"Die Förderung der empirischen Bildungsforschung ist exzellent" : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

"Die Ganztagsschule allein wird mit Sicherheit nicht ausreichen, um allen Risiken des Aufwachsens vorzubeugen". Sie ist für den renommierten Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Helmut Fend ein wichtiger Teilaspekt, der in ein umfassendes, lebenslauforientiertes Förderkonzept für die heranwachsenden Generationen eingebettet sein muss.

Porträtfoto Helmut Fend
Prof. Dr. Helmut Fend prägt bereits seit vielen Jahren die Debatte in den Erziehungswissenschaften. © Roger Nickl

Online-Redaktion: Herr Prof. Fend, aus Ihrer Feder stammt der Satz: "Bei ehemaligen Kindern aus Gesamtschulen, Förderstufen und dem dreigliedrigen Schulsystem bestimmt die soziale Herkunft gleichermaßen mit, welche Schulabschlüsse, Ausbildungen und Berufe sie erreichen." Wie kamen Sie zu diesem überraschenden Ergebnis und welche forschungsrelevanten Implikationen sind damit verbunden gewesen?

Helmut Fend: Der Hintergrund ist der, dass wir in zwei Phasen darüber geforscht haben, welche Bedeutung gemeinsames Lernen bis zur 10. Schulstufe für mehr Bildungsgerechtigkeit  hat. Die erste Phase bestand in den 1970er Jahren in vergleichenden Untersuchungen von Gesamtschulen mit dem dreigliedrigen Bildungswesen (s. Fend: Gesamtschule im Vergleich). Dabei haben wir untersucht, wie sich die soziale Herkunft in unterschiedlichen Bildungssystemen auf die  Bildungsverläufe und auf die Leistungen auswirkt. In dieser ersten Forschungsphase konnte gezeigt werden, dass die Gesamtschulen den erhofften Effekt hatten: Sie reduzierten die Ungleichheit der Bildungsverläufe deutlich.

In der zweiten Phase haben wir diese Untersuchungen fortgeführt und ausgeweitet. In ihr konnten wir die Auswirkungen der Schulsysteme in zwei Lebensphasen untersuchen: in der Zeit während des Schulbesuchs und in der danach, also in der Auswirkung auf die gesamte Bildungs- und Berufsgeschichte. Bei letzterer ging es um die Langzeitperspektive. Es zeigte sich nun, dass während der Schulzeit, also in der Kurzzeitperspektive, wiederum die integrierten Systeme, was die Bildungsgerechtigkeit angeht, im Vorteil waren.

Aber in der Langzeitperspektive, also was die weiteren Lebensverläufe bis zum 35. Lebensjahr angeht, verflüchtigten sich diese Auswirkungen zunehmend. Möglich wurden diese Aussagen durch die Lebensverlaufsstudie vom 12. bis zum 35. Lebensjahr, die gerade unter dem Titel "Lebensverläufe, Lebensbewältigung, Lebensglück" (2009) erschienen ist. Dort haben wir die Langzeitwirkungen von Bildung, Familie und Gleichaltrigensystemen untersucht. Diese Studie enthält die differenzierten Auswertungen zu den Langzeitwirkungen unterschiedlicher Schulstrukturen. Die erwähnten Ergebnisse sind dort erstmals öffentlich zugänglich dokumentiert.

Online-Redaktion: Sie sagen vorsichtig, eine gezielte Frühförderung und Unterstützung, etwa durch Ganztagsschulen, könnten sich als bedeutsam erweisen. Was können aus Ihrer Sicht Ganztagsschulen leisten?

Fend: Ganztagsschulen gehören bei der Frage der Bildungsgerechtigkeit zu den Maßnahmen, von denen man sich verspricht, dass sie die Auswirkungen unterschiedlicher Lernförderung im Elternhaus kompensieren können. Zu solchen Maßnahmen gehören neben den Ganztagsschulen auch solcher der Frühförderung. Es hat sich nämlich gezeigt, dass Bildungsgerechtigkeit- bzw. -ungerechtigkeit durch zwei Effektgruppen zustande kommt: Die erste besteht in einer unterschiedlichen Förderung der Kompetenzen von Kindern.

Familien aus den Bildungsschichten sind dazu weit besser in der Lage als Familien von Immigranten, die selber kaum der deutschen Sprache mächtig sind. Die andere Effektgruppe besteht in der Organisation von Bildungsgängen. Eine frühe Trennung der Schüler bei geringer späterer Durchlässigkeit der Bildungsgänge verfestigt herkunftsbedingte Chancenungleichheit.

Wenn es um die Förderung von Kindern geht, dann hofft man, durch Ganztagsschulangebote die weniger gehaltvollen Bildungsumwelten für Kinder mit Migrationshintergrund und für Kinder in Risikolagen auszugleichen. Sie könnten auf diese Weise davon abgehalten werden, sich auf der Straße herumzutreiben oder sich ungeregeltem Fernseh- und Internetkonsum hinzugeben. Sie bekommen eine Chance, förderintensive Lern- und Freizeitangebote wahrzunehmen.

Online-Redaktion: Wenn man auf Länder wie Frankreich schaut, die ja auch ihre Risikoschülergruppen haben, stellt sich die Frage, was diese Angebote bewirken können. Reichen sie aus?

Fend: Die Ganztagsschule allein wird mit Sicherheit nicht ausreichen, um allen Risiken des Aufwachsens vorzubeugen. Sie muss in ein umfassendes, lebenslauforientiertes Förderkonzept für die heranwachsenden Generationen eingebettet sein. Dazu gehört u.a. eine Antwort auf die Frage, welche Berufs- und Zukunftsperspektiven die  15- bis 18-Jährigen haben und wie diese durch Ausbildung und Berufsintegration realistisch untermauert werden können. Unrealistische, bloße verbale Versprechungen werden sofort als solche wahrgenommen. Ganztagsschulen allein sind kein umfassendes und erschöpfendes Konzept für eine optimale Gestaltung des Aufwachsens der jungen Generation, sie sind aber ein wichtiger Teilaspekt.

Wie bedeutsam Ganztagsschulen in welcher Ausgestaltung für welche Schülergruppen tatsächlich sind, muss aber letztlich empirisch untermauert werden. Generell brauchen wir eine Verstärkung der empirischen Forschung zu optimalen Lernbedingungen und Bedingungen des Aufwachsens. Die Strategie des BMBF zur Förderung der empirischen Bildungsforschung ist aus meiner Sicht und in Kenntnis der letzten 40 Jahre Bildungsforschung exzellent.

Die Ausschreibung der Schwerpunkte, was Ganztagsschule, Professionalisierung, Sprachförderung, Systemsteuerung angeht, ist ein sehr erfolgreiches Verfahren. Auch die Förderung des Bildungspanels und nicht zuletzt die StEG-Studie, also der Studie zur Wirksamkeit von Ganztagsschulen, kommt aus diesem Kontext.

Damit wird eine vorbildliche Verbindung schwerpunktorientierter Forschungsförderung und kompetitiver Auswahl von Forschungsprojekten geschaffen. Die  positiven Auswirkungen dieser empirischen Forschung zu optimalen Bedingungen des Aufwachsens und der Gestaltung des Bildungswesens werden sich in den nächsten Jahren immer deutlicher zeigen.

Online-Redaktion: Braucht es einen erweiterten Bildungsbegriff?

Fend: Der klassische Bildungsbegriff ist auf schulische Inhalte bezogen und auf das, was im schulischen Curriculum jeweils im Unterricht angeboten wird. Dies war und ist Kern dessen, was Schule ist: Umsetzung eines Masterplanes an kulturellen Inhalten an lernende und heranwachsende Menschenkinder, wie ich es in meinem letzten Buch "Schule gestalten" genannt habe.  Dieser inhaltsbezogene Bildungsbegriff hat immer schon Erweiterungen erfahren. Die heute im Vordergrund stehenden  Erweiterungen beziehen sich auf die Betonung von Sozialkompetenzen und personalen Kompetenzen.

Wie bedeutsam für einen solchen erweiterten Bildungsbegriff Ganztagsschulen sind, stand übrigens schon im Mittelpunkt der Diskussion beim Aufbau von Ganztagsschulen in den 70er Jahren. Seinerzeit wurde die umfassende Perspektive von Schule als Lebensraum entwickelt, die aus der deutschen Reformbewegung stammte und die ihrerseits in den sogenannten Landerziehungsheimen und ihren Internaten realisiert war. Es ging und geht auch heute darum, ein erweitertes soziales Lernen in den Schulen zu ermöglichen.

Online-Redaktion: Im Rahmen des Investitionsprogramms "Zukunft Bildung und Betreuung" (IZBB) ist eine weit verzweigte Forschung zum Thema Ganztagsschulen entstanden, vor allem die "Studie zur Entwicklung der Ganztagsschulen" (StEG): Wie schätzen Sie das Potenzial der Studie ein?

Fend: Das Potenzial ist vom Umfang und der Anlage der Studie her sehr groß. Mehr als 50.000 Personen, Schüler, Schulleiter und Eltern wurden befragt, fast alle Bundesländer haben daran teilgenommen. Sie ist zudem als Längsschnittstudie angelegt. Die erste Erhebung fand im Jahr 2005 statt, die letzte Erhebung im März 2009. Man kann also die Entwicklung einer Schule selber, aber auch die Entwicklung des sozialen Lernens erstmals besser abbilden. Hier sind erstmals umfassende Möglichkeiten gegeben, die Entwicklung der Ganztagsschulen, Vorzüge und Probleme, zu beobachten. Lediglich der politisch vorgegebene Verzicht auf Leistungsdaten schränkt das mögliche Aussagenspektrum etwas ein.

Von Ganztagsschulen wird mehr erwartet also lediglich eine Ausdehnung des Freizeitangebotes oder die Ausdehnung des normalen Vormittagsunterrichtes auf den Nachmittag. Die Förderung der fachlichen Kompetenzen der Kinder, insbesondere jener aus riskanten Lebenssituationen, wird ebenso erhofft wie die Förderung des sozialen Lernens. Die Hoffnung richtet sich auch auf die Ausstrahlung der Ganztagsschule auf die Lernkultur insgesamt und auf die Schulkultur im Sinne eines neuen Umgangs von Lehrpersonen und Schülern untereinander und miteinander.

Die Studie ist deshalb als Längsschnittstudie angelegt, wobei die letzte Erhebung erst Wochen zurückliegt. Deshalb muss man jetzt noch etwas abwarten, worin die Effekte bestehen. Das Potenzial der Studie ist groß. Sehr gut finde ich auch, dass es Ergänzungen gibt durch ein qualitatives Förderprogramm des BMBF. Hier werden direkte Beobachtungen durchgeführt, die sehr gut geeignet sind, die Prozesse, die sich in Ganztagsschulen abspielen, genauer zu dokumentieren.

Es zeichnet sich auf der Grundlage der bisherigen Publikationen schon ab, dass es Schwerpunkte gibt, die sehr gut angenommen werden. Dies betrifft vor allem den Freizeitbereich. Die Förderung von Leistungen, insbesondere in Mathematik, Lesen und Fremdsprachen ist jedoch ein Bereich, der besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Er ist offensichtlich im Kontext der Ganztagsschule nicht so leicht zu entwickeln. Ganztagsschulen, so zeigt sich schon deutlich, tragen bedeutsam dazu bei, dass Beruf und Familie bei Müttern besser vereinbar werden.

Projektteam der LifE-Studie
Prof. Helmut Fend mit seinem Projektteam zur "LifE-Studie" an der Universität Zürich

Online-Redaktion: Im Fokus Ihrer Forschung steht nach wie vor der Abbau der Selektivität des Schulsystems. Welche zentralen Herausforderungen sind in den nächsten Jahren zu bewältigen?

Fend: In Bezug auf meine Forschung sind diese Fragen immer noch bedeutsam, aber sie sind nicht die einzigen. Die Forschung zur Selektivität des Schulsystems steht heute eher im Kontext der Generationenfolge. Sie ist verbunden mit der Frage: Wie werden die Vorteile und Belastungen der älteren Generation an die jüngere weitergegeben? Und wie wirken sich die Fördermöglichkeiten des Elternhauses aus im Verbund mit den Fördermöglichkeiten des Bildungssystems und des Gleichaltrigensystems?

Dies heißt in der Summe, die Forschungsfragen zu Lebensverläufen und Lebensbewältigung sind umfassender angelegt. Wir versuchen dies in  der "LifE-Studie", die bisher Personen vom 12. bis ins 35. Lebensjahr begleiten konnte, zu realisieren. Sie soll bis zum 45. Lebensjahr fortgesetzt werden. Dabei wollen wir auch deren Eltern, die früher schon beteiligt waren und jetzt zwischen 70 und 80 Jahre alt sind, einbeziehen, ebenso wie die Kinder unserer 45-Jährigen, die jetzt zwischen 12 und 17 Jahre alt sind. Damit kommen die Generationenabfolgen und Generationenwirkungen genauer ins Blickfeld.

Online-Redaktion: Wie ist der gegenwärtige Stand der Studie?

Fend: Der Forschungsantrag ist gestellt und wir warten auf die Genehmigung der Mittel, um sie weiterzuführen. Es wäre dann die größte Generationenstudie und Lebensverlaufsstudie im deutschen Raum, die es bisher gegeben hat. Sie ist in gewisser Hinsicht eine Vorläuferstudie zu dem, was das Bildungspanel leisten möchte. In dieser Lebensverlaufsstudie ist natürlich weiterhin die Frage der Bedeutung von Schule und Bildung enthalten.

Online-Redaktion: Entscheidend für die Bildungsqualität ist die Lehrerkompetenz. Wie sehen Sie das?

Fend: Ich bereite gerade einen Vortrag vor mit dem Titel "Der lange Weg zum guten Lehrer". Dabei geht es um Kernaspekte qualitativ guten Unterrichts und die Bedingungen optimalen Lehrerseins. Stichwort: Professionalität der Lehrerschaft.

Um die zentralen Aspekte guter Lehrarbeit herauszuschälen, muss man verstehen, was der Kern der Lehrtätigkeit ist. Lehrpersonen sind keine reinen Fachwissenschaftler, noch sind sie ausschließlich Psychologen oder Sozialarbeiter. Sie müssen fachliche und psychologische Aspekte verbinden. Die Lehrperson koppelt ein "Kulturprogramm", z.B. Mathematik, Naturwissenschaften oder Geschichte mit der Entwicklung von Lernmöglichkeiten und der Entwicklung von Kindern.

Es geht dabei gewissermaßen um eine Verbindung von "Kultur" und "Gehirn": Wie kommt das "Kulturprogramm" in die Köpfe der Kinder? In den letzten 200 Jahren können wir viele didaktische Erfindungen beobachten, die eine bestmöglich Synchronisierung von Inhalten und Lernprozessen anstrebten. Eine solche Adaptionsqualität ist entscheidend für eine gute Lehre. Gute Lehrpersonen sind solche, die das Kulturprogramm im Hinterkopf und dabei  immer die einzelnen Kinder vor Augen haben. Das Gegenteil wären Lehrpersonen, die das "Kulturprogramm" gewissermaßen abspulen, ohne im Auge zu haben, dass entscheidend ist, welche Lernprozesse sich bei ihren Adressaten abspielen..

Online-Redaktion: Kann man es nicht auf Anhieb erfassen, ob eine Lehrperson, die eine positive Ausstrahlung hat, für ihre Profession geeignet ist? Andere scheinen sich eher für einen Bürojob zu eignen...

Fend: Das ist gar nicht so trivial und leicht festzustellen. Vermittlungskompetenz ist das eine herausragende Qualitätsmerkmal, Vermittlungsfreude das andere. Kompetenz und Motivation müssen zusammenkommen. Vermittlung bedeutet, dass man permanent in Interaktion mit Schülern steht. Ein Lehrer ahnt, dass eine Klasse den Stoff nicht erfasst und fragt sich: Was muss ich tun, damit ich erkenne, was sie aufgenommen haben und was nicht? Das permanente Schaffen von Gelegenheiten, in denen die Lehrperson beobachten kann, was die Schüler können und die feine Synchronisierung zwischen dem, was man unterrichtet hat und was gelernt wurde, ist von großer Bedeutung.

Spiegelt sich eine unterschiedliche Synchronisierungsqualität in den Wahrnehmungen von Schulklassen? Diese Frage habe ich in diesem Zusammenhang untersucht. Wir haben Klassen gefunden, in denen die Schüler den Eindruck hatten, dass sie in den Augen der Lehrperson fast nicht vorkommen. Die Lehrerin oder der Lehrer weiß - so die Wahrnehmung der Schülerschaft einer Klasse - nicht, was sie können, wer Schwierigkeiten hat, wer welche Hausaufgaben gemacht hat und wer nicht, wer nicht aufpasst usw. Die Lehrperson unterrichtet einfach vor sich hin.

Online-Redaktion: Der Literaturnobelpreisträger Elias Canetti, der unter anderem in Zürich zur Schule gegangen ist, äußert sich in seinem autobiographischen Werk sehr lobend über seine Schweizer Lehrer. Liegt das an einer anderen Lernkultur?

Fend: Ich habe zwanzig Jahre an einem Institut in Zürich gearbeitet, das hundert Meter von der Schule entfernt liegt, in der Canetti zur Schule ging. Es gibt in der Schweiz eine lange reformpädagogische Bewegung, die versucht, das Wechselspiel zwischen Kulturangebot der Lehrer und der differenzierten Wahrnehmung, was in den Kindern passiert, aufzunehmen und didaktisch umzusetzen. Die Kinder dort abholen, wo sie stehen, ist zu einem Kernsatz der Schweizer Lehrerschaft geworden.

Die Adaptivität der Lehrpersonen an das, was in den Kindern passiert, steht also im Mittelpunkt. Man darf dabei nicht nur auf die Kinder, aber auch nicht nur auf das "Kulturprogramm" schauen, sondern es kommt auf das Wechselspiel an. Vor diesem Hintergrund habe ich versucht herauszufinden: Kann man Lehrer identifizieren, die dem mehr oder weniger entsprechen?

Ich habe mir auch die Fragen gestellt: Sind Frauen "adaptiver"? Werden junge Lehrpersonen oder Lehrer mit einer besseren fachlichen Ausbildung von den Schülern einer Klasse als jeweils stärker anschlussfähig wahrgenommen?. Das Ergebnis lautete: Nein! Nach vielen Versuchen, von den Lehrpersonen her vorherzusagen, wer als adaptiv wahrgenommen wird, sind wir zu einem durchschlagenden Ergebnis gekommen: Wir haben nämlich die Lehrerinnen und Lehrer nach ihrer pädagogischen Grundhaltung, nach ihrer positiven Haltung Schülern gegenüber befragt. Dabei zeigte sich tatsächlich, dass sich eine positive pädagogische Grundhaltung und Motivation der Schülerzuwendung in den Wahrnehmungen der Schülerschaft deutlich widerspiegelt. Das kann man übrigens in dem Buch "Schule gestalten" nachlesen.

Online-Redaktion: Mit der Finanzkrise sind dunkle Wolken über die Schulen gezogen. Könnte sich die Bildungsarmut nun verschärfen, und wie würden Sie ihr begegnen?

Fend: Es ist unübersehbar, dass die Finanzkrise auf die Realwirtschaft und dann in einer nächsten Phase auf die öffentlichen Haushalte durchschlagen wird. Zu diesem späteren Zeitpunkt werden Sparmaßnahmen wieder in den Vordergrund treten. Das könnte Krippenplätze, Sprachförderung, Ganztagsangebote, Stipendien usw. treffen. Zunächst aber kommt des Konjunkturpaket der Ausstattung in vielen Schulen entgegen.

Seit längerem bewegt mich dabei der Gedanke, ob es nicht möglich wäre, dem gegen zu steuern. Eine Reduktion des Förderangebotes ist ja kein Schicksal, da es Akteure gibt, die bestimmte Entscheidungen treffen. Meine Vorstellung war in der letzten Zeit, ob es eine "IZBB-Initiative" ganz anderer Art geben könnte, zum Beispiel ein Investitionsprogramm von fünf Milliarden Euro für die Integration von Lernorten und Kulturorten für Risikoschüler. Familienministerium, Arbeitsministerium und Bildungsministerium könnten auf Bundesebene Projekte fördern, die auf lokaler und regionaler Ebene initiiert werden.

Deren Inhalt sollte in der Schaffung integrierter Lernorte für Kinder und Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen bestehen, z.B. in  Krippenplätzen in Verbindung mit Migrationsförderung, in Präventionsprogrammen für alkoholgefährdete Kinder und Jugendliche durch entsprechende Sportaktivitäten und Ganztagsschulangebote. Es sollte verschiedene Fördermöglichkeiten geben, die den nonformalen und informellen Lernbereich betreffen und die an den Ganztagsschulen angedockt werden könnten. Dies als kurze Antwort auf ein großes, ausarbeitungsbedürftiges Thema.

Online-Redaktion: Prof. Fend, vielen Dank für dieses Gespräch!

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Helmut Fend, Ausbildung zum Volksschullehrer. 1967 Dissertation in den Fächern Erziehungswissenschaft und Psychologie. 1968 bis 1987 am Zentrum für Bildungsforschung der Universität Konstanz. 1978/79 Leiter des 'Landesinstituts für Schule und Weiterbildung' des Landes Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Seit 1987 Ordinarius für Pädagogik und Pädagogische Psychologie an der Universität Zürich, Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Bildungssysteme und Humanentwicklung, Pädagogische Wirkungsforschung, Qualität im Bildungswesen, Bildung, Familie und Lebenslauf.

Zahlreiche Publikationen, darunter mehrere Lehrbücher: Neue Theorie der Schule. Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen. 2. Auflage. Wiesbaden: VS. 2008; Entwicklungspsychologie des Jugendalters: Ein Lehrbuch für pädagogische und psychologische Berufe. 4. Auflage. Wiesbaden: VS. 2003. Geschichte des Bildungswesens, Wiesbaden: VS. 2006; Schule gestalten - Systemsteuerung, Schulentwicklung und Unterrichtsqualität, Wiesbaden: VS 2008; zuletzt: Lebensverläufe, Lebensbewältigung, Lebensglück. Ergebnisse der LifE-Studie. Wiesbaden: VS 2009 (Hrsg. mit Fred Berger & Urs Grob).
Homepage: http://www.paed.unizh.ch/life

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