Internationales Journal zur außerschulischen Bildungsforschung : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
2010 hat sich das internationale Forschungsnetzwerk NEO ER (Network on Extracurricular and Out-of-School Time Educational Research) gegründet. Mit dem„International Journal for Research of Extended Education“ geht es einen weiteren Schritt.
Online-Redaktion: Prof. Stecher, wie hat sich in den knapp drei Jahren seit der Gründung des Netzwerks im Herbst 2010 die Forschungs- und Erkenntnislage entwickelt?
Ludwig Stecher: Das Thema außerschulische Bildung hat nichts von seiner Relevanz eingebüßt: Kinder und Jugendliche erwerben in Deutschland wie international wichtige Kompetenzen auch außerhalb der Schule. Die Vorträge auf unserem Netzwerktreffen spiegelten, wie wichtig der Forschungsbereich zur außerunterrichtlichen Bildung in den jeweiligen Ländern ist. Wir waren uns einig, dass in diesem Bereich weitere, komplexe Studien nötig sind – so wie hier in Deutschland die „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ (StEG) und das „Nationale Bildungspanel“ (NEPS).
Noch sind solche Studien, die u.a. speziell das Thema extended education längsschnittlich bearbeiten, eher Ausnahmefälle. Darüber hinaus wären international angelegte Studien sinnvoll, da die Fragestellungen in allen Ländern vergleichbar sind und man hier viel voneinander lernen könnte. Nach wie vor braucht es eine Plattform wie NEO ER, um diese internationale Forschung anzustoßen.
Online-Redaktion: Das aktuelle Netzwerktreffen thematisierte auch soziale Disparitäten in der außerschulischen Bildung. Inwiefern spielt das eine Rolle?
Stecher: Aus der Schulforschung ist bekannt, wie sehr Schulerfolg und soziale Herkunft zusammenhängen. Einige der diesjährigen Vorträge zeigten, dass auch in der außerschulischen Bildung mit Blick auf die Bildungsbeteiligung einerseits und den Bildungserfolg andererseits soziale Herkunfts- bzw. Selektionseffekte beobachtet werden können. Zusammengefasst konnte man feststellen, dass dieses Problem in allen Ländern besteht – besonders deutlich zeigt sich dies in Südkorea. Die Beteiligung an den Vorbereitungsschulen und an den privaten Schulen, die auf die Übergangsprüfungen an den Universitäten vorbereiten, ist vornehmlich denjenigen Familien vorbehalten, die sich die relativ hohen Ausgaben hierfür leisten können. Das ist eine wichtige Erkenntnis, nachdem wir auf der ersten Tagung darüber diskutiert hatten, dass außerschulische Bildungsangebote möglicherweise für die Bildungsbeteiligung und den Bildungserfolg kompensatorisch wirken könnten.
Online-Redaktion: Öffnet sich da die soziale Schere in vielen Ländern also eher noch weiter?
Stecher: Dazu liegen keine Daten vor. Es wäre momentan aber sicher zu optimistisch, davon auszugehen, dass sich Bildungsprozesse außerhalb der Schule hinsichtlich der Bildungsteilhabe anders gestalten.
Online-Redaktion: Kann das Netzwerk Wege aufzeigen, wie diese Entwicklung gedreht werden könnte?
Stecher: Meine Kolleginnen und Kollegen haben für die Ganztagsschule dargelegt, dass kompensatorische Effekte durch außerunterrichtliche Lerngelegenheiten erreicht werden – aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. Erstens müssen die entsprechenden Schülerinnen und Schüler, die wir erreichen wollen, an diesen extracurricularen Angeboten überhaupt teilnehmen. Zweitens müssen die Angebote regelmäßig genutzt werden. Und drittens müssen die Angebote über eine gewisse pädagogische Qualität verfügen. Stimmen diese Voraussetzungen, dann ist die Ganztagsschule ein richtiges und wichtiges Instrument. Um die erste Voraussetzung zu erfüllen müsste man nun etwa überlegen, wie man es beispielsweise sozioökonomisch benachteiligten Familien erleichtern kann, ihre Kinder zur Ganztagsschule anzumelden. Die Befreiung von Kosten für diese Familien wäre ein richtiger Schritt.
Online-Redaktion: Ende Juni flammte auf der Ganztagsschulmesse NRW in Hamm wieder die Diskussion auf, das müsse durch gebundene, für alle verpflichtende Ganztagsschulen gelöst werden. Wäre dies eine Folgerung aus Ihren Ausführungen?
Stecher: Seit 2005 durchzieht diese Diskussion um offene und gebundene Ganztagsschulen auch die Bewertung der StEG-Ergebnisse. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die das Modell der gebundenen Ganztagsschule auf der konzeptionellen Ebene für das Modell mit dem größten Potenzial halten. Aber wie die StEG-Daten gezeigt haben sind die Unterschiede zwischen den offenen und gebundenen Ganztagsschulen auf der empirischen Ebene nicht besonders groß. Auf keinen Fall sind die Unterschiede so gravierend, dass sich damit die Forderung nach einem flächendeckenden Ausbau von gebundenen Ganztagsschulen untermauern ließe.
Es gibt sogar Gründe, die dagegen sprechen. Prof. Wolfram Rollett hat in der StEG-Studie herausgefunden, dass Jugendliche, die die Angebote nicht freiwillig besuchen, deren pädagogische Qualität schlechter einschätzen als diejenigen, welche freiwillig mitmachen. Da wir wissen, dass die Lernerfolge umso höher sind, umso besser die pädagogische Qualität der Angebote beurteilt wird, müssen wir negative Effekte auf Motivation und auf Leistungserfolge bei nicht-freiwilliger Teilnahme annehmen. Verbindliche Teilnahme ist in diesem Sinne also nicht immer effektiv. Die beste Lösung wäre möglicherweise, jede Ganztagsschulform – also offene und gebundene Ganztagsschulen – in erreichbarer Nähe anzubieten und den Eltern und den Kindern die Wahlfreiheit zu lassen. Angesichts des demografischen Wandels ist dies aber zugegebenermaßen keine realistische Perspektive.
Online-Redaktion: Wie arbeitet das Netzwerk zwischen den Konferenzen?
Stecher: Zunächst einmal haben wir einen Tagungsband über unsere erste Konferenz herausgegeben. Zwischen den beiden Tagungen haben wir hauptsächlich das Projekt „IJREE International Journal for Research of Extended Education“, eine internationale Fachzeitschrift, auf den Weg gebracht. Diese wird im Herbst mit der ersten Ausgabe erscheinen. In den ersten drei Jahren unterstützt die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziell dieses Vorhaben. Das Redaktionsbüro sitzt hier an der Universität Gießen. Wir haben eine zweisprachige Mitarbeiterin, Joanna Bennett, eingestellt, die den Kontakt zu den Autorinnen und Autoren hält und derzeit auch die Homepage gestaltet.
Es haben sich in den letzten Jahren auch bilaterale Kooperationen ergeben, vor allem zwischen dem StEG-Team und den amerikanischen Kolleginnen und Kollegen oder meinerseits mit den japanischen Kollegen. Folgen sollen weitere internationale Forschungsprojekte, wie wir uns diese als vergleichende Bildungsforscher vorstellen. Solche Vergleichsstudien sind aufwendig. Die Datenerhebung ist nicht einfach, und die Verständigung darüber, was in den Bereich der extended education fällt, ist auch nicht ganz unkompliziert.
Online-Redaktion: Wie und wo wird das Internationale Journal erscheinen?
Stecher: Die Zeitschrift wird in englischer Sprache zweimal jährlich in Papierform und als Online-Publikation im Verlag Barbara Budrich erscheinen. Das Heft wird 120 Seiten umfassen. Schwerpunktthema der ersten Ausgabe sind „National Reports“. Hier informieren wir in drei bis vier Beiträgen über den Stand der Forschung zur extended education in den jeweiligen Ländern. Daneben gibt es Beiträge zu unterschiedlichen Themen der extended education und Rezensionen englischsprachiger Publikationen. Die deutsche Bildungsforschung ist mit ihren Publikationen aus meiner Sicht – mit Ausnahmen wie etwa das Nationale Bildungspanel – noch nicht ausreichend international sichtbar. Der Transfer in die internationale Wissenschaftsgemeinschaft ist zudem nicht einfach, dazu wollen wir mit dem Journal auch einen Beitrag leisten.
Online-Redaktion: Welche Zukunftspläne hat NEO ER darüber hinaus?
Stecher: Wir haben mit einer Gruppe von zehn bis 15 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern angefangen. Auf der Tagung haben wir uns ausgetauscht, wie wir das Netzwerk vergrößern können. Es soll zunächst weiter als Initiativnetzwerk bestehen bleiben und in keinen Verband oder Verein umgewandelt werden.
Nachdem die ersten beiden Tagungen auf unseren kleinen Teilnehmerkreis begrenzt geblieben sind, wollen wir die kommenden Tagungen für ein breiteres Publikum öffnen, um das Netzwerk und die Zeitschrift sichtbarer zu machen.
2014 wollen wir die nächste Konferenz in Südkorea abhalten, der südkoreanische Kollege ist gerade dabei, die Möglichkeiten auszuloten.
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