einem Kindertraining?

Richard: Wir haben uns an sogenannten Selbstinstruktionstrainings orientiert. Zum Lösen schulischer Aufgaben, aber auch solcher im sozialen Kontext, gibt es bestimmte Abläufe. Wie ist mein Plan? Wie will ich eigentlich vorgehen? Habe ich alle Materialien/Informationen? Und dann gehe ich sorgfältig, Schritt für Schritt an meine Aufgabe heran. Wir haben dies den Kindern über viele Vorlesegeschichten nahegebracht und sie dann praxisnah an ihren Schulaufgaben trainieren lassen. Die Schülerinnen und Schüler bekamen eine Struktur, ihre Arbeit zu organisieren und Aufgaben selbst zu lösen. Diese Trainings haben nicht wir durchgeführt, sondern die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die wir parallel dafür geschult haben.

Online-Redaktion: Wann wurden diese Trainings zeitlich durchgeführt? Und wie viele Schüler nahmen daran jeweils teil?

Richard: Das war sehr unterschiedlich. An manchen Schulen fanden die Trainings am Nachmittag, an anderen Schulen am Vormittag statt. Die Empfehlung für die Gruppengrößen in diesem Alter der Zweit- bis Viertklässler liegt bei fünf Schülerinnen und Schülern. So groß waren die Gruppen dann auch, wobei viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurückgemeldet haben, dass die Maßnahmen am besten einzeln hätten durchgeführt werden sollen. Das hätte aber den zeitlichen Rahmen gesprengt.

Online-Redaktion: Haben sich die Erwartungen des Projekts erfüllt, das heißt, unterstützen die Fortbildungen des pädagogischen Personals und die Trainings die Entwicklung der Kinder?

Richard: Das ist leider nicht so eindeutig zu sagen. Wir standen als Pilotprojekt schon vor der Herausforderung, uns selbst neu im offenen Ganztag orientieren und dessen Strukturen erfassen zu müssen. Und wir haben festgestellt, dass die Strukturen nicht einheitlich waren und sich die offene Ganztagsschule noch im Wandel befindet. Ein Forschungsprojekt wird erleichtert, wenn es gleiche Strukturen gibt, weil man dann auch die Ergebnisse besser vergleichen kann. Hier hatten wir das Gefühl, dass wir manchmal Äpfel mit Birnen vergleichen.

Dazu kam, dass wir viele wechselnde Ansprechpartner hatten, sowohl in den Leitungen des offenen Ganztags als auch bei den Mitarbeitern, was die kontinuierliche Arbeit ebenfalls erschwert hat. Und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kam natürlich die zusätzliche Belastung durch das viermalige Ausfüllen der Fragebögen im Schuljahr und die Kindertrainings hinzu.

Wir konnten nicht zeigen, dass unsere Intervention insgesamt wirksam war. Die Methoden, die wir eingesetzt haben, waren bereits evaluiert. Aber wir haben feststellen müssen, dass sie in der Form, wie wir sie in der Gruppenarbeit umgesetzt haben, nicht so effektiv war wie fallbezogene Arbeit mit einzelnen Schülern. Es gab immerhin einzelne Schülerinnen und Schüler, die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zunächst als „auffällig“ eingestuft worden waren, nach der Intervention aber als „unauffällig“ beurteilt wurden. Das ist natürlich eine gute Nachricht, dass es Kinder gibt, die von den Trainings profitiert haben. Aber wir wissen nicht, warum es manchen Schülerinnen und Schüler geholfen hat und manchen nicht.

Britta Hüning
© Britta Hüning

Eine Rückmeldung der Ganztagsgrundschulen war, dass sie unsere Fortbildungen als Anstoß sahen, nochmal über Strukturen nachzudenken. An einer Schule beispielsweise kamen die Schülerinnen und Schüler immer zu spät zu den Angeboten, bevor den Beteiligten in der Fortbildung klar wurde, dass man gar keine Pausen zwischen den einzelnen Angeboten eingeplant hatte. So simpel! Aber es fehlte einfach die Zeit, sich über die Probleme auszutauschen. Solche Fortbildungen bieten dazu die Möglichkeit.

Online-Redaktion: Welche Schlüsse haben Sie für Ihre wissenschaftliche Arbeit gezogen?

Richard: Die Erfahrungen mit diesem Forschungsvorhaben haben uns auf eine neue Idee gebracht, und wir haben das Projekt „Lehrercoaching“ entwickelt, das in den vergangenen drei Jahren ebenfalls vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde. Nach den vielen wechselnden Bezugspersonen am Nachmittag im KIDS-Projekt schien es uns sinnvoller, die Kinder über die Person der Klassenlehrerinnen und -lehrer zu fördern. Wir haben Lehrpersonen im Rahmen von sechs Terminen Strategien zum Umgang mit einzelnen auffälligen Schülerinnen und Schülern vermittelt und die Umsetzung begleitet. In diesem Projekt stand vor allem das individualisierte Vorgehen im Vordergrund. Dort sind die Ergebnisse erheblich besser und eindeutiger ausgefallen. In den kommenden Monaten werden wir diese veröffentlichen.

Online-Redaktion: So hat die erste Studie zwar nicht die erhofften Ergebnisse gebracht, Ihnen aber den Fingerzeig gegeben, was Sie anders machen konnten...

Richard: Das ist Forschung, so ist Wissenschaft. Die erste Studie war kein Schuss in den Wind, sondern hat uns geholfen, langfristig neues Wissen aufzubauen.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Zur Person:
Stefanie Richard hat an der Hochschule Düsseldorf studiert, sie ist Diplom-Sozialarbeiterin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin i.A.. In ihrer Diplomarbeit befasste sie sich bereits mit Aufmerksamkeitsbeeinträchtigungen. Derzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Psychologie und Psychotherapie in der Heilpädagogik und Rehabilitation der Universität Köln bei Prof. Dr. Charlotte Hanisch.

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