In einen Dialog mit dem Sozialraum treten : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Die Geografin Dr. Romy Hofmann von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg erforschte an zwei Ganztagsschulen, wie sich Jugendliche soziale Räume aneignen.
Online-Redaktion: Frau Dr. Hofmann, Ihre Studie heißt "Urbanes Räumen". Was verbirgt sich dahinter?
Romy Hofmann: In diesem Titel kommt zunächst eine Doppeldeutigkeit zum Ausdruck. Urbane, das heißt städtische Räume, sind ein bedeutender Untersuchungsgegenstand der Geografie. Zum anderen meint, etwas zu „räumen“, Dinge anders anzuordnen, anders zu sehen, umzuräumen. Und auch das tun Geografen. Ich habe mich vor meiner Studie bereits mit kritischer Kartografie beschäftigt, wie also Wissensproduktion mit Karten stattfindet. Dieser Bereich wird im schulischen Geografieunterricht noch ein wenig stiefmütterlich behandelt. Geografie umgibt uns täglich, und wenn wir die "geografische Brille" aufsetzen, können wir sehr viel lernen.
In meiner Studie geht es um "Räumliche Orientierung". Diese Fähigkeit umfasst mehr, als sich mit einer Karte zu orientieren, sondern es geht auch darum, subjektive Vorstellungen, die wir von sozialen Räumen wie beispielsweise von einem Stadtteil haben, kritisch zu hinterfragen. Wie wird ein Stadtteil in den Medien dargestellt, und welches Bild mache ich mir dadurch von diesem Stadtteil? Fange ich an, diesen Stadtteil zu meiden? Oder würde ich dort wohnen wollen? Sich damit zu beschäftigen, ist mit der "raumbezogenen Handlungskompetenz" gemeint, sie ist auch ein Leitziel des Geografieunterrichts.
Online-Redaktion: Wie kann man das konkret untersuchen?
Hofmann: Das Konzept der Raumaneignung ist sehr vielfältig. Ich habe eine Unterrichtsreihe konzipiert, die ich in zwei Schulklassen der 12. Jahrgangsstufe mit jeweils 20 Schülerinnen und Schülern durchgeführt habe, am Willstätter Gymnasium in Nürnberg und am Hochrad-Gymnasium in Hamburg. Beide sind offene Ganztagsschulen.
Wir haben uns mit stadtgeografischen Fragestellungen auseinandergesetzt, zum Beispiel gefragt, wie sich Stadtteile entwickelt haben. Es ging letztlich auch darum, dass die Jugendlichen ihren Sozialraum aktiv verändern, ihn also im Kleinen "umräumen", damit sie für die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten und auch die Reaktionen von Passanten sensibilisiert werden. Im Anschluss an die Unterrichtsreihe haben wir in einem zweiten Schritt Kleingruppendiskussionen durchgeführt. Sie begannen mit der offenen Frage nach den Erfahrungen, die die Schülerinnen und Schüler im Unterricht gemacht hatten. Es ging nicht um die Abfrage von Wissen, sondern darum, das Wissen, das die Jugendlichen leitet, zu rekonstruieren und tiefere Strukturen offenzulegen.
Online-Redaktion: Wie eignen sich Jugendliche Räume an?
Hofmann: Man kann, vereinfacht gesagt, aus zwei Perspektiven darauf schauen. Objektiv könnte man beobachten, dass Jugendliche sich beispielsweise einen sozialen Raum aneignen, wenn sie in einem Einkaufszentrum abhängen. Die zweite Perspektive, die mich mehr interessiert, geht von den Meinungen und Vorstellungen der Jugendlichen aus. Was bedeutet es ihnen, sich Räume anzueignen? Schülerorientierung wird mit dem Schlagwort "Wir müssen vom Schüler aus denken" oft hochgehalten. Mit meiner Methode der offenen Diskussion wollte ich die Schülerperspektive wirklich in den Mittelpunkt stellen. So können wir ihr Wissen und Können als Ausgangspunkt im Geografieunterricht bestimmen.
Online-Redaktion: Wie haben Sie die Erkenntnisse verwertet?
Hofmann: Ich habe vier unterschiedliche Typen jugendlicher Raumaneignung herausgearbeitet. Daraus konnte ich Konsequenzen ableiten, was Lehrerinnen und Lehrer tun können: Die Jugendlichen sollten die Möglichkeit erhalten, eine gewisse Verbundenheit mit einem Ort auszubilden. Das hat nichts mit Lieblingsorten zu tun, sondern es geht darum, mit einem Ort sozusagen in einen Dialog zu treten, ihn in konkreten Situationen bewusst zu erleben.
Die Schülerinnen und Schüler können auch in unterschiedliche Rollen schlüpfen, um zum Beispiel aus der Perspektive eines Stadtplaners auf einen Raum zu schauen. Auch außerschulische Partner können die Schülerinnen und Schüler unterstützen, sich intensiver mit Räumen zu beschäftigen.
Online-Redaktion: Wie lässt sich das konkret in den Geografieunterricht übertragen?
Hofmann: Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Die Schülerinnen und Schüler können sich zum Beispiel ihren städtischen Raum mit Fotografie und über andere künstlerische Ausdrucksformen erschließen. Oder es können Stadtteilprofile entstehen. Portfolio-Arbeit wäre eine andere Methode, auch fächerübergreifende Projekte sind denkbar.
Die Schülerinnen und Schüler erkennen so auf einer Meta-Ebene, was Geografie auch ist: subjektive Aneignung der Welt. Das geht einher mit der Fähigkeit zur Abstraktion: warum habe ich diese Sichtweise, vielleicht auch dieses Vorurteil über andere Menschen und Kulturen? Es geht also um eine neue Perspektive, was Geografie und Erdkundeunterricht auch umfassen sollten, nämlich subjektive Raumvorstellungen zu thematisieren und zu abstrahieren.
Online-Redaktion: Für wen könnten die Ergebnisse Ihrer Studie interessant sein?
Hofmann: Vorrangig für Geografie-Lehrkräfte, die einen kritischen Blick aus unterrichtspraktischer Sicht einnehmen. Auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Bereich der Sozialarbeit und der Jugendarbeit, zum Beispiel im Quartiersmanagement, könnte dieser Ansatz interessant sein, sodass sich möglicherweise beide Arbeitsfelder gegenseitig befruchten. Und auch Künstlerinnen und Künstler können Räume und die Vorstellungen davon zusätzlich sichtbar machen.
Online-Redaktion: Wie sehen Ihre derzeitigen Pläne aus?
Hofmann: Ich möchte die gewonnenen Erkenntnisse in einer weiteren Untersuchung auch auf die Grundschule übertragen und die Zusammenarbeit mit anderen Partnern, zum Beispiel aus der Kunst, ausbauen.
Kategorien: Kooperationen - Kulturelle Bildung
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