„Eine Frage der pädagogischen Perspektive“: Medien im Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Welche Rolle spielen Medien für das Aufwachsen von Kindern? Unterstützen Medien das Lernen? Und bedeuten neue Medien eher Risiken oder Chancen? Wir haben die Erziehungswissenschaftlerin Christine Dallmann von der Technischen Universität Dresden gefragt.

Schüler sitzen vor PC-Bildschirmen
© Britta Hüning

Online-Redaktion: Frau Dallmann, was ist Medienpädagogik?

Christine Dallmann: Medienpädagogik bezeichnet als Begriff sowohl die wissenschaftliche Disziplin, die als Subdisziplin der Erziehungswissenschaft auch Bezüge zur Kommunikationswissenschaft, Soziologie und Psychologie aufweist, als auch das praktische Handlungsfeld. Medienpädagogik befasst sich mit allen pädagogisch relevanten Fragen, für die Medien eine Rolle spielen, sei es beispielsweise das Aufwachsen in mediatisierten Welten oder die Unterstützung von Lehr-Lern-Prozessen.

Online-Redaktion: Ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist die Mediensozialisation von Kindern und Jugendlichen. Was bedeuten Medien für das Aufwachsen?

Dallmann: Zunächst findet das Aufwachsen heute in einer Welt statt, in die Medien selbstverständlich eingebunden sind. Dieter Baacke, Uwe Sander und Ralf Vollbrecht haben in diesem Zusammenhang bereits in den 1980er Jahren den viel zitierten Begriff der Medienwelten geprägt: „Medienwelten sind Lebenswelten und Lebenswelten sind Medienwelten“. Dies bringt es sehr gut auf den Punkt. Medien sind in das Alltagshandeln von Kindern und Jugendlichen eingebunden. Sie dienen ihnen beispielsweise als Ressourcen und Mittel der Auseinandersetzung mit sich selbst, ihrer Umwelt und ihren Mitmenschen, also kurz gesagt: ihrer Verortung in der Welt. Das zu reflektieren und zu untersuchen, ist ein Kernfeld medienpädagogischer Forschung.

Online-Redaktion: Gibt es alte und neue Medienwelten?

Dallmann: Die heutige Medienwelt unterscheidet sich deutlich von derjenigen, die man vor nur 50 Jahren vorfand. Aber auch innerhalb kürzerer Zeitspannen hat sie sich deutlich verändert. Entsprechend sind die Medienbiografien und Mediensozialisationsverläufe von Eltern- und Kindergenerationen bereits sehr unterschiedlich. Zum einen wenden sich Kinder und Jugendliche neuen Entwicklungen sehr offen und unvoreingenommen zu, und zum anderen betrachten viele Erwachsene die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen eher mit Skepsis. Dieses Phänomen ist jedoch konstant – es zieht sich durch die Geschichte und ist schon viel länger zu beobachten, als überhaupt von Medienpädagogik die Rede ist.

Schülerinnen und Schüler im Computer-Raum
© Britta Hüning

Online-Redaktion: Welche Möglichkeiten gibt es, Medienpädagogik mit Unterricht oder außerunterrichtlichen Angeboten zu verbinden?

Dallmann: Medienpädagogik in den Unterricht zu integrieren, heißt nicht zwangsläufig, ein eigenes Stoffgebiet abzuhandeln. Viel wichtiger ist die Sensibilität der Lehrkräfte für das Themenfeld in seiner Breite. So können vorhandene Bezüge quer durch alle Fächer und Themenfelder aufgegriffen werden. Medienkompetenz kann dann in ihrem umfassenden Sinne anwendungsbezogen und handlungsorientiert am besten gefördert werden.

Eine klassische und bewährte Form der Verknüpfung mit außerunterrichtlichen Angeboten ist die Kooperation mit außerschulischen Institutionen. So gibt es Vereine, die sich auf die medienpädagogische Arbeit spezialisieren und nicht nur gute Projekte durchführen, sondern Wissen in die Kollegien tragen und so über das Projekt hinaus in die Schulentwicklung hineinwirken.

Dabei sind ganz unterschiedliche Formen möglich, von der Durchführung mehrerer aufeinanderfolgender Projekttage durch eine externe Institution bis zur andauernden Zusammenarbeit über ein Schuljahr hinweg. Interessant ist die gleichzeitige Begleitung der Lehrkräfte, die dabei ja auch lernen. Zum Teil entstehen dabei enge Kooperationen von Schulen mit externen Institutionen.

Online-Redaktion: Wie können Medien das Lernen unterstützen?

Dallmann: Medien können Lernprozesse auf vielfältige Weise unterstützen, sowohl inhaltlich als auch organisatorisch, sowohl das formale als auch das informelle Lernen. Verschiedene Formate und didaktische Konzepte können für jeweils unterschiedliche Lernziele, Zielgruppen und Situationen geeignet sein oder zugeschnitten werden. Medien spielen beispielsweise eine Rolle bei der Unterstützung der Individualisierung in heterogenen Gruppen, bei Formen der Kooperation und der Kollaboration, also der Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Ergebnis, oder auch in der Unterstützung selbstgesteuerten Lernens. Entscheidend für das Gelingen der gewünschten Unterstützung sind also immer die didaktischen Überlegungen.

Schüler schauen auf ein Smartphone
© Britta Hüning

Online-Redaktion: Was sind aktuelle Herausforderungen für Schulen?

Dallmann: Als große Herausforderung wird zur Zeit in bildungspolitischen und öffentlichen Diskussionen die Digitalisierung gehandelt. Damit in Zusammenhang steht beispielsweise die Ausstattung, vom Breitbandanschluss über die Technik bis zum Personal, das diese Technik auch betreuen und warten kann. Zwar ist es ein positiver Nebeneffekt der Diskussionen, dass im Zuge der aktuellen Debatte um Digitalisierung der Fokus auf das Thema noch einmal verstärkt wird. Aber meistens ist weniger Medienpädagogik als eher Mediendidaktik gemeint. Das heißt, es geht meist um den Einsatz von Medien zu Lehr- und Lernzwecken. Das ist auch zweifellos ein wichtiges Themenfeld mit viel Nachholbedarf.

Gleichzeitig bleiben medienpädagogische Fragen, die zum Beispiel die alltagsweltliche Einbindung von Medien, die Umgangsweisen in Sozialen Netzwerken oder die Zusammenhänge zur politischen Meinungsbildung betreffen, außen vor, und vor allem das Ziel, eine als umfassend verstandene Medienkompetenz zu fördern. Zusätzlich geraten mit der zunehmenden Rede von Digitalisierung klassische medienpädagogische Felder aus dem Blick, wie etwa die Filmbildung, die ja nicht an Aktualität verloren hat, sondern in einer stärker visuell kommunizierenden Welt gerade an Bedeutung zunimmt.

Online-Redaktion: Gibt es gute Beispiele für Medienpädagogik in der Schule?

Dallmann: Gute Beispiele für medienpädagogische Praxis an Schulen gibt es vor allem im Einzelnen, das heißt an einzelnen Schulen, in einzelnen Projekten, bei einzelnen engagierten Lehrkräften, die sich mit dem Themenfeld auseinandersetzen und ihre Erfahrungen auch weitertragen. Nachholbedarf besteht entsprechend in der Breite. Wichtig ist vor allem die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften, denn auf sie kommt es bekanntlich am meisten an.

Leider ist es nicht so, dass junge Lehramtsstudierende heute selbstverständlich medienpädagogisch fit die Universitäten und Pädagogischen Hochschulen verlassen. Die größte Herausforderung ist daher weiterhin, Medienpädagogik in der Schule tatsächlich zu verankern und die dazu notwendigen Maßnahmen, von der Ausbildung bis zur Ausstattung, zu ergreifen.

Online-Redaktion: Was ist für Lehrerinnen und Lehrer wichtig, wenn es um Medien geht? Finden sie genügend Unterstützung?

Dallmann: Wesentlich ist, dass es nicht nur um den Einsatz von Medien zu Lernzwecken geht, sondern dass Medienbildung in der Schule auch heißt, die Medienwelten von Kindern und Jugendlichen zu kennen, um relevante Aspekte thematisieren und Medienkompetenz umfassend fördern zu können. Im Hinblick auf beide Bereiche werden Lehrerinnen und Lehrer heute nicht angemessen ausgebildet. Zum Teil sind Mediendidaktik und Medienpädagogik nicht einmal verpflichtende Bestandteile des Lehramtsstudiums, obwohl genau das inzwischen seit Jahrzehnten gefordert wird, zum Beispiel von Fachverbänden und auch von der Kultusministerkonferenz.

Schülerin an einem Computer in der Bibliothek
© Britta Hüning

Umso relevanter sind Unterstützungsangebote, die durchaus bestehen. Das Angebot an Fort- und Weiterbildungsangeboten der jeweils zuständigen staatlichen Stellen oder auch von anderen Institutionen wie Vereinen ist jedoch überaus heterogen. Es steht auch nicht allen Lehrerinnen und Lehrern flächendeckend und in ausreichendem Umfang zur Verfügung. Oft werden auch die Bereitschaft oder das Interesse der Lehrkräfte an den meist fakultativen Veranstaltungen als Voraussetzung ins Spiel gebracht.

Zum Teil ist in Schulen das Thema aber nicht einmal auf dem Tableau, sodass noch grundlegender an Prozessen der Schulentwicklung angesetzt werden müsste. Gleichzeitig sollten auch Qualität und Nachhaltigkeit der Angebote eine Rolle spielen.

Online-Redaktion: Bietet der Smartphone-Einsatz in Schule und Unterricht mehr Chancen oder mehr Risiken?

Dallmann: Die Gegenüberstellung von Chancen und Risiken geht hier nicht auf – eine Situation kann ja gleichzeitig Möglichkeiten eröffnen und Gefahren generieren. Die lassen sich nicht gegeneinander aufwiegen. Sondern es ist jeweils der Zusammenhang zu betrachten, um pädagogisch handeln zu können. Was Chance oder Risiko ist, ist dann auch eine Frage der pädagogischen Perspektive.

So mag es etwa als Risiko beurteilt werden, dass Kinder und Jugendliche mit dem Smartphone in Schulen vermeintlich Sinnloses tun, anstatt sich im Unterricht einzubringen oder sich in der Pause zu erholen – wobei durch Erwachsene vorweggenommen wird, was der Erholung dient. Anders lässt es sich jedoch als Chance begreifen, wenn Kinder und Jugendliche ihre Lebensrealitäten und Praktiken – sinnbildlich und wörtlich – mit in die Schule bringen. Diese lassen sich pädagogisch aufgreifen. Für mich stellt sich da die Frage, ob nicht statt der verbreiteten Verbote, die freilich oft in Unsicherheit gründen, pädagogisch kreativere Handlungsansätze geboten sind.

Online-Redaktion: In Sachsen haben fast alle Schulen Ganztagsangebote. Ist das eine gute Voraussetzung für Medienpädagogik?

Dallmann: Eigene Erfahrungen in der Praxis konnte ich mit einem medienpädagogischen Projekt machen, in dem die Zusammenarbeit von Schule und Hort tatsächlich gut funktioniert hat. Die Nachmittagsangebote konnten den Unterricht gut ergänzen, da sie zeitlich, räumlich und inhaltlich weniger vorstrukturiert sind und den Kindern die nötigen Freiheiten lassen, um – pädagogisch begleitet, aber nicht angeleitet – selbst tätig zu werden, sich auszuprobieren, sich mit verschiedenen Themen und ihren Mitmenschen auseinanderzusetzen. Medienkompetenz bedeutet ja vor allem auch Selbstständigkeit im Denken, Bewerten und Tun. Diese Freiheiten können in Ganztagsschulen vermutlich besser gewährleistet werden.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Zur Person:
Christine Dallmann, M.A., war nach dem Studium der Erziehungswissenschaft, Soziologie und Rechtswissenschaft seit 2011 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Medienpädagogik der TU Dresden. Dort promoviert sie zu „Medienpädagogischen Deutungsmustern von Pädagoginnen und Pädagogen“. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Mediensozialisation, Medienbildung, Medienkompetenz und Mediennutzung, aber auch pädagogisches Rollenverständnis sowie Methoden und Methodologie qualitativer Sozialforschung.

Aktuelle Veröffentlichungen:
B.Schorb, A. Hartung-Griemberg & C. Dallmann (2017). Grundbegriffe Medienpädagogik. 6., neu verfasste Auflage. München: Kopaed.
Dallmann, C. (2017). Medienpädagogische Deutungsmuster von Lehrerinnen und Lehrern – Problemzentriertes Interview im Rahmen eines Grounded-Theory-Ansatzes. In: Knaus, T. (Hg.): Forschungswerkstatt Medienpädagogik. Projekt – Theorie – Methode. [Online verfügbar unter: http://publ.forschungswerkstatt-medienpaedagogik.de/i/user/46]

Kategorien: Kooperationen

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